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JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE UNDPjaDAGOGIK,
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh, Christ, Jahn,
Dritter Jahrgang.
Zweiter Band. Erstes Heft.
Oder der ganzen Folge
Siebeuter Band. Erstes Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
18 2 8.
Si quid novisti rectius istis,
Candidas iniperti; si non , Iiis utere mecum.
d. Bibliothek des ]
-Gymnasiums,
München,
outadichleclen
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Römische Litteratur.
Lateinische Grammatik von Ludw. Ramshom. Leipzig-,
Vogel. 1824. 8.
Zweit er Artikel.
[Fortsetzung der Bd. V Heft 1 S. 73 fF. begonnenen Recension.]
"cn grössteii Theil des genannten Werkes nimmt natürlich die
Syntax ein, d.h. nach der Definition des Verf., die Lehre von der
Ziisammenfügiing der Redelheile zur zusammenhängenden Hede
in Sätzen ?ifid Perioden. Sie zerfällt ihm in drei Abtlieihnigcn,
von welchen die 1) von der Bildung und Form der Sätze^
§ 90 — 196, S. 150 — 625, die 2) von der Stellung der Re-
detheile in Sätzen und der Sätze in Perioden , § 196 — 203,
S.625 — 653, die 3) von ungewöhnUvlien Constructionen oder
von dem rechten Gebrauche d^er Figuren (später nennt es der
Hr. Verf. Veredlung des Ausdrucks) handelt , § 203 — 206,
S. 653 — 715. Angehäna^t sind noch der römische Kalender.^
§ 207, und Prosodik und Metrik^ § 208 — 222 , S. 717 — 784.
Man sieht sehr leicht ein, was der Hr. Verf. mit dieser Ein-
theilung gewollt hat ; der 2e und 3e Theil nämlich soll ohnge-
fähr das abhandeln, was andre neue Grammatiker unter dem
Namen einer syntaxis ornata und ßgurata beibringen. Allein
eben so leicht ergiebt sich auch ihre Unrichtigkeit; denn wenn
nach jener Definition die Syntax Satzlehre ist, so umfasst der
erste Theil, als vofi der Bildung und Form der Sätze handelnd,
offenbar die ganze Syntax, und die beiden andern können we-
nigstens durchaus nicht Haupttheile seyn , sondern höchstens,
als in dem ersten begriffen , Unter ahtheilungen desselben bil-
den. Noch sonderbarer erscheint diese Eintheilung, wenn man
die kurze Einleitung betrachtet , womit der Hr. Verfasser den
Sten Theil beginnt. Er sagt daselbst, dass die Sprache des ge-
bildeten Römers (urbanitas) sich von der des gemeinen und
Landmanns (rusticitas) durch eine gewähltere und edlere Aus-
drucksweise auszeichne, indem die erstere aus höhern Griinden
einen gewähltem , vollständigem und präcisern Ausdruck statt
1*
4 Römische Litte ratur.
des gemeinen, und seltnere, scheinbar regelwidrige Constnicti-
onen statt der gewöhnlichen Redeweise brauche. Da mm
aber in diesem SteuTheile jene urbaidtas gelehrt werden soll,
so wird man durch eine solche Entgegcnstellung der Tlieile
fast veranlasst zu denken, als sey im ersten Theile der Syntax
die rusticitas zum Grunde gelegt worden. Dicss ist nun zwar
keineswegs derFall, giebt aber doch den sichersten Beweis von
der Zwecklosigkeit und Unrichtigkeit jeder solchen Eintheilnng.
Der Grundirrthum, der dabei obwaltet, ist der, dass man schön
und richtig zu Gegensätzen macht. Diess ist nun aber schon
an sich falsch, und widerspricht eben so sehr auch dem Zwecke
der Sprachlehre, die ja hauptsächlich eine Darstellung der
Sprache desjenigen Zeitalters enthalten soll, in welchem sie in
ihrer schönsten Bliithe war. Uebcrhaupt aber lassen sich zwi-
schen dem Scbönen und Richtigen fast nirgends so schwer Gren-
zen ziehen, als gerade in der Sprache. Denn selten nur konnte
etwas, was man f iir schön, elegant u. s. w. gesagt erklärt, anders ge-
sagt werden, obne zugleich auch wenigstens in etwas an Zweck-
mässigkeit und Richtigkeit zu verlieren. Diess gilt sowolil von
der sogenannten Eleganz im Ausdruck, als in der Wortstellung
und im Periodenbau. Der minder elegante Ausdruck wird
auch meist der minder richtige seyn, und die Stellung der ein-
zelnen AVörter ist wenigstens in den meisten Fällen eben so sehr
von der Richtigkeit als von der Schönheit bedingt, da sie mit
der Form fast iiberall auch den Sinn ändert. Wir wollen da-
mit keineswegs etwa die Möglichkeit einer lateinischen Stylistik
läugnen; aber abgesehen davon, dass diese eigentlich nicht in
die Grammatik gehört, meinen wir übrigens auch, dass bei
einer solchen Trennung der Syntax auch für die Stylistik Avenig
oder niclits gethan werde: denn die sogenannte syntaa:is ornata
und ßgurata unserer Grammatiken ist dafiir bei weitem nicht
ausreichend, sondern im gelungensten Falle ein zwitterhaftes
aus Grammatik und Stylistik zusammengesetztes Mittelding,
das die gründliche Erlernung der Sprache nicht sonderlich för-
dern kann.
Wir müssen hier zugleich noch eines andern Gegenstandes ge-
denken, der fast in allen bisherigen Grammatiken der verschied-
nen Sprachen bald mehr, bald weniger und auf verschiedne
Weise sichtbar ist, in dem Werke des Hrn. Verf., Avie wir
eben sehen werden, vorzüglich im ersten Theile der Syntax.
Er betrifft die Behandlung und Verknüpfung des syntactischen
Stoffes im Allgemeinen und gründet sich auf eine einseitige
Auffassung des Begriffes Syntax , wodurch in dem einen Falle
mangelhafte und unvollständige Behandlung vieler syntactischer
Lehren, oder bei dem Bestreben diese zu vermeiden, in einem
zweiten Falle unrichtige Eintheilnng, Inconsequenz und Ver-
wirrung herbeigeführt wird. Fast alle Grammatiker stimmen uäm-
Ramsliorn: Lateinische Grammatik. 5
lieh darüber überein, zur Syntax alles das zurechnen, was über
die Bestandtheilc der Sprache in IJeziig auf ihre Verbindung zu
sagen ist. Allein so richtig dieses ist, so ist es doch bei der Behand-
lung des syntactischen Stoffes von grosser Wichtigkeit zu be-
achten, dass jene Verbindung doppelter yJ/t »ey. Sie ist näm-
lich entweder eine Verbindung mehrerer lledetheilc, die blos
verbimdenc Begriffe ^ oder eine, die ein voUsländiges Urtheit^
oder, was hier dasselbe ist, einen wirkUcheti Salz giebt. Diese
doppelte Weise der Verbindung wird nun von den meisten Gram-
matikern in der Syntax entweder ganz unbeachtet gelassen, oder
wenigstens bei der Definition und der darnach zu entwerfenden
Eintheilung der Syntax nicht gehörig berücksichtigt. Die einen
nämlich, mehr die erste Art der Verbindung der Redetheile
im Auge habend , folgen in der Syntax der in der Formenlehre
gegebnen Ordnung der Redetheile und behandeln so diese der
Reihe nach fort syntactisch , ohne sich weiter um die zweite
Art jener Verbindung, d. h. um die Satzbildung und das Ver-
hältniss, in welchem jeder Redetheil zum Satz steht, zu be-
kümmern. Daher die Ausdrücke mancher Grammatiken: Syn-
tax des Substantivums, Adjectivums, Verbums, der Partikeln
u. d. gl. Die andern, unter welchen aucli unser Hr. Verf. ist,
begehen den entgegengesetzten Fehler, d. h. sie betrachten die
Syntax nur als Lehre vo?i der Verbindung der Redelheile zu
Sätze7i und legen nun bei der Eintheilung derselben die ver-
schiednen Arten der Sätze zu Grunde. Beides ist nach unsrer
Ansicht nicht richtig, wenn schon die erstere Art der Behand-
lung noch fehlerhafter ist, als die zweite. In Grammatiken
der ersten Art nämlich , unter denen wir sonst ausgezeichnete
Werke nennen könnten, wird ein bei Erlernung jeder Sprache
höchst wichtiger Gegenstand, nämlich dieSatzbildung,vernach-
lässigt, ein Mangel, welcher selbst durch die grösstc Masse
einzelner Bemerkungen über die Redetheile unmöglich ersetzt
werden kann. Grammatiken der zweiten Art dagegen, in wel-
chen die Syntax sich lediglich mit der Lehre von den Sätzen
beschäftigt, oder vielmehr der Definition zufolge sich beschäf-
tigen sollte, leiden daran, dass sie für alle diejenigen vielen
Bemerkungen, welche ohne Rücksicht auf Satzbildung über
die Redetheile zu machen sind, deinen passe?iden Platz haben,
mithin, wenn sie solche dennoch geben, wenigstens die ursprüng-
liche Eintheilung stören und den Zusammenhang des Ganzen
Terwirren. Diese hieraus hervorgehenden üebelstände sind
in allen Grammatiken dieser zweiten i^rt mehr oder minder
sichtbar. Man findet Bemerkungen an Stellen, wo man sie gar
nicht suchen sollte, blos, weil sich etwa dort gerade etwas vor-
fand, womit sie wenigstens in einigen Zusammenhang gebracht
werden konnten. Man findet ferner, was noch schlimmer ist,
oft die wichtigsten Dinge nur uebeubci und fast oberflächlich
6 Römische Litteratur.
behandelt; nicht weil die Verfasser nichts Griindlicheres darü-
ber zu sagen gewusst hätten, sondern weil es an Platz fehlte,
indem eine ausführlichere Behandlung des Gegenstandes nach
dein richtigen Gefühl der Verfasser daselbst zu fremdartig er-
schienen wäre und den Zusammenhang zu sehr gestört hätte.
Man findet endlich manches, was man vielleicht mit mehr Hecht,
als manches andre, in der Grammatik zu suchen befugt wäre,
entweder ganz übergangen , oder gleichsam ausser Reihe und
Glied in besondern Anhängen hingestellt; wie z.B. jene in der
Regel isolirt hingestellten Abschnitte über Figuren und unge-
wöhnliche Constructionen, die bei einer zweckmässigem Eiii-
theilung ihre gehörige Stelle leicht hätten finden können.
Derllr. Verf. hat nun zwar die ebenerwähnten Uebelstände,
namentlich den Fehler der üngründlichkeit und Unvollständig-
keit, möglichst zu vermeiden gesucht, aber sie ganz zu vermei-
den war natürlich unmöglich und sie raussten wenigstens in
einer gewissen Verwirrung des Stoffes und unlogischen Ein-
theilung hervortreten. Der ganze erste Theil der Syntax, wel-
cher der Angabe nach vo7i der Bildung; und Form der Sätze
handeln sollte , giebt davon ein auffälliges Beispiel. Er zer-
fällt nämlich in folgende 4 Unterabtheilungen: V) vo7i der Bil-
dung des einfachen Satzes^ §91 — 150, S. 150 — 291, II) vom
Gebrauch des Nomens insbesondere^ §151 — 162, S.290 — 381,
III) vom Verbum und dessen Theilen im einfachen Satze^ § 162
— 175, S. 381 — 508, IV) von verbundenen Sätzen^ § 175
— 196, S. 508 — 625. Das Unlogische der Eintheilung liegt
klar vor Augen; aber auch im Werke selbst zeigen sich bei
allem Streben nach richtiger Anordnung Spuren jener nun nicht
weiter ganz zu vermeidenden Verwirrung. Schon die erste Abthei-
lung enthält in der Syntax von den casibus namentlich sehr
vieles, was auf die Bildung des Satzes durchaus keinen Bezug
hat. Noch mehr ist diess der Fall beider zweiten. Die darin
behandelten Sachen haben nicht nur keinen Bezug auf die
Satzbildung, sondern stehen auch meist am unpassenden Orte,
wie z. B. gleich anfangs der lange Abschnitt Vorn Nomen als
y4ppositio7i, was alles offenbar zu §92 gehörte, und noch mehr
der die Abtheilung schliessende §161, Vo7i den Präpositionen^
welcher doch offenbar in einem höchst lockern Verhältniss,
wir sagen nicht zur Satzbildung, sondern selbst zu seiner eig-
nen Abtheilung steht , welche vom Gebrauch des No7ne7is ins-
besondere handelt. Eben so enthält auch die ganze dritte Ab-
theilung, Vom Verbum und dessen Theilen^ lauter Bemerkun-
gen , die auf die Bildung des Satzes wenigstens keinen wesent-
lichen Bezug haben, und der Beisatz im ei7ifache7i Salze scheint
eigentlich nur das Unlogische der Eintheilung verdecken zu
sollen; denn die Behandlung selbst berücksichtigt ihn nicht,
und würde ihn, da er eiueu zweiten Abschnitt, Vom Verbu7ii
ßauiäliorii : Lalolnischc Grammatik. 7
n verbundene?! Sätzen, voraussetzt, auch uiclit haben beriick-
achtigen können, ohne den folgenden Absclinitt in ein unlo-
gisches Verhäitniss zu bringen. Ganz eigentlicl» hingegen
hätte fast alles das, was in dem zweiten Ilaupttheil nber die
Stellung der lledetheile in Sätzen und der Sätze in Perioden
gesagt ist, einen Abschnitt des ersten Ilaupttheiles ausgemacht,
3a sich ja alles offenbar auf Bildung und Form der Sätze be-
zieht. Wir glauben durch diese Bemerkungen gezeigt zu ha-
ben, dass die Behandlung der Syntax sowohl von Seiten logi-
scher Richtigkeit wie practischer Zweckmässigkeit durchaus
gewinne, wenn man sie in zwei grosse Abschnitte theilt, von
denen der eine über die Verbindung der Redetheile zu blossen
Begriffen^ der andre über ihre Verbindung zu Urtheilen oder
Sätzen handelt. Unter den bisherigen Grammatiken kennen
wir nur eine einzige, die diese Eintheilung der Syntax zu
Grunde gelegt hat, nämlich die griechische Grammatik von
T li i e-r s c h , und wir wundern uns, wie der treffliche Kr ii g e r
in seiiser vor kurzem erschienenen Erörterung der grammati-
schen Eintheilung und der grammatischen Verhältnisse der
Sätze (Frankf. am M. 1820.) S. 50 , § 33 , die Richtigkeit
und Zweckmässigkeit derselben verkennen und bezweifeln
konnte.
Wir haben jetzt die Eintheilung im Ganzen nach nnsrer
üeberzeugung tadeln zu müssen geglaubt; die Behandlung
des Einzelnen müssen wir nach derselben üeberzeugung loben
und zwar in einem hohen Grade. Alle oben gerühmten Vor-
züge, die genaue Vertrautheit mit der Sache imAllgemeinen, so
wie besonders das tiefe Studium der Natur der lat. Sprache
und die richtige Auffassung des Genius derselben , die freie,
selbstständige Forschung, der ausgezeichnete Saramlerfleiss,
die verständige Benutzung der Vorarbeiten, alle diese Vorzüge
zeigen sich ganz besonders in dem syntactischen Theil des
Werkes, bei welchem der Hr. Verf. grössere Ausführlichkeit
und erschöpfende Vollständigkeit überhaupt mehr beabsich-
tigt zu haben scheint , als bei der Formlehre.
Besonders gut in dieser Hinsicht , um zu dem Einzelnen
überzugehn, ist die sogenannte syntaxis convenientiae gearbei-
tet, welche wir noch nirgends so genau, bestimmt und aus-
führlich behandelt gefunden liaben. Aber freilich hätte, wie
wir schon früher erinnert haben, das darüber Gesagte nicht
so sehr zerstreut, sondern besser zusaramengesteilt werden
sollen ; oder da der Hr. Verf. nach der getroffnen Eintheilung
jene Zerstücklung nicht weiter vermeiden konnte, so liätte
wenigstens gleich hier am ersten Orte, wo man alle die Sache
betreffenden Bemerkungen sucht, auf die übrigen Stellen, wo
wieder von dieser Lehre die Rede ist, verwiesen werden sol-
len. Im Einzelnen haben wir zu bemerken , dass der Begriff
8 Römische Litteratur.
Apposition vom Hrn. Verf. uns viel zu weit gefasst zu seyi
scheint. Schon Beispiele oder Vergleichungen durch wf, velui,
taiiquam^ quasi eingeführt, wie, AegypUi canem et feiern u'^
de OS colunt^ Cic, u. d. gl. gehören nach unsrer Ansicht nicht dazu ;
weit weniger aber noch der Fall , wenn Substantiva oder Ad-
jectiva als Prädicatsbestiramnngen des Verbi gebraucht werden,
z.B. Furius — piier didicit^ Cic, Senatus freqiiens con-
venit^ Cic, u.s. w. Alles dieses und sogar noch fremdartigeie
Beispiele, wie Non corpori soli subvenlendum est^ Cic, wer-
den hier, § 151, zur Apposition gerechnet. Ferner hätte zu
§ 92 erwähnt werden sollen, dass einige Femininalforraen auf
trix ^ wie victrix und tdtrix^ auch mit Substantivis neutrius ge-
neris verbunden werden. Der Ilr. Verf. bemerkt es zwar, § 39,
B, 3, allein es gehörte in die Syntax und die dort ausgespro-
chene Behauptung, dass es nur im Plural geschehe, ist trotz
dem, dass Servius zuVirg.Aen. 3, 54, Priscian- 5, 7 und andre
dasselbe versichern, doch nicht gegründet. Wenigstens fin-
det sich bei Claudian. de sext. cons. Hon. 25: Omina victrici
concepta solo'^ vielleicht freilich schon als Anfang des in der
Latinität des Mittelalters sich häufiger findenden usus, der
Victor ausschliesslich zum Substantiv , victrix aber zum Adje-
ctiv für alle drei Genera macht. Vergl. Voss, de Anal. 2 , 12
p. 728, Casp. Barth, zu Claud. in cons. Prob, et Oiyb. v. 131
und andre.
Von niclit geringerer Sorgfalt zeugt auch die § 99 begin-
nende syntaxis rectionis oder der casus ohliqui. Nur glauben
wir, dass, was über die Natur und das Wesen der casus obliqui
gesagt wird , nicht tief genug gefasst , und daher weder um-
fassend genug , noch frei von Einseitigkeit sey. Dass aus der
allgemeinen Grammatik überhaupt zu wenig gegeben ist, haben
wir schon oben erinnert , und es findet diess hier ganz beson-
ders seine Bestätigung. Namentlich vermissen wir ausser der
nähern gründlichen Erörterung ihrer Natur im Allgemeinen
die so höchst nöthige Vergleichung der Grundbedeutungen
der einzelnen Casus untereinander. Die casus obliqui sind nach
der Definition des Hrn. Verf. nähere Bestimmungen eines Ge-
genstandes ^ entweder durch deutlichere Bezeichnung seines
fVese?is^ oder durch Andeutung seiner Beziehungen nach aussen
hin. Für den erstem Fall habe man den GeJiitio (Genitiv, sub-
jecti), fVir den zweiten den Genitiv.^ Accusativ ., Dativ und Ab-
lativ. Der Genitiv bezeichne in diesem zweiten Falle die Ten-
denz eines Gegenstandes nach aussen hin an tind für sich,
(Genit. objecti)j der Accusativ den leidenden Gegenstand der
Thätigkeit eines Subjects, auf welchen es direct einwirke ; der
Dativ den Zweck .^ das entferntere Ziel jener Thätigkeit; der
Ablativ die Art und Weise, wie das Subject seine Thätigkeit
äussere, oder in Rnhe bleibe. Ein Substantiv (?) sey dem-
Ramshorn: Lateinische Grammatik. 9
nach von einem andern ('?) entweder unmitlelhar aLIiän^ig,
und dann stehe es im Genitiv , oder mittelbar durch das Da-
zwischentreten eines Prädicats , von welchem es zunächst re-
jiziert und sein Casus bestimmt werde. Hieraus ergebe
sich zugleicli, dass ein casus obliquus ein inneres nothw endi-
ges , und ein äusseres zufälliges Verhältniss des abliängigen
Nomens zu dem regierenden Worte ausdrücken könne.
So manches Wahre im Einzelnen nun auch in dieser Er-
örterung seyn mag, so können wir sie doch weder für liinläng-
lich klar, noch für richtig und erschöpfend ansehn. Wir
können hier der Lehre des Ilrn. Verfassers natürlich keine andre
in voller Ausführlichkeit entgegensetzen, sondern nur dieFehler
nachweisen, die sich in ihr finden. Der erste ist, dass er es
für die richtige Erklärung der Natur jener Casus für tvesent-
lieh liält, die Art und Weise zu trennen, wie ein Gegenstand
näher bestimmt werde, ob nach seinem Wesen ^ oder nach sei-
nen Beziehungen nach aussenhin. Allein diese Trennung ist
nicht nur nicht Avesentlich, sondern sogar völlig unzulässig,
schon deshalb , weil dabei der Genitiv keine einfache Grund-
bedeutung^ die ihm doch eben so gut, wie den übrigen casibus
zukommen muss, erhält, sondern zu beiden Fällen gezogen
und gleichsam zerrissen wird. Uebrigens kann auch die für
den ersten Fall statuirte Bedeutung des Genitivs (die Wesens-
bestimmung) unmöglich die völlig richtige und wahre seyn, da
man solche, wie der Hr. Verf. selbst durch eine eingeschobne
Ausweichung angedeutet hat, eben so gut als Bedeutung der
sogenannten Apposition statuiren kann. Einen andern Fehler
finden wir darin, dass der Hr Verf. die Abhängigkeit der Casus
in eine mittelbare und unmittelbare theilt, wornach dann Dativ,
Accusativ und Ablativ immer und auch der Genitiv für den ei-
nen Fall erst durch das Dazwischentreten eines Prädicats von
einem Substantiv mittelbar abhängen sollen. Allein sie hän-
gen gar nicht von einem Substantiv^ sondern von andern Rede-
theilen , von diesen aber eben so unmittelbar ab, w ie der Geni-
tivus subjecti von] seinem Substantiv. Nach Annahme des Hrn.
Verf. hängen also in Sätzen, wie Cicero mandat Attico\ puer
legit librum; Varro excelluit doclrina^ die Casus obliqui von
den Subjectsnominativen mittelbar durch Vermittlung der Prä-
dicate ab. Man sieht leicht, wie man allenfalls eine solche
Abhängigkeit behaupten könne, aber auch eben so leicht, dass man
dann den Begriff Abhängigkeit in einem andern Sinne brauche,
und dass mit jener Unterscheidung durchaus nichts zur
nähern Bestimmung der wahren Bedeutung jener Casus ge-
wonnen werde. Nach unserer Ansicht würde sich alles weit
klarer und richtiger haben darstellen lassen, wenn der Hr.
Verf. von Betrachtung des Gebietes ausgehend, welches jedem
einzelnen Casus durch den Sprachgebrauch zugewiesen ist, die
10 Römische Litteratur.
jedem Casus seiner Natur nach als eigenthümlich zukommende
Construction aufgesuclit und bestimmt, und dann an passenden
Beispielen, wo bei einem und demselben Worte verschiedne
Casus sich finden, wie z.B. pater^ amicus aliciijiis und alicui;
esse aliciijus und alicui; ple?ms olici/jus rei und ciUqiia re ; ae-
vuäor alicui und oliq7cetn ; fide/G alicui rei und aliqiia re ; do-
nare alicui aliqziid mwA aliquetn aliqua re ^ die Verschiedenheit
in der Auffassung des Verhältnisses bei zuweilen fast völlig
gleicher Bedeutung nachgewiesen hätte. Dann würde man nicht
nur eine klare Einsicht in das Wesen der einzelnen Casus son-
dern auch eine lichtvolle Uebersicht über das Ganze gewon-
nen haben; und selbst im Folgenden, avo der Hr. Verf. die Re-
geln über den Gebrauch der Casus nicht nach deren verschied-
nen Bedeutungen oder Beziehungen , sondern nach den Rede-
theilen, mit denen sie sich gerade verbunden finden, ordnet,
würde es dann nicht weiter auffallen, dass er, der bequemen
Uebersicht halber, seine obengenannte Anordnungsweise der
andern, logisch richtigem, vorgezogen habe.
Was die Behandlung jener Casus im Einzelnen anlangt, so
glauben wir, dass der Genitiv und Dativ am besten behandelt
seyen. Die Syntaxis Genitivi (§ 100 — 116) namentlich ge-
hört zu den gelungensten Parthieen im ganzen Werke und ent-
hält über mehrere schwierige Fälle treffüche Erörterungen,
wie wir sie sonst noch nirgends gefunden liaben. Wir rech-
nen dahin, was der Hr. Verf. über die Construction der adje-
ctiva und pronomina neutrius generis, § 104, der partitiva,
§ 105, der Impersonalia ^V^^e/•es^ und refert^ § 114, sagt, vor
allen aber die Erläuterung über den sogenannten Genitivus qua-
litatis , die freilich etwas sonderbarer Weise § 140 in einer
Anmerkung zum Ablativus qualitatis gegeben wird. Der Ilr.
Verf. hat sehr richtig die frühere Erklärungsweise durch
Ellipse stillschweigend ganz bei Seite geschoben und einge-
sehen, dass man einerseits o^ne den gerechten Vorwurf der
Ungründlichkeit der bestimmten Angabe eines sichern Unter-
schiedes beider Constructionen sich nicht weiter entschlagen,
anderseits aber auch sich nicht mit der von mehrern neuern
Grammatikern angenommenen Unterscheidung begnügen könne,
nach welcher der Genitiv innere^ fortdauernde ^ der Ablativ
äussere^ vorüber gehende Eigenschaften oder 3Ierkmale be-
zeichnen sollte. Denn so häufig man auch mit dieser Annahme
ausreichen mochte, so musste man doch zuweilen immer noch
in schlimme Verlegenlieit kommen, indem Beispiele, wie Vir
suinmo\ingenio^ Cic, oder homo ?uasimi corporis^ Nep,, quidam
bonae staturae , Senec. Apocol. , natürlich sich durchaus nicht
mit derselben vertragen wollten. Sehr fein und scharfsinnig
nun bestimmt der Ilr. Verf. in jener Anmerkung den Unter-
schied beider Coustructioneu auf folgende Weise: „Der Geni-
Rainsliorn: Latclnisclie Grammatik. 11
tiv, sagt er, vertritt lu'er die Stelle eines Adjectivs und legt
einem Subject die Eigenschaft als eine ihm eigenlhümliche^
zu seinem ÄV^escn oder Cliaractcr gehörige, bei, oder als eine
solche, ohne welche das Subject aul'hören würde dasselbe zu
seyn. Der Ablativ hingegen, der statt eines Adverbii steht,
also nur das (ausgedriickte, oder als Participium hinzugedachte)
Verbura besthnmt und das Wie? desselben bezeichnet, deutet
blos an, dass ein Subject die genannte Eigenschaft äussere
oder mit derselben begabt erscheine. Mithin wird durch den
Ablativ einem Subject die Beschaifenheit nur in so fern zuge-
schrieben , als der Redende sie für den vorliegenden Fall an
ihm bemerkt, oder in so fern dasselbe sie nur nach des Re-
denden Ansicht und Urtheil besitzt. Der deutscheu Sprache
ist dieser Unterschied fremd."
Mau sieht leicht, wie diese tiefgefasste Bestimmung
in Vergleich zu der ersterwähnten Unterscheidung nur das
Wesentliche festhält und andre der Natur der Sache nach zwar
in vielen Fällen sich findende, aber doch nicht absolut noth-
wendige Merkmale richtig ausschliesst; und wir halten sie der
Hauptsache nach für durchaus richtig, wenn gleich manches
darin etwas anders aufgefasst und bestimmt seyn könnte. Es
ist, was ihr Verhältniss zur erstgenannten Unterscheidung an-
langt, sehr natürlich, dass, wenn es Eigenschaft des Genitivs
ist zu char acter isiren., und des Ablativs solche Merkmale von
einem, Subjecte anzugehen , die gleichsam von deriiselben trenn-
bar oder aus demselben heraustretend erscheinen und nur nach
ihrer besondern Aeussenmg und ihrer Wahrnehmbarkeit im ein-
stellten Falle in Betracht koinmen, durch den erstem Casus meist
innere^ durch den andern mehr äussere , zufällige Eigenschaf-
ten prädicirt werden, ohne dass doch beides durchaus noth-
wendig sey ; da einerseits auch in etwas Aeusserem das Chara-
cteristische einer Sache liegen kann, anderseits aber eine nach
aussenhin wahrnehmbare, fiir einen bestimmten Fall sich zei-
gende Eigenschaft nicht nothwendig selbst auch eine äussere
blos körperliche oder leicht veränderliche seyn müsse. Wir
erwähnen dieses als etwas, was der Hr. Verf., um Missver-
ständniss zu verhüten , selbst hätte sagen sollen , ziunal da es
oft ziemlich gleichgültig seyn kann, ob ein Subject durch den
Genitiv oder durch den Ablativ näher bestimmt wird, und
überhaupt der Unterschied in seiner ganzen Feinheit für Schü-
ler nicht so leicht aufzufassen ist. Am passendsten wäre es
wohl gewesen, wenn der Hr. Verf. an einem der seitnern Bei-
spiele, wo beide Casus neben einander sich finden, die S-che
veranschaulicht hätte. So sagt z. B. Nepos Datam. 3: Data-
mes Thyum^ hominem maximi corporis^ terriüilique
facie^ quod et niger et capillo longo barbaque erat promissa^
optima veste tesit cet. Der Zusaramcuhang zeigt, dass die
12 Römische Litteratur.
erste Beülmimmg [masimi corporis) trotz dem, dass sie etwas
Aeusseres bezeichnet, doch die characteristisclie ist, während
die andre, ihr völlig ähnlich scheinende, [terrtbüique facie)
als von dem zufälligen Umstände bedingt, quod 7itger erat
cet. , durchaus nicht als wesentlich dargestellt werden konnte,
mithin nothwendig durch den Ablativ bezeichnet werden musste.
Andre Stellen der Art fast mit ziemlich gleich starkem Hervor-
treten des Unterschiedes finden sich Tacit. Ann. 4, 29: Len-
tulus senectutis estremae^ Tuber o defecto corpore; Boeth. de
cons. phil. 1,1: mulier reverendi vultus^ oculis ardenttbus^ —
colore vivido atque inexhausti vigoris. Ferner hätten auch
wohl die aus der Angabe des Hrn. Verf. freilich schon sich
ergebenden Bestimmungen besonders hinzugefügt werden sol-
len, nämlich, dass Bezeichnungen, die ihrer Natur nach chara-
cteristisch seyn müssen, wie Bestimmungen der Zeit und des
Maasses u. d. gl., blos im Genitiv^ sowie andre, die durchaus
nicht als solche gelten können, wie Beschreibungen einzelner
Theile des Körpers, nur im Ablativ stehen können. Dagegen
hätten Beispiele, wie qui aliquo sunt numero atque honore;
quatito fuerim dolore und ähnliche, die der Hr. Verf. imd Krebs
in seiner Anleitung %um Lateinischschreiben dazuzieht, als
offenbar nicht zu dieser Construction gehörig weggelassen wer-
den sollen. Auch die Schlussbemerkung, dass der Unterschied der
deutschen Sprache fremd sey, ist nicht ganz richtig. Wenn auch
nicht in dem weiten Umfang und mit der feinen Bestimmtheit,
Avie die Lateiner, so unterscheiden doch auch wir in vielen Fäl-
len durch die Präpositionen Fbw und M«Y ganz auf ähnliche Weise.
Was minderwichtige Einzelheiten anlangt, so hätte zu
§ 103 Not. 4 bemerkt m erden können , dass Statt des gewöhn-
lichen 7nea causa u.s. w. doch zuweilen auch der Genitiv stehe.
Er findet sich nicht blos, wie gewöhnlich angeführt wird,
bei Ulpian, sondern auch bei Cicero, (vergl. Quaest. Acad. 4,
38, 120: nostri causa.) und scheint, wenn auch nicht zur Nach-
ahmung anzuempfehlen, doch auch nicht geradezu verwerflich.
Ein Versehen ist es wohl , wenn § 106 Anmerk. 5 gesagt wird,
dass zuweilen die Casus des regierenden und regierten Wortes
vertauscht würden. Die dafür angeführten Fälle, Vabuntur
äotis sexcenti logi^ Plaut., und sex dies spaiii postulunt^ welche
der Hr. Verf. durch dabitur dos sexcentorum logorum und sex
dierum spatium postiilant erklärt, enthalten nach unsrer Mei-
nung durchaus keine Vertauschung, sondern gehören zu § 104
A. 1. Ein andrer Irrthum endlich findet sich nocli § 107 , 2
Not., wo es heisst, dass von den Adjectivis, die ein Wissen oder
eine Unwissenheit bezeichnen , nur conscius auch den Dativ
und constdtus bisweilen den Ablativ bei sich habe. Es finden
sich auch , und zwar gar nicht selten , rudis und peritus mit
dem Ablativ j und eben so hätte auch kurz vorher bemerkt
ßaiuäliorn: Lateinische Gramniiitik. 13
werden könnncn, dass sit/diosus auch mit dem Dativ sicli finde
und dass viele der den Genitiv regierenden Adjective auch mit
Präpositionen construirt >verden.
An der Syntaxis Dativi, §110 — 120, ist hesonders zu
loben, dass der Dativus rei in umfassender Vollständigkeit be-
handelt und, als sich in gleicher Weise aus der Grundbedeu-
tung des üativs ergebend , dem Dativus personae völlig parallel
gestellt worden ist ; während er von den meisten andern Gram-
matikern nur nebenbei und gleichsam als ein seltsamer Ge-
brauch des Dativs abgehandelt wird, gerade so wie ihn auch
die neuem Lateinschreiber, einige ge\>ölinliche Kedensarteii
abgerechnet, ungebührlicher Weise auch im Schreiben vernach-
lässigen. Was die einzelnen Angaben anlangt, so haben wir
eigentlich falsche Behauptungen wenig oder nicht gefunden j
wohl aber hätten wir manches etwas tiefer und gründlicher be-
handelt gewünscht. So hätte z. B. das § 117, 1 Note über die
verschiednen Constructionen der Redensarten est viihi nomen
u. s. w. Bemerkte wohl etwas genauer und gründlicher seyu
können. Es wird blos bemerkt, dass in der Regel der Nomi-
nativ oder Dativ, selten der Genitiv dabei stehe. Diess ist nun
zwar sehr richtig, aber zwischen Nominativ und Dativ scheint
doch noch ein Unterschied sich zu finden, der trotz dem, dass
er in der Natur der Sache liegt und an der Mehrzahl der Bei-
spiele sich nachweisen lässt, bis jetzt in der Grammatik kaum
beachtet worden ist. Der Nominativ nämlich wird dann ge-
setzt, wenn jnan aus irgend einem Grunde den Namen ganz ge-
nau und bestimmt^ d. li. in seiner eigentlichen Forrn^ angeben
will , welche durch die Declinationsform des Dativs mehr oder
minder würde verwischt worden seyn. Die Gründe können na-
türlich verschieden seyn; zuweilen geschiehts, um den Namen
mit einer gewissen Bedeutsamkeit zu nennen, Cic. Brut. 02:
cui saltationi Titius nornen esset; Sueton. Claud. 24: Cloii-
dius Gabinio Secuiido^ Chaucis gente Germanica super atis^
cognomeji Chaucius tisurpare concessit ; wo der Nominativ
selbst ausser aller Construction neben einem Accusativ steht,
aber von Bremi hinlänglich gegen Baumgarten-Crusius
gerechtfertigt wird. Anderwärts forderts die Form der übri-
gen Rede, wieLiv. 9, 27: Samnites Maleventum^ cui nunc
urbi Beneventum nomen est , perfugerunt ; wo der Gegen-
satz Avenigstens der Form nach gelitten hätte, wenn Beneven-
to gesetzt worden wäre. In den meisten Fällen endlich steht,
wie schon J. F. Gronov zu Liv. 1, 1 richtig bemerkt, der No-
minativ bei seltnen, fremden, nichtlateinischen Namen , weil
diese, wenn sie in einer Declinationsform erschienen, für den
die fremde Sprache vielleicht nicht kennenden Leser leicht
unkenntlicli seyn könnten. Beispiele der Art finden sich über-
all und die Sache ist auch au sich sehr eiuleuchteud und na-
14 Römische Litteratur.
türlicli , obschon man deshalb nocli nicht behaupten darf, dass
jene Bemerkung in allen einzelnen Stellen aller Schriftsteller
sich bestätigt finde. Oft kann es natürlich lediglich von der
Willkür des Schriftstellers abhängen; und namentlich scheint
der Nominativ bei Dichtern und Spätem gefliessentlich häufi-
ger gebraucht worden zu seyn, als der sonst gewöhnliche Da-
tiv. In allen übrigen Fällen nun, mo kein solcher Grund vor-
handen ist, steht der Dativ, daher fast immer bei eigentlich
lateinischen und dem Römer also bekannten Namen. Er
rührt übrigens offenbar von einer Attraction her, die im Latei-
nischen zwar weit seltner als im Griecliischen, aber doch auch
in manchc:i Constructionen fast regelmässig sich findet, wie z. B.
bei licct^ conti,. git mihi esse mit folgendem Prädicatsdativ. iW
7ueji 7nihi e^ Pruto ist also eigentlich aufzufassen: mihi Bruto
nomen est Brutus. Da diese Auffassungsweise bei Nominibus
appellativis der Natur der Sache nach unstatthaft ist, so erklärt
sich auch, Aveshalb sie dann nicht im Dativ , sondern im Nomi-
nativ stehen. Cic. Tiiscul. 4, 11: ei morbo nomen est ovari-
tia. Quinct. Inst. 2, 1 : rhetorice., cui nomen vis eloquendi
dedit. Sonderbar ist übrigens, dass die eigentlich natürliche
Construction mit dem Genitiv in der guten Latinität die seltenste
ist und nur bei Spätem, Mie bei Vellejus, häufiger sich findet.
Ein ähnlicher Fall findet sich § 120, 1 Not. und 2 Not., wo er-
wähnt wird , dass Statt des Dativus rci bald um Zweideutigkeit
zu vermeiden , bald als stärkerer Ausdruck auch ein Apposi-
tionsnominativ oder die Präpositionen pro., in^ ad gebraucht
würden. Der Hr. Verfasser erkennt selbst eine gewisse Ver-
schiedenheit in der Bedeutung an, giebt sie aber dennoch nicht
näher an. Fast noch mehr nöthig war eine solche nähere Er-
klärung bei dem folgenden § 121, wo von den Verbis compo-
sitis gehandelt Avird, die sowohl mit dem blossen Dativ als
auch mit einer Präposition construirt werden. Diese verschied-
nen Constructionen mögen nun zwar in vielen Fällen nicht wei-
ter als durch eine etwas andre Auffassung des Verhältnisses
verschieden seyn, allein in vielen andern wird doch auch durch
die Anwendung der einen oder der andern Construction eine
für den Kenner ziemlich auffallende auch die Sache selbst be-
theiligende Veränderung bedingt, auf die um so mehr hinzu-
weisen war , jeweniger auch die Lexica solche Verschiedenhei-
ten angeben, und jemehr daher Anfänger geneigt sind, solche
anscheinend gleiche Constructionen als völlig gleich zu be-
trachten und mit einander zu verwechseln. So erwähnt z. B.
der Ilr. Verf. die doppelte Construction von occedere, addere.,
adjicere und andern solchen Verbis als gleichbedeutend , wird
aber doch sicher nicht gesagt haben wollen: cognomen^ fidu-
cia?n addere ad aliquem; oder ßnem addere ad aliquant
rem., oder animus ad me accedit u. d. gl., eben so wenig,
Rumsliorn: Lateinische Grammatik. 15
als Cicero iii der angeführten Stelle Sen. 6 Statt ad Appü Clau-
dii saneclulem accedebcd schreiben konnte , sencctuti accede-
bat. Ilänfig mögen freilich heideCojistrnctionen ziemlich gleich
seyn, aber im Ganzen ist doch ein Unterschied, auf den die
Natur jener Constnictionea selbst schon hiinveisct. Das Ver-
hältuiss nämlich, welches der blosse Casus ausdriickt, ist ein
weil e?igeres und näheres, als das durch die wiederholte Prä-
position bezeichnete. Namentlich werden durch Wiederholung
der Präposition die beiden Objecto solcher Verba mehr als ge-
sondert und jedes für sich bestehend bezeichnet , mehr gegen
einander hervorgehobeji oder gleichsam mehr aiis einander ge-
halten; während durch die einfachere Construction mit dem
Dativ eine nähere, iunigere Verbindung bezeichnet wird, bei
welcher das im Dativ stehende Object bei weitem nicht mehr so
selbstständig hervortretend erscheint, als wenn es durch die
Präposition angeknüpft worden wäre.
Noch weniger sind wir mit dem Hrn. Verf. iiber die Con-
struction des Dativs mit Passivis, § 124, übereinverstanden.
Er folgt der allgemeinen Meinung, dass diese Construction eine
Nachbildung des griech. Sprachgebrauchs und mehr dichte-
risch , übrigens aber mit der andern gewöhnlichen , d. h. der
durch a mit dem Ablativ, gleichbedeutend sey. Wir hoffen
nächstens bei einer andern Gelegenheit zu zeigen, dass alle
diese Bestimmungen mehr oder minder unhaltbar und jene Da-
tive in den meisten Fällen reinlateinische Dative seyen.
Als rainderwichtige Einzelheiten erwähnen wir noch, dass
die § 119 erwähnte Redensart quid tibi visl mehr zu dem ei-
gentlichen Dativus commodi, als zu dem sogenannten Dativus
ethicus gehöre; ferner zu § 123, dass man nicht blos convenirß
in aliquam rem, sondern auch in aliqua re sagt, Suetou.
Aug. 25, und dass imponere auch mit dem blossen Ablativ vor-
kommt, jedoch, was die Sache sogleich erklärt, freilich nur
im Particip imposilus. Caesar bei Sueton. Caes. 66. Sueton.
Ner. 50. Petron. c. 116.
Beim Accusativ, § 126 — 139, hat der Hr. Verf. zwar
nichts Wesentliches übergangen, ist aber verhältnissmässig
kürzer gewesen, als bei Behandlung der übrigen Casus. Na-
mentlich ist, was § 132 über die Verbindung des Accusativs
mit Intransitivis und Passivis gesagt ist, nicht völlig gnügend.
Der Gebrauch bei den Dichtern geht hierin viel weiter, als man
nach den allgemeinen Andeutungen des Hrn. Verfassers und den
gegebnen Beispielen zufolge erwarten sollte. Auch hätte liier
gerade Dichtersprache und Prosa mehr und bestimmter geschie-
den, sowie von der Prosa selbst bemerkt werden sollen, dass
in diesen Constructionen die Sprache der Historiker von der
übrigen Prosa sich auffällig unterscheide und fast mehr als ir-
gend anders der Dichtersprache sich annähere. Einige Bemer-
16 Römische Lltteratur. ,
kungeii zu § 137 , über die den Accusativ regierenden Präposi-
tionen, sollen weiter unten gegeben werden.
Das grosse Gebiet des Ablativs, § 139 — 150, tlieilt der
Hr. Verf. in einen Ablativus Qualitatis, Instrumenti, Causae,
Conditionis und Loci et Temporis, wobei die Constructionen
desselben mit Verbis und Nominibus als auf die früliern Be-
merkungen sich gründend, nacli dem Ablat, conditionis einge-
schaltet werden. Der Masse nach ist der Abschnitt sehr roll-
ständig und gründlich; allein die Anordnung könnte wohl in
mancher Hinsicht zweckmässiger seyn, wie schon die vielen
einzelnen in Noten und Anmerkungen beigebrachten Bemerkun-
gen beweisen. Namentlich hätte bei den rerschiednen einzel-
nen Constructionen nachgewiesen werden sollen, unter welche
der erstgenannten Gattungen des Ablativs sie gehörten , was
bei manchen sehr leicht, bei mehrern aber auch sehr schwie-
rig M ar und vielleicht die Annahme noch mehrerer Gattungen
nothwendig gemacht hätte. Der Ablativus Comparationis ist
in dem in der zweiten Abtheilung des ersten Theils der Syntax
gegebnen Abschnitt von der Coraparatio Adjectivorum, § 155,
und die Ablativi absoluti bei der Lehre derParticipien, § 172,
behandelt worden. Dagegen ist die Construction der Städte -
und Inselnamen der ersten und zweiten Declinat. sing. num. und
der Appellativa, welche demselben Gebrauche folgen , mit liie-
her (§ 148) gezogen worden. Das letztre ist sehr richtig, aber
mit der Erklärung, welche der Hr. Verf. über den mehr als
seltsamen Gebrauch giebt , können wir uns nicht befreunden.
Mit den Grammatikern früherer Zeit entscheidet er sich fiir
die Erklärung durch Ellipse und sucht seine Meinung dui'ch
folgende schon wegen ihrer oberflächlichen Kürze nicht ^,\\Vl-
gende Bemerkung zu rechtfertigen. „Dieser Genitiv würde mit
der Natur der lateinischen Sprache ganz unverträglich seyn,
wenn man nicht voraus setzen dürfte (?), dass er durch einen
Ablativ, der in der Umgangssprache der Kürze wegen wegge-
lassen wurde und sich leicht vei'stehen liess , z. B. urhe erklärt
werden müsse. Dafür spricht das höhere Alterthum der drit-
ten Declination, deren Ortsnamen auf die Frage Wo*? nur im
Ablativ stehen, und in diesem Casu werden alle Appositionen
ausgedrückt , auch waren ähnliche Ellipsen sehr gewöhnlich,
z. B. ad Jani sc. aedetn. Dass die Pluralia tantum nicht auch
so im Genitiv gebraucht wurden, war wohl Folge ihrer (näm-
lich spätem) Entstehung. §34, n, 6, 2."
Wir können nicht bergen, dass uns diese Ansicht sammt
aller ihrer vermeintlichen Begründung im Besondern wie im
Allgemeinen völlig ungnügend und unhaltbar erscheint, weil
sie durchaus keine der mehrfachen einzelnen Erscheinungen,
auf die man bei genauerer Betrachtung jenes seltsamen Gebrau-
tihes stösst, befriedigend erklärt , die schwierigsten Fälle ganz
Raiuähorn: Laleiineschc Grainiuutik. I4
unberührt lässt und nberdicss zu Folgerungen nöthigt , welche
aller Walirscheinlichkeit ermangeln und mit dein natürlichen
Bildungsgang der Sprache in geradem Widerspruche stehen.
Wir wollen vom letzten Vorwurfe anlangen und zuerst die
Bestimmungsweisc des Alters betrachten, das der Hr. Verl",
jenem Gebrauche beilegt. Er setzt die Entstehung des Ge-
brauchs in eine spätere Zeit, weil er in der ältesten aller Üe-
clinationen sich nicht finde. Allein nach unsrer iMeiiinng muss
überhaupt die ganzö Construction der Städtenamen einer sehr
frühen Zeit angeliören , theils weil sie noch keine Präpositio-
nen kennt, sondern das Wohin und Woher noch durch blosse
Casus bezeichnet, theils weil sie in den meisten Fällen nicht
einmal das Wo von dem Woher unterscheidet. Noch augen-
scheinlicher wird diess, wenn man die dem Gebrauch der Släd-
tenamen folgenden Wörter f/o/«zfs und Ä?/mü^4' vergleicht; der
Gebrauch von domum^ domo^ humo miisstG nach der Annahme
des Hrn. Verf. einer sehr frühen Zeit angehören, domi und
hirmi hingegen müssten derselben Annahme zufolge spätem Ur-
sprungs se\ii; und doch findet sich in humi^ das bekanntlich
auf die Fragen Wo und Wohin steht, nicht einmal die Bezeich-
nung der verschiedenartigsten Zustände, der Ruhe und der Be-
wegung geschieden ; eine Erscheinung, die, nach der jNatur der
Sache und allen Analogien andrer Sprachen zu schliessen, of-
fenbar auf eine uralte Zeit hinweiset. Die Annahme jenes spä-
tem Ursprungs also erscheint schon hierdurch so völlig unstatt-
haft, dass wir es durch Hinweisung auf einige sehr alte Plura-
lia tantum gar nicht weiter erweisen zu müssen glauben. Aber
noch weniger kann man sich mit jener elliptischen Erklärung
selbst befreunden. Wir wollen über die gewiss auch schon
seltsame Ergänzung urbe bei den Städtenamen nichts entgeg-
nen ; aber wie soll man denn bei den ganz allgemeinen Ortsbe-
griffen domi und humi die Auslassung eines noch allgemeineren
Begriffes der Art wahrscheinlich oder auch nur möglich finden'?
Und doch müsste derselbe nach allen Wahrnehmungen bei an-
dern elliptischen Constructionen ein solcher seyn, wenn über-
haupt die Ausiassung desselben begreiüich und erklärlich seyu
sollte. Wir wissen wohl, dass es eine Periode in der griech.
und latein. Grammatik giebt, wo selbst die grössten Gramma-
tiker vor der Annahme solcher und wohl noch kühnerer Ellipsen
sich nicht scheuten ; allein bei dem jetzigen Standpunct der
Grammatik glauben wir das Unstatthafte einer bei dieser Con-
struction angenommenen Ellipse nicht besser beweisen zu kön-
nen, als wenn wir auf die verunglückten Ergänzungskunststücke
der Grammatiker selbst verweisen, nach welchen seltsam genug
zu domi ein in aedibus oder in tempore^ zu humi gar ein /// solo
oder in terra und zuletzt zu terrae^ das wenigstens die meisten
Grammatiker, obschon nach unsrer Ueberzeugung mit Üureclit,
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Ja/irff. Ml. Heflj. O
18 Römische L i 1 1 e r ii t u r.
für einen solchen Genitiv halten , wieder ein in solo hinzuge-
dacht wissen wollen. Ueber Erklärung der letztgenannten und
übrigen Fälle hat der Hr. Verf. in Rücksicht seiner Erklärung
wohl klüglich , aber in Hinsicht der Sache selbst mit Unrecht
geschwiegen. Zu alledem nun kommt, andrer Bedenklichkei-
ten zu geschwcigen, endlich noch die schlimme Frage, wie es
doch gekommen sey, dass man gerade nur bei den Nominibus
der ersten und zweiten Decliiiat. sing, uumeri jener Ellipsen-
construction sich bedient , in den übrigen weit zahlreichern
Fällen aber, welche die dritte Declinat. und die Pluralia tantum
darbieten, ohne Ellipse gesprochen habe; da doch gerade bei
diesen eben wegen ihrer grössexn Menge und ilires häufigeren
Vorkommens die Anwendung irgend einer. Kürze im Ausdruck
beabzweckenden , Ellipsenconstruction noch am ersten begreif-
lich und erklärlich gewesen wäre? Und wäre es ferner nicht
eine Sparsamkeit ganz eigner Art, wenn man anstatt des von
dem Sprachgebrauch nicht nur erlaubten, sondern auch gebo-
tenen Ablativs Itoma^ Cormtho^ domo \\. s. w. lieber erst der
seltsam weitläufigen Ausdrucksweise: tirbe Romae^ urbe
Corinthi^ aedibus domi \i. s. f. sich bedienen, und dann, weil
man diese freilich schleppenden Bezeichnungen schleppend ge-
funden hätte, jene Bestimmungen urbe^ aedibus hätte weglas-
sen wollen, um eine Kürze zu erlangen, die man in den einfa-
chen Ablativen Roma u. s. w. weit näher haben konnte? In der
That ein Paar schlimme, aber durchaus nothwendige Fragen,
ohne deren gnügende Beantwortung sich keine Erklärungsweise
jenes seltsamen Gebrauchs als zuverlässig und sicher legitimi-
ren kann.
Nachdem wir nun so erwiesen zu haben glauben, dass
durch diese Erklärung kein Licht in die so dunkle Sache ge-
bracht werden könne , halten wir uns für verpflichtet auf eine
andre Erklärung aufmerksam zumachen, welche, richtig auf-
gefasst und dargestellt, nach unsrer Meinung nicht nur alle
Seltsamkeiten und Eigenthümlichkeiten des so viel besprochnen
Gebrauchs befriedigend erklärt, sondern auch überdies« zeigt,
wie die doppelte anscheinend völlig verschiedne Construction
der Städtenamen der ersten und zweiten und der dritten De-
clination in einem ganz ayi^nw Zusammenhang stehe und wie
überhaupt der lateinische Ablativ die Bedeutung dieser Orts-
angabe erhalten habe.
Nach dieser neuen Erklärung, welche jüngst Hr. Fried-
rich Rosen in seiner prohisio corporis radicum Sanscrilarum.
(Berol. 182ß.) p. 12 seq. aufgestellt hat, sind alle jene Formen
auf ae und i ursprünf^lich keine eigentlichen tind wirklichen Ge-
nitive^ sondern Ueberresle eines int Lateinischen und Grie-
chischen früher dageivesenen L ocativs^ der sich ganz in den-
selben Formen auch im Sa?iscrit finde.
Rurasliorn: Lateinische Grammatik, 19
Wir sind überzcu^rt, dasa jedermann, der den seltsamen
Gebrauch jener Genitive und die Construction der Städtena-
men überhaupt nebst allen dabei vorkommenden einzelnen Ei-
genthiimlichkeiten und Besonderheiten genauer beachtet hat,
in jener Krklärungsart die einzig mögliche Weise erkennen
muss, auf welche die sonst unerklärliche FJrscheinung nebst
allem, womit sie zusammenhängt, befriedigend erklärt wer-
den kann. Ja wir glauben auch, dass diese Vermuthung ganz
ohne alle weitere Rücksicht auf das Sa-iscrit sich schon an
sich selbst und ihrer Innern Gründe halber als völlig natürlich
und richtig rechtfertigen lasse.
Da der Gegenstand eben so schwierig als interessant und
jene Vermuthung so überaus wahrscheinlich ist, so erlauben
wir uns zuerst die eignen Worte Hrn. Rosens anzuführen , und
dann noch einiges hinzuzufügen, Mas sich sonst noch nament-
lich aus dem lateinischen Sprachgebrauch selbst für die Sache
sagen lässt. Ilr. Rosen bemerkt a. a. O. p. 12, bei Gelegenheit
einer zwischen dem Sanscrit und Griechischen angestellten
Vergleichung , dass man hin und wieder auf Spuren eines ehe-
maligen grössern Reichthums an Flexionsformen in der letz-
tern Sprache stosse , und stellt nun dafür jene obenangeführte
Vermuthung mit folgenden Worten auf:
„ItaLocativum casum, cujus apud Indos diutius usus viguit,
et Graecae et Latinae linguae ausim vindicare. Latinae enim
syntaxeos ratio ad determinandura locum , ubi quid actum sit,
iniis, quae numeri singularis sunt, urbium nominibus, primae
et secundae declinationis Genitivum exigit, tertiae Ablativum.
In qua quidem lege Ablativum nemo miratur *); Genitivus vero
jam dudum ofFendit Grammaticos, ab universa quippe Latinae
linguae indole alienus. Quid vero, si id, quod nunc speciem ha-
bet Genitivi , Locativura esse contendamus sub hac forma laten-
tem? Naraque in Sanscrita lingua Locativus peculiarem sibi
habet (in plurimis sane vocibiis) terminationem i, quae modo
nuda apparet, ut in mudi a voce mud (gaudium), modo cum
*) Freilich jetzt wohl; allein nicht weil diese Bedeutung dem
Ablativ nothwendig und seiner Grundbedeutung nach zukäme, sondern
weil uns der aligemeine usus so daran gewöhnt hat , dass wir glau-
ben, es könne nicht anders seyn. Hätte der usus jene Bedeutung ei-
nem andern Casus zugewiesen und etwa für einige besondre Fälle den
Ablativ bestimmt, so würden uns dann die seltnen Ortsablative eben
so auffallen, als jetzt jene Genitive. Wir finden daher diese scharf-
sinnige Vermuthung Hrn. Rosens auch noch darum so vorzüglich, weil
sie, wie wir weiter unten zeigen werden, zugleich aucJi den Umstand
erklärt, wie der lat. Ablativ der casus für solche Ortsangaben werden
konnte.
2 *
20 R () III i s c h e L i 1 1 c r a t ii r.
praecedcnti a coalcscit in «e, ut ^adshac a stirpe ^adsha (de-
phas). Ipsum ilhul i ulti'O sese oltert in secundae declinationis
Latiiiae Genitivo (CoHnth??); idem vero etiam latet in primae
declinationis Genitivo vel potius Dativo*) (Iio7nae)^ cujus ter-
minationem ae ex a et /, perinde ac apnd Indos , coalitam esse
credo. E^regie liuc conspirant mira alioquin illa dornig kum'i^
ruri., vicinioe^ terrae^ iiec non belli ^ müitiae. '"''
„Idem illud i Locativo Indorum proprium, apudGraecos
etiam deprehendimus , tum diserte pronunciatum , ut in ylaze-
daifiovL, nee non in olaoi et rarioribus iliis 'leQ^ot, Ilvd^otf
MeyaQot, tum sul) adsueta Dativi specie latcns et productae
vocaii iufra adscriptum , ut in Asößco^ Tqou/.'-''
„Quae quidem omnia id affatim videutur innuere, Graccam
etiam et Latinam linguam Locativuin uumcri sini^ularis casum
peculiari aliquando forma distinctum liabuisse; cujus tamen ori-
ginaria species apud Romanos quidem cum primae et secundae
declinationis Genitivo, tertiae Ablativo, apud Graecos vero
cum Dativo paullatim fuerit confusa.''
Diess ist die Ansiebt Hrn. llosens , die im Allgemeinen ge-
wiss riclitig ist; nur glauben wir, dass er erstlich dabei nicht
genug erkannt , wie viel sich schon aus dem lateinischen
Sprachgebrauch selbst für diese neue Erklärung anfiihren lasse,
und ferner die Folgerungen und Resultate zu wenig beachtet
habe, welche sich daraus für die lateinische Grammatik im All-
gemeinen sowohl , so wie für die richtigere Würdigung jener
doppelten Construction der Städtenameu insbesondre ziehen
lassen.
Nach unsrer Meinung muss man sich den Hergang der
Sache folgendermaassen denken :
Die älteste lat. Sprache setzte auf die Frage JFo die Form
des Nomens, die sich auf i endigte, also nach der spätem Decli-
nationsweise betrachtet, in der zweite?i Declinat. den Genitiv
*) Zu fliesen Worten bemerken wir beiläufig', dass früher schon
Hr. Prof. Reisig alle jene Ortsg-enitive für ursprüngliche Dative er-
klärt und den Gebrauch aus einer Zeit abgeleitet bat , wo die Formen
des Geiiitivs und Dativs der zweiten Declination nocb nicht so streng
geschieden gewesen seyen und ein eigentlicher Ablativ noch nicht
existirt habe. Diese A crnuitliung , dieselbe , auf welche auch Hr.
Stallhaum zu Ruddim. 2, 270 hindeutet, ist wenigstens sehr
scharfsinnig und würde trotz dem, dass sie eine bei der spätem stren-
gern Sondcrnng der Casus stattgefundene Fornienverwechslung vor-
aussetzt, deren Annahino sehr bcdenldich ist, und auch den Umstand
nicht erklärt, w<;slialb der Gebrauch nur hei Noininibus der ersten
und zweiten Declination singiil. nuiii. sich finde, doch immer der frü-
hern Erklärung durch Ellipse weit vorzuziehen seyn.
Rarasliorti : Lateinische Gi'aminatik. 21
{Corinlhi\ m der ersten den Genillo oder Dalio (Romai\ in
der drilten den zu jener Zeit noch niclit vom Ablativ ji^esonder-
ie,i\ Dativ {Carl haglni)^ jedocli so, dass man diese Form auf i
als eine zum Behuf jener Ortsangabe vijät'^ für sich bestehende
Form ansah , die mit andern Casnsformen zwar gleichlautete,
deshalb aber keineswegs etwa bald als Genitiv, bald als Dativ
aufgefasst, sondern iiberall als eigne fiir sich besonders beste-
hende Locaticform betrachtet wurde.
Die Begriffe des Wo und Wohin waren dabei, wie in allen
weniger ausgebildeten Sprachen, noch nicht so streng und
nicht iiberall geschieden; daher humi'nx doppelter Bedeutung,
und vielleicht wohl auch ebenso bei manchen Städtenamen;
vergleiche Horat. Od. 4, 4, Cü: (Jarlhagini jam non ego
nuncios mittam superbos. So w ar es in der ältesten Sprache. Es
liegt nun in der Natur der Sache, dass, wenn man die Form sol-
cher Ortsangaben betraclitete , wegen des grossen Umfangs der
dritten Declinat. die bei weitem iiberwiegende Mehrzahl dersel-
ben als Dativ- oder AblativSormen erschienen. In Folge dieser
Erscheinung fing man nun später allmählig an, die urspriing-
lich besonders bestehende Locativform mit der Ablativform als
gleich zu betrachten, und liess sich nun so durch jene grosse
Masse der Beispiele, in welchen der alte Locativ mit dem Ab-
lativ in eins zusammenfiel, veranlassen, für alle Ortsbezeich-
nmigen der Art den Ablativ überhaupt in allen Decliiiationen^
wie in beiden Numeris zu brauchen , und somit ihm als Casus
in allen seinen Endimgen eine Bedeutung beizulegen, die er
friiher nicht anders, als die Formen auf i in den beiden ersten
Declinationen, blos vermöge seiner Endung auf / gehabt hatte.
Durch diese leichtbegreifliche, im Ganzen aber wichtige Aen-
derung ging nun der Locativ als besonderer Casus für die Spra-
che im Allgemeinen verloren, und der Ablativ trat an seine Stelle.
Deniohngeachtet aber konnten und raussten sich, wie leicht
nachzuweisen ist, auch nach jener grossen Aenderung fortwäh-
rend Spuren des alten Gebrauchs, d. h. Ueberreste des Loca-
tivs erhalten. Während man nämlich nunmehr auf die Frage
Wo auch in der ersten und zweiten Declinatiou im Allgemeinen
zwar den Ablativ auf «, o und is setzte, so behielt man den-
noch die alte Form auf i in allen den Wörtern bei^ welche der
Natur ihres Begriffs nach am häufigsten in solchen Ortsanga-
ben vorgekommen waren , und zwar aus dem natürlichen Grun-
de, weil die Locativformen jener Wörter in Folge der frühem
häufigen Anwendung eine zu allgemeinverbreitete Geltung in
der Sprache erhalten hatten und durch den Sprachgebrauch
gleichsam zu sehr fixirt waren, als dass man auch hier den al-
ten usus hätte verlassen und jene Umänderung in den Ablativ
eintreten lassen können. Solche Wörter waren natürlich die
Studie- und Tnselnumen^ sehr gewöhnliche allgemeine Ortsbe--
22 Ru mische Litterat ur.
griffe^ wie dornt und hmni^ und noch einige andre Worter,
wie belli ^ viilüiae^ welche ihrem Begriff zufolge eine häufige
Anwendung der Art im römischen Leben gefunden liatten.
Hiermit lös't sicli jene obige Frage , weshalb der in Rede
stehende usus nur bei den Städte- und Inselnamen der ersten
und zweiten Declinat. sing, numeri und bei einigen wenigen
Appellativis sich finde, auf eine höchst natürliche Weise und
gleichsam von selber. Indess nicht blos in der ersten und
zweiten Declination erliielten sich als Ueberreste des alten Ge-
brauches dergleichen Locativformen; sie finden sich eben so
auch in der dritten Declination, nur dass sie hier als weniger
auffällig auch weniger beachtet worden sind, trotz dem, dass
schon die alten Grammatiker sie ganz als Locative beschreiben.
Es sind diess Formen, wie Acher unti und andre, und be-
sonders die alten vermeintlichen Ablativformen mehrerer der
getvölmllchsteii und bekanntesten Städtenamen, wie Cartha-
gmi^ Tibiiri^ Anxuri^ Sicyotii^ deren alte Form auf i fortwäh-
rend sich für die Frage Wo in vorherrschendem Gebrauch er-
hielt, während man die andre Form auf e mehr auf die Frage
Woher brauchte. Dieser Gebrauch findet sich durch die ganze
Sprache hindurch bis herab ins silberne Zeitalter , und geht so-
weit, dass Servius (vergl. auch Cledon. p. 1922.) bei den Wor-
ten Virg. Aen. 4, 224: Tyria Carthagine qui nunc esspectat^
sogar Anstoss an der Form nimmt und bemerkt: Carthagine
"pro CarthagiiA et -pro adverbio in loco^ de loco posuit: sie Ho-
ratius: Rojuae Tibiir amem ventosiis^ Tibure Romam^ pro
Tiburi. Mit derselben Bestimmtheit spricht er sich auch in
der Interpretat. in art. secund. Donati p. 1793 für jene Formen
auf i aus und erklärt sie für Dative^ welche bei INominibus ci-
vitatum dieser Declination auf die Frage Wo regelmässig ge-
setzt werden raüssten. Diese Behauptung, welclie freilich die
gehörige philosophische Umsicht vermissen lässt, ist nun von
Grammatikern späterer Zeit theils gebilligt und als Regel an-
genommen, theils, wie von Vossius, Scioppius und an-
dern, heftig getadelt worden, jedoch so, dass man bei beiden
Partheien jene philosophische Umsicht ebenso sehr vermisst,
als bei Servius und Priscian , der über einige ähnliche Formen
derselben Meinung ist. cf. Priscian. 15, 2, 6 und 15, 3, 15.
Namentlich aber gehen einige Gegner des Servius offenbar zu
weit, wenn sie in einem wirklicli unkritischen Oppositionseifer
jene Formen auf i als eine Erfindung des Servius verdächtig
machen und lieber überhaupt verwerfen möchten. Denn ge-
rade die von Servius angeführten Formen Carthagini^ Tiburi
brauchen Plautus, Cicero, Livius, Suetonius und andre eben
so; und die der Behauptung des Servius entgegengestellten Re-
geln andrer Grammatiker, sowie das horazische Tibure und ei-
nige andre Beispiele, beweisen, selbst wenn die letztern unbe-
Raniäliorn : Latciiiiäclie Grummatlk. 23
zweifelt sicher scyn sollten , doch weiter nichts, als dass man
zuweilen auch in diesen Wortern dem allgemeinen usus folgte
und auch auf die Frage Wo die andre Form auf e, tl. Ii. den im
Allgemeinen gewöhnlichen Ortsablativ, setzte, ein Umstand,
der natürlich w eiter gar nicht auffallen , und noch weit weni-
ger die Behauptung widerlegen kann, dass die Formen auf i
die urspriinglichgewöhnlichen waren. Ganz derselbe Fall ist
es unter andern auch mit den Formen ruri und riire ^ welche
dem Zeugniss des Festus und andrer und der bei weitem über-
wiegenden 3Iehrzahl der Beispiele zufolge eben so unterschie-
den wurden. Wenn Servius getadelt werden sollte , so konnte
es auf andre W^eise weit richtiger geschehen. Er irrt nämlich
an jener Stelle Virgils wirklich, nämlich darin, dass er die
Form Carthagim verlangt, da doch ^\\\ Adjectiv dabei steht,
üiess führt uns auf eine andre Bemerkung, die auch noch so-
wohl für den Locativgebrauch jener Formen selbst, so wie be-
sonders für das hohe Alter desselben und zwar um so mehr
angeführt zu werden verdient, da sie, trotz dem, dass fast
alle alten Grammatiker ausdrücklich darauf hinweisen, (Serv.
1. 1. üonat. ad Terent. Adelph. 4, 5, 20, Charis. p. 167. 169,
Priscian. 1. I. und andre) doch in unsern neuern Grammatiken
nur wenig oder gar nicht berücksichtigt worden ist. Der
Sprachgebrauch nämlich hat fast allen jenen Formen einen so
bestimmten und beschränkten Kreis der Anwendung angewie-
sen , dass sie bei ihrem Locativgebrauch selbst blos als Adver-
bia gelten, und daher 7iur allein und nicht in solcher Verbi7i-
dimg mit andern Wörtern gebraucht werde7i können^ in welcher
sie zugleich in der Kraft und Eigenschaft wirklicher Nomina
erscheinen würde?!. Sie stehen daher, mit wenigen gleich näher
zu erörternden Ausnahmen, nie so, dass durch sie die P'orm ei-
nes andern Wortes bestimmt würde, z. B. nicht mit einem Ad-
jectiv oder einem abhängigen Genitiv, (nicht Romae magnae.,
Corifithi splendidi^ humi nudae^ belli Centaurorum.^ militiue
durae., Carthagini nova.) sondern blos für sich als adverbiale
Ortsbestimmungen', und bei manchen aus der dritten Declina-
tion hieher gehörigen Formen ist man sogar so weit gegangen,
dass man, trotz dem, dass sie eben so gut als Ablativ- wie als
Locatiüformeii gelten konnten, sie doch nicht weiter als wirk-
liche Ablative gebraucht, sondern für diesen Fall der andern
Form auf e sich bedient. So steht z. B. ruri sclion nur höchst
selten auf die Frage /FoÄer (Plaut. Mosteil. 5, 1, 28, Trucul.
3, 2, 1 und 3,2, 25.) nie aber als wirklich regierter Abla-
tiv, etwa von einer Präposition (nicht in ruri) oder von ei-
nem Verbo (nicht ruri frui) abhängig, und eben so wenig
mit einem Adjectiv oder Genitiv verbunden. Wirkliche Aus-
nahmen (denn Beispiele, wie in Hispali^ gehören nicht hie-
her.) finden sich nur sehr wenige, und blos solche, wozu
24 RümiscIicLitterutur.
man fast genöthi2:t war. Unter denselben ist vorziisflich domi
zu ermähnen, das bekanntlich in einem gewissen Falle die
Pronomiiialadjective mene^ tuae ^ sitae ^ nosirae ^ vestrae^ alie-
nae und abhängige Genitive zulässt. Allein selbst dieses Wort,
inwiefern es eben nicht jedes beliebige Adjectivum zulässt,
zeugt noch in gewisser Ilinsicht fiir jene Bemerkung, und
anderseits findet sich fVir die Fälle, wo sein Gebrauch von
der allgemeinen Regel abweicht, in seiner eignen Bedeutung
eine leichte Entschuldigung. Gewohnt nämlich nur in der
Form domi ausser dem eigentlichen Begriff noch den Neben-
begriff der Heimat h^ des Beisivh zu finden, und sie in dieser
Hinsicht streng von domo oder in domo zu unterscheiden,
mnsste man in Verlegenheit kommen, >\ie man Begriffe: zu
Hause bei mir ^ hei dir u. s, w. ausdriicken solle. In domo
mea^ tiia u. s. w. konnte man nicht sagen, weil der Sprach-
gebrauch jenen JNebenbegriff aus diesen Redensarten ausge-
schlossen hatte; wollte man ihn also deinioch in jener Ver-
bindung und in zweckmässiger Kürze ausdrücken, so musste
man domi setzen und die nähere Bestimmung der Person
durch ein Pronomen possessivura oder einen Genitiv bezeich-
nen. Man brauchte daher die Form domi in solchen Redens-
arten eigentlich in einer doppelten Geltung, einerseits als
Adverbium, anderseits zugleich auch als wirkliches Substan-
tivura, wie man ja auch zu andern Localadverbien ganz in
ähnlicher Weise abhängige Genitive setzte.
Eine ähnliche, aber eben so leicht zu erklärende Abwei-
chung findet sich zuweilen bei Städtenamen, die zur Unter-
scheidung von andern entweder ein Adjectivum^ oder einen Ge-
nitiv bei sich haben. Indess kennen vir, was den ersten Fall
anlangt, nur das einzige Beispiel bei Cic. p. Cluent. 9: Teani
ylpidi^ und wir zweifeln kaum, ob dasselbe nicht als dem
Sprachgebrauch zuwider anzusehen sey, und eine gerechtere
Rüge verdient hätte, als eine ähnliche Abweichung vom Sprach-
gebrauch, Megen welcher ihn einst schon sein Freund Atti-
kus tadelte ; vergl. Epist. ad Attic. 7, 3 nnd 6, 1). Wenigstens
pflegen andre in gleichem Falle den Ablativ zu setzen, z. B.
Virgil. Aen. 6, 760: Longa Alba^ verglichen mit Liv. 1, 3.
Für den zweiten Fall erinnern wir uns gar keines Beispiels
aus den Alten, und glauben wenigstens, dass sich deren nicht
viele finden mögen, so sehr auch unser Ohr durch die Bü-
chertitel gewöhnt ist, an Ortsangaben, wie Augustae Vinde-
licorum, Lugduni Batavorum u. s. w., nicht den geringsten
Anstoss zu nehmen.
In Bezug auf die Nomina der ersten Declination verdient
ferner noch der von den neuern Grammatikern völlig unbe-
rührt gelassene Umstand angeführt zu werden , dass sich nir-
gends eine Stelle findet^ wo ein griechischer Genitiv auf es, wie
lliuuähorn : Latcliiisclic Graiuinatik.
:io
etwa Ci/renes , Mycenes , Mycones , Mifyleiies , St/enes u. s. w.
zu einer solchen Ortsangabe gcbraiiclit worden wäre', vergl.
-Voss ^ramm. lat. min. synt. p. 40 ( Vmst, 1707.) und Riid-
dim. 2, 270. Die Sache winde bei dem sonst so liäufigcn
Gebi auch jener ^riech. Declinationsweise sehr auffallend seyji,
während sie nach oben angeführter Ertlärung des Gebrauchs
sich von selbst ei'giebt und im Gegentheil noch zum Beweise
dafVir dient, dass man, trotz dem, dass die Römer selbst
jene Locativformen auf ae und i fiir Genitive hielten, doch,
von einem dem ursprünglichen Gesetz der Sprache unbe-
wusst folgenden Gefühl geleitet, die Geniti\ formen auf es
bei Ortsangaben als unstatthaft und dem Sprachgebrauch wi-
derstrebend erkannte.
Was nun zuletzt noch die Formen terrae und vidniae an-
langt, so glauben wir, dass beide, obschon selbst die alten
Grammatiker (Serv. ad Virg. Aen. 11, 87,Charis. p. li)7 ) sie hie-
herziehen, doch nur mit Unrecht als solche Ortsgenitive be-
traclitet werden. Wäre nämlich terrae auch später noch als
wirklicher Locativns gebräuchlich gewesen, so müsste es sich
nothwendig, wie dornig hunii ^ belli ^ inilitiae^ auch allgemein
und häufig in der Prosa, namentlich in der so gewöhnlichen
und ziemlich alten Redensart terra marique finden ; während
es doch nur bei Dichtern und in einigen wenigen Stellen der
auch sonst der Dichtersprache sich nähernden Historiker vor-
kommt, wo es überall als Dalio gefasst und gerechtfertigt wer-
den kann. J iciniae aber glauben wir deshalb nicht hieherzäh-
len zu dürfen, weil es nur in der einzigen Stelle bei Plaut.
Bacch. 2, 2, 27 : proxuniae i'iciniae habitat^ und auch da nicht
ohne Adjectiv sich findet. Wir halten übrigens die Stelle trotz
des Zeugnisses des Charisius für verdorben. Proxutnae viciniae
nämlich müsste dort , eben weil es des Adjectivs halber als ei-
gentlicher Locativ nicht gelten kann, in der That als elliptisch
gesetzter Genitiv gefasst und durch ein hinzugedachtes alicubi
erklärt werden. Allein die Unstatthaftigkeit der EUipsencon-
struction gar nicht zu erwähnen, verträgt schon der Zusam-
menhang jener Stelle die Sentenz nicht: sie Avohnt irgendwo
in der nächsten jNachbarschaft ; denn der Sclave sieht ja das
Haus, wo das gesuchte Mädchen wohnt und freut sich,
dass es so ganz in der Nähe ist. Wir glauben daher
unbedenklich annehmen zu dürfen, dass, wie so leicht ge-
schehen konnte, das Adverbium hie vor riciniae ausgefallen sey,
wo dann die Construction ganz regelmässig und die Stelle ei-
ner andern des Plautus Mil, Glor. 2, 3, 2 völlig gleich ist. Da-
gegen können mehrere alte Zeitadverbien wie heri^ lud, tem-
pori^ vesperi mit diesen Locativformen wenigstens verglichen
werden, und das alte und seltne pereg^yz gehört völlig dazu, und
wird schon von mehrern alten Grammatikern ganz in ähnlicher
26 Rumisch cLittcratur.
Weise von lieregre unterschieden, wie Festus ruri und riire
unterscheidet; nur dass peregre^ da es eben so gut Accusativ
als Ablativ seyn kann , sowohl auf die Frage Woher ^ als Wo-
hin steht *).
Was der Hr. Verf. § 137 und 150 über die Präpositionen
sagt, enthält manche gute Winke und empfiehlt sich besonders
dadurch, dass die Grundbedeutungen meist richtig augegeben,
die übrigen möglichst vereinfacht, und gewöhnlich in guter
Ordnung aufgezählt sind , wodurch allein Licht in diesen bis-
her sehr vernachlässigten Theil der lat. Grammatik gebracht
werden kann. Was wir zu tadeln haben, ist hauptsächlich die
schon oben berührte Kargheit in der Erörterung, die mehr nur
Winke gebend weniger geeignet ist, dem Schüler eine klare
Einsicht in die schwierige Sache zu verschaffen. Namentlich
hätte einerseits die Deduction der übertragenen Bedeutun-
gen genauer und umständliclier seyn, der Uebergaug der
einen Bedeutung in die andre durch gewähltere Beispiele
besser veranschaulicht und anderseits mehr aus der Synony-
mik gegeben und auf die gleichsam stehenden Redensarten,
in welchen gewisse Präpositionen immer gebraucht wer-
den, noch sorgfältiger aufmerksam gemacht werden sol-
len. Am meisten zeigen sich diese Mängel bei den Prä-
positionen des Accusativs. Ausserdem vermissen wir noch eine
genaue Berücksichtigung und Trennung des Sprachgebrauchs
der frühern und spätem Latinität, die, da bei mehrern Prä-
positionen eine ziemlich auffällige Verschiedenheit sich fin-
det, hier eben so nöthig ist, als in andern Theilen der la-
teinischen Grammatik. Wir erinnern hier nur im Allgemei-
nen daran, wie bei den Spätem bei weitem nicht alle Prä-
positionen in gleichhäufigem Gebrauch, als in der frühern
Sprache sind, wie manche fast gar nicht mehr, andre nicht
mehr in allen ihren Bedeutungen vorkommen ; wie dagegen
aber auch andere einen viel häufigem und weitern zum Theil
ganz neuen Gebrauch erhalten haben, und wie namentlich
endlich die in der frühem Sprache seltnen Bedeutungen man-
cher Präpositionen entweder gar nicht mehr oder wieder auf-
fallend häufig sich finden. Die Grenze zwisclien dem frühem
und spätem Gebrauch bildet wie in andrer Ilijisicht so auch
hier der Historiker Livius. Im Einzelnen haben wir vorzüglich
an Folgendem Anstoss genommen :
*) So eben , als wir iliescs niedergeschrieben haben , erfahren
wir zu unsrer Freude, das» auch der achtungswerthe Sprachf«>rsther
Hr. Schmitt henner in seiner Ursprachlehre (Frankf. a. AI. 1826.)
|i. 264 ganz dieselbe Erklärung des Gebrauches aufstelle , und unab-
hängig von Hrn. Rosen gleichfalls durch das Sanscrit darauf geleitet
worden sey.
Rameliorn: Lateinische Grammatik. 21
Bei juxta wird Liv. 9, 9, wo es ein Paritätsver-
liältniss bezeichnet, als Beispiel der übertragnen Bedeu-
tung angeführt; aliein gerade solche Steilen sind sehr
selten, und es liätte bemerkt werden sollen, dass es weit
häufiger nächst^ zunächst^ also ein Superioritätsverhältniss des
von ihm regierten Substantivs bedeute. Tacit. H. 2, 76. Gell.
4, 9. und eben so hätten auch die zwei andern übertragnen
Bedeutungen nahebei^ nahezu^ hei^ (Tacit. An. 6, 13, Germ.
21. 30.) und zufolge^ in Angemesseiilicit^ (lustin. 2, 12, 25;
12, 3, 11; 36, 1, 6.) nicht übergangen werden sollen. Eben
so ist esadversus^ exadversmn ganz übergangen; bei adver-
sus fehlt die Bedeutung gegenüber-, bei circa die bei den Spä-
tem sehr häufige Bedeutung in Betreffe in Ansehung ; bei suh
die zeitliche Bedeutung gegen; dagegen ist die zu praeter ge-
gebne Bestimmung , dass es ausser^ ansgenommen ^^nach Ne-
gationen'-'- bedeute, eben so überflüssig als vmrichtig. Cic.
pr. Cluent. 20: Omnibus sententiis praeter tmam condemnalus.
Weit nöthiger dagegen war eine andre Bemerkung, nämlich
dass es wie unser ausser und das griecli. naQÜ eine zwei-
fache, ganz verschiednen Sinn gebende Beziehung zulässt,
durch deren erste der im Accusativ genannte Gegenstand von
der über die übrigen Gegenstände des Satzes ausgesprochnen
Behauptung ausgeschlossen (Cic. Attic. 7, 3 s. fin. : Omnes prae-
ter cum — rentur.^ durch die andre gemeinschaftlich einge-
schlossen und nur in andrer Rücksicht abgesondert wird.
(Liv. 23, 11:: Romanos praeter insitam industriam animis for-
tuna quoque cunctari prohibebat.) Die letztre Beziehung wird
in der Regel durch ein folgendes etiam oder quoque angedeu-
tet, doch nicht immer, (Pomp. Mel. 3, 8, 4: praeter capita
toto corpore hirsuti.) und giebt der Präposition den Ton, wäh-
rend bei der ersten Beziehung der Accusativ betont wer-
den muss.
Was der Hr. Verf. über den Unterschied der Formen a
und e von ab und ex sagt, scheint uns zu spitzfündig und un-
haltbar. Ab nämlich soll etwas als dicht von eitlem Gegen-
stand weg , ex als vo7i dem Innersten eines Gegenstandes aus
kommend bezeichnen, so dass bei ab und ex mehr die Nähe des
Gegenstandes, von welchem unmittelbar etwas ausgehe, bei
a und e hingegen der Standpunct in der Entfernung, von wel-
chem aus jene Tendenz beurtheilt werde, in Rücksicht komme.
Uns scheint es höchst sonderbar, dass wenn die Römer jene
Rücksichten durch verschiedne Formen überliaupt hätten son-
dern wollen, sie diess doch nur bei Wörtern, die mit Consonan-
ten anfangen, gethan haben sollten. Wir glauben daher, dass
auch in diesem Falle vor allem euphonische Gründe die Wahl
zwischen beiden Formen bedingten; und wo diese nicht ent-
scheiden können, begnügen wir uns im Gebrauch der vollem
28 R ü m i s c li e L i 1 1 e r a t u r.
Formen ab und ex eine gewisse Ilervorlieljung des Bejjriffes
der Präposition zu finden, aber nur im Allgemeinen und nicht
nach der subtilen Deutung des Hrn. Verfassers, deren Gültigkeit
sich gewiss nur in den wenigsten Fällen möchte nachweisen las-
sen. Uebrigens sind beide Präpositionen gut behandelt , und
die früher oft in Widersprnch zn der i\atnr der Präposition a
aufgestellte Behanptnng , dass sie auch nach^ S^S^^'^ u. s. w.
bedeute , durch die Bemerkung zurückgewiesen, dass der Ho-
mer sich die Sache in entgegengesetzter Richtung oder umge-
kehrtem Verhältniss gedacht habe, eine sehr richtige Be-
merkung, die auch im Griecliischen häufig Anwendung findet,
aber nicht blos von «, sondern auch von e hätte ausgesprochen
werden sollen. Weit weniger gut ist de und pro behandelt.
Bei de ist nicht nur unbemerkt geblieben, dass es auch bei
Zeitbestimmnngen gesetzt werde, sondern auch die Bedeutung
des yhis^efiens von etwas oder des i eranlassinignehmeiis zu
wenig berücksichtigt j was doch um so nöthiger war, da nur
dadurch der Zusammenhang sichtbar wird, in welchem seine
der ursprünglichsten am fernsten liegende, aber gerade am
häufigsten vorkommende Bedeutung ivegen^ in Ansehung^ übef\
zu der ersten örtlichen steht Ueber p7'o sagt der Hr. Verf.
es heisse ^^vor ^ vorwärts und bezeichne bald den, der auf ei-
ner Fläche vorwärts stehe (pro sitggestu)^ bald den, den ich
vor mir habe ('?) (pro concioiie ('?)), bald den, der vor mir
stehe und mich schütze (jjro castris) , mithin ('?) auch den,
der in einem gewissen Verhältniss zu meinen Kräften stehe (*?),
daher (?) fär^ anstatt^ und nach^ ticich Beschoffenheit^ nach
Verhältniss. '•'• Unstreitig ist, Mie schon die Alten selbst an-
erkennen (A. Gell. 11, 3), die Entwicklung der so verschie-
denartigen Beziehungen, welche diese Präposition zulässt, sehr
schwierig; allein wir gestehen, dass die Sprungfolgerungen,
womit hier selbst die entgegengesetztesten Verhältnisse in Ver-
bindung, und Bedeutungen , welche die Präposition hat und
nicht hat, auch ihrer ISatur nach nicht haben kann, doch in
einen scheinbaren Zusammenhang gebracht werden, uns nicht
nur zu kühn, sondern bei aller ihrer Kühnheit auch unbefrie-
digend vorgekommen sind, da sie gerade die Puncte übersprin-
gen, welche für die richtige und gründliche Erklärung der
Sache die wesentlichsten sind.
Pro heisst nach unsrer Ansicht ursprünglich vor^ im Ge-
gensatz von pone^ und ist zuvörderst von ante zu unterschei-
den. Das Wesentlichste dabei ist , dass man den Gegenstand,
der pro aliquo ist, mit dem andern auf einem tind demselben^
d. h, in u?igetrenntem Ztisammenhung gedachtem Kaume^ l^-'lg-
lich nahe an den andern Gegenstand gestellt, und mit ihm
in enger Berührung , in friedlicher und freundschaftlicher V er-
bindung stehend denkt, während bei ante die beiden Gegen-
Raiufliorn: Latclntsclic Graiuniatik. 29
stände als auf zivei., niilhin geseilte dem g^edochlen Räumen und
in keiner solchen nähern Feröindung stehend gedacht Averdcn.
In der guten Latiiiitiit ist bei pro noch ausserdem als iNebenbe-
deutung die Bczeicluning der gleichem Fronterichlting beider
Gegenstände eingeschlossen, während bei «wfe die oppositio
frontis zwar niclit geradezu behauptet, aber anch keineswegs
ausgeschlossen ist; da es \\\ den meisten Fällen fast natiirlich
ist, Dinge, die in solcher JNähc znsammengestcllt , doch in
keiner nähern freundschaftlichen Verbindung zu einander ste-
hen , sich in entgegengesetzier Fronterichtung zu denken.
Daher sitzt man pro aede, Cic.Phil. 3, 11, Suct. Aug. 26, da-
her steht die lleuterei /;/o co/w/Yws, (^uinct. 2, 13, daher seilt
Cäsar die Legionen pro casfris, Caes. ß. G. 7 , 70, cf. ibid. 1,
51 , Sali. lug. 100, 4 u. 04, 4, daher stehen die Schildwacheii
pro port/'s castrorinn ^ Caes. B. G. 4, 32, daher kämpfen die
belagerten Juden j;/o^07-i/s, Tacit. Hist. 5, 11, aber der ge-
furchteteHannibalist ante portas. Spätere berücksichtigen diese
gleiche Fronterichtung nicht immer, sondern setzen />ro auch
bei entgegengesetzter Stellung blos um die grössere JSähe zu
bezeichnen. Sueton. Tib. 32, Oth. 3: pro foribiis adstare.
Fällt die Rücksicht der grossen Nähe und der gegenseitigen
nähern Verbindung weg, so steht das den Begriff Vor blos im
Allgemeinen bezeichnende mite^ die Stellung mag seyn, wie
sie will. Der Lictor steht und geht ante consuleni; und in
einem Zusammenlauf des Volkes steht alius ante alium^ sie
mögen so nahe oder so fern, in gleicher Fronterichtung
oder nicht, kurz überJiaupt stehen, wie sie wollen. Leicht er-
klärt sich , wie bisweilen beides stehen könne; vergl. Sueton.
Caes. 61 und Plin. IL N. 8, 64, welche beide den Aufstellungs-
ort eines und desselben Bildnisses, der erstere bestimmter und
genauer mit pro aede^ der andre blos im Allgemeinen mit ante
aedem Veneris Genetricis bezeichnen. Zu bemerken ist, dass
es in der Regel auf die Frage Wo^ selten nur mit Verbis der
Bewegung auf die Frage Wohin stehe, wo es dann vor — hin
heisst. Caes. B. G. 1, 48, Sali. lug. 59, 1. Dass es aber auch
auf die Frage Woher stehe und dann von — herab bedeute,
scheint ungegründet und kann wenigstens durch Stellen , wie
Sali. lug. 67 , 1: mulieres ptterique pro tectis aedificiorum
saxa et alia^ quae locus praebebat^ certatim mittere^ nicht
bewiesen werden. In den Redensarten pro rostris^ pro tri-
bunali^ pro suggestu^ pro concio?ie soll es selbst nach dem
Zeugniss der alten Grammatiker in bedeuten. Allein diess
ist eine blosse Erklärung des Sinnes im Allgemeinen. Der
Gebrauch von pro nämlich wird in diesen Redensarten durch
die Eigenthümlichkeit des Locals und der Stellung bedingt,
welche bei allen von der Art sind , dass die Präposition rich-
tig gesetzt werden konnte. Es sind uäralich ihrer Ursprung-
so RomisclieLitteratnr,
liehen Bedeutung nach alles erhahene Orte *), deren Haupt
bestandtheil im Kücken dessen ist, welcher dort steht. Indess
sind alle jeneRedensarten bei den frVihern Schriftstellern zieni-
iicli selten und nicht auffällig-, während die Spätem dagegen
in Folge einer verkehrten Nachahmungssucht in jenen früher
seltnen Formeln eine gewisse Eleganz suchen, und sie nicht
nur sehr häufig, sondern auch ganz gegen den frühem Sprach-
gebrauch und wirklich falsch brauchen.
Inwiefern nun eine Sache, die pro flZj'aist, mit dieser an-
dern in nächster BerVihrung und freundschaftlicher Verbindung
gedacht wird, so heisst es auch////-, sowohl in der Bedeutung
zuGinisten^ als anstatt; und axis der letztern entwickelt sich
endlich die noch mehr übertragene Bedeutuug im Verhältnisse
in Angemessenheit^ wobei man wohl \on\ Preis ausging, der
für etwas gegeben wird, und Redensarten, wie pro merito gra-
tiam referre (Terent. Phonn. 2, 2, 23.) und äluiliche den üe-
bergang zeigen, cf. Drakenb. zu Liv. 3(>, 7, IX
Bei tenus irrt der Ilr. Verf., wenn er um den Ablativ zu
erklären annimmt , die Römer liätten sich die Richtung eben
so wie bei a im entgegengesetzten Verhältnisse gedacht, als
sie der Deutsche in seinem bis on denke. Tenus ist ursprüng-
lich Substantiv, wie die Zeugnisse des Festus und Servius und
Stellen des Plautus zeigen, und bezeichnet die ausgespannte
Schnur^ das gezogene Seil, und wegen seines bei Greuzbe-
stimmungen Statt findenden Gebrauchs (Isidor. 15, 14.) die
gezogene Grenzlinie , das Knde. Daher kommt es auch , dass
es in der altern Latinität, gerade wie instar, mit dem Genitio
construirt w ird. Der Ablativ also kann nicht das Woher oder
WovoJian bezeichnen , sondern steht auf die Frage if o , denn
hactenus ist hac parte temis {est^ esto). In fast gleicher Weise
construirte man auch den alten Ablativ ^z»', A. Gell. 1. 3; Cat.
R. R. 21, 3; ibid. 28, 2: operito terra r adicibus fini,
d.i. radicibus tenus. üebrigens steht tenus, was der Hr. Verf.
hätte bemerken sollen, zuweilen auch mit dem Accusativ ; vergl.
F e a zu Horat. Ep. 1 , 1 , 32.
Die zweite Abtheilung des ersten TheiU , vom Gebrauch
des Namens insbeso?idre, handelt vom Nomen als Apposition,
§151, dem Adjectivura, 152, der Coraparation, 153 — 156,
"*) UeLer concio vergl. in dieser Hinsicht Verriiis Flaccus bei Aul.
Gell. 18, 7: concionem autcm tria signißcare, locum (et verba) sug-
gestumque , unde verba fierent. . item significare coetum
popitli assistentis , item orationcm ipsam , quae ad pojmlum diceretur. Die
eing:esclil()ssiirn Worte et verba würden m ir auch ohne handschriftliche
Auctorität für ein aus nur oberflächlicher Betrachtung der Stelle her-
rührendes Einschiebäel erklären.
Rainshorn : Lateinische Grammatik. 31
den Numerallbns, 157, den Pronoraiaibus, 158 — 160, unil
den Präpositionen, Ißl. Fiir am besten gearbeitet halten >vir
die Lehre von der Comparation, welclie wir noch nirgends so
umfassend und griindlich beliandelt gefunden haben, nur dass,
Mie schon oben bemerkt wurde, verschiedne Regeln bei wei-
tem niclit klar und populär genug sind. Im Einzelnen erin-
nern wir Folgendes:
§ 152 wäre es weit zweckmässiger gewesen. Statt der so
nicht haltbaren Unterscheidung von dhnidius und dimidiatus
lieber den Unterschied von reliquns und ceterus anzugeben;
(vergl. Bei er in Friedemanns und Seebodes Miscell. crit. vol.
1 part. 1 pag. 181 IF.) und von ceterus insbesondere hätte
ferner auch der eigenthiimliche Gebrauch erwähnt und er-
klärt werden sollen, nach welchem es mit Begriffen, von de-
nen es tler Sinn zu trennen gebietet, grammalisch, docli so
verbunden wird, als stünde es mit denselben in der gewöhnli-
chen engen Beziehung. Die Construction ist griechisch, näm-
lich eine Nachbildung des schon so viel besprochnen, aber
immer noch nicht gehörig erklärten Gebrauches von K/l/log
und 6 älkog, wo nach der allgemeinen Annahme jene Worte
pleonastisch gesetzt seyn sollen , genau betrachtet aber viel-
mehr eine elliptisclie Attractionsconstruction Statt findet, de-
ren Zweck Vermeidung schleppender Weitläuftigkeit ist. Tacit.
Hist. 4, 56: Legatis — interfectis ^ cetertini viilgus
facile accessurum (cf.Plut.Alex. 4T: xo ^Iv c(U.o nX^d'os
— Tovg ÖB dgiörovs) , Id. Germ. 13 : ceten's robustioribus^ und
25 : cetera doynns ofjicia. Dass auch ulius so gebraucht werde,
bemerkt Wal ch Emendätt. Liv. p. 59 f.
§ 155 Not. 1 und § 179, B, a, 4 scheint uns der Ilr.
Verf. zu irren , wenn er bei der Unterscheidung der Partikel
quain von ac und affpie den letztern durchaus abspricht, ein
6r/'fff?verhältniss bezeichnen zu können und Und als ursprüng-
liche und einzige Bedeutung derselben statuirt. Nach unsrer
Ansicht heissen sie ursprünglich Wie ^ und jene zweite Bedeu-
tung ist blos eine abgeleitete, welche man ihnen insofern
leicht beilegen konnte, in wiefern es in vielen Fällen ziemlich
gleichgültig ist, ob man zwei Gegenstände im Verhältniss der
Vergleichung, oder der blossen Verbindung denke. Die Con-
struction derselben mit alius^ par^ similis u. s.f. erscheint dann
ganz natürlich, während sie bei des Hrn. Verf. Annahme in
vielen Fällen nur gezwungen und in den meisten gar nicht als
richtig gedacht gerechtfertigt werden kann; denn die am zwei-
ten Orte (p. 520) an einem nach unsrer Ansicht selbst auch
unpassenden Beispiele versuchte Erklärungsweise ist in den mei-
sten Fällen durchaus unanwendbar. Hieraus ergiebt sich dann
von selbst, dass der Unterschied zwischen quam und atque
nicht so gross sey , als der Hr. Verf. annimmt , und die Be-
32 _ RüiuischeLitteratur.
zeiclimmg des Gradverliältnisscs mit der Natur der letzten)
Partikel niclit in wirklichem Widerspruch stehe. Dafür spricht
miii auch der gesammte Sprachgebrauch, In der äiteru Lati-
uität nämlich bezeiclinen sie nicht selten ein wirkliches Grad-
verhältniss, Plaut. Mercat. 5, 2, 56, Terent Andr. 4, 2, 15,
und selbst in vielen Redensarten der gewöhnlichen Prosa, z. B
aeque oc^ perinde uc und dergl, fiudet sich wenigstens eine
Annäherung an diese Bedeutung, wodurch dann auch der ent-
gegengesetzte Sprachgebrauch der Späteru veranlasst ward, in
vielen Fällen quam zu brauchen , wo Cicero nur ac und atque
setzte.
In Bezug auf die Comparative selber hätte hier wohl auch
eine kurze Erwähnung verdient, dass die Form auf or in der
frVihern Latinität für alle drei Genera gebraucht ward. Prise.
T, 13 sub fin. — § 150, 3, b, Anmerk. ist wohl die Bemer
kung, dass der Superlativ zuweilen auch von zweien gebraucht
werde, riclitig und hätte auch auf primus ausgedehnt werden
können, Cic. lnveiit.2, 3 § 1 1, Suet. Aug. 35 ; allein die dafür ange-
fiihrte Stelle Terent. Adelph. 5,4, 27 ist zu streichen, Aunnnatu
7naximus ist nicht in Rücksicht auf den Bruder gesagt, sondern
heisst sehr alt.
Bei den Numeralien, § 157, haben wir den freilich seltnen
Fall übergangen gefunden , dass w enn zw ei zusammengesetzte
grössere Zahlen kurz nach einander zu nennen sind, die bei-
den gemeinschaftliche Hauptzahl das einemal weggelassen wer-
den kann. Plin. H. N. 18, 12, 2: In Tianspadaua Ilalia scio
(er spricht vom triticum) viceuas quinas librasfarris viodios
pendere: circa Clusiiim et senas^ d.i. 20. vergl. die Interpre-
ten zu Suet. Aug. 43, wo Streit darüber entstanden ist, die
Natur der Sache aber, so wie die Analogie unsrer, so wie auch
der griechischen Sprache (s. Xenoph. Cyrop. 1 , 2, 8 und 1, 4,
10.) für die spricht , welche zu quater aus dem Folgenden
vieles heraufziehn.
§ 158, 2 scheint uns der Unterschied der Pronomina ä/c,
«s^e, nie ^ wie ihn der Ilr. Verf. nach Linacer bestimmt, nicht
völlig richtig angegeben zu seyn. hie nämlich soll den bezeich-
nen, der dem Redenden^ iste ^ den, der dem Angeredeten
näher, ille den, der beiden entfernter sey. Allein isle und ille
stehen eben so wie hie blos in Relation zu der Person des Spre-
chenden, niclit zu der des Angeredeten. Beide bezeichnen eine
dritte Person , die mit dem Sprechenden nicht auf einem und
demselben Räume sich befindet, und bilden mitbin Gegensätze
zu hie nur in verschiedner Weise, iste 7nit^ ille ohne nähere
Angabe des Ortes. Ille ist, der iiberliaupt nicht hier^ d. i. der
nicht beim Redenden, sondern anderswo ist; iste ist, der dort
ist, d.h. an einem Orte, den der Redende zwar zeigen oder
nachweisen kann, aber doch von seinem eignen getrennt und
Rarasliorn: Lateinische Grammatik. 33
verschieden denkt, lieber die ziemlich hestrittne Beziehungs-
weise des hie und ille ^ wenn sie auf früher erwähnte Dinge
zurückweisen , ist der Hr. Verf. zu kurz , was um so weniger
zu billigen ist, da zuweilen sehr seltsame Bestimmungen dar-
über gegeben worden sind und der ziemlich verkehrte Sprach-
gebrauch im Deutschen den der Sache Unkundigen leicht zu
Fehlern verleiten kann. Eben so hätten die anscheinend selt-
samen Verbindungen ille ego ^ ille is ^ ego ille ipse ^ hie ille
(Virg. Aen. 7, 255 u. 272) , iUe in der Bedeutung des Griechi-
schen 6 Silva ^ der und der (Suet. Caes. 41), so wie auch die
Verbindung mehrerer Pronomina mit nee wenigstens eine kurze
Erwähnung verdient. — Mit derselben unbefriedigenden Kürze
ist auch die so viel besprochne Verbindung des Pronomens ipse
mit Personalpronominibus behandelt. Zwar ist das, Mas unter
2, d darüber gesagt Mird, an sich nicht falsch, aber es ist
weniger eine Regel zur Anwendung, als vielmehr eine kurze
Hindeutung zur Erklärung der angeführten Beispiele, aber
selbst für diesen Zweck nicht umfassend genug. Der Hr. Verf.
nämlich scheint darin die seit Ernesti's Zeit fast allgemein
angenommene Regel zu billigen, dass man das Pronomen ?)jse
mit dem in einem casus obliquus stehenden Personalpronomen
in gleichem Casu zu verbinden habe, sobald in den übrigen
Worten des Satzes ein Gegensatz in demselben Casu sicli finde
oder zu denken sey. Allein so richtig dieses Kriterium in man-
cher Hinsicht ist, so würde es doch zu einer Menge irriger
Veränderungen führen, wenn man, so oft im Satze ein in ei-
nen casus obliquus gestellter Gegensatz da ist, nun gleich auch
annehmen wollte, dass ausser dem Personalpronomen auch das
Pronomen ipse in diesem casus obliquus stehen müsse. IniGe-
gentheil nämlich bieten die besten Handschriften in vielen
Stellen den Nominativ ipse^ wo man nach jener Regel den casus
obliquus erwartete; und so wie dadurch manche ältere Gelehrte
sich zu der falschen Behauptung verleiten Hessen, dass ipse
überhaupt nicht anders als im Nominativ zu dergleichen Per-
sonalpronominibus gesetzt werden dürfe, so fehlten in entgegen-
gesetzter Weise die meisten neuern und zwar noch mehr dadurch,
dass sie alle ihrer obenerwähnten Regel widerstrebenden Bei-
spiele oft mit geringer, oft ohne alle handschriftliche Auctorität
nach derselben corrigirten. Am meisten haben sich diess deutsche
Editoren zu Schulden kommen lassen, die freilich auch sehr
leicht durch den abweichenden deutschen Sprachgebrauch da-
zu verleitet werden konnten. Im Deutschen nämlich setzen
wir nicht nur sehr oft zu dem Personalpronomen mir^ dir u. s. f.
noch ein se/6s^ hinzu, wo im Lateinischen blos ein betontes ?nihi^
tibi steht, sondern wir unterscheiden auch die sehr verscliied-
nen Fälle, welche die Lateiner durch mihi ipsi und mihi ipse
unterscheiden , gar nicht näher durch verschiedne Pronuucia-
Jahrh.f.Phil.u. Pädagog. JakigAU. Heftb. 3
34 Römische Littefatur.
tion, sondern legen in beiden Fällen den Ton auf seihst und
lassen so das Personalpronomen immer ohne Ton oder enclitisch
seyn. Allein der Gebrauch des lat. ipse weicht davon ziemlich
bedeutend ab, und jene anstössigen Nominative ipse^ /};s/, sind,
wie schon Bremi zu Cic. de Fat. 11, Gernhard zu Cic. de
Offic. 1, 38, IST und Wunder Variae Lectt. Cic. ex cod.
Erfurt, enotatt. p. 69 bemerken, völlig richtig. Die Hauptsa-
che dabei scheint uns zu seyn, die einzelnen möglichen Fälle
strenger und genauer zu unterscheiden, in welchen überhaupt
das Pronomen ipse mit einem Personalpronomen im Lateini-
schen verbunden werden könne. Gewöhnlich beriicksichtigt
man nur die Form der Constniction und unterscheidet so zwei
Fälle : mihi ipsi u. s. w. und 7nihi ipse u. s. av., und eben so viel
würde man auch nur zu unterscheiden haben, Avenn man blos
das Wesen derselben berücksichtigen wollte. Nach unsrer An-
sicht dagegen muss man beides zugleich berücksichtigen, avo
man dann f/re? Fälle erhält, von denen der erste und zweite der
Form nach verschieden , dem Wesen nach gleich ; der zweite
und dritte aber der Form nach gleich , Avesentlich aber völlig
verschieden sind. Die beiden ersten nämlich (^mihi iiisi und
viihi ipse^ haben das gemein, dass in beiden nur ein Gegensatz
vorhanden und das Personalpronomen unbetont oder ejiclitisch
ist ; während im 3ten Falle, der mit dem 2ten die Form gemein hat,
zwei Gegensätze gemacht Averden, so dass beide Wörter, das
Personalpronomen sowohl als der Nominativ ipse besonders
hervorgehoben und betont Averden müssen. Die beiden er-
sten Fälle sind hinreichend bekannt und schon von andern gnü-
gend erklärt Avorden. Man setzt nämlich X) mihi ipsi^ te ipsum,
se ipso u. s. Av., d. h. das Personalpronomen ipse in demselben
casus obliquus, in Avelchem das pronomen personale steht, Avenn
der Gedanke blos einen Gegensatz und zwar in einem casus
obliquus verlangt (Cic. de Orat. 1, 26: et in vobis^ et in me
ipso.); 2) mihi ipse., te ipse u. s. w. , d. h. das Pronomen ipse
ohne Verbindung zum Personalpronomen, sondern als Subjects-
nominativ mit dem Verbo des Satzes verbunden, wenn der
Sinn den gleichfalls einfachen Gegensatz im Nominitiv zu ma-
chen gebietet. (Cic. Farn. 7 , 1 post init. : tibi ipse.) Aus die-
sen beiden Fällen hat man nun eben die oben als ungnügend be-
zeichnete Hegel abstrahirt. Allein nun ist auch noch ein 3ter
Fall möglich, der die Eigcnthünilichkciten der beiden genann-
ten zusammen in sich vereinigt, d.h. zwei in verschiednen ca-
sibus ausziulrückende Gegensätze in sich schliesst. Der Gedanke
nämlich kann auch so seyn, dass man einerseits einen Gegen-
satz in einem casu obliquo erwartet, anderseits aber auch
wegen der Art und Weise, in Avelclier das sonst blos im Verbo
liegende Subject die Handlang vollfiilirt, die besondere Hin-
zufügung des Pronomens ipse als betonten Subjectsuominativs ver-
Ramshorn: Lateiinsche Grammatik. 85
langt. In diesem Falle sagen nun die Lateiner gleichfalls mihi
ipsa U.S.W. Den im casu obliquo zu machenden Gegensatz ma-
chen sie dann nämlich blos mit dem Äe^o/^/ew Personalpronomen
(mihi) , das also in diesem Fälle die Stelle des nur etwas stär-
kern niihiipsi^ des ersten Falles allein^ vertritt; und den No-
minativ ipsc l'iigen sie noch ganz in derselben Weise und Bedeu-
tung (vcrgl. Bremi, Gernhard und Wunder a.a.O.) hinzu, als
wie derselbe im zweiten Falle steht. Cic. Fam. 4,8: Non
ila abiindo ingcnio^ ut te co?isoler^ cum ipse 7ne non jiossim.
(cf. ibid. 4, 5: ipsi se curare non possunt. ad Quint. fr. 1, 1,2:
si te ipse contineas.) Nach obenerwähnter Regel erwartet man
hier offenbar me ipsum als Gegensatz zu dem vorausgegangiiea
te. Aber da er auch sagen will, dass ihm selber die Kraft
fehle, sich zu trösten, so musste er den in piossim nur ohne
Nachdruck bezeichneten Subjectsbegiiff nothwendig durch ein
liinzugefiigtes ipse noch besonders hervorheben. Der andre
Gegensatz bleibt indess darum nicht unberücksichtigt; aber
er bezeichnet ihn nicht in der sonst gewöhnlichen Weise
durch me ipstim^ sondern blos durch das nun nicht mehr
enclitische, sondern betonte Personalpronomen me, das in die-
ser Hervorhebung auch völlig hinreicht, dem vorausgegangenen
te als Gegensatz zu correspondiren. Die zwei Fälle, in wel-
chen beiden 7nihi ipse u. s. w. gesagt wird , sind also wohl zu
unterscheiden, im letztern sind beide Pronomina orthotonirt,
während im erstem das Pronomen personale enclitisch ist
und blos ipse betont wird. Indess wird die richtige Unter-
scheidung dieser verschiednen Fälle, namentlich des Iten und
Sten, für alle, die an den deutschen Sprachgebrauch gewöhnt
sind, immer ziemlich schwierig bleiben, zumal da oft die
Gegensätze ziemlich versteckt sind, und in manchen Fäl-
len die Sache selbst auch eine verschied ne Auffassung und
Darstellung zulässt. Nebenbei ist noch zu erwähnen, dass,
wie schon Gernhard a. a. O. richtig bemerkt, das Pronomen
ipse nur dann in gleichem casu mit dem Pronomen personale
stehen könne, wenn letztres voran geht. Im entgegengesetz-
ten Falle steht ipse stets im Nominativ. Der Grund davon
liegt in der Natur der Sache. Ipsi in mihi ipsi enthält trotz
seiner Betonung doch nur eine nähere Bestimmung des Ilaupt-
begriffes mihi. Eine nähere Bestimmung der Art aber kaim
natürlich dem näher bestimmten Begriff nicht vorangehn, eben
so wenig als eine Apposition vor den Begriff gestellt werden
kann, der durch sie erläutert werden soll. Die wenigen dage-
gen streitenden Beispiele, wie lustin. 12, 8; Cic. de Fin. 5, 10,
28 {nicht Fam. 5, 10, wie der Hr. Verf. citirt), beruhen auf
spätem nach falschen Lesarten gemachten Aenderungcn, gegen
welche der Hr. Verf. auch noch in andern Stellen etwas mehr
auf der Hut hätte seyn sollen. Die in einer Note beigefügte
3
36 Römische Littcratur.
Bestimmung, dass Cicero met nur dann zu setzen pflege, wenn
das Personalpronomen und ipse in gleichem Casus stelle, hal-
ten wir schon als besondre Bemerkung über den Ciceroniani-
schen Sprachgebrauch für nicht völlig richtig; denn Cic. de
OlTic. 1, 32, 11.3 ist die Lesart nobismel ipsi offenbar die al-
lein richtige. Noch weniger aber kann daraus , m ie andre
wollten , eine grammatische Hegel gemacht werden, da ausser
der Mehrzahl der Beispiele sich durchaus kein Grund dafür
nachweisen lässt. Dass diese aber hier nichts entscheiden
könne, zeigt nichts deutlicher, als die Bemerkung J. F. Gro-
novs zuLiv. 2, lÖ, welcher aus demselben Grunde vom Sprach-
gebrauch des Livius gerade das Gegentheil behauptet. Uebri-
gens finden sich über dieselbe Sylbe mel auch schon im ersten
Theil mehrere irrige und überhaupt nur unvollständige Bestim-
mungen, vergl. §45, B mit 87, -^, 1.
Was unter 5 und 6 dieses Paragraphen über die Pronomina
reciproca sui und s^ms und über den dabei in Rücksicht kom-
menden Gebrauch der Pronomina is und ipse gesagt wird, ent-
hält nicht nur manche gute Bemerkung, sondern ist auch viel
umfassender, als das, was viele frühere Grammatiken darüber
lehren. Namentlich zeigen die Anmerkungen, sowie die Er-
klärungen einzelner Stellen, dass sich der Hr. Verf. nicht mit
den gewöhnlichen theils nur oberflächlichen, theils auch völlig
verkehrten Bestimmungen begnügte, sondern selbst schärfer
und tiefer über die Sache nachgedacht habe. Allein demohn-
geachtet glauben wir, dass der so höchst schwierige Gegen-
stand auch nach der hier gegebnen Erörterung immer noch ei-
ner abermaligen gründlichem Untersuchung bedürfe, wenn
endlich einmal klares Licht in die Sache gebracht werden soll,
über welche schon von den ältesten Zeiten her unter den Gram-
matikern die grösste Unbestimmtheit und die abweichendsten
Meinungen geherrscht haben. Es kann nicht unsre Absicht
seyn, diese ein eignes Buch erfordernde Untersuchung hier füh-
ren zu wollen, sondern wir geben nur an, was wir an der Be-
handlung des Hrn. Verf. auszusetzen haben, und machen dabei
auf einige Puncte aufmerksam, die bei dieser Lehre bisher we-
nig oder nicht beachtet worden, nach unsrer Meinung aber
ganz vorzüglich dabei zu berücksichtigen sind. Vor allen ver-
missen wir nun bei dem Hrn. Verf. die Angabe, worin denn ei-
gentlich die Reciprocation bestehe: eine Forderung, die sich
in Bezug auf das Personalpronomen sui sehr leicht, in Bezug
auf suus nicht ohne grosse Schwierigkeit befriedigen lässt; und
die um so mehr gemacht werden muss, weil ohne jene Erklä-
rung die an sich lichtigen Angaben, dass sui keinen Nominativ
haben könne und keiner Pluralform bedürfe wenigstens für Schüler
gar nicht verständlich sind. Eben so wenig aber befriedigen die
Ramsliorn: Lateinische Grammatik. 87
3 über siii und suus gegebne» Regeln selber. Sui und suus
nämlich stellen, wie es hier heisst:
1) „Wenn in Einem Satze die Person eines im casu obliquo
ausgedrückten Gegenstandes dritte?' Person^ oder das Ei-
genthum derselben zu bezeichnen ist, in welchem Falle 1) ent-
weder das Subject dieses Satzes Inder ersten oder zweiten Per-
son stehen, 2) oder wenn es selbst in der dritten Person steht,
durch das Reciprocum bestimmt seyn^?), oder 3) einPrädicat ha-
ben muss, das die Beziehung des Reciproci auf das Subject nicht
gestattet."
2) „wenn ebenfalls (?) in einem Satze die Person des aus-
gedrückten oder im Verbo gedachten Siibjectsnominaiivs zu nen-
nen , oder ihr Eigenthum zu bezeichnen ist. Ein solches Sub-
ject ist bei allen Theilen desselben Satzes in Hinsicht der Be-
ziehung des sui und suus auf sich vorherrschend "
3) „wenn Ich als Redender ein Subject der dritten Person
als selbstdenkend oder redend einführe, wo ich dieses dann,
so oft Ich es in seiner Gedankenreihe oder Rede als blosse Per-
son zu nennen brauche, mit sui^ sibi^ se, und das, was sein
ist, mitsMMS, a, wwi, bezeichne."
Mit allen diesen Regeln ist, trotz dem dass sie keine ab-
solutfalschen Bestimmungen enthalten,, doch nach unsrer An-
sicht nicht viel ausgerichtet, weil sie sämmtlich mehr Aeusser-
lichkeiten als das eigentliche Wesen des Gegenstandes beriih-
ren. Die Sonderung der beiden ersten Regeln ist völlig über-
flüssig und zwecklos , denn die Reciprocität ist in beiden Fäl-
len ganz dieselbe, und der Umstand, dass das Reciprocum sich
bald auf einen casus obliquus des Satzes, bald auf dessen Sub-
jectsnominativ bezieht , ist durchaus nicht so wichtig, dass er
als Eintheilungsgrund dienen könnte. Ganz derselbe Fehler
findet sich auch in den drei ünterabtheilungen, in welche die
erste Regel getheilt ist, da auch sie nicht das Wesen der Re-
ciprocation , sondern nur Besonderheiten der übrigen Worte
des Satzes berühren, die auf Erörterung der Hauptsache kei-
nen Einfluss haben. Uebrigens leidet gerade die Hauptbe-
stimmung der Regel (^Person eifies Gegenstandes dritter Per-
sofi)^ so wie die zweite Uuterabtheilung derselben sehr an Son-
derbarkeit und Unbestimmtheit des Ausdrucks, und die in
der dritten Unterabtheiluug gegebne Bestimmung ist nicht wahr;
denn in Vermeidung dergleichen Amphibolien w aren die Alte»
gar nicht so bedenklichängstlich, als wir jetzt zu seyn pflegen;
und wenn Qniiictil. 7, 9, 12 an einem leichtverständlichen sibi
bei Cic. Brut. 2ö in der That einen solchen Anstoss nimmt , so
halten wir diess mit S palding und andern für nichts als eine
leere augenblickliche Grille des gelehrten Mannes, dem bei
seiner Belesenheit unghüch auffälligere Beispiele bekannt seyn
mussten- Solche Zufälligkeiten der Form können nach unsrer
Sß Römische Litteratur.
Ansicht bei Erörterung der Sache gar nicht in Betrachtung
kommen , sondern es hängt alles ledi/^tich von dem Verhülbiiss
ah, in tvelcheni die Begriffe tind Gedanlcen zu einander ge-
dacht irerden^ wie schon Laurent. Valia und Vossius
riclitig bemerken und der Hr. Verf. theils sclion in den hier
gegebnen Beispielen (Liv. 23, 32, Caes. B. G. 5, 53.) so wie
kurz darauf p. 341 seq. selbst anerkennt. Nicht besser verhält
es sich mit der dritten Regel. Die die Ilauptbestimmung ent-
lialtendea Worte „o/s selbstdeiikend oder redend einführe'-'- sind
durchaus unzweckmässig gevvählt und passen nicht einmal zu
den vom Hrn. Verf. selbst angeluhrteu Beispielen, und zwar
weder der Saclie (Cic. Or. 2(5.) noch der Form (Cic. N. 1). 2,
63.) nach. Endlich ist auch noch die Anordnung dieser Ke-
geln zu tadeln, denn die zweite, als den offenbar einfachsten
Kall enthaltend, liätte billig zuerst gestellt werden sollen.
Nach unsrer Ansicht niuss man bei der ganzen Untersu-
chung durchaus von dem Wesen der Reciprocation selbst
ausgehen und darauf Eintheilung und Anordnung der Regeln
gründen. Die Hauptsache ist also zu zeigen , wie das Verliält-
niss der Begriffe und Gedanken beschaffen seyn müsse, wenn
überhaupt Reciprocation möglicli seyn solle, und dann deut-
lich und klar zu erörtern, wie dieselbe unter den verschieden-
artigsten Modificationen der Form doch regelmässig statt finde,
wofern nur das eiforderliche eigenthümliche Verhältniss der
Begriffe und Gedanken zu einander dasselbe bleibt. Dass man
diess in der Grammatik bisher wenig oder nicht beachtete, son-
dern gerade mehr von der Form der Sätze ausging, hat imn
eben jene heillose Verwirrung in die Bestimmungen der einzel-
nen Grammatiker gebracht, welche, unter einander selbst in
vielen Stücken uneinig , in der That fast nur darin übereinstim-
men, dass sie, statt nach dem Sprachgebrauch der Alten sich
zu richten, in wirklich anmaassender Einseitigkeit an demsel-
ben herummeisterten und lieber auf eigne Hand festsetzten, wie
es mit dieser Lehre beim Lateinischschreiben gehalten werden
solle; ohne dabei zu bedenken, dass ihre engherzigen Regeln
einen Sprachgebrauch bildeten , dem alles eclitrömische Geprä-
ge abgeht, und so recht eigentlich dazu gemacht sind, der
Darstellung alle Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit zu rauben
und zu dem trocknen Erzählungston eines Hygin oder Eutropius
zu führen.
Hirem Wesen nach zerfällt nun die Reciprocation im Lat.
in umiiittelbare und in tnittelbare. Die unmittelbare findet, wie
im Deutschen, wo wir blos diese Art liaben, nur in einem e«w-
/VicÄe« Satze, und zwar dann statt, wenn der Pronominalbegriff
des Satzes auf ein Substantiv desselben Satzes ohne Daztois che Ji~
treten einer andern Person^ oder überhaupt eines neuen Ge-
danken bezogeft wird. Ob das Substantiv Subject des Satzes
Raniähorn: Lateinische Grammatik. 39
sey, oder nicht, kommt niclit ii» Betracht. Der Gebrauch des
Ileciprocums ist absolut noüiwendifi und zwar in beiden Fällen,
weil die BezieJjuni^ des Prononiinalljeijriüs, mag er nun auf das
Subject oder auf ein andres Substantiv des Satzes gehen, in
gleicher Weise unmittelbar ist. Die hier mögliche Zweideutig-
keit muss lediglich durcli den Sii»u gelös't, und darf sogar
nicht durcli eine das Pronomen selbst betreffende Veränderung
gehoben werden, eben so wenig, als man im Deutschen in ei-
nem Satze, wie „er brachte seinen Freund wieder zn sich^^''
das eine doppelte Beziehung zulassende Pronomen sich zu Gun-
sten einer vermeintlichen grössern Verständlichkeit verändern
würde und könnte. Zu dieser unmittelbaren Reciprocation ge-
hören auch alle Sätze mit einem Accusativ cum Infinit. , in de-
nen beide Glieder ein Subject haben. Auch sie haben also ab-
solutnothwendige Reciprocität, und machen daher, wie der
Hr. Verf. p. 350 selbst andeutet, von den andern gleich zu er-
wähnenden zusammengesetzten oder verbuudnen Sätzen eine
Ausnahme. Der Grund davon liegt in der Art und Weise, in
welcher bei dieser Construction die beiden Glieder verbunden
werden. Die Verbindung beider Glieder nämlich ist hier weit
enger, als in andern verbuudnen Sätzen, und die Lateiner be-
trachteten sie deshalb, eben so wie die Griechen, ganz als
einfache Sätze. Vergl. D ö 1 c c k e Schulgr. p. 164 Not. 3.
Die mittelbare Reciprocation findej; statt in zusammenge-
setzten Sätzen , und zwar so , dass der im abhängigen oder re-
gierten Satzglied sich findende Pronominalbegriff auf das im
Hauptglied des Satzes stehende Substantiv , also nicht unmittel-
bar ^ sonder?i erst vermittelst eines neuen ^ dazwischentreten-
den Gedanhen bezogen wird. liier ist vorziiglich darauf auf-
merksam zu machen, dass der Gebraucli des Reciprocums in
diesem Falle nicht absolut nothwendig sey, sondern erst durch
besondre Umstände bedingt werde; indem bei völlig gleicher
Gestaltung und Form des Satzes unter gewissen Umständen
auch die blos relativen Pronomina is^ ille^ ipsexi. s. w. stehen
können. Die reciproca werden nämlich in solchen Sätzen nur
dann gebraucht, wenn der ganze regierte Satz als von dem im
Ilauptglied des Satzes sich findenden Substantiv bedingt darge-
stellt werden soll; ist diess nicht der Fall, so stehen die Pro-
nomina 2s, ille^ ipse u. s. w. , deren Beziehung auf das betref-
fende Substantiv dann von dem Sprechenden oder Erzählenden
abhängig gedacht wird. Die Erläuterung der Art und W^eise,
wie im ersten Falle der abhängige Satz von jenem Substantiv
bedingt sey, hat ihre grossen Scliwierigkeiten. Leicht einzu-
sehn und zu erklären ist jenes Bedingtseyn des abhängigen Sa-
tzes, Avenn derselbe eine Sentenz oder Absicht jenes Substan-
tivs enthält, wie in Sätzen mit quod^ ut., ne u. s. w. Aber die
Lateiner betrachten einen solchen regierten Satz auch schon
40 Römische Litte 1* ata 1-.
oft dann als von jenem Substantiv bedingt, wenn dasselbe nur
überhaupt als vorherrschend im Betracht kommende Hauptsa-
che der Erzählung erscheint , und mithin alles andre in dersel-
ben als jener Hauptperson untergeordnet betrachtet werden
soll. Dieser Fall ist im Lateinischen sehr häufig, bedarf aber
einer um so sorgfältigem Erörterung , als er von vielen Gram-
matikern verkannt worden ist, und von den meisten unsrer
jetzigen Lateinschreiber völlig unbeachtet gelassen wird. Gute
Beispiele giebt der Hr. Verf. p. 348 Not. 2.
Der erwähnte zweite Fall, dass in Sätzen der oben be-
schriebnen Art aucli die, von ihm Demonstrativa genannten,
Pronomina ?s, ipse u. s. w. stehen, ist vom Hrn. Verf. pag. 349
seqq. ziemlich umfassend und wenigstens weit besser, als der
erste behandelt worden. Namentlich giebt er sehr gut gewählte
Beispiele, welche nicht nur deutlich zeigen, dass im Lateini-
schen häufig das blos relative is auch da steht, >vo das Ver-
hältniss der Gedanken den Gebrauch des Reciprocums wohl zu-
gelassen hätte, sondern auch, besonders in Vergleich mit den
eben citirten Beispielen des Gegentheils, recht deutlich bewei-
sen, dass die Römer beide Fälle gar nicht so ängstlich unter-
schieden, als wir jetzt thun zu müssen glauben, von Jugend auf
dazu verwöhnt durch einseitige Regeln mangelhafter Gram-
matiken, welche den freiem römischen Gebrauch in eine unver-
änderliche steife Regelmässigkeit zwängen, und selbst in den
Fällen jeder gramraatischmöglichen Amphibolie vorbeugen wol-
len, wo die selbstdenkenden Römer billiger Weise auch auf
den Verstand des Lesers rechnen zu dürfen glaubten. Beson-
ders hätte übrigens bei diesem zweiten Falle noch bemerkt
werden sollen: 1) dass, wo wegen des Sinnes der Pluralbe-
griff des Pronomens sui nicht als abstractes Ganze aufgefasst
werden kann, sondern nothwendig als aus verschiednen geson-
derten Tiieilen bestehend gedacht werden muss, in Ermang-
lung einer besondern Reciprocalform das relativum is gebraucht
werden müsse , auch wo die Sache durchaus Reciprocation for-
dert. Liv. 1 , 56 : cupido incessit animos juvenum sctscttandi,
ad quem cor um regnum esset venturum. Das Verhältniss
der Gedanken forderte Reciprocation, aber da sz^« eben sowe-
nig als 7iostri und vestri eine aus einzelnen Theilen zusammen-
gesetzte Pluralität bezeichnen kann, und doch ein Pluralbegriff
der Art erfordert wurde, so musste das blos relative eortim
genommen werden. 2) Wenn in einem Satze die Reciprocation
schon anfangs durch ein Pron. reciprocum hinlänglich bezeich-
net ist, so kann, wenn es in den folgenden Worten ohne be-
sondern Nachdruck zu wiederholen wäre, statt desselben auch
das relativum is gesetzt werden. Liv. 1, 54: «S. Tarquinius e
suis unum sciscitatimi Romam ad pafrem mittit , quiduam s e
fucere teilet^ quafidoquidem^ ut omnia imus Gabiis posset^ ei
Ramshorn: Latcinisclie Grammatik. 41
(h'i dedissent. cf. Cic. de Orat. 1, 54 § 232, ad Farn. 6, Tf, 4,
Caes. B. G. 1, 11, 3 und 5, 27, 2.
Sonderbar ist Vibrigeas, dass der Hr. Verf. bei diesem
zweiten Falle, in welchem die Reciprocation unterbleibt, nur
die bealen Pronomina is und ipse erwähnt; da doch, wie selbst
einige der von ihm anj^efiihrten Beispiele zeigen, nach Beschaf-
fenheit der Sache auch hie und ille und überhaupt jedes Pro-
nomen stehen kann, das eine solche riM^kweisende Beziehung
zulässt. Mamentlich ist fiir diesen Fall das Pronomen ille gar
nicht selten, und Sallust besonders gebraucht es in der oratio
obliqua sehr häufig, um damit die angeredete Person zu be-
zeichnen. Sallust. lug. 61 sub f., 62 ab init., 64, 67, 106, 111.
Ausserdem machen wir nun noch auf einige Puncte auf-
merksam, die, wie wir glauben, bei dieser Lehre eine genauere
Beriicksichtigung verdienen, als ihnen bisher zu Theil gewor-
den. Der erste betrifft die Behandlungsweise des Pronom. pos-
sessiv, smis^ die nach unsrer Ansicht in allen unsern Gramma-
tiken zu oberflächlich und einseitig ist. Fast alle uns bekannte
Grammatiker nämlich fassen es überall und durchaus mit dem
Personalpronomen sui in gemeinschaftlichen Regeln zusammen,
und bestimmen, was der Hauptfehler ist, den Gebrauch des-
selben nicht an und für sich selbst, sondern immer von dem
entgegengesetzten Falle aus , in welchem das enclitische ejus
entweder nothwendig steht oder doch stehen kann, so dass
suus fast nicht anders in Berücksichtigung kommt , als im Ge-
gensatz zu jenem ejus. Allein beides ist falsch und hat zu sicht-
barem Nachtheil geführt. Das erstere, jene gemeinschaftliche
Behandhuig überhaupt nämlich, führt, wie in fast allen Gram-
matiken sichtbar ist, zu dem Fehler, dass das Pronomen pos-
sessivum nur so nebenbei und mehr als Anhängsel behandelt
wird, während doch der Gebrauch desselben in der That weit
schwieriger zu bestimmen ist, als der des Personalpronomens
sui^ und mithin die Natur der Sache eher die umgekehrte Be-
handlungsweise zu fordern scheint. Der erwähnte zweite Um-
stand aber hat den Uebelstand lierbeigeführt , dass in unsern
Grammatiken eine grosse Anzahl Beispiele, in welchen suus
nolhwendig stehen muss, in Anmerkungen und mehr als Aus-
nahmen nachgetragen Averden, mit der unbefriedigenden Be-
merkung: ^^stius stehe für ejus^ weil es sein eigen bedeute."
Allein sinis steht in solchen Fällen gar nicht für e/?/s, sondern
ganz eigentlich für suus^ und dergleichen Beispiele, an wel-
chen bekanntlich von Grammatikern und Interpreten vielfältig
Anstoss genommen Morden ist, sind keineswegs wirkliche Aus-
nahmen, d. li. Abweichungen vom echtlateinischen Sprachge-
brauch, sondern nur Ausnahmen von den einseitigen Bestim-
mungen unserer Grammatiken, und dienen somit zum spre-
chendsten Beweis , dass unsere Regeln über das Posscssivum
42 Römische LItteraiur.
snus einer tiefern Begründung bedürfen. Ganz besonders sicht-
bar wird diese Mangelliaftigkeit jener Regeln, wenn maji sie
auf Beispiele anwenden will, in denen entweder der Nominativ
suus^ oder suianumi sui ah Sabsfantiva auf einen casus obli-
quus des Satzes bezogen stehen. Für diese Fälle ist man von
der Regel so gut wie verlassen ; woher es auch gekommen ist,
dass man Beispiele , Mie Hamiibalem sui cives e civitate ejece-
runt^ erst durch Annahme einer Formvertauschung (//«//?2/6«Z «
suis ciüibus ejectus est) rechtfertigen zu müssen glaubte, und
beim eignen Lateinschreiben kaum nachzubilden wagt.
Ein andrer noch weit wichtigerer Punct ist, dass fast alle
unsere Grammatiken bei den für ihre Regeln zu gebenden Bele-
gen so gut wie keine Rücksicht auf To/i und Colorit der Rede
nehmen , sondern ihre Beispiele aus allen Stijlgatiujigen ohne
Unterschied entlehnen , und selbst nicht genau genug auf die
Verschiedenheit der Zeilalter achten. Der Hr. Verf. scheint die
Nothwendigkeit dieser Rücksichten gefühlt zu haben, denn er be-
merkt S. 349, dass bisweilen rhetorische Zwecke rathen konnten,
das Fron, is statt suus u. sui zn brauchen, und eben so macht er S.
348 eine ähnliche auf den verschiednen Gebrauch derverschied-
iien Zeitalter hinweisende Bemerkung. Allein uns scheint die Sa-
che eine weit gründlichere und tiefere Berücksichtigung zu er-
fordern, und wir sind überzeugt, dass auf obenerwähnte Puncte
nirgends mehr zu achten sey, als gerade bei dieser Lehre, in-
dem der Gebrauch oder Nichtgebrauch des Reciprocums oft
lediglich von dem Ton und Colorit der Rede abhängt, und so-
mit dergleichen vom Hrn. Verf. sogenannte rlietorische Zwecke
nicht nur den Gebrauch von is ^ sondern eben so sehr auch in
entgegengesetzter Weise den Gebrauch von sui und suus be-
dingen können. Die nähere und genauere Erörterung jener
Puncte, deren sorgfältige Beachtung vorzüglich auch beiju eig-
nen Lateinschreiben nöthig ist, erfordert grössere Ausführlich-
keit. Wir erinnern hier blos im Allgemeinen, dass in lebhaf-
ter , Personen handelnd schildernder Darstellung der Gebrauch
des Reciprocums , in der ruhigen. Facta und Data nur berich-
tenden Rede der Gebrauch von is und andrer nichtreciproken
Pronoraina vorherrschend sey. Davon ab, oder vielmehr damit
zusammen hängt nun auch der Einlluss , den die verschiednen
Stylgattungen und der Sprachgebrauch der verschiednen Zeit-
alter auf den Gebrauch oder Nichtgebrauch der Reciprocatioii
gehabt haben. Bei den verschiednen Stylgattungen lässt sich
nun in dieser Hinsicht ein ziemlich auffallender Unterschied
zwischen der bewegtem, mehr veranschaulichenden Darstel-
lung der Redner und frühem Historiker und der ruhigen, mehr
auK und nach dem Urtheil des Schriftstellers darstellenden
Sprache philosophischer Schriften bemerken. Die ersleie be-
dient sich nämlich der Reciprocatiou weit häufiger, als die
Rumshorn: Lateinische Grammatik. 43
zweite. Iiiiless versteht sich dabei von selbst, dass diese Be-
hauptung nur im Allgeraeiaeu mul nicht >oü allen einzelnen
Stellen dergleiclien Schiii'tea ohne IJnterscliied gelte; denn da
auch in oratorischen und histoi'ischen Schriften die Darstellung
zuweilen ruhiger, und umgekehrt die philosophische Sprache
zuweilen bewegter seyn kann, so ist es sehr natiirlich, dass
mit Aufhebung der im Character der Darstellung tiegenden
Grundbedingung aucli jener davon abhängige Sprachgebraucli
sich nothwendig und regelmässig umändern müsse. In Bezug
auf die verschiednen Zeitalter der Sprache bemerken wir, dass
in der altern Sprache der Gebraucli der Rcciprocation häufiger
und von grösserem Umfang gewesen sey, als in der Sprache
des sogenannten silbernen Zeitalters, welche, wie sich aus
vielen Beispielen darthun lässt, in den schon obenberührteii
Fällen, in denen der frühere Sprachgebrauch die Anwendung
beider, der reciproken undder nichtreciproken Pronomina, ver-
stattete , fast regelmässig die letztern vorzieht. Diese Verän-
derung des Sprachgebrauchs lässt sich, wie wir glauben, in
sämmtlichen Schriften der spätem Zeit, namentlich auch in
der Sprache der spätem Historiker nachweisen; und der Grund
davon liegt offenbar in dem Mangel an Lebhaftigkeit und An-
schaulichkeit in der Darstellung , einem Fehler , der in der
ganzen spätem Latinität so auffallend sichtbar ist, und
was die Historiker anlangt , ausser der vernachlässig-
ten Reciprocation auch noch in vielen andern Stücken,
namentlich in der Vernachlässigung der oratio obliqua, des In-
finitivus historicus und in dem zum wahren Missbrauch geword-
nen Gebrauch des Conjunctivus perfecti in abhängigen Sätzen
ganz auf ähnliche Weise sich zeigt. Nach S. 348 zu schliessen,
ist der Hr. Verf. hierin andrer Meinung, denn er bemerkt da-
selbst, aber ohne Belege zu geben, dass spätere Schriftsteller
und besonders Suetonius in Zwischensätzen , die eigentlich als
Meinung einer drittenPerson imConjunctiv stehen sollten, häu-
fig den Indicativ gebrauchten, ohne doch deshalb, wie man er-
warten sollte, das Reciprocum mit andern nichtreciproken
Pronorainibus zu vertauschen. Allein, soweit wir die Sprache
der Spätem kennen , können wir ihm selbst nicht für diesen
einzelnen Fall beistimmen, und aus Suetonius namentlich wüss-
ten wir uns kaum eines einzigen solchen Beispieles zu entsin-
nen, da Caes. 34 s. fin. (quae sibi clanserat) und 14 {qui necem
sicatn promiserat) und einige wenige ähnliche Stellen von ande-
rer Art und gar nicht unregelmässig sind. Für imsere Meinung
dagegen sprechen ausser dem , was wir eben im Allgemeinen
erinnert haben, noch mehrere entscheidende einzelne Umstän-
de. So z. B. die frühere, vom Hrn. Verf. unerwähnt gelassene,
Häufung der Reciproca, wie sie in der bekannten, aber fast
nur noch bei den Comikern sich findenden Formel siiits sibiy
44 Römische Littcratur.
und auch noch in anderer Weise selbst in Stellen der alten
Prosa (cf. Gellius 5, 19.) sich findet; ferner der freiere Ge-
hranch von suus in der Dichterspraclie , der nicht etwa hlos
dichterische Eigenlieit überhaupt, sondern, wie Beispiele des
Plautus und Terenz zeigen, gleichfalls in der eigenthüin-
lichen Sprachweise der friihern Zeit begrVnidet ist; und ganz
vorzüglich endlich der von Quinctilian an so hänfige Gebrauch
des Pronomens ipse in Fällen , wo die frühere Sprache unbe-
dingt die Reciproca s?/2 und smis gebraucht haben würde, ein
Umstand, der sowohl auf die in Rede stehende Lehre der Gram-
matik, so wie besonders auf den Sprachgebrauch unserer jetzi-
gen Latinität sehr einflussreich gewesen ist. Jenem einseitigen
Bestreben des silbernen Zeitalters nämlich, durch den Ge-
brauch von ipse iei\e Zweideutigkeit, die etwa das Reciprocura
veranlassen könnte, zu vermeiden, verdanken wir es, dass sehr
viele unserer jetzigen Lateinschreiber nach einer den Alten
ganz unbekannten , aber von mehrern unserer Grammatiker
fast empfohlenen Regel, ipse immer dann setzen, wenn sie
nicht wissen ob sui und suns^ oder das Pronomen ts stehen
müsse, und sich doch auch nicht muth willig in Gefahr bege-
ben wollen, durch Anwendung des einen oder des andern ei-
nen Schnitzer zu machen.
§ 159, 2, / sind die Worte „oder es ist der Iiiüyiühms
des vorhergehenden Verbi weggelassen" zu ändern , denn dass
das ausgelassene Wort nicht gerade ein Infinitiv seyn muss,
zeigt gleich das aus Suet. Calig. 43 angeführte Beispiel. Eben
so bedarf die gleich darauf folgende Anmerkung, „dass
statt des wiederholten qui bisweilen ein Demonstrativui^ (Js
und ideTTi) stehe", eine Berichtigung. Ideiti^ das übrigens, eben
so wenig als /s, Demonstrativum genannt seyn sollte, steht
nirgends so, und die aus Cic. Tusc. 3, 15 angeführte Stelle hat
der Hr. Verf. falsch interpungirt und in etwas seltsamer Weise
raissverstanden. Is dagegen wird in der That so gebraucht,
aber nur nicht so ohne Weiteres und ohne alle Einschränkung,
sondern nur in Verbindung mit nee oder neqiie ^ d. h. neque is
für qiiique non. Die Regel darüber ist folgende: In doppel-
gliedrigen relativen Zwischensätzen verbinden die Lateiner zu-
weilen das zweite Glied, wenn solches eine Negation enthält,
und das Relativum qui in einem andern casu wiederholt erfor-
derte, als es im ersten Gliede steht, nicht, wie man erwarten
sollte , durch qiiique non mit dem ersten , sondern durch neque
is. So in der vom Ilru. Verf. citirten Stelle und anderwärts.
Die Hauptsache, wodurch überhaupt der Gebrauch veranlasst
wurde, ist dieNegation des zweiten Gliedes, welche eineAnknüp-
fung mit neque rieth , bei welcher dann nicht weiter das Re-
lativum qui gesetzt werden konnte. ReclU- deutlich zeigt diess
Cic. Brut. c. 74 § 258 : Serf omnes tum fere , qui nee extra
Ramshorn: Luteinläclic Graininatlk. 45
urhem hanc vixerant , nee eos aUqua barharies domeslica
infuscaverat ^ rede loquebantiir.^ wo das erstere nee das zweite
nothwendig, abci* zuirleicli auch die WiederJioliiiig des Relat.
q7iüs uiuuöglicli maclite. Kt is wird nirgends so gebraucht;
ja es kann sogar, wofern es die Gestaltung der übrigen Rede
gestattet, das Pronomen is ganz dal)ei ausgelassen werden.
Sallust. lug. 101: Bacchus cum eqnilibus^ quos l olux fiHus
ejus adduierat^ nequein prior e pugna ilinere morati affue-
ruul^ postremam Romanorum aciem invadunt. Der Nomina-
tiv «Vist den Sprachgesetzen gemäss ausgelassen, so dass nun
das blosse neque für quique non steht; und es ist irrig, dass
Ger lach, diesen Gebrauch verkennend, aus jenen Worten
neque — uffuerant eine Parenthese gemacht hat.
S. 3()3 Not. 1 Z. 1 sollte nacJi dem Worte Substantiva
wohl noch der Zusatz „row vei schiedenem Genus'"'' stehen.
§ 100, der die Pronom. interrogativa und indefinita und
zwar ziemlich umfassend behandelt, heisst es p. 367 in der
Note, die altern Lateiner hätten auch quid statt quod ge-
sagt. Diess ist, wenigstens so a.us gedrückt, nicht richtig; denn
auch in der alten Sprache steht dann quid nicht adjective^ son-
dern das dazugesetzte Substantivum steht gleichsam in Appo-
sition^ ein Gebrauch, der sich in der Sprache des goldneii
Zeitalters nur noch beim 3Iasculino findet. Der Sinn ist etwas
verschieden. So heisst in der vom Hrn. Verf. angeführten
Stelle Plaut. Pseudol. 2, 2, 41: Sed quid est tibi nomen?
Was, d. h. was für eine Bezeichnung hast du als Namen?
Quod tibi nomen est? dagegen würde heissen , welchen Na-
men hast du'? und nach einem Namen aus der gewöhnlichen
Namenreihe fragen. Daherkommt es, dass quid mit einem
Substantiv in gleichem Casu meist dann steht, wenn man in
etwas seltsamer Weise , auffallend, mit Befremdung oder Ver-
wunderung fragt. Plaut. Trucul. 2, 4, 31; Id.Poen. 4, 2, 7.
Eben so steht auch quidquid anscheinend für quodquod^ aber
ganz unter denselben Umständen. Plaut. Menaechm. 5, 2, 60.
Was von Seite 369 an iiber das indefinitum quis und qui^
sowie über den Unterschied desselben von aliquis und aliqui^
quispiam und quisquam und über ähnliche Verschiedenheiten
der Pronoraina quidam^ ullus u. s. w . gesagt wird , scheint uns,
selbst wenn man das § 87 darüber Gesagte dazunimmt , nicht
immer umfassend und genau genug und überhaupt mancher Be-
richtigung zu bedürfen.
Den eigentlichen und Hauptunterschied zwischen quis , qui
und aliquis^ aliqiii^ dass erstere nämlich durchaus enclitisch
sind, also nie Gegensätze haben, oder cum emphasi gesagt seyn
können, wie die letztern, hat der Hr. Verf. ganz unberücksich-
tigt gelassen; und doch würde die Beachtung desselben ihn
nicht nur gegen das anderwärts sehr scharf gerügte Missver-
46 Römische Litteratur.
ständniss jenes Ilorazischen iVbw g-?//«, sondern auch gegen einen
andern nicht minder auffälligen Irrthura gesichert liaben , nach
welcliem er hier sowohl, Mie § 156, 1, d in Formeln, wie
quam qiii ?na.rhne und ähnlichen das offenbare Pronomen relati-
vum fjiti seltsamer Weise fiir das indefinitum angesehen hat.
Aliquis und aliqui wird gar nicht unterschieden , und doch
muss zwischen beiden natürlich derselbe Ujiterschicd statt fin-
den, der zwischen dem intcrrogativum und indefinitum quis und
9?// sich zeigt und bei dem erstem namentlich auch klar und rich-
tig nachgewiesen worden ist. Dass aliquis auch für aliiis quis stehe,
ist, so unbestreitbar die Etymologie dafür spricht, doch iiicht
so sicher, als man gewöhnlich glaubt. Die meisten Stellen, die
man dafür anführt, sind entweder kritisch nicht sicher genug,
oder lassen eine andre Erklärung zu ; wenigstens sind sehr viele
tlieils nnnöthigcr, theils fälschlicher Weise so verstanden wor-
den. Dagegen hätte als eigenthümlicher Gebrauch desselben
noch bemerkt werden sollen, dass es in Verbindung mit Zaltl-
wörtern die Zahlangabe unbestimmt macht. Plaut. Menaechra.
5, 5, 47: aliquos riginti dies d.i. etwa zwanzig Tage. Varr.
R. R. 1, 2, 28, Cic. de Fin. 2, 19, 62.— Quispiam soll irge?id
einer ^ im Gegensatz von multi, plurcs; qnisquam ivgend ainer^
im Gegensatz von nemo, nihil bedeuten, und daher immer (?)
in negativen Sätzen gebraucht werden, Auch dieses ist nur
eine halbwahre , mehr aus dem gewöhnlichen Gebrauch , als
aus der Natur der Partikeln entlehnte Bestimmung. Quispiam
(nicht aus quis und einem sonst nirgends in der Sprache nach-
weisbaren pia?n^ sondern aus quips und ia?n^ ist jemand niin^
also ein ah Beispiel angenommener Jemand, gerade jemand^
etwa jemand ; daher nie mit Negationen verbunden; weshalb
auch nuspiam^ was gerade nirgends heissen miisste, ein erst
in neuerer Zeit geschaffnes Unding ist, das die alte gesunde
Logik der Lateiner nicht kannte. Quisquam dagegen enthält
den Begriff irgend jemand stets mit einer gewissen Assevera-
tion von Seiten des Redenden ausgesprochen, ein contendiren-
des und daher stets stark betontes irgend jemand. Dass nun
dasselbe sich ganz vorzüglich zu einer Verbindung mit Negati-
onen eigne, ist sehr begreiflich, allein daraus zu folgern, wie
von vielen neuern Granmiatikern geschehen ist, dass es nie
ohne Negation stehen könne, bleibt demohngeaclitet ein voreiliger
Schlnss,der durch eine grosse Masse Stellen hinreichend wider-
legt wird. Ganz dieselbe Bedeutung hat auch idlus, das sich von
quisquam nur wie qui von quis oder wie Adjectivum von Sub-
stantivum unterscheidet, woraus sich zugleich auch leicht er-
giebt, warum von ersterem die Formen qnaeqiiam., quodquam^
quanquam, qnaquam und der Plural nicht vorkommen. Jene
vis asseverandi bei qtiisquam und vUus ist übrigens gleich in
dem Ursprung der Wörter bedingt und liegt bei fiuisqnam in
Rainshorn : Lalcinische Grammatik. 47
quam (wie sein), bei nlhis aber \\\ der Natur des Deminutivs
{iimis^ wmliis^ wdus^ ?///?^9, s. Sclineiderl p. 300). Qm'damist ein
^ewisser^ jemand, den man wolil als bestimmtes Individuum ira
Sinne hat, aber niclit namentlich und näher bezeichnet, und
zwar entweder, weil man nicht kann, oder weil man nicht
will ; etwas verscliicden davon ist das häufig mit quidam ver-
bundne cerlus ^ d. i. ein besliinmtcr, ein gewisser, den man
wohl näher angeben könnte, aber gerade nicht will. Der Ge-
brauch, quidam zu Nominibus propriis zu setzen, um damit
die Obscurität der Person zu bezeichnen, sclieiut mehr bei den
Spätem, als in der friiliern Spraclie sicli zu finden.
Vergessen hat der Ilr. Verl', etwas Näheres über die Pro-
nomina zu sagen, welche jeder bedeuten. Er erwähnt nur,
dass quisquis^ qiiisque und quicunque zuweilen mit einander
verwechselt wiirden; qnilibet^ qiiivis^ singtdi^ ojnnis aber, de-
ren Zusammenstellung und Verglcichung gewiss auch sehr wiin-
schenswerth gewesen Aväre, werden ganz übergangen. Die
früher § 8T, 2 über den Unterschied zwischen qiiisqiiis und
quicunque aufgestellte Meinung, dass ^^quisqiiis wer es auch
scyn mag, d. i. Einer, unbestimmt, welcher; quicunque \QiSiGV
welcher, d.i. alle" bezeichne, hat der Hr. Verfasser in den
corrigendis wieder zurückgenommen, aber ohne dafür etwas
andres aufzustellen, und auch ohne hier am zweiten Orte
jene Zurücknahme seiner Meinung zu berücksichtigen. Wir
halten indess diese Zurücknahme, die wohl nur durch eini-
ge Dichterstellen, in denen quicunque mit der zweiten Per-
son des Verbi sich findet (Ovid. Met. 9, 312; 14, 378 u.
e. a.) und nicht durch Burm a uns seichtes Raisonnement zu
Quinctil.Declam. 8,9 veranlasst wurde, für unnöthig, und glau-
ben vielmehr , dass jener Unterschied im Allgemeinen wenig-
stens für die Prosa als richtig gelten könne, und liöchstens
noch einige genauere und näher bestimmende Bemerkungen
erfordert liätte. Nach unserer Ansicht ist darüber zu bemer-
ken, zuvörderst, dass quisquis ^ als Substantivum , blos die
Personalität^ das zugleich auch adjectivische quicunque aber
ausser derselben auch die Qualität und letztre nicht selten al-
lein berücksichtige , weshalb es auch oft ziemlich soviel als
qualiscunque ht. Für den andern Fall aber, in welchem qui-
cunque die Personalität mehr oder allein berücksichtigt, unter-
sclieiden wir beide Pronomina ohngefähr eben so, wie derllr.
Verf. sie früher unterschieden wissen wollte. Quisquis und qtä-
cunque näjulich heissen dann beide zwar deijenige von allen^
welcher^ allein mit dem Unterschiede, dass man bei quisquis
vorzugsweise nur an ein einziges bestimmtes Individuum denkt,
welches unter allen andern zwar verborgen und uns unbekannt
ist, im Ganzen aber doch als nur einmal in jener ganzen Menge
wirklich sich befindend gedacht wird. Daher heisst es in der
48 Röniisclie Litteratur.
Prosa, so wie iii der Sprache der Comiker stets quisquis es,
weil der in dem Du begriflTene, so sehr er auch unbekannt ist,
doch nur einer, nur ein gewisser von allen seyn, niclit aber
wirklich in mehrern, oder allen Subjecten der ganzen Menge
aufgefunden werden kann. Bei quiciuique dagegen ist die ge-
dachte Individualität nur logische Form, d. h. man spriclit
zwar nur von einem Individuum, aber mit dem Gedanken, ent-
weder, dass jedes Subjcct der ganzen Menge wirklich der Ge-
meinte seyn könne, oder dass es wenigstens nicht blos einer
seyn müsse, auf den die Sache bezogen werden könne, sondern
auch wohl mehrere zugleich seyn können. Die Form des Be-
griffs sagt also freilich nur, derjenige von allen ^ tvelcher^ aber
der Gedanke ist, /erfe/" z'ow a//eyz, welcher, — olle, welche. Ucbri-
gens begreift man leicht, wie in vielen Fällen beide Prono-
mina stehen können, und namentlich steht das Neutrum quid-
qidd in Ermanglung der Form quidcunque häufig da, wo man
im Masculinum nicht quisquis , sondern quicunque gesagt ha-
ben würde. Wirkliche Verwechslungen in den andern Generi-
bus kennen wir in der Prosa wenigstens nicht, denn bei Cic.
ad Farn. 10, 31 (^quicunque is est) steht quicunque nur schein-
bar für quisquis , und eben so wenig können entgegengesetzte
Beispiele dafür gelten , in welchen , obschon quicunque auch
hätte stehen können, doch das weniger umfassende quisquis,
als auch schon ausreichend, gesetzt worden ist. Wo die Na-
tur der Sache bestimmt nur an ein Individuum zu denken ge-
bietet, steht überall quisquis, so wie dagegen stets quicunque,
wenn man den Gedanken ausdrücklich auf mehrere bezogen
haben will. Man sagt also nicht quicunque, sondern quisquis
hoc miruni abstulit, da man weiss, dass es doch nur einer gewe-
sen ist ; anderseits aber nicht quisquis, sonderji quicunque vult sal-
vusfieri, weil man die Sache nicht auf einen beschränken, son-
dern ausdrücken will, edle, welche. Daher steht bei quicunque
zuweilen auch noch omnis ausdrücklich dabei, was vor quisquis
nie sich iindet. Das andre mit quicunque noch mehr sinnver-
wandte, im Ganzen aber eben so zu unterscheidende Prono-
men quiqui ist vom llrn. Verf. gar nicht angeführt worden.
§ 161, 2, S.376 ff., handelt der Ilr, Verf. von den Fäl-
len, wo Präpositionen wiederholt oder nicht wiederholt werden.
Er führt darunter auch Beispiele von inter auf, wie Liv. 10, 4:
cei latum inter App. Claudium niasime ferunt et int er P.
Decium Murem, und hält im entgegengesetzten Falle, wie Cic.
Lael. 10: inter me et Scipionem disserebatur, die Präposition
für ausgelassen. Allein das Verhältniss ist hier von ganz and-
rer Art als bei den übrigen Präpositionen. Die Präposition in-
ter nämlich setzt ihrem Begrilf nach zweiSubjectc voraus, die
durch et zu verbinden sind; z.H. iis est inter me et te, d.i.
inter nos , woraus also sogleich erhellt , dass in solchen Fäi-
Leloup : De poesi cpica et Pharsalla Lucani. 49
len die Präposition keineswegs zweimal zu denken ist. Dasa
sie hier mm dennoch zweimal gesetzt werden könne, ist
zwar von Bentley zu Horat. Serm. 1, 7, 11 fälschlich ge-
läugnet worden, allein in dergleichen Beispielen findet jsich
dann nicht eine iViederholung^ sondern eine Verdopplung der
Präposition , die bei dem deutschen zwischen ebenfalls und
zwar in beiden Sprachen sogar regelmässig statt findet , wenn
der zweite Accusativ vom erstem weiter entfernt steht, als
dass seine Beziehung auf das friiher vorausgegangene inter noch
völlig deutlich wäre. Wirkliche Wiederholung findet sich nur
in Beispielen, wieTibuU. 2, 1, 67 seq.: Ipse inter qiie gre-
ges inter que armenta Ciipido JSaliis et indnmitas diciiur in-
ter eqnas ; und diese scheint in solchen Fällen durchgehends
statt zu finden, weshalb man behaupten kann, dass inter nicht
wie andre Präpositionen das zweitemal ausgelassen werden kön-
ne. AmScJilusse des Paragraphen behauptet der Ilr.Verf., dass
nur Dichter in Betheuei'ungen Personalpronomina zwischen per
und seinen Accusativ einzuschieben pflegten; allein der von ihm
selbst in der Note für einen andern Zweck citirte Livias ent-
hält gerade in demselben Capitel (üb. 23, 9) ein Beispiel, dass
diess auch der Prosa nicht fremd sey.
[Die Fortsetzung folgt.] 3^^ HoJJmann.
Programme der Königl. Preussischen Gymnasien im Gross-:
herzogthum Niederrhein aus dem Schuljahr 18|^^.
-i^a dem unterzeichneten Recensenten immer noch nicht sämmt-
liche Programme der Königl. Preussischen Gymnasien am Rhein
aus dem Schuljahr 18|4 ^"^ Gesichte gekommen sind, so ist er
ausser Stand gesetzt, die zweite Sendung seiner Beurtheiluiig
dieser Schulschriften jetzt schon an die Redaction der Jahrbü-
cher abzuschicken. Er hegt jedoch die Hoffnung, diesen Man-
gel bald ersetzen zu können, indem er zu Breslau die ihm noch
nicht zugekommenen Programme anzutreffen glaubt; wiewohl
es immerhin sehr zu bedauern ist, dass trotz der Hohen Miiii-
sterial- Verfügung die Bibliothek des Königl. Gymnasiuiiis zu
Oppein einen unverschuldeten Verlust erleiden soU.
1) T R I E R.
De poesi epica et Phar salia Lucani disputatio pM-
lologica. Scripsit P, J. Lelvup. Aiigustae Trevirorum , typis
Hetzrodtli. 4. 32 S. u. S.33 — 54: Schulnachricliten.
Der Verfasser eröffnet seine Abhandlung mit der Definition
des Aristoteles, und zwar, weil es in Trier an Griechischea
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jahrg. III. H :ft 5. ^
so Programme.
Typen fehlte, iiiLateinisclier Uebersetzung nacli Hermann;
wir wollen der grösseren Genauigkeit halber den Griechischen
Text hierhersetzen, A. poet. cap. 5, 7 sqq.: ?J }iev ovv InoTCotta
rij TQayadicCf fiexQt ^lovov ^largov zal Xoyov , [iißj^öig ilvai
öTiovöaiav 'r]'KoKovQ^7]62. ■ ra de ro ^ttgov aTtXovv f^eiv nal
{XTcayyEkiav tlvai tavTr]g dLaq)BQEi. trt Ös reo (17]KEL' tJ ^sv yuQ
ort fialiöra TceiQärat v:i6 (ilav tieqloöov yjXlov Eivai, ij (ilkqov
t'^ciXkdzTSLV Tj dh InoTioua äÖQLözog reo %q6vc>' aal xovtco
dittcpegsi. niXitOL ro tiqcötov o^iolcog iv ralg tQayaöuag xovto
Itioiovv, aal Iv toig snEGi. h^qy] da iözi rd filv tavxd ^ za
öf l'ötß ziig zQaycpdlag . diüTtEQ uötig ^eqI zgaycoöiag oids ötcov-
daiag xai cpavXrjg , oids aal tieqI Inüv. d ^Iv yaQ Inonoua
l%Ei, vjidgxEi zij tgaycodUr d dl avziq, ov ndvza Iv zfi ino-
Ttoitcf. Hiergegen bemerkt Herr Leloup, dass es dieser De-
finition an Deutlichkeit des Begriffes felile und das Wesentliche
mit dem Unwesentlichen vermengt sey, das Aeussere (Metrum)
mit dem Innern und Nothwendigen (Eizählung d. h. dem rein
epischen Element) ; über die Erzählung hätte Aristoteles etwas
umständlicher sprechen sollen. Wir möchten jedoch das Me-
trum in der Griechischen Poesie gerade nicht mit Hrn. L. et-
was W Ulk Uhr liehe s nennen; denn sonst müsste es ja auch epi-
sche Gedichte geben, die nicht im daktylischen Hexameter ab-
gefasst wären. Die äussere Form war in der Hellenischen Poe-
sie ebenso wenig etwas Willkührliclies, als der innere Gehalt;
beides stand in der engsten Beziehung zu einander. Denn alles,
was der Geist zufolge eines innern Dranges der Natur aus der
Dunkelheit ans Licht fördert, ist als nothwendiges und wesent-
liches Gesetz zu betrachten. Dem Hellenischen Geiste war es
nun einmal nicht anders möglich , als sich zur epischen Poesie
des Hexameters zu bedienen; mithin war für ihn dieses Metrum
nothwendiges Gesetz. Denn wollen wir über die geistigen Er-
zeugnisse eines Volkes ein richtiges Urtheil fällen, so müssen
wir uns auch seine Individualität anzueignen verstehen und nicht
raitürtlieilen a priori hervortreten, die grösstentheils aus der
Luft gegriffen sind. Das Urtheil des Aristoteles ist also ganz
richtig, insofern wir an ihm einen Kritiker haben, der den Hel-
lenischen Geist (keinen andern), sowie ersieh in den poetischen
Darstellungen der schönsten Zeit gestaltet hatte, rein und lau-
ter zu erfassen verstajid. Will aber heutigestages Jemand iiber
die epische Poesie überhaupt handeln , dann muss er freilich
von einem m eitern Gesichtspunkte ausgehen und manches als
unwesentlich ansehen , was dem Griechischen Kritiker noch
wesentlich erscheinen musste.
Die Thaten der Vorfahren können auf zwiefache Art be-
schrieben der Nachwelt iiberliefert werden, „vel ita ut intelle-
ctus ea, quae vere gesta sint, nulla re mutata, disponat, vel
ut imaginandi facultas fortibus et claris virorum f actis fortitudi-
Lelou^) : De poesi eplca et Pharealla Lucan!. 51
ncm et decus ad dat. Uni rationi veritas et res (das Reale),
alteri idea (das Ideale) lex et noriiia crit." Die letztere Art der
gescliichtliclieiiUeberlieferungen wird bei jedem Volke das Ue-
bergewicht behaupten, dessen geistige und sittliclie Entwicke-
lung auf dem Wege der Natur ohne fremde Zuthat vor sich
geht. Schon in den Ilonierisclien Gedichten erscheinen die
Sänger Phemios und Demodokos. Ilr. L. erwähnt bei dieser
Gelegenheit auch die kyklischen Dichter, scheint aber noch
eine falsche Ansicht über dieselben zu haben , die er gewiss
fahren lassen wird, wenn er Wüilners gehaltvolle Abhand-
lung de Cyclo epico mit Aufmerksamkeit gelesen hat. Was
über die ältesten Heldengesänge der Römer beigebracht wird,
gehört weniger zur Sache. Sodann wird über die Bedeutung
des epischen Gedichts im Allgemeinen gesprochen , aber sehr
ungenügend und einseitig. Ks würde hier zu weit führen, die
Behauptungen des Verfassers Wort für Wort durchzugehen und
zu widerlegen,- wir wollen daher nur in aller Kürze bemerken,
dass zu einer richtigen Beurtheilung der epischen Poesie der
Gegensatz zwischen ihr und der lyrischen streng hervorgeho-
ben werden muss : diese stellt die innere Welt des Dichters, sein
eignes Gefühl, dar; jene das äussere Leben, M'ie es in der Seele
des Dicliters sich abspiegelt. Das Hauptelement der epischen
Poesie ist also das Objective^ der lyrischen das Siibjeclive.
Hierauf gelit Hr. L. zu des Lucanus Pharsalia über: „Phar-
galiae libr. I — IX, a Rubicone trajecto scilicet usque ad Caesa-
ris in Aegyptum adventuni, cyclum quendam, meo judicio, ab-
solutum efficiunt. Caput enim Pompeji , quod ibi Caesari afFer-
tur, victoriae foedae pignus est, cupitque scire lector, quos-
nam animos Caesar prae se ferens triste hoc spectaculum viderit.
Quae decimo libro de Cleopatra, Achilla et Pothino subjecta
sunt , quorsum tendant et quomodo cum praecedentibus cohae-
reant , parum constat. Certe a summa nostri carminis , quale
liodie est, aliena sunt. Neque ab.solutus est über iste decimus,
cum Caesar optetne antimeatraoridubius narratioque imperfecta
relinquatur. Vel angustiae illius, cum versus 545 modo, ceteri
695 — 1105 habeant, eum non absolutum esse significant. Adde
Catonem , qui post Pompeji necem Africae cum copiis advectus
per inhospitas regiones ad regem lubam tendebat, niedio
in itinere a Lucano mitti, neque nllani amplius de eo men-
tionem fieri." Diese in dem Gedichte auffallenden Erscheinun-
gen haben früher schon allerhand Vermuthungen veranlasst.
Jacobs, Nachträge zu Sulzers Theorie Bd.7 Th. 2 S. 5>-l:7, glaubt,
Lucanus habe die über die Ermordung Cäsars triuniphirende
Freiheit besingen wollen. Hr. L. bemerkt mit Recht hierge-
gen, dass diese Ansicht der Aussage des Lucanus selbst wider-
spreche, gleich im Eingange: Jusque datmn sceleri canimus.
„iVihil aliud mea sententia, si sibi coustare vohiit , IVoster ca-
4*
52 Programme.
nere potnit, quam \iros qiii a partibus Pompeji stelerant a
Caesare ipso subactos. Ac fortasse , proelio ad Mniidam ne-
glecto, iiiCatone illo, cujus copiae victae, animus indevictus fuit,
constitisset." Als Zweck , welchen sicli Lucauus bei Dichtung
der Pharsalia gesetzt habe, wird die Uebermacht eines einzi-
gen Mannes (des Cäsars) Vibcr die Gesetze angegeben. Alle
Begebenheiten, die sich in diesem Kreise bewegen, überschrei-
ten kaum den Zeitraum Eines Jahres, und Aviderstreiten daher
nicht der epischen Einheit; aucli bieten sieneben vielen Schrek-
kensscenen manches Ermunternde und Erhabene dar. „Caesar
enim (heisst es S. 1-4.), quamvis patriae hostis, anirais geiiero-
sis et acribus eminet, atque ubique amor patriae ac defensio
libertatis commendantur. Deindc in suo carmine monstrat no-
bis poeta numen aeternum , quod rerum ortum et interitum, li-
bertatis aut tyrannorum dominatum imperat." — Schon Her-
mann im Anhang zu seiner Ausgabe der Aristotelischen Poetik,
de tragica et epica poesi p. 209, tadelt den Anfang desLucani-
schen Gedichtes :
Bella per Emathlos plus quam civilta campos.
„Sic qui dixit, nihil dixit poeticum. Quamquam enim plus quam
civilia bella intelligiraus, quae gravius quiddam et atrocius
sunt, quam civiüa, non habemus tanien qualia ea esse dicamus,
quia quid non sint, non quid sint, iudicat. Quid vellet intelligi,
pauUo post dixit,
cognatasque acles ;
quod melius l'ortasse et majore cum vi dixisset,
fraternasque acies.'"''
Hr. L. entgegnet, fast in jedem andern Bürgerkriege kämpf-
ten Verwandte oder gar Brüder gegeneinander ; der Dichter
aber nenne dai'um diesen Krieg plus quam civile ^ weil hier
nicht freie Bürger gegen einander kämpften, sondern weil liier
die Freiheit mit der Tyrannei im Kampfe stand. Gotter und
Religionen üben nur dann in einem epischen Gedichte den ge-
hörigen Eindruck, wenn sie mit dem Volksglauben eng ver-
schmolzen sind, und der Dichter selbst von ihrem Einfluss auf
das menschliche Gemüth durchdrungen ist. Sonst ist es nur
eitles Spiel und leeres Blendwerk. Im Zeitalter des Lucanus
war Frömmigkeit und Mahre Gottesfurcht aus dem Bu-en des
Volkes gewichen: an ihrer Statt erblickte man einersets sitt-
liche Versunkenheit, andrerseits blinden Aberglauben und
feile Sterndeuterei. Daher Tacitus Hist.I, 22 von den Mathe-
maticis : genus hominutn potentibus iiifidum^ sperantibus fal-
lax^ quod in civüole nosiraet vetabitur semper et relinebi iir.
Wir haben diese Stelle hier abgeschrieben, Aveil sie bei Hrn.
L. sowohl durch Druckfehler als durch falsche Interpunction
entstellt ist. Es ist also d,er Sitte des Zeitalters angemessen,
Lcloup : De pocsi epica et Fharsalia Lucani. 53
wenn Liicanus dergleichen Weissagerscenen seinem Gedichte
einwebt. Das scliönste Bild gewährt jedoch die Stelle, wo das
Vaterland dem Cäsar erscheint , als er über den llubico gehen
wollte, I, 185 sqq.:
Ut venttim est parvl Rubiconis ad undas,
Ingens visa diici patriae trepidantis iniagfo,
Clara per obscurani vuUu raoestissiina iioctem,
Turrigero canos elFiindcns verticc crines,
Caesarie lacera, nudisque adstare iacertis,
Et geraitu permista loqui u.s. w.
Hierauf wird von S. 20 ab über die Helden des Gedich-
tes gesprochen. So trefflich dem Horaeros die Charakteristik
des Achilleus , so wenig gelungen ist dem Virgilius die Schil-
derung des Aeneas. Unter den neuern Dichtern liebt der
Verf. hauptsächlich den Tasso hervor, der da besungen Var-
me pietose , durch welche befreit worden // gran sepolcro di
Cristo. Näher aber liegt uns das epische Gemälde , wel-
ches der Dichter der Nibelungennoth in der Zeichimng des
Siegfrieds entworfen hat. Ueber die Pharsalia bemerkt
Hr. L, : „Quam incertis lineamentis Caesar et Brutus, ante alios
Porapejus descripti sunt! in exponendis natura et dotibus eo-
rum , quam parum vigoris et roboris! Certe Pompejus ille,
qui 1 , 131 pace dedidicit ducem et totus j^opularibus auris im-
pellitui\ non is est, qui magnam sui exspectationem moveat." —
Als fehlerhaft in der Darstellung des Lucauus wird erstlich
angegeben „rigor quidam, quo sententiae non suopte fluunt,
sed operose conglutinatae esse videntur. Quare Lucani poesi
deest id, quod narrantis carmiais" (ich weiss nicht, ob die-
ser Ausdruck für das Deutsche erzählendes Gedicht im Latei-
nischen seine Gewähr findet) „ante omiiia proprium esse debet,
lucida illa, rebus et personis apta narratio." Ei i zweiter Feh-
ler ist „inanis abuudantia, quae sophistam vel rabulam ma-
gis quam poetam, cujus os magna ^ non tnulta sonare opus est,
refert.*"' Auch in den Veigleichiuigen ist Lucanus nicht mu-
sterhaft.
Um uns kurz zu fassen , wollen wir das Resultat der
ganzen Untersuchung mit den eignen Worten des Verfassers
wiedergeben :
I) „Pharsalia, qualis hodie circumfertur , non est perfe-
cta; at novem priores libri per se corpus quoddam efficiunt.
U) Älateria novem horum librorum, siveres, sive tempus eo-
rura intueris, cum iis, quae poesis epica postulat, congruit.
HI) Argumentum Pharsaliae est Imperium hominis imperio
legiim potentius factum. IV) Ob religiones priscas in car-
mine omissas laudem potins quam vituperationem Lucanus mere-
tur. V) Heroes Pharsaliae incerte ac male sunt delineati.
&4 Programme.
VI) De dicendi genere: a) Vel cum alias personas loquenteg
Lucanus inducit, poeta semper et artlfes^ at raro is, qui magna
sonat, deprehenditur. b) Dicendi generi in Universum senten-
tiarum luciditas" (das ist gar kein Lateinisches Wort ; Hr. L.
hat es wahrscheinlich nach dem Französischen fabricivt) „et
mollities verborum deest. c) In narratione Noster languidus,
in orationibus justo plus longus , in descriptione parum accura-
tus , in comparationibus novi appetens, at non seraper verns.
d) Vel in orationibus non oratoribus , ut de tota Lucani opera
ait Qiiintilianus, sed rhetoribus potius vel sophistis annuraeran-
dus est. e) Sententiae interdum vel versus singuli, totus raro
sententiarum ordo, virtutibus nitet." (Wir hätten besseres
Latein fiir diesen Satz gewünscht.)
Die Veranlassung zu dieser Abhandlung gab eine Hand-
schrift einigerstellen des Lucanus, die sich auf dem Deckel
des Buches : Epithoma (sie) expositionis CanoJiis ?nissae tnagi-
stri Gabrielis Biel sacre theologie Ucentiaii befindet. Sie ent-
hält V, 663 — 702; 706 — 747; VI, 304 — 345; 352—390;
490—503; 532 — 549, VII, 367 — 384; 416 — 429. Hr. L.
setzt diese Handschrift ins zwölfte Jahrhundert, und theilt
daraus folgende Lesarten mit: V, 667: ad iimbras mit darüber
geschriebenem ad U7idas. 696: ad swnmani belli ^ darüberge-
schrieben ad fatum , wie Vulg. 698 : hie ne usus. 709 : veli
ventique. 722. Ueber collatis steht collectis. 739: non nunc
mihi vita. 747: satis est Magtii audisse pericla. VI, 318:
hortantur patrias sedes. 321: remisso, darüber remoto a me^
und am Rande dimisso. 337: rapidi. 352: Theleos. 354: M.
sagitlis^ dditüher pkaretris. 364: Eveneus^ darüber ^^'e/^os.
384: s. fregere. 388: Monice. 390: everteret. 544. Ueber
rumpit steht geschrieben rapidt. VII, 374: populum^ jedoch
ist durch spätere Hand der letzte Buchstabe min s verwandelt
worden. 421: omiiibiis armis ^ darüber annis.
Den Schulnachrichten ist von dem Director Wyttenbach
ein kurzer Ueberblick der Geschichte des Trierischen Gymna-
siums beigefügt worden, woraus wir Folgendes mitzutheilen
geneigt sind: „In unsrer Stadt wurden die alten Dom- und
Rlosterschulen des Mittelalters mit ihremTrivium und Quadri-
vium , ^e^ge,ii das Ende des 15ten Jahrhunderts durch das neu
entstandene CoUegium zum h. German verdunkelt, worin Welt-
geistliche lehrten, welche, ihres edlen Eifers wegen, von ih-
ren dankbaren Zeitgenossen die goldenen Priester, auch die
guten Brüder genannt wurden. Ein Jahrhundert später war
die Zeit des Abstcrbens auch für diese braven Schulmänner
gekommen. Die Jesuiten, die bald überall Boden und Macht
fanden, hatten sie verdrängt. Als auch diese, nach einer
Dauer von zwei Jahrhunderten, die ausschliessliche Führung
der gelehrten Schulen bei uns verloren , sahen wir , in einem
Fiedler : De crrorlbas Aeneac ad Phoenic. coIon. pertinentt. 55
Zeiträume von nicht 30 Jahren , wcclisehid bald Weltgeistli-
che, bald Piaristen an der Spitze, In der Periode der ver-
schiedenen Französischen Regierungen erlebten Avir wieder
völlig neue Umwandlungen. Neue Formen folgten, innerhalb
20 Jahren, schnell auieinsnder — bis cndlicli auch diese zu
Grunde gingen." — Darauf wird die Frage berührt, ob das
Alte besser sei , oder das JNeuc, und dahin beantwortet, dass
man keinem von beiden einen entschiednen Vorzug einräumen
dürfe. „Auf allen Fall bedürfen alle Formen des tuahreii Gei-
stes^ der einzig und allein lebendig zu machen versteht. Der
blosse Buchstabe ist todt. — In der Bildung des Menschen
unterschied man als eine ewige Wahrheit von jeher, in der al-
ten wie in der neuen Zeit , nur bald heller , bald weniger hell,
drei Vollkommenheiten, welche die Resultate jener Bildung
ausmachen: erjistes Forschen nach Wahrheit^ lebendige Ach-
tu?ig des Guten durch JVeckiing der sittlichen und religiösen
Gefühle , und reines Wohlgefallen am Schönen}''
Das Verzeichniss der Lehrgegenstände ist nicht nach der
bestehenden Ministerial - Anordnung eingerichtet.
2) Wesel.
De err oribus Aeneae ad Phoenicum colonias per-
tinentibus. Scripsit Fr. Fiedler. Vesaliae, Becker. 4.
20 S. u. S. 21—26: Schulnachrichten.
Seitdem das kritische Studium des classischen Alterthnms im
höheren Sinne immer mehr Wurzel fasste und namentlich durch
Heynes unsterbliche Verdienste in hohem Grade gefördert
wurde, fieng man auch endlich an, dasjenige nicht mehr als
baare Münze anzuerkennen, was Lateinische Dichter und Ge-
schichtschreiber iiber die Irrfahrten des Aeneas niederge-
schrieben haben. Dieser Zweig der Gescliichtsforschung fand
nun an Niebuhr einen Mann, der mit tiefer Kenntniss des
Alterthums ruhige Besonnenheit verband , wodurch er seinem
Ziel immer näher kam und die schlichte Wahrlieit von will-
kührlichen Zudichtungen zu untersclieiden verstand. Weniger
bedeutend ist die durch Niebuhrs Werk veranlasste Römi-
sche Geschichte von Wachsmuth. Scharfsinnige Bemer-
kungen hat auch A. W. Schlegel in seiner Itecension von
Niebuhrs Rom. Geschichte (Heidelberger Jahrbücher 1816 N.
53 ft.) niedergelegt. Was nun aber gerade die Irrfahrten des
Aeneas betrilft, so ist uns bis jetzt nichts Scharfsinnigeres vor-
gekommen, als was C. O. Müller im Classical Journal (wir
können in diesem Augenblick den Band und die Seitenzahl nicht
genau angeben) mit grosser Gelehrsamkeit vorgebracht hat.
Herr Fiedler scheint von dieser Lateinisch geschriebenen
56 Programme.
Abhaiulluiij» nichts gewusst zu haben; sonst hätte er mancher-
lei daraus lernen können.
Die Trojaner, welche unter Anfiilirung des Aeneas nach
Italien geschifft sein sollen , sclicincn unserm Verfasser Phö-
niker gewesen zu sein, auf jeden Fall aber Menschen, die aus
Phönikischen Colonien ausgegangen und zur GrVmdung neuer
Wohnsitze ausgezogen sind Aus diesem Umstände, meint
er, Hessen sich eine Menge Dunkelheiten in der Italischen Ge-
schichte erklären. Einen Theil seiner dessfalls angestellten
Untersuchungen liat Hr. F. in diesem Programm niitgetheilt.
„Quamquam plurima (heisst es S. 4.) in rerum Phoeniciarum et
Trojanarum historia dubia, incerta suspensaque habentur , ex-
stant tamen indicia quaedam, non itafallacia, quae, si sobrie
et caute iis utamur, in vero indagandt) nos adjuvare et ad res
Phoenicum illustrandas Graecorumque mytlios explanandos op-
portunam saue facultatem dare possiiit. lila autem indicia par-
tim ex veterum scriptorum testimoniis , partim ex artium operi-
hus , numis , deorum simulacris signisque , partim ex com-
paratione linguaruni veterum et vocabulorum originatione,
caute prudenterque tractanda, petenda sunt, unde simi-
litudo et convenientia , quae Phoenicum inter et Graecorum
Italorumque Sacra intercesserit, luculenter appareat: quae res
in coloniarum origine et cognatione investiganda sujiima cum
diligentia observentur." Hier wird nun zunächst von der Reli-
gion gesprochen. Leider aber müssen m ir zum voraus gestehen,
dass des Vei'fassers mythologische und etymologische Träu-
mereien und Sprachmischereien unsrer Ansicht durchaus nicht
zusagen wollen. Die Syrer und Phöniker vereinten Sonne und
Mo?id, wovon die erstere auch die einheimischen Namen Mo-
loch und Baal geführt. Mit dem letzteren Worte sind dem
Verf. Belus^ "Hliog, 'Jßehog verwandt. Wer das zu glau-
ben Lust hat, der mag sich mit sich selbst abfinden; dem Re-
censenten kommt es zu tiefsinnig vor, und er bekennt offenher-
zig, dass er nicht zu den Eingeweihten dieser etymologischen
Secte gehört. Der Mond als zeugende Naturgottheit oder Erde
hiess bei den Orientalen ^starte oder Astaroth^ bei den Grie-
chen'y^qppoötri; OvQKvla, fenus coelestis ^ die nach Cicero
(N. D. III , 23) in Syrien und in Tyros aufgenommen worden
und Aqix Adonis geheurathet haben soll, bald Juno^ bald Diana
und Lucina genannt. Die Verehrung des Herakles unter den
Tyriern ist allgemein bekannt; es ist aber sein Cultus mehr
dem Namen, als der Sache nach, denn der Hellenische i/e/-«-
kles enthält einen ganz andern Begriff in sich. Die Kabiren w er-
den den Römischen Penaten zur Seite gestellt. Die hier und
da sich findenden Spuren von Menschenopfern sollen von den
Phönikern und ihren Colonien ausgegangen sein. Wer das
Hrn. F. aufs Wort glauben w ill , der mag es ; wir verlangen
Fiedler: De crrorlbus Aencae ad Phoenic. colon. pertlnenlt. ölf
Beweise dafiir, die wir verfreLens suchten. — Zu den Inseln,
worauf sich Pliönikcr niederliessen, gehört auch Tenedos^ die
darum nach Plln. II. N. V, 31) auch Plioenlce genannt wurde.
Von daher seien manche Pliönikisclie llcligionsgebräuche nach
Troja verpllanzt worden. Die Einwohner von Tenedos niin, so-
wie Aon Chios, opferten dem /JiövvGoq (o^iäöiog einen Men-
schen, AvelcJien Brauch Böttiger {Idee7i zur Ärmst- Mijtho-
lo^ie I p. 389 f.) auf den Phönikischcn Sonnengott zurVickgc-
fiilirt hat, nach dem sich der Hellenische Dionysos gebildet
habe. Ferner wurde Mehx^Qttjg auf Tenedos durch Knaben-
opfer verelirt, der hier für den Moloch ausgegeben wird. Auf
Münzen aou Tenedos erscheinen die Köpfe der Sonnen- und
Mondgottheit (wenn anders die Erklärung richtig ist) vereinigt,
woraus sich nach Bot tig er der zweiköpfige Jcmus gestaltete.
Aus Samothrake soll Dardanos den Phönikischen Dienst der Ka-
biren oder Dioskuren mitgebracht haben. Aus Kreta , worauf
seit uralter Zeit Phöniker hausten, kam Teuker nach Troja,
was uns natürlich auf Phönikische und Kretische Colonien zu-
rückführt, cf. Heynii Excurs. V ad Yirgil. Aen. III. Die Troi-
schen Penaten werden für die PJiöuikischen Kabiren gehalten.
Eine der Ilauptgottheiten Trojas war unstreitig 'AcpQOÖlr^], wie
aus den Homerischen Gedichten hinlänglich hervorgeht. —
Nachdem Aeneas am Thrakischen Ufer gelandet war, gründete
er die Stadt Äivua. v. Ilellauic. ap. Dionys. Hai. I, 47 und 40,
Steph. Byz. v. AXvblcc. Nun kamen 209 Jahre nach der Troi-
schen Zeit die von den Ephesieru vertriebenen Samier, deren
Insel vor Alters Phöniker bewolinten, nacli Samothrake. cf.
Müllers Orchomenos p. 452. Hr. F. fügt noch hinzu : „partim
ad Aeniam urbem munisse castellum." In der uns vorliegenden
Ausgabe des Pausanias (VII, 4, 3) heisst aber die Stadt nicht
AXvblu^ sonAexw "Avaia. Wir können nicht angeben, ob es
hier verscliiedene Lesarten gibt; als gründlicher Forscher aber
hätte Hr. F. diesen Umstand nicht stillscliweigend übergeheji
dürfen. Hierauf steuerte Aeneas nach Delos , wo König Anios
ihm seine Tochter Lavinia oder Launia zur Gemahlin gibt.
Auch hier wittert Hr. F. Phönikischen Cultus, der uns aber
nicht recht klar werden will. Von Delos aus kam Aeneas nach
Kreta, wo er die Stadt Pergamos oder Pergauieia gegründet
haben soll. cf. Böttiger. 1. c. p. S07 sqq. 377 sqq. So wird
nun der Zug des Aeneas noch weiter verfolgt, dem wir aber
nicht Spur für Spur nachgehen wollen, weil im Ganzen doch
nicht viel dabei herauskommt. Noch wollen wir erwähnen,
dass S. 17 f. sogar das Orakel zu Dodona für Pliönikisch ge-
halten wird, welches Herodotos (II, 54), durch Aegyptische
Priester getäuscht, aus dem Aegyptischen Theben herleitete.
Kein Mensch aber , dem das Studium des Alterthums nicht ein
leeres Spielwerk ist , wird die Auctorität des Homeros und He-
5S Programme.
Biodos, wenn sie irgendwo das Dnnkel der Hellenischen Vorzeit
beleuchten, mit Füssen treten wollen, lioraeros mm II. ^, 233
erwähnt den Dodonäischen Zens und nennt ihn Pelasgisch:
Zev ava^ zJadavals, TiEXaöyL'jis , rr]Xö^^L vaiaVy
^codavrjg ^sdeav Övgx^i^BQov '/.■ x. k.
Ferner Ilesiodos Fragm. XVIII (Gaisford) hei Strah. p. 475 :
Jco8mn]V (pijyov t£, Ilslaöycov tÖQavov , ii'Kiv.
Wer wird also noch im mindesten Bedenken tragen, das Orakel
zu Dodona für Pelasgisch, d. h. für echt Hellenisch zu halten?
Wenn Horaeros und Hesiodos von Phönikischera Einfluss auch
nur das geringste gewusst hätten, so würden sie es unstreitig
auf irgend eine Weise zu erkennen gegeben haben; wer aber
über das graue Alterthum etwas mehr und etwas besseres wis-
sen will, als die ältesten Hellenischen Sänger, der baut Luft-
schlösser.
Fragt man sich endlich , was das Resultat der ganzen Un-
tersuchung sei , so wird man in Verlegenheit gerathen , eine
bestimmte Antwort zu geben. Wir wenigstens glauben mit der
innigsten Ueberzeugung versichern zu dürfen, dass nichts Be-
sonderes dabei herausgekommen ist. Der Verfasser schweift
zu sehr herum, und versteht sich nicht genug darauf, seine
Blicke auf Einen Punct zu concentriren. Bei dem reinen und
fliessenden Lateinischen Ausdruck , den er sich angeeignet hat,
wäre nur zu wünschen, dass er damit etwas mehr Gründlich-
keit in der Untersuchung verbinden , und sich nicht so leicht
auf fremde Auctorität verlassen möchte.
Das Lectionsverzeichniss ist ebenfalls nicht verfassungs-
mässig.
3) MUNSTEREIFEL.
De poetis Aeneae fzigam atque fata ante Virgi-
Uum de scrib entibus dissertatio philologiea. Scripsit ^.
Scheben. Coloniae, typis J. G. Schmitz. 4. 10 S. u. 11 — 20:
Schulnachrichtfii.
Der Verfasser meint im Eingange seiner Schrift , eine Auf-
zählung der Dichter , welche vor Virgilius die Schicksale des
Aeneas beschrieben hätten, Aväre einestheils sehr nützlich für
die Jugend, anderntheils auch den Gelehrten gerade nicht un-
erwünscht. Indem wir ihm dieses gern zugestehen, wollen
wir untersuchen , in wieweit er seine Aufgabe gelöst hat.
1) Homer OS. II. XX, 307 sq. weissagt Poseidon:
Nvv 8b di] AlvHao ßtr] Tqcoböölv dvd^sc,
Kai naidcjv nalÖBS, roi hbv fiBTOTtLö^B ytvcovtai.
„His versibus nihil aliud indicatur, nisi Aeneam, cxciso Priamo
ejusque genere, Trojanis imperaturum esse, utrum in ipsa urbe
Schebcn : De poetiä Aeneae fiigam ante Virgil. descrlbcntibus. 59
Troja, an loco ei finitimo, non declaravit poeta ; sed cum idem
in plurlbus Iliadis locis Trojam a stirpc inteiituvam signiücet,
idque factum esse in Odyssea narret, statuendum est eo loco
praedici, hoc fore, ut Aeneas de Trojaiiorum reliquiis non qui-
dem in iirbe Troja, at tarnen in loco ei linitimo regium impe-
rium exerceat; de emigratione ne verbum quidem inest in versi-
biis illis.'^ Auch hier wäre zu Aviinschen gewesen , dass Hr. S.
M Vi 1 1 e r s oben schon angeführte Abhandlung im Classical Jour-
nal gekannt hätte.
2) Arktlnos. Nach diesem kam Aeneas mit seinen Beglei-
tern auf den Berg ida; von einer weitern Fahrt hat er nichts
berichtet, cf. WüUner de cyclo epico poetisque cyclicis p.
89 sq.
ö) Lesches. Das hierher gehörige Fragment aus der klei-
nen Ilias hat Tzetzes ad Lycophr. v. 1263 erhalten:
avTov X 'Ayiiöao yövov jcAutov in7(o8cc^Oio ^
Alviiav^ Iv V7]v6lv sß/jöcao tcovtojioqolölv ,
tx TtdvTOV ziuvacöv dys^av ysQug tt,oxov äKXcov.
üeber die '/Aiag ^lkqcc s. Wüllner I. c. p. 87, und vergleiche da-
mit , was wir in der llecension dieses trefflichen Büchleins in
diesen Jahrbüchern gesagt haben. Was Hr. S. darüber bei-
bringt, schwimmt zu sehr auf der Oberfläche.
4) Feisand ras. Macrobius in Saturn. V, 2: Vel quod
(Virgilius) eversionem Trojae cum Sinoue suo et equo ligneo
ceterisque omuibus , quae librum secundum faciunt^ a Pisandr o
paene ad verbum transcripserifi Qui inter Graecos scriptores
eminet opere , quod a nuptiis Jovis et Junonis incipiens univer-
sas historias , quae mediis omnibus saeculis usque ad aetatem
ipsius Pisandri contigerunt , iJi unam seriem coactas redegerif,
et unum ex diversis hiatibus temporimi corpus effecerit. In quo
opere inter historias ceteras interitus quoque Trojae in hunc mo-
dum relatus est ; qiiae fideliter Maro interprttando fabricatus
est sibi lliacae urbis ruinam. Der berühmte Verfasser der
Herakleia kann hier nicht gemeint sein. Heyne Excurs.
I ad Aen. II vermuthet daher, dass hier der Pisander Larau-
densis gemeint sei, der zu Anfange des 3ten Jahrhunderts
nach Chr. gelebt und ein Gedicht unter dem Titel 'Hgcomal
d'Eoyaplav verfasst hat. cf. Keitemeier ad Zosimum V, 29.
Diesen Pisander nun hat nach Heynes Meinung Macrobius
mit dem älteren verwechselt, indem er dem Virgilius Com-
pilation vorwarf. Herr Scheben findet diese Vermuthung un-
statthaft. Niebuhr i2öV«. Gesch. l S. 187 neue Ausg. nimmt
an, dass Peisandros der ältere (Ol. 33) ausser der Herakleia
noch ein anderes Gedicht geschrieben habe , worauf sich Ma-
crobius beziehe. Hr. S, ist damit nicht zufrieden, und spricht
sogar dieser Conjectur alle Wahrscheinlichkeit ab, weil Pisan-
60 Programme.
der zu berühmt gewesen, als dass nicht irs:endwo eine Spur
von der Existenz eines zweiten Gcdiclites sich finden sollte.
Das klingt doch ein bischen sonderbar; denn wenn sich Hr. S.
etwas mehr in der Geschichte der Griechischen Litteratur um-
gesehen hätte, so wiirde er gefunden haben, dass Beispiele der
Art eben keine Seltenheit sind. Und was er an die Stelle der,
wie es uns wenigstens vorkommt, sehr wahrscheinlichen Ver-
muthung Niebuhrs setzt, hat weder Hand noch Fuss. „Legerat
ille (Macrobius) Pisandrum Camircnsem poetara cyclicum s.
cycli poetam ; jam conferebat multorum poetai'ura cyciico-
rum carmina in unum Pisandrum." Kann man sich wohl etwas
Abgeschmackteres denken? Erstlich, wo sollte Macrobius ge-
lesen haben, dass Pisander ein poeta cyclicus gewesen, da auch
nicht die leiseste Spur von einer solchen Vermuthung vorhan-
den ist? cf. Wüliner p. 52. Sodann müsste doch Macrobius
gar zu unwissend gewesen sein, wenn man ihm zumuthen soll-
te, er habe sich unter dem Einen Pisander alle kyklischen
Dichter vereinigt gedacht. Wir glauben steif und fest, Hr. S.
würde nicht so geurtheilt haben, wenn er sich selbst erst aus
Wüllners Schrift einen bessern Begriff von dem epischen Kyklos
verschafft hätte.
5) Stesichoros. Auf der berühmten Tabula Iliaca wird
des Stesiclioros lyrisches Gedicht, ^lUov TtBQöcg^ dargestellt,
und zwar des Aeneas Fahi't nach Hesperien bemerkt, cf. ]Nie-
buhr I p. 187. Auch Müller im class. Journal verdient hier-
über nachgelesen zu werden.
G) Sophokles. Dionys. Hai. I, p. 48 hat aus dem Laokoon
folgende Verse erhalten:
Nvv ö' Iv TtvXaiGiv Alvüccqy 6 rtjg d'Bov
yiccQSöT , iii ä^cov TtaxhQ sxav xegawLOV
växov aaraötä^ovra ßvööLVov q)(xQog.
üvkIbI di Tiäöav olxEtav jiaii7ih]%^iav,
övvoTtä^erai da jtlrjQ'og, ov^ oöov donelg^
OL tijgd' Iqcoöl r^g 0Qvy(ov dnoLzlag.
Aus dem Worte aTtomiag ergibt sich zwar , dass nach Sopho-
kles Aeneas ausgewandert , und nicht , wie Arktinos berichtet,
dem jener im übrigen gefolgt ist, im Trojanischen Gebiete ge-
blieben. Dass aber Sophokles gerade an eine Auswanderung
nach Italien gedacht haben sollte, weil Stesichoros schon lange
vorher ihrer Erwähnung gethan, kann ebensowohl falsch, als
wahr sein.
1) Naevius. Dieser Dichter hat zuerst unter den Lateini-
schen die Fahrt des Aeneas nach Latium besungen, cf. Ma-
crob, Saturn. VI, 2. Aus den Fragmenten des Gedichtes über
den Punischen Krieg geht hervor, dass die drei ersten Bücher
Schebeii : De poetis Aeiieae fiigara ante Virgil, describentlbus. Cl
die Schicksale des Aeneas umfasst haben. Die hierher gehöri-
gen Fraf^mente werden -wörtlich angeluhft.
8) Ennius. Hierher gehören seine Annalen.
Ilieraui' \^ird von den Römischen Geschichtschreibern Ei-
niges gesagt, was jedoch allgemein bekannt ist.
l)as Lectionsverzeichniss ist weder verfassungsmässig, noch
logisch richtig Noch halten Avir uns fiir verpflichtet, aus den
Schulnachrichten S. 14 niitzutheilcn, dass Hr. Hack den
Schillern der ersten und zweiten Classc das Griecliische Origi-
nal des neuen Testamentes in den ausgesetzten ileligionsstun-
den erklärte; denn als wir in diesen JahrbVichern 181(5 Ud. 2
S. 170 f. dessen Abhandlung de reUgionis doctrina in Gymna-
siis tradenda anzeigten , schien es uns zweifelhaft , ob er die
Interpretation des neuen Testamentes und andrer heiligen
Schriften im Urtexte gehandhabt wissen wolle. Nunmehr aber
dürfen wir keinen Augenblick mehr Anstand tragen, weil er
unsern Wunsch durch die That bekräftigt hat. Älöchte dieses
segensvolle Beispiel unter den Religionslchrern unsrer Gymna-
sien viele Nachahmer finden ! Anderswo vergisst man über der
Schaale den Kern, namentlich da, wo mehrere Monate mit
Erklärung von kirchlichen Cärimonien hingebracht werden.
Wir wollen das gerade nicht an und für sich missbilligen —
denn allen äussern Formen in der Kirche liegt ein tieferer Sinn
zum Grunde — allein es ist ein Gegenstand , der sich besser
gelegentlich und kurz abfertigen lässt.
Dr. N.Bach.
4) Kreuznach.
Zu den üffentlichen Prüfungen , welche den fiten und 7ten September
1827 mit den Schülern des Königl. Gymnasiums zu Kreuznach
angestellt werden sollen, ladet die Gönner und Freunde dessel-
ben — ergebenst ein der Dlrector des Gjmnnasinms Dr. Q. Ei-
lers. Inhalt: I) Abhandlung des Professors Voss über
einige Stellen des Horaz. S. 1 — 13. 11) Schul-
nachrichten. S. 14 — 26. Gedruckt bei Henss in Kreuznach.
1827. 4.
Der Herr Professor Voss sagt im kurzen Vorworte , seine
Bemerkungen über einige Stellen des Horaz machten keinen An-
spruch auf Neuheit, und würden ihren Zweck erreichen, wenn
es ihm etAva gelungen sein sollte, eine gewagte Ansicht oder
Vermuthung neuerer Erklärer in ihrer Unhaltbarkeit darzustel-
len, eine alte Lesart zu rechtfertigen, einen Zweifel zu lösen,
oder eine Dunkelheit aufzuklären. Die Noten zu Odar. I, 3, 6.
ö. IX 26 und zu I, 7, 27 sind ^,^^z\\ Einfälle von Reuter im
62 Programme.
Torjälirigen Mindener Scliulprogramme gerichtet, welches in
diesen JahrhVichcrn IV, 3 S. 313 — 315 bereits eine gerechte
Wiirdigung erhalten hat. Die übrigen Bemerkungen berichti-
gen Meinungen von B o t li e und H e i n d o r f. Od. I, 4, 8 vird
uril vertheidiget. Man habe an den in eifriger Geschäftigkeit
von der Ghit seines Elements wiederstralenden Gott zu den-
ken, der alle Schmiedelieerde seiner Werkstatt in Flammen
setze, d. h. erleuclite. Von Tautologie könne niclit die Rede
seyn, wenn man sich der Sitte der alten Dichter erinnere, den
Gott und sein Element in einander zu mischen. So Od. II, 6,
V^ f er Ulis Bacchus. Sat. II, 2, 124 Ceres ut culmo surgeret.
Ref. erinnert noch an Iluschke Anal. Grit. pag. 33. Od. 1, 17,
14 wird Hie vorgezogen , weil es im Uten und 2lsten Verse
wiederkehrt*). Od. I, 20, 8 wird das Fragzeichen verwor-
fen, Modurch Bot he den Dichter gegen einen Widerspruch
sicher stellen wollte. Od. I, 24, 8 wird der Singularis inveniet
gegen die Mehrzahl der Handschriften in Schutz genommen;
worin Ref. auch nach Durchsicht der Bentleyschen Parallelstel-
len nicht beistimmt. Od. I, 31, 3 Avird aus einigen Hand-
schriften empfolen: ISon ojn'mas Sardiniae segetes feracis.
Od. I, 33, 1 sei das Comma vor und nach ^j/ws nimio zu tilgen.
Od. I, 37, 4 Mird die Interpunction und Construction, welche
Botlie wollte, mit Grund verworfen. Od. II, 13, ] -r- 10
konnte sich auch Ref. noch nie mit der Fassung und Interpun-
ction, welche Bothe gab, befreunden. Aber dass Hr. Voss
sich damit begnügt , zusagen, quicanque j)ri/nwn sei Ausdruck
des heftigen Unwillens, und jeder Unbefangene ergänze von
seiher das nahe posuit ., wundert ihn sehr« Nach Allem, was
er bis jetzt über diese Stelle gelesen hat, spricht ihn noch im-
mer am meisten der Vorschlag Buttmanns an: Illian, ne-
fasto te posuit die qiiic/mqiie primum et-'-^. Siehe Seebode's
Miscell. Grit. Vol. II P. 1 S. 46 — 48. Od. H, 16, 19 wird
sehr richtig auf den schönen Gegensatz zwischen patriae und
*) Hr. Dr. Bach, welcher von diesem und dem folgenden Pro-
gramm ebenfalls eine Beurtlieilung später als die gegenwärtige einge-
sendet hat, beraerkt: „Voss vertheidigt hie ohne Gnind j denn an
unserer Stelle folgt das Verbum manabit, das weit mehr für hinc, als
für hie spricht; an den beiden andern Stellen dagegen würde hinc gar
nichts sagen. Nur muss man hinc nicht mit V a n d e r b o u r g ex hac causa,
quod deis acceptus sum, sondern überhaupt a diis erklären. Das darauf
folgende tibi ist so zu fassen , dass der Dichter zwar zunächst alles auf
die angeredete Person bezieht, sich selbst aber mit darunter versteht.
Es ist überhaupt natürlicli, dass Avir selbst dasjenige auf den geliebten
Gegenstand übertragen, was an und für sich uns selbst angeht. Darum
ist Bcntle;j 's Einwand ohne Gewicht." Anmerk. d. Red..
Voss: lieber einige Stellen des Honiz. 63
se aufmerksam ^cmaclit. Uebii^eiis s. Jahn zu dieser Stelle.
Od. ni, 3, 12 wird bibit gebilligt, weil bibet prosaisch sei.
Od. III, 3, 51 soll das Comma nach cogere Avieder weg. Od.
III, 14, 10 sei c.tperiae richtig nnd ium damit zu verbinden;
die neuvermählten Jünglinge und Jungfrauen könnten nunmelir
wegen der Zukunft ganz siolier sein. Od. III, 25, 12 wird
wegen der Fügung JSoii secits ?/t verwiesen auf Voss zu Virgils
Georg. II, 279. Od. IV , 4, 24 wird die Vulgate revtctae aus
denselben Griinden vorgezogen, welche Jahn zu dieser Stelle
anführt*). Od. IV, 14, 24 sei es falsch, dass Bothc mit
Sanadon an die hier ganz ungehörigen nächtlichen Wacht-
feuer denke ; -Od. I, 10, 15 sei der Fall ein ganz anderer.
Epod. X, 1 wird plangit für eine unnöthige Aenderung erklärt
und wegen der Vulgate auf Fca und Döring verwiesen.
Ebenso urtheilte Jahn. Epod. XVI, 33 wird 7'avos vorgezo-
gen, und so erklärt, wie es von Mitsclierlich hier und zu
Od. III, 27, 3 geschehen ist. Sat. I, 1, Jj5 wird qnidam bei-
behalten, weil eine bandlose, scheinbar auseinandcrfallende
Rede im gemüthlich schlendernden Sermonenstile gerade an ih-
rem Orte sei. Dives könne gux tarn leicht entbehren, welches
öftrer fehle, vergl. Sat. I, 5, 33; 7, 13; Epist. I, 10, 12;
II, 2, 87- — Sat. 1,4, 35 drücke sibi aus, dass er zu sei-
nem Behagen ein Lachen aufschlägt ♦*). Ebend. 100 beziehe
sich notando nicht, wielleindorf will, auflloraz, sondern
auf den Vater , der durch vorgehaltene Beispiele seinen Sohn
vom Bösen abschreckt. Sat. 1,5, 6. Die via Appia sei nach
Kephalides in seiner Reise durch Italien Bd. II S. 1(50 mit
schwärzlich grauen Platten belegt gewesen. Vers 7 gefalle te-
terrima melir, wegen der launigen üebeitreibung. Sat. I, (», 43
sei die Verbindung magna cornua zu matt und prosaisch. Vers
47 sei sum gerechtfertiget durch FJpist. II, 2, 192. — Sat. I, 9,
1 soll theils die Unschicklicheit des Gedankens, theils der ru-
hige Fortgang des Verses, dessen rhythmische Periode mit der
logischen hier in einen unangenehmen Widerspruch gerathen
würde, es verbieten, dass man sie ut meus est ?nos auf das
Folgende ziehe, llefereut kann sich von Beidem nicht überzeu-
*) Schon Wakefield zu Lucret. 1 , 594 hat Bentley's repressae
widerlegt. [Bach.]
'*) Sollte aber die Stelle nicht noch anders verstanden werden
können, wenn wir sibi als Dativus commodi nehmen? „Wenn er nur
sich (d. h. seinen satirischen Einfällen) Lachen erregt." Es versteht
sich, dass man dazu /rg-cnfZii-o , bei andern, leicht ergänzen kann. Der
Sinn ist also dieser: der Dichter nimmt durchaus keine Rücksicht, wenn
er nur seine Snclit, bei andern durch seine Einfälle Lachen hervorzu-
bringen , befriedigt glaubt. [B a c h.]
64 Programme.*
gen und stimmt mit Jahn und mit Göller in seiner Griechi-
schen Uebersetzung dieses Gedichts inSeebode'siVrchiv llJhrg.
1 H. Seite 81. Vers 16 wird persequar vorgezogen. Dieselben
Gründe gab schon Jahn. Sat. I, 9, 44 wird dieselbe Abthei-
lung und Erklärung gegeben, welche von Frenz el in Eisenach
in Seebode's Krit. Bibl, III, 6 Seite 547 bekannt gemacht wor-
den ist, und welcher Refer*;nt vollkommen beistimmt. Nur
wollte jener noch ein überflüssiges te vor iisus einschieben.
Alle Ausstellungen gegen dexterius (s. SeebodtiMisc. Grit. I, 1
Seite 94) fallen nun von selbst weg.
5) Wetzlar.
Zu den öfTentllchen Prüfungen der Schüler des Königl. Gymnasium zu
Wetzlar am 18 und 19 September 1827 ladet hochachtungsvoll ein
JuJt. llcib.st^ Prof. und Director. In extrema scriptionis parte
explicattir Horatii locus. Wetzlar 1827. 4. S.l — 18:
Schulnachrichten, S.l!) — 25: Abhandlung.
Die Abhandlung betrifft die Stelle im Isten Buche der Epi-
steln, 2tenBr. 21 — 31. Die Schwierigkeiten, welche sich Bent-
ley beim Slsten Vers gemacht hatte, werden zunächst, beson-
ders mit Zuziehung der Homerischen Stelle Odyss. VIII, 248
— 49 befriedigend weggeräumt. Die Vulgata hält der Herr
Verfasser zwar für richtig, aber di« gewöhnlichen Erklärungen
genügen ihm nicht. Er glaubt, dass das Deutsche zvr Ruhe
führen^ bringen., oder einschläfern^ ei/iltfllen^ KOLf^ii^stv am
nächsten komme. Weil aber doch auch so dieser Ausdruck
„cessatum ducere curam" ungewöhnlich und sonderbar bleibe,
nimmt er an , lloraz habe diese Stelle , wie er es so oft ander-
wärts thut, aus irgend einem schlechten Dichter übergetragen,
um dem Lollius ein sanftes Lächeln zu entlocken. Er erinnert
an Sat. II, 5, 41 u. A. P. 137 und an die epischen Verse in Sat.
I, 2, 37; II, 4, 63; II, 1, 72; I, 6, 23. AuchSat.II, 8,34
sei der Schluss: moriemur t'nulti^ ebenso zu beurtheilen.
Cöslin. Müller.
6) C O E L N.
a)Karmeliten -Gymnasium
Loci aliquot Horatii illustrativ vom Oberlehrer P. //os«.
Ist schon beurtheilt in den Jahrbb. 1827 Bd. IV Hft. 3
S. 302 ff.
b) Jesuiten - Gymnasium.
Vo n der Ue bersetzungskunst. Vom Oberlehrer Dr. Will-
mann. Cocin, bei Thuiart. 4. 12 S. und S. 13 - 2i> : Schulnachrichten.
Es wird die Bemerkung vorausgeschickt, dass von jeher
bei weniger gebildeten Völkern die Schriftwerke der mehr ge-
Willraann: Von der Ucbersetzungskunst. 65
bildeten übersetzt wurden. „Als die Hellenen, fährt der Verf.
fort, die üeberlegenheit des ägyptischen Geistes erkannten
und sich durch denselben zu bilden strebten, übersetzte der
Sage nach Manetho — die Geschiclite Aeg;yptens in die Helle-
nische Spraclie." Das Factum wollen wir hier unangefochten
lassen; ob aber die Hellenen je die Ueberlegenheit eines bar-
barischen Volkes fühlen konnten und zu iiihlen brauchten, mag
Hr. W. vertreten. Dem Rec. scheint es unmöglich. Glückli-
cher Weise seilen wir auch gar nicht ein , warum nur aus dem
Gefühl einer geistigen Ueberlegenheit die Uebersetzung irgend
eines schriftlichen Denkmals wünschenswerth *;rscheinen sollte;
denn dagegen streitet die Litteraturgeschiclite fast aller Natio-
nen. Uebersetzungen , welche Sinn und Form der Urschrift
nach Möglichkeit wiedergeben, werden mit vollem Recht für
eine Bereicherung der Litteratur gehalten. Durch die Ueber-
setzung der Odysee soll Vossens Luise, Göthe's Hermann und
Dorothea, Baggesens Parthenais, Neuffers Tag auf dem Lande
etc. angeregt worden sein. „Frühere Philologen, heisst es
weiterhin, z.B. Ernesti, hielten, entweder weil es noch keine
deutsche Litteratur gub^ oder weil sie dieselbe nicht kannten,
nicht viel von deutschen Uebersetzungen hellenischer oder rö-
mischer Meislerwerke." Der von uns durch Cursivschrift aus-
gezeichnete Satz ist zweifelsohne grundfalsch; denn wollen wir
auch nicht weiter zurück gehen,so gab es doch schon wenigstens im
eilften und zwölften Jahrhundert eine Deutsche Litteratur, ja
sogar die ächte National -Poesie hatte den Culminationspunct
ihrer Blüthe erreicht. Hierauf wird Wolfs Aeusserung über
die Uebersetzungskunst aus der Vorrede zu Aristophanes Wol-
ken mitgetheilt.
In der letzten Zeit gab es hauptsächlich zwei Methoden
der Uebersetzungskunst, von welchen die eine als höchsten
Grundsatz bloss klare Deutlichkeit ^ die andre A^L^^gcn strenge
Treue aufgestellt hat , wiewohl die grosse Mehrheit der Stim-
men sich für die Vereinigung beider Grundsätze erklären dürfte.
Zu der ersten Classe gehören unter andern Bahr dt 's Juve-
nalis in lamben und Wielands Uebersetzung der Horatischen
Satiren und Episteln. Hr. W. bemerkt richtig, dass solche
Uebersetzungen nur die Summe der Gedanken Miedergeben,
aber wie der Dichter die Gedanken ausgCoprochen, die Färbung,
die Stellung der Begriffe, die Kürze, die Anmuth des Rhyth-
mus etc. auf dem W^ege der Uebersetzung verloren gegangen
sind. Dann erst Avurde das Uebersetzen zu einer eigentlichen
Kunst erlioben, als man einsah, dass bei einem Kunstwerke so-
wohl Inhalt alsForm ausEinera Gusse hervorgegangen seien, und
darum auch zugleich in holder X'erschwisterung wiedergegeben
werden müssten. — E s c h e n b u r g übersetzte Shakespeares Som-
mer nacht straum und Richard den Dritten zuerst metrisch,
Jahrb. f. Phil. u. Fädag. Jahrg. lU. Hfft 5. 5
66 Programme.
hielt aT)cr nicht Stand. — Als Vertreter der strengen Treue
wird J. IL Voss bezeichnet. Der Verf. widerspricht sich aber
gleicli darauf selber, wenn er von Voss sagt, dass er durch
die That gezeigt habe, die Kunst des üebersetzens bestehe
darin , die strengste Treue mit der höchsten Deutlichkeit auf
das innigste zu vermählen. Auf diese Weise wVirde er ja zu
der dritten Classe gehören, zu der er im Allgemeinen doch kei-
neswegs gerechnet werden darf: wer z.B., der des Lateinischen
unkundig ist, würde Vossens LTebersetzung des Lloratius ver-
stehen? Als ältestes Meisterwerk der Deutschen Uebersetzungs-
kunst wird Luthers Bibelübersetzung genannt, indem er die
Vereinigung der möglichsten Treue und Anschliessung an die
Urschrift mit der Achtung der Eigenthiimlichkeit und des Gei-
stes der Deutschen Sprache als höchsten Grundsatz aufstellte.
Cicero s Reden sind am besteu vonF. C.Wolf übersetzt.
S. 8. „Deutlicher, als der Originalschriftsteller ist, braucht
die Üebersetzung nicht zu seyn. Wird mehr Deutlichkeit zum
Verständniss erfordert, so muss die Gelehrsamkeit ihre Schätze
öffnen, und dem minder unterrichteten Leser die erforderliche
Aufklärung gewähren. Da der Geist des Alterthuras oder des
Auslandes uns aus der Üebersetzung anwehen muss, so muss
^\\\ gewisses Dunkel, gleichsam das (sie!) nobilis aerugo der
Münzen, auf Uebersetzungen aus dem fernen Alterthume oder
dem fremdgesitteten Auslande haften; dieses Dunkel ist wie
das Fremdartige, Momit auch in der Thier- und Pflanzenwelt
uns die Erzeugnisse fremder Zonen überraschen. Allein was die
Treue anbelangt ; ihr darf nichts vergeben werden ; sie ist das
erste Grundgesetz der üebersetzung; denn sie umfasst die
ganze Darstellungsweise der Urschrift; die einzelnen Gedanken
müssen in gleicher Stärke Aviederersch einen, damit derselbe
Nachdruck oder dieselbe leidenschaftliche Bewegung das Ge-
müth der Lesers mit gleicher Macht erfasse und aufrege. Der
Strom der Rede darf im Periodenbaue nicht unterbrochen und
geliemmt werden. Gleicher Wohllaut in der Wortverbindung,
gleiche Wohlbewegung (sie!) in den Sätzen, in sofern es mü-
der Genius beider Sprachen erlaubt, muss mit gleicher Anmuth
dem Ohre des Lesers schmeicheln." — Noch hätten wir ge-
wünscht, der Verfasser möchte auf A.W. von Schlegels
Aeusserung in der Indischen Bibliotliek genauere Rücksicht ge-
nommen, und Wil heim von Humboldts Üebersetzung des
Aeschylischen Agamemnon als Vorbild aufgeführt haben. Ein
kräftiges Wort über diesen Gegenstand hat auch einer der aus-
gezeichnetsten Uebersetzer aus der neuesten Zeit, W. E. We-
ber zu Frankfurt a. M. , in der Vorrede zu den elegischen
Dichtern der Hellenen S. XIII f. ausgesprochen: „Zweierlei
bestimmt zunächst den Beruf zum Uebersetzer der Alten. Ein-
mal, dass man entweder überhaupt nicht ein grösseres Maass
Menge: Vorgeschichte von Rhoduß. 67
eigener Scliöpfungskraft zu seinem Schriftsteller hinznbringe,
oder die Ueberfiille in so weit zu bändigen wisse, als genügt,
um einer geistig treuen Wiedergabe mächtig zu seyn; zweitens
aber , dass man den Sinn für Form und die Gabe der Form in
demjenigen Grade besitze, nach welchem ein übersetztes Werk
zugleich ein antikes bleibt, und doch dem Deutschen Leser
auf die ansprechendste Weise zugänglich wird. Mit Einem
Worte, dass jenes zarte aber sichere Band zwischen Geist und
Form, welches durch dieAVerke des Alterthums gezogen ist,
von der übersetzenden Hand nicht zerschnitten werde und
entweder das gediegene Gold alterthümlicher Ideen aus dem ro-
hen Gestein einer sorglosen, unschönen Darstellung wie verlo-
ren hervorschimmere, oder, was noch unerfreulicher, das edle
Metall zu unbehülflichcm seelenlosen Schnitzwerke verarbeitet,
statt des Eindruckes einer Phidiassischen Pallas den einer Nürn-
berger Gliederpuppe hervorrufe." — Des JNachlesens werth ist
auch, was ebenderselbe ganz kürzlich im Januar- undFebruar-
heftc der Berliner Jahrbücher für wiss. Kritik bei Veranlassung
der llecension der Üebersetzung des Sophokles von Thudichura
gelehrt hat.
H) A A C H E N.
Vorgeschichte von lihodos bis zur herakliäisch"
dorischen Siedehmg. Von Dr. 3%. Menge. Cöln bei
Du Mont- Schauberg. 4. IV u. 12 S. ii. S. 13 — 22: Schulnachr.
In dem Vorworte werden die bisherigen Leistungen in der
philologisch - historischen Behandlung Hellenischer Inselge-
schichte, hauptsächlich durch Boeckh angeregt, rühmend
erwähnt, C. 0. 31 ü 1 1 c r s Aeginetica und H o e c k s Kreta. Un-
gern vermissen wir die Anführung von Plehns ebenso gründ-
licher als inhaltreicher Schrift über Lesbos (Berlin ]82{». 8.).
Eine Compilation von lihodos hatte schon Meursius zusam-
mengeschrieben, und die neueste Behandlung von Kost hat
nur eine Sehnsucht nach dem Bessern erweckt, „Gelungener
ist vonPaulsen der Handel und die Verfassung behandelt:
aber doch der Wichtigkeit des Gegenstandes, dem Cicero in
seiner neu aufgefundenen Republik besondere Aufmerksamkeit
zuwendete, nicht völlig angemessen. Das Ganze, die Geschichte,
die Verfassung und den Handel von Rhodos gedenkt der Ver-
fasser künftig in einer ausführlichen Schrift zu behandeln: „Man-
ches ist gesammelt, aber zur Fortsetzung und Vollendung der
Arbeit bedarf es grösserer Hülfsmittel, als mir gegenwärtig zu
Gebote standen."
§ 1. Telchi7ien und Ileliaden. Nach Diodoros V, 55 be-
wohnten in ältester Zeit die Teichinen, Söhne dea Meeres,
die Insel Rhodos. Die Hellenen verbanden mit diesem Namen
die Erinnerung gewisser, aus uralter Zeit überkommener Er-
68 Programme.
findiingen und Kunstfertigkeiten, woraus erhellet, dass man
sie für keinen bestimmten Volksstamm hielt. Sie treten mit
übermenschlichen Kräften sowohl in geistiger als in physischer
Hinsicht auf, so dass man sie, wie in Hellas überhaupt die
Herakliden, für Widersacher des Pelasgischen Wesens halten
möchte. Daher muss die Ableitung des Namens Tslylvsg einen
allgemeinen Charakter haben. Sie kommen auch vor auf Ky-
pros, Kreta und in Sikyon im Peloponnes; auf Rhodos aber
sollen sie geboren sein. Diodovos I.e. sagt von ihnen: reveö^at,
Si'avTOvgaaltsxvävrivcDv EVQsräg^ xal alXa xav dg tov ßlov
^QT^öincov £lg7]yr]aa6d'aL Tolg dv&QcoTiOig, dyccluard te Qecöv
TtQÖitOL xaraöxEvdöat kiyovrai aaC xiva tav ccQxalcov aqctöpu-
^dtav dit tXBiVCJV eTicovo^idö&at %. x. A. — Nach dem Be-
richte desselben Geschichtschreibers (V, 5ß. cf. Strab. XIV,
9(K).) waren nach den Teichinen die Ileliaden Bewohner von
Rhodos. ,,Es sollen zwar die Teichinen , eine nahe verderbli-
che Wasserfluth vorahnend, die Insel verlassen und nach ver-
schiedenen Gegenden sich zerstreut haben (Diod. I. c.) , doch
der Connex zwischen Teichinen und Ileliaden ist unstreitbar.
Die Sage suchte nur für den stillen und langsamen Uebergang
vom ersten feindseligen Erscheinen der seeräuberischen Fremd-
linge, und einer strengen Herrschaft über die Urbewohner der
Insel zur Verschmelzung mit diesen, und zur allgemeinen Ver-
breitung edler Gesittung unter dem Schutze der Götter einen
zusammengedrängten Moment, und knüpfte diesen Durchgangs-
punkt an die Erscheinung einer verheerenden Wasserfluth.''' —
Diodoros selbst leitet die Ileliaden von "/fAtog ab, was haupt-
säclilich auf den Sonnen- oder Apollon- Cultus zu beziehen ist.
Sowie sie sowohl unter sich, als auch unter den Ureinwohnern
in ijjrer Ausbildung fortscluitten , knüpfte sich auch das Band
der Gesellschaft fester, und Hr. 31. glaubt aus folgender Stelle
des Diodor. V, 57 auf die Gemeinschaft des ins connubii schlie-
ssen zu dürfen : 6 TiQiGi^vxBQog "Oyji^og ßaGLlsvcov tyrjus [itav
xcov lyxcoQLOJv vv^q)äv 'Hyr^roQiav. cf. IlüUmanns Anfänge
der Griech. Gesch. S. T.
§ 2. Die Phöniker. Schon in sehr früher Zeit beschiff-
ten die Phöniker das 3littelmeer. Um 1519 v. Ch. kam Kad-
mos nach Europa, welcher Name natürlich in collectivem Sinne
zu fassen ist. Ausser den hier angeführten Schriften (Voss.
Etym. v. Cadmea. Hüllmann Anfänge der Gr. Gesch. S. 34.)
wäre noch hinzuweisen auf Weicker über eine Kretische
Kolonie ^ViT/^eÄe/^ (Bonn 1824.) S. 22 ff., 42 f. Ueberhaupt wVirde
der Verf. aus dieser Schrift noch mancherlei gelernt haben,
was ihm ohne dieselbe entgehen rausste. Weil einige alte
Schriftsteller (Herodot. II, 49; IV, 147; V, 58) Phönikien,
namentlich die Stadt Tyros (Arrian. Exped. Alex, II, 16), andre
dagegen (Diodor. I, 40) Aegypten, namentlich Theben (Eu-
Menge: Vcrg;cä(;lutlite von Rhodus. 69
seb. Cliron. Lat. p. 15, 70) tlas Vaterland des Kadmos nennen,
so glaubt Hr. M. diesen W iderstreit so auszui^leichen, dass die
durch den Namen Kadmos bezeiclinete Kolonie grössten Theils
Phöniker enthalten habe, mit denen Aegypter verbunden wa-
ren. Dass aber der Name Kadfiog selbst kein ausländischer,
sondern ein echt Griecbischer ist, liat Weicker mit überzeu-
gender Gewissheit dargethan; und wie es mit derPhönikischen
Colonie in Theben aussieht, dariiber vergleiche S. 57 iF. — Aus Dio-
doros V, 58 geht klar hervor, dass die Phöniker nicht der
Herrschaft wegen, sondern um Rhodos zu einem lümporäum zu
erheben , daselbst sich niedergelassen haben.
§ 3. Die Karer ^ als Bewohner der Insel Rhodos. Ueber
die grosse Seemacht der Karer ist die berühmteste Stelle in
dem Proömion des Thucydides. cf. Herodot. I, 171. Diodor.
V, 84. „Dass aber kein Schriftsteller ausser Konon die Be-
sitzergreifung der Insel Rhodos , deren Nähe und Fruchtbar-
keit doch gewiss lockte, von. jenen, die dem hellenischen
Meere ihren Namen liehen, erwähnt, scheint mit Recht merk-
würdig. Diodor, in rhodisc'her Urgeschitjhte sonst die frucht-
barste Quelle, erwähnt: Phorbas, Sobn Triops, habe Hellenen
nach Rhodos geführt (IV, 58); aber in ^ Widerspruch mit sich
selbst behauptet er später (V, 58), P.borbas selbst habe,
nacbdera er sein Vaterland Thessalien i verlassen, dort sich
gesiedelt; und zuletzt vermehrt er die Seh wierigkeiten (I, 61)
durch die Behauptung, dass viele Geschieh tschreiber und Dich-
ter über das Geschlecht des Triops uneinig ^ seien. In der An-
nahme, dass unter der Kolonie des Phorba: ?, oder Triop^, Xa-
rer, deren Macht zu dieser Zeit gefürchtet, und die mit sechs
Völkern Griechenlands durch Am3)hiktiont in- Bündniss verbun-
den waren (Müller. Aeginet. p. 83), zu vei -stehen seien, ist je-
ner Anstoss gehoben und Konons sonst ver einzelte Angabe er-
hält ihr Licht.'^ Conon. narrat. 47: ^OLvbtG>v d' SKTtsöovrav,
Kägsg töxov [Poäov], örs vmI rag ctXlag v7jöovg rccg 7r.^Ql rd
MyalüV wK)](3m>. Nacbmals ward Minos von Kreta Beherr-
scher der Inseln und der See.
§ 4- Z/f^ der Dorier und Her aUiden muck Bhodos. CO.
Müller (Aeginet. p.41 sq. cf. Dorier I p. 56, 103, 420.) hat
den Zug des Tiepolemos nach Rhodos in vortiroischer Zeit mit
triftigen Gründen bestritten , und seiner Kritik müsste die Pal-
me aufgesetzt werden, wenn es sich um ein rein historisches
Factum handelte. Hr.M. erM ledert mit Recht, dass der Nie-
derlassung des Tiepolemos auf der Insel kein innerer Grund
der Unwahrsclieinlichkeit entgegentrete. Ob übrigens dieser
Heraklide Dorier aus dem Peloponnes, oder aus einer andern
Gegend von Hellas mit sich geführt habe, sei für das Fa-
ctum selbst von keiner erheblichen Wichtigkeit. „Als aber nach
der Rückkehr der mit den Dorieru verbundenen Heraklideu
TfO Programme.
in den Peloponnes Althämenes eine zweite viel berühmtere und
zahlreichere Dorische Colonie nach Rhodos führte , und die
Herrscliaft dieser Insel g;ewann, wuchs ohne Zweifel jene frü-
here von geringerm Umfange mit dieser zusammen, und von
nun floss auch die Geschichte beider vielfach in einander." —
„Tlepolemos — ward zum König der ganzen Insel gewählt,
und regierte mit der grössten Uilligkeit und Gerechtigkeit.
Als er endlich sich znm Zuge gegen Troja rüstete, übergab
er die Regierung deraHutas, welcher mit ihm von Argos ge-
flohn war. Er selbst zeichnete sich im Kampfe vor Troja
aus, ward aber von Sarpedon getödtet. Diellhodier feierten
in dankbarer und ehrender Erinnerung Spiele, die seinen Na-
men führten." S. üiodor. IV, 58; V, 59; Homer II. /3', 65S
sq.; £, ()55 sqq.; Piudar. Olymp. VII, 20 sq.; Pausan. II, 22,
8; III, 3t>, lü. Bald nach der Rückkehr der Ileraklidea in
den Pelopoimes schili'te Althämenes über Kreta nach Rhodos,
und gewann gleichsam nach angestammtem Erbrecht die Herr-
schaft über die Insel.
§ 5. Lindas. lalysus^ Äamirus. Diese waren die drei
alten Städte der Insel. Lindos nahm die erste Stelle ein, be-
rühmt als Vaterstalt des Kleobulos. Auf der westlichen Seite
lag Kameiros (beiStrabon XIV p.655 stimmen alle Handschrif-
ten in der Schreib«ng Kä^BiQog überein, weshalb die Conje-
ctur desMeursius ad Macrob. I, 17 Kd^igog hier wenigstens
unhaltbar ist. Jectoch hätte die Sache genauer untersucht wer-
den sollen, da bei Thucyd. VIII, 44 und anderwärts die Les-
arten variiren.), welche am wenigsten berühmt gewesen zu
eein scheint; na^h Thucyd. VIII, 44 war sie unbefestigt:
drsixiötov ov6rjg i^g TtolBcog. Auf der Nordseite lag lalysos.
Der Schoiiast ad ^ionys. V , 505 will das Wort o^vtovag ge-
schrieben wissen. Strabon, Diodoros und Athenäos schreiben
'JttAvödg, die übr%en Schriftsteller fast alle nach Homerischer
Weise 'Jrjkvöög oder 'Irjlvööög. cf. Wass. ad Thucyd. I. c.
„Dass es Sitte den Alterthums gewesen sei, zuerst höhere Oerter
zur Bewohnung und Befestigung auszuwählen, ist bekannt (Ci-
cero de repub. Jp.22; II p.43, cd. Heinrich ) ; deswegen sind
zuweilen die Burgen schlechthin Altstadt genannt, so dass auch
die Burg von lalysus, vonStrabo 6%vQ(0^a genannt, die alte
Stadt scheint gewesen zu seyn. Die um die Burg allmählig er-
baute lalysus ist nach und nach mit der Altstadt zusammenge-
wachsen."
Die in diesem Programm gegebene Probe einer vollständi-
gen Monographie von Rhodos hat in uns grosse Lust zu dem
Ganzen erweckt , wozu wir dem Verfasser Kraft und Müsse von
Hersen wünschen.
Mit Vergnügen haben wir unter den Verfügungen des Königl.
Provinzial ' Schul -Collegiuras zu Coblenz auch eine vom 18
Hopfensack : Grundäätzc des historischen Unterrichts. 71
Februar 1827 bemerkt, noria die Form eines über dicGymna-
sial-Bibliothckcii auzurorti^euilen Katalogs vorgescbrieben wird.
Möchte diese Vorscliril't auch in aiulcrii Provinze» des König-
reichs uacligeahmt werden! Es versteht sich übrigens von
selbst, dass hier von einem wissenschaltlichen (Real-) Katalog
die llede ist , und nicht von einem so genannten Journal , das
als Beleg für die Gymnasial -Casse geführt werden muss. Vergl.
Jahrbücher 1S2C Bd. II S. 180 f. Auch wird in der Chronik
der Ajistalt die Ausscheidung des Directors Rigler (gegen-
wärtig in Clcve) um so mehr bedauert, als seine CoUegen in
der schönsten Harmonie an der Vervollkommnung des Gymna-
siums mit ihm arbeiteten. Der bisherige Ilülfslehrer Franz
Oebeke ist zum ordentlichen Lehrer ernannt worden,
8) Duisburg.
Grundsätze des his torischen Unterrichtes auf
Gymnasien. Von Ilopfensavk, Düsseldorf, Lei Schreiner. 8,
39 S. nehst 'H S. Schuluachr.
I) Vo7n Zweck und Umfange des historischen Gymnasial-
Unterrichtes. Der unermesslich weite Umfang des historischen
Studiums mit allen seineu unbedingt nothwendigen Hülfswis-
seuschafteu (Chronologie, Geographie, Staatenkunde u. s. w.)
darf zwar von dem Geschichtsforscher nie aus dem Auge ge-
lassen werden, aber in den engen Kreis des Gymnasial- Unter-
richtes lässt er sich unmöglicii einschliesseu. „Das Gymna-
sium, sagt der Verfasser S. 7, soll ein verbindendes Mittel-
glied zwischen dem triviellen und dem academischen Unter-
terrichte sein; aber es hat auch noch einen nicht zu verken-
nenden sehr wichtigen Nebenzweck : es soll überhaupt auf eine
harmonische Ausbildung des jugendlichen Geistes in dem Fach
der allgemeinen Wissenschaften v/iiken, umso auch denjenigen,
welcher sich nicht zum Gelehrten bestimmt hat , vorzuberei-
ten, und seiner Bildung eine feste und gründliche Richtung
zu geben, welche wohlthätig auf ihn in allen folgenden Ver-
hältnissen wirke,"^ Hiergegen finden wir erstlich einzuwen-
den , dass der Ausdruck Irivieller oder besser trivialer statt
Elementar - Unterricht sehr übel gewählt ist; denn wer möchte
die Grundlage alles Wissens etwas Triviales nennen'? Sodami
verwirrt Ilr. II. dieBegrilfe, wenn er von solchen Knaben oder
Jünglingen spricht, die ein Gymnasium besuchen, ohne sich
gerade zu Gelehrten bestimmt zu haben, und in einer Note
darunter solche Subjecte versteht, die eigentlich in höhere
Bürgerschulengehören und keine Universitäts- Studien machen.
Wer sind denn also diese Gelehrten., die hier gemeint sein
sollen? Etwa alle, die eine Universität besuchen*? Nun da
würde ein schöner Gelehrtenstand herauskommen. Um uns
72 Programme.
kurz zu fassen , der Verfasser bat die eigentliche Bestimmung
der Gymnasien ganz verkannt, und scheint in gewisser Hin-
sicht geneigt zu seyn, sie mit ins Nützlichkeits- System hin-
einzuziehen. Man kann freilich nicht wissen, ob irgend ein
Subject für liöhere Studien, wie die akademischen sind, beru-
fen sei; aber dadurcli, dass die Grenzen des Gymnasial -Un-
terriclites nicht immer streng genug abgesteckt sind und inner-
halb derselben mitunter auch den Mitzlichkeilskräraern ein
Plätzchen vergönnt wird , dadurch wird mancher böse Saame
ausgestreut, der das ideale, in sich selbst abgeschlossene Leben,
wie es sich in der Seele eines jugendlich unverdorbenen Ge-
müths entfalten soll, nur zu oft vergiftet und schmählich
entweiht. Unsre Gymnasien müssen ilirem Zweck als Vorbe-
reitungsschulen für die akademischen Studien entweder voll-
ständig genügen und diesen Gesichtspunct einzig und allein im
Auge behalten, oder sie zerfallen zuletzt in sich selber. Die
Vorbereitung in der Geschichte will der Verf. so eingerichtet
wissen , dass der Studirende auf der Universität im Stande sei,
mit klarem liewusstsein das ganze Gebiet der Geschichte zu
übersehen, und jede wichtige, ein allgemeines Interesse in An-
spruch nehmende Begebenheit richtig nach ihrem Ursprünge
und ihren Folgen zu würdigen. Ob das überhaupt bei einem
Jünglinge bis ins 18 oder 19 Jahr erreicht werden hönne, mag
die Erfahrung lehren, wobei wohl zu unterscheiden ist, was
reines Gedächtnisswerk, was aus einem klaren und richtigen
Blick hervorgegangen. Diesen Einwurf liat Hr. H. selbst ge-
fühlt, und bemerkt dagegen: „Fordern wir mit Recht eine
gründlicheKenntniss der alten Sprachen und der Mathematik, so
begreife ich nicht, wie man die von mir für die Geschichte auf-
gestellte Forderung zu weit ausgedehnt finden kann , da nur
durch ihre Erfüllung die Harmonie der verschiedenen Lehrge-
genstände herbeigeführt wird." Der Verf. mengt hier wieder
verschiedenartige Begriffe durcheinander, Gründlichkeit und
Ausdehnung ; denn wenn wir gründliches Sprachstudium for-
dern, so geht natürlich dieselbe Anforderung an das Geschichts-
studium: ob dieses aber in dem Umfange, wie ihn der Verf.
angiebt, in der That gründlich getrieben werden kann, müssen
wir sehr bezweifeln. Wollte man sich einfallen lassen, aus un-
sern Gymnasien die meisten, wenigstens alle berühmten Grie-
chischen und Lateinischen Schriftsteller mit den Schülern zu
lesen, so müsste die Gründlichkeit zu Grabe getragen werden.
An diesen Maassstab hätte Hr. H. seinen Vergleich anlegen
müssen, wenn er den Gesetzen der Logik gemäss hätte verfah-
ren wollen. Bezwecken wir ein im strengen Sinne des Wortes
gründliches Studium der alten Geschichte, dann erreichen wir
schon ausserordentlich Vieles: wie sich aber ein solches mit
dem Studium der Sprachen selbst recht gut vereinigen lasse, hat
Hopfensack : Grundaätzo des historischen Uuterrichta. 73
Thiersch gezeigt in seiner Sclirift über die Gelehrten -Schu-
len in Baiern. Aus dem weiten Kreise der historischen Ilülfs-
wissenschaften zieht der Verf. Geograpliie , Chronologie und
Archäologie mit in den Gymnasial - Unterricht. Die durch
Heyne allgemein §äng und gebe gewordene Bedeutung des
Wortes ^Archäologie beschränkt dasselbe auf die alte Kunst;
Hr. H. aber verwechselt es mit dem allgemein angenommenen
Ausdruck -r^//<?/*^Aw;/jer, indem er S. 13 sagt, dass der Lehrer
auf Gymnasien am besten thun werde , wenn er bei der Ge-
schichte der Griechen und Römer das NöthigeViber den bürger-
lichen und religiösen Zustand dieser Völker anführe, und
dann bei dem Lesen der Alten das zum Verständnisse der
vorkommenden Stellen aus der Alterthumskunde Erforderliche
hinzufüge.
II. Methode des historischen Unterrichtes. Als Grund-
lage zu dem historischen Unterricht lässt der Verf. den geogra-
phischen vorausgehen, um in der Seele des Knaben die ersten
Begriffe von der Beschaffenheit der Erde in physischer, niathe-
raatischer und politischer Hinsicht zu erwecken. Wenn der
Lehrer in dem ersten historischen Cursus dem Schüler einen
Begriff von Zeitrechnung und Perioden beigebracht hat, soll
er ihm nach des Verf. Ansicht die Ilauptepochen mit der dazu
gehörigen Chronologie sorgfältig einprägen. Uns erscheint
dieses Verfahren ganz verkehrt, wie überhaupt jedes gedan-
kenlose Einprägen von allgemeinen apriorischen Begriffen: al-
les , was in der Seele eines Knaben feste Wurzel fassen soll,
rauss ihm a posteriori beigebracht werden, und nur nach einer
auf diese Art gelegten Grundlage lassen sich erst Begriffe a
priori entwickeln. Darum sei der erste Cursus in der Ge-
schichte rein biographisch , und zwar so , dass das beugsame
jugendliche Gemüth durch Darstellung der seiner Fassungs-
kraft angemessenen Handlungen eines Individuums aufgeregt
und überhaupt die Liebe für das geschichtliche Studium erst
geweckt werde. In dieser Beziehung hat uns ein Programm
des Directors Imanuel zu Minden: Bemerkungen über den
historischen Unterricht auf Schulen (1827. 4.) besser gefallen,
aus dem wir die hierher gehörige Stelle mitzutheilen uns ge-
drungen fühlen, S. 11: „Fragt es sich nun, wie dieser Un-
terricht zu ertheilen sei, so wird es bei aufmerksamer Betrach-
tung bald klar werden, dass es ein Irrthum ist, wenn mau
wähnt, man müsse von dem Allgemeinsten auf der unteren
Stufe ausgehn, und das ganze Feld der Geschichte dort in eine
Uebersicht bringen, die man erst später ins Einzelne ausfüllen
und ausmahlen könne. Denn zuerst ist dieser Weg der am we-
nigsten der Natur gemässe; die, wie wir sehen, das Kind im-
mer von der Anschauung und Erkenntniss des Einzelnen aus-
gehn , und so zur Uebersicht der Allgemeinheit und des Ganzen
74 Programme.
fortschreiten lässt; zweitens aber möchten die oben angegebe-
nen Zwecke des historischen Unterrichts auf der untersten
Bildungsstufe auf diesem Wege niclit zu erreichen sein. Denn
was ist es, was des Kindes Phantasie und Gemütli weckt und
anregt *? die Begriffe etwa des weiten Raums oder der langen,
fernen Zeit? sie sind ihm unfassbar und unbegreiflich, wie sie
die Seele des reiferen Menschen ja nie in der Phantasie, son-
dern nur durch Berechnung und Vergleichung im Verstände er-
fassen kann. Eben so wenig wird der Zusammenhang von Be-
gebenheiten durch Ursache und Wirkung, der Zusammenhang
der Erscheinungen, eben so wenig der Begriff von Volk und
Staat dem Knaben interessant sein können, da er durchaus ohne
irgend eine lebendige, ihn fesselnde Anschauung davon blei-
ben muss." — Ferner S. 12: „Und so wäre der Gang dieses
Unterrichts auf der untersten Stufe der, dass man als eine
Vorbereitung dazu die Mittlieilung der ältesten, demMährchea
am nächsten kommenden Völkersagen annehme, in ihrem er-
sten kindlichen Geist und Gewände, alsdann aber die Ge-
schichte der Völker durch die Lebensbeschreibungen ihrer
ausgezeichnetesten Männer hindurch verfolgte, sie so chrono-
logisch ordnend, dass man dem Knaben, ohne dass er die
Schwierigkeit fühlt , eine hinlängliche Anzahl von Namen und
Zahlen für sein Gedächtniss, für künftige Zeit mit auf den
Weg gäbe. Kenntniss des Schauplatzes der Begebenheiten, der
Sitten, Gebräuche, und andrer interessanten Züge aus dem
Leben der 3Ienschen und Völker würden damit verbunden,
und allmählig dem Knaben eine Ahndung geben, dass neben
der Einzelnheit auch das Weitere und Allgemeinere intertjssant
sein könne; doch müsste die Auswahl darin sehr verständig
geschehn." — Nur auf diese Weise lässt sich unsrer Ueber-
zeuguug nach das Avahre Heil von dem historischen Unterricht
erwarten. Was ferner von Ilrn. Ilopfensack über diesen Un-
terrichtszweig in den mittleren und höheren Bildungsstufen ge-
sagt wird, ist im Ganzen genommen zu flach und oberflächlich
geiasst, als dass wir unsre Leser weiter damit behelligen
möchten.
In den Schulnachrichten wird einer Verfügung desKönigl.
Prov. -Schulcollegiums über den Religionsunterricht gedacht,
und dabei hat derDirector folgende höchst merkwürdige Worte
aus einer Cabinets- Ordre des Königs von Preussen (Berlin 12.
Jan. 1T98) ins Gedächtniss zurückgerufen: „Ich selbst ehre
die Religion, folge gern ihren beglückenden Vorstellungen, und
möchte um vieles nicht über ein Volk herrschen, welches keine
Religion hätte. Aber Ich weiss auch , dass sie die Sache des
Herzens , des Gefühls und der eignen Ueberzeugung seyn und
bleiben muss, und nicht durch methodischen Zwang zu einem
gedaukeülosenPlappcrwerk herabgewürdigt werden darf, wenn
Durst: lieber die Methode des naturlüätoriächen Unterrichts. 75
sie Tugend und Reclitschaffenlieit befördern soll." — Dieses
Ziel, gewiss das höchste, das sich der lleligionslehrer stellen
kann, wird aber in Gelehrten -Schulen weder durch Katechis-
men, noch durch LehrbVicher, wie etwa das IN iemey ersehe
beschaHcn ist, je vollständig erreicht werden: dem nach höhe-
rer Ausbildung aufstrebenden JVingiing muss das Wort Gottes
in seiner reinsten Originalität, der Kern, und nicht die Schaale,
vorgelegt und erklärt werden. Vergleiche, was wir hierüber
gesagt haben Jahrb. 1826 ßd. II S. 171.
9) DÜSSELDORF.
lieber die Methode des natur historischen Unter-
richts tmd den Nutzen desselben im Allge-
meinen. Von Dr. JB. A, Durst. Düsseldorf, hei Däuzer.
4. 10 S. und S. 11 — 23: Schulnachrichten.
Die Wichtigkeit des hier behandelten Gegenstandes wird
kein Verniinftiger bestreiten, wenn er nur mit der erforderli-
chen Einsicht gehandhabt wird. Der Verfasser dieser Schrift
scheint von seinem Berufe als Lehrer der INaturgeschichte tief
durchdrungen zu sein und sich im Allgemeinen den richtigen
Standpunct gewählt zu haben. Nach der auf den Königl. Preu-
ssischen Gymnasien eingeführten Anordnung wird dieser Un-
terricht in den drei untersten Classen ertheilt. Der Lehrer
beginnt in Sexta mit einer allgemeinen Einleitung in das Ge-
sammtgebiet der Naturgeschichte (sollte diese wohl nicht bes-
ser noch verspaart werden*?) und an diese schliesst sich die
Lehre von den Säugethieren , als den vollkommensten Erschei-
nungen in der tliierischen Schöpfung. „Der Typus thierischer
Gestaltungen ist für dieses Jugendalter am ansprechendsten,
und enthält auch den grösstcn Keichthum des Geschichtlichen
im strengen Sinne des Wortes. Das Anschauliche spricht sich
hier in starken, ja oft grossartigen Bildungen aus; der jugend-
liche an feinere und zartere Formen noch nicht gewöhnte Sinn
kann sich hier leichter als in andern Classen die in der Einlei-
tung aufgestellten Grundsätze versinnlichen , und ist der Schü-
ler einmal für die Einsicht in die Ilauptregeln der grossen Na-
tur-Grammatik gewonnen, so machen solche ihn begierig,
auch die untergeordneten Organisationen kennen zu lernen, an
denen gleichsam abstractere Thcile der Thierwelt erklärt wer-
den.'' In Quinta beginnt der Unterricht mit dem Urthiere
(Protozoa), woran sich die Eingeweidewürmer (Enthelmintha),
liiegelwürmer (Annularia) und Strahlenthiere (Iladiaria) an-
schliessen. Sodann folgen die Insekten, Mollusken, Fische
und Vögel. In Quarta Avird der Anfang gemacht mit der Mi-
neralogie , als der geheimnissvollen Lehre von dem Krystallisa-
tiousvermögen unsers Erdkörpers, und alsdann zur Botanik
70 Programme.
fortgeschritten. „Sie ist die Wissenschaft von einer gleichsam
Tegetabilischen Krystallisation, und es lassen sich in ihr ana-
loge geometrische, ja sogar arithmetische Bildungsverhältnisse
nachweisen. Das Leben spricht sich an den Pflanzen zwar stil-
ler als in der Thierwelt aus , nämlich in der geringsten Potenz ;
je tiefer man aber in die Entzifferung dieser Naturhieroglyphen
eindringt , desto ehrfurchtsvoller lernt man auch hier den gro-
ssen Gott einer erhabenen Naturordnung erkennen." — - In letz-
ter Zeit ist durch den naturhistorischen Atlas von Goldfuss ei-
nem dringenden Bedürfniss abgeholfen, und derselbe durch die
Fürsorge der höchsten Staatsbehörde an alle Gymnasien ver-
breitet worden. Naturheschreibtmg heisst diese Wissenschaft,
insofern sie das in der Anschauung Gegebene an organischen
oder mineralischen Naturkörpern beschreibt; Naturgeschichte^
insofern das Naturproduct nicht nur eine Entstehung und Ent-
wickelung in der Zeit voraussetzt, sondern weil sie es nicht
wohl umgehen kann, in ihre Beschreibungen Naturhistorisches
im strengen Sinne des Wortes, also Geschehenes in Verbindung
mit Thierhandlungen aufzunehmen. Philosophische Naturlelire
muss zwar zunächst vom Gymnasialkreise ausgeschlossen blei-
ben; aber soviel als möglich davon die Schüler fühlen zu las-
sen , wird kein Lehrer versäumen, dem es auch um die sittliche
und religiöse Veredlung der Jugend zu thun ist ; denn während
•wir in der Geschichte den Gott der moralischen Weitordnung
kennen lernen , offenbart sich uns in der Geschichte der gro-
ssen Naturwelt derselbe Gott in einer bewunderungswürdigen
Naturordnung, in einer über alles weisen Gesetzmässigkeit und
als das Ideal einer ewigen Liebe. Nützlich ist die Naturge-
schichte auch in der Beziehung, als dadurch der Beobach-
tungssinn, ein richtiger Blick bedeutend geübt wird; und durch
genauere Kenntniss des Organismus sowohl andrer Thiere als
seines eignen Körpers wird der Knabe zu einer desto grössern
Schoimng dieses wundervollen Organismus geleitet. Der Ver-
fasser schliesst mit Friedrich Richters Worten in der Le-
vana: ,,Das Kind lerne alles thierische Leben heilig halten,
denn Grausamkeit ^egen Thiere weissagt eine gegen die Men-
schen; es versündigt sich am Leben , indem es dasselbe aus-
einanderzieht wie ein Räderwerk. Oder soll das schlagende
Herz unter Borsten, Federn, Flügcldeckeu darum keines
seyn'J" —
10) Saarbrücken.
lieber die innigere Ver einigung der höhern Bür-
ger- und der Gelehrten - Schule in dem
Gymnasium. Von F. G.iSchwalb. Saarbrücken. 4. 28 S.
2y ~— 89: Schulnaclu'lchten.
Schwalbe : Heber Vereinig, d. höhern Bürger - u. Gelehrt. - Schule. 77
Es ist unverantwortlich, dass an diesem Gymnasium drei
Jahre hintereinander die Programme nur in Deutscher Sprache
abgefasst worden sind, obgleich die Königl. Ministerial- Verfü-
gung vom 23sten August 182-1: N. III ausdrücklicli vorschreibt:
„Die den Schuliiachrichten vorauszuschickende wissenschaftli-
che Abhandlung soll abwechselnd das eine Jahr in Lateinischer,
das andre in der Deutschen Sprache geschrieben werden."
Wird solclier Unfug von der vorgesetzten Provinzial- Behörde
niclit aufs strengste geahndet, nnd werden die erforderlichen
Maassregeln nicht dagegen ergriffen^ so soll er wenigstens vor
den Augen des grössern Publicums nicht verschwiegen bleiben.
Pünktliche und strenge Ausführung des Gesetzes, namentlich
da wo es der Ehre einer Anstalt gilt, muss dem gewissenhaf-
ten Schulmann stets die erste seiner Pflichten sein, oline wel-
che der Geist im Leben erschlalft, der den Lehrenden und dea
Lernenden gleichmässig durchdringen soll.
Das vorliegende Programm erstreckt sich mehr auf flache
und oft zu wenig begründete Räsonnements , als auf eine tie-
fere Erfassung des Gegenstandes selbst. Die drei untersten
Classen eines Gymnasiums stellt der Verf. den höheren Stadt-
schulen oder Progymnasien gleich, „welche zunächst das Ge-
meingut jedes gebildeten (sie!) Bürgers mittheilen durch Wei-
terbildung des Stoff's der Elementarschule , und Ilinzunahme
von neuem ; dadurch zugleich vorüben und Grund legen für das
Gymnasium, welcher wieder das Gemeingut Aq.x Höher gebilde-
ten (wie wird doch das schöne Wort gebildet so schmählich
gemissbraucht! ) und der sogenannten Gelehrtenstände mit-
theilt, indem es die Lehrstolfe des Progymnasiums weiter und
wissenschaftlicher aus- und umbildet, und neue hinzunimmt.'*
— Lieber Himmel, wie werden zuletzt unter solchen Händen
unsre Gymnasien noch zugeschnitten werden ! Es scheint, das
Niltzlichkeits- Evangelium^ Morüber Passowin der Einleitung
zu diesen Jahrbüchern 1826 S. 2 f. ein so kräftiges Wort ge-
sprochen hat, soll an den Marken von Frankreich, von woher
es zunächst ausgegangen war, allmählig wieder Eingang fin-
den. Der Hang dazu mag ziemlich sichtbar sein, Avie sich un-
ter andern aus der Vertheidigung dieser Ansicht vom Director
zu Duisburg, J. D. Schulze, (Schulnachrichten zum Progr.
von 1827 S. 1 f.) und aus dem dieser Ansicht mit Kraft gelei-
steten Widerstand durch den Director Birnbaum zu Cöln im
Programme von 1825 ergibt. Wir dürfen uns jedoch vollkom-
men beruhigen, weil das Königl. Ministerium die weise Mittel-
strasse zu halten und dem gesammten Unterrichtswesen eine
zweckmässige Gestalt zu geben sich stets angelegen sein lässt.
— Es wird in dieser Abhandlung noch Mancherlei über den
Deutscheti Sprachunterricht vorgebracht, worunter wir aber
nichts einer allgemeinem Mittheilung wertli fanden.
78 Programme.
11) C 0 B L E ]V z.
a) Sacra natalicla — Frlderici Guilelmi III — indlcit Fr. Nie.
Kleinius. Inest dis'putatio de Rigodulo ad Rhe-
num. 'pro'pe Confluentes Oppido e [immo ex] Jo.
Phil. Reiffenbergii Antiquitatibus Saynensibus excerpta et nunc
primum edita. Conflucntibus exe. Heriot. 4. 8 S.
b) Programm zur Herbst -Prüfung — herausgegeben von Dr. Fr.
KIc. Klein. Coblenz , Heriot. 4. 40 S. Inhalt: 1) Darstel-
lung einiger ivichtigen Lehrsätze aris dein
Gebiete der gesaminten Analysis von Fr. Leu-
zinger. 2) Schulnachrichten. 3) Eingeschaltet in diese letz-
teren, eine antiquarische Untersuchung über die in der
Bibliothek des Gynmasii befindliche Steinschrift von
ßoppard (Baudobriga), \ oii Joh. Aug. Khin.
Wir haben uns liier iiisonderlich mit a und 6, 3 zu be-
schäftigen, indem wir die mathematischen Programme der
vollständigen Uebersicht halber nur aufluhren , ihre nähere
Beurtheilung aber gern andern llecensenten überlassen wollen.
Die Alterthümer von Sayn sind durch Joh. Phil, von
Reiffenberg vom J. 1(581: an gesammelt und wahrscheinlich
nach dem J. 1708 überarbeitet. Der Stoff ist folgend ermaassen
vertheilt: 1) Saynae Origines, 2) Castelli Cunostein- Engers
primordia , 3) Reol sive Rigodulnm ad Rhenum , 4) Paroeciae
Heimbaceiisis ., quae est in confiiiiis Saynae, laudes et decora.
Hier ist Nr. 3 aus lleiffenbergs Handschrift selbst abgedruckt,
welche in der Bibliothek der Grafen von Boos-Waldcck be-
wahrt wird. Eine andre Handschrift befindet sich in der Bi-
bliothek des Matth. Jos. Grebel , die hier und da etwas voll-
ständiger ist, als die Reiffenbcrgische, und den gewöhnlichen
gleich kommt, aber mit grösserer Nachlässigkeit geschrieben ist.
Hr. von Stramberg zu Coblenz gedenkt den ganzen schriftli-
chen Nachlass Reiffenbergs herauszugeben. — In der von Hrn.
Rlein hier zuerst herausgegebenen Abhandlung wird zunächst
die bekannte Stelle des Tacitus Hist. IV, 71 hei-vorgehoben,
sodann die des Ammianus Marcellinus XVI, 6, bei welcher Hr.
Klein auf des Recensenten Conjectur und Erklärung in den
Jahrbb. 1826 Bd. 2 S. 166 f. verwiesen hat. Reiffenberg be-
merkt dazu : „Ubi ^ quod obitcr notare volui , per turrim mu-
nimentum intelligere Amraianum credo, quod castrura et arcem
hodie diciraus." Darauf werden Belegstellen aus dem alten
Testament angezogen, womit freilich hier nicht viel bewiesen
wird. Wichtiger ist folgende Aeusserung: „Et quisquis vetu-
stissimas illas Gerraaniae arces observabit, videbit turres totius
structurae fuisse principium , reliqua paulatim addita." — Fer-
ner glaubt R., wie auch andre, Tacitus und Ammianus handel-
ten von zwei verschiedenen Orten mit Namen Rigoduhim, weil
Cerialis von der Gegend um Coblenz aus nicht in Einem Tage
Rciffeiiberg : De Rig^odulo ad Rbenuiu oppido. 79
bis Trier liätte kommen können. „Et quis rci bellicae (heisst 03
weiterhin) peritus credet, Valentinum Trevironim ducem, stan-
tibus et apiid Bin^iiim et Mcdiomatricos legionibus Roraanis, ab
iirbe, quam perculsam et jam arma omittentem sua praesentia vix
confirniarat, tarn procul recedere et apud Coiifliientes locum na-
tura munitum voluisse quaerere*? ubi denique circa Confluentes
locum iikim, cui Taciti descriptio convcaiat, inveniemus*? —
Non dubitandum autem Rigodulum Taciti esse pagum illum,
qui, ut Browerus ait Ann. Trevir. Tom. I p. 157, ad ripam
Mosellae fluvii veteri etiamnum appellatione a Treviris abest
railia passuum quinque versus orienteni , quemque Lipsius Rigol
vocat, iios [«/. add. et] Jtieol et Reiil\\\\^o dicimus. — At Ri-
godulum Ammiani ci'/ca Confliientes quaerendum quonam alio
loco stetisse probabiiius , quam ubi ad Rhenum pari cum illo ad
Mosellara nomine, bis mille circiter infra Cuuostein- Engers
passibus, patrum adhuc memoria iiabitatus pagus Reol sive
Reid nunc in rudcribus et agris tantum , qui das Reulerfeldt
Tocantur, Rigoduli veteris memoriam retinet, cujus ultimara
paucis abhinc annis alio transportatam domura ipsi vidimus et
plurium allarum areae cellaeque subterraneae (quas inter una
cum certis quibusdam agris rae quoque dominum agnoscit)
etiamnum apparent." — Ohne uns in eine weitere Erörterung
der hier gegebenen Ei'klärung einzulassen, berufen wir uns
auf dasjenige, was wir früher in diesen Jahrbüchern ausge-
sprochen haben. Nacli Römischem Brauche, die Castelle auf
Anhöhen zu errichten , glaubt R. zu Reul oder Rigodulum,
als einem erhöheten Orte, ein solches Castellum zu finden,
und beruft sich auf Caesar B. G. VI, 29: praesidiumqtie
cohoitiuin duo5ecim pontis tuendi causa po7itt magiiisqiie eum
locum munitionibus firmat ; ei loco yraesidioque C Volcatium
Tullum adolescentem praefecit. Wie man überhaupt berech-
tigt sein dürfe, diese Worte auf Rigodulum zu beziehen,
hätte vor allen Dingen dargethan werden müssen. Nun aber
folge erst ein Specimen von ReifTeubergs Etymologie: „eas-
que demum raunitiones a praeside C. Volcatio TuUo regionem
Tulli primum, dein breviato vocabulo Ä/^orf//^?/m sive sermone
patrio das Righ Tulli per jocum, aut eo sensu quo das Greuen-
Reich etiamnum dicimus, vocasse übios." Mit solchen
Gründen erweist R. sein Rigodulum am Rhein; das an der
Mosel steht durch Caesars Bericht auf zu festen historischen
Pfeilern, als dass ähnliche etymologische Grillen gewagt wer-
den dürften. Daher sagt auch R. S. 6 f.: „Num \ er o Rigo-
dulum od Mosellam (quod similitudo nominum persuadet) ab
eodem TuUo nomen acceperit, uti ex nulla historia eruere,
ita affirmare non possum, contentusque ignotum hactenus
Rigoduhun ad Rhenum ostendisse de conditore et nomine 11-
lius ad Mosellara aliorura judicia expectabo."
80 Programme.
Die noch zu betrachtende AhhancUung über die Stein-
schrift von Boppard steht in dern Programm S. 80 — 36.
Bei dem Abbrechen einer uralten Micliaelis-Capelle zu ßop-
pard fand sich ein Stein mit einer für die Geschichte der
dortigen Gegend merkwürdigen Inschrift, den Hr. ßauinspe-
ctor de Lassaulz der Gymnasial- IJibliotliek zu Coblenz zum
Geschenk gemacht hat. Die Inschrift ist zuerst bekannt ge-
macht in Brewers Vater lätulischer Chronik der Konigl.
Mhein- Provinzen J. 1826 p. 10 S. 581 ff. „Dagegen (bemerkt
Ilr. Director Klein in einem Vorworte zu der Abhandlung)
hat Ilr. V. Haupt Irrthümer in der Abschrift oder Dentung
der Schriftzüge keineswegs vermieden, und die Erklärung
dessen, was er mittheilte, wie billig, den gegenwärtigen
Besitzern des Steines überlassen." Hr. Professor Job. Aug.
Klein, der sich nunmehr zum drittenmal in den Program-
men des Coblenzer Gymnasiums liören lässt, uud dadurch
sein reges Streben für Erforschung des vaterländischen Al-
terthums aufs bestimmteste beiirkundet, eröffnet seinen Auf-
satz mit folgenden sehr bemerkenswerthen Worten: „Noch
Vieles mag vorhanden seyn zwischen der Nahe und Mosel,
die Bemühungen des Forschers zu lohnen! Das im Laufe
von mehr als anderthalb Jabrtausenden gewiss bedeutend er-
höhte Flussbett des Rheines längs den Ufern hin, die Grund-
mauern der Tliürme, Unterlagen von Chorgewölben, die Pfei-
ler jener uralten Rheinischen Kirchen, die Substructionen be-
moster Ritterburgen enthalten sehr Avahrscheinlich noch man-
chen Denkstein aus Römischer Zeit^ deren Inschriften, von
oben oder unten durch andere Massen verdeckt, weil die
grösseren Flächen gewöhnlich aufliegen, freilich so leicht
nicht ins Auge fallen". Der Stein ist nur theilweise erhal-
ten, indem der obere Theil, welcher wahrscheinlich die
Eigennamen enthielt, abgeschlagen ist; seine Höhe beträgt
24| Zoll Preussisch, die Breite 27 1 die Dicke 10|. Die In-
schrift selbst ist in folgenden Zügen wiedergegeben;
PRTNCEPS. II LEG. XIIII
GEM. AN. LXIV. STIP.
XL VI. 31ILIT. XVI. CVRA
TORIA. VETERAN. IV.
EVOCATIVA HL
Nach Tacitus An. I, 37 stand die 14te Legion unter des
Germanicus Oberbefehl zugleich mit der 12ten, ISten und
16ten in Obergermanien, cf. I, 70; Hist. II, 68; Dio Cass.
H. R. LV, 23. Beide Heere, sowohl in Ober- als in Unter -
Germanien, standen in der Nähe des Rheines (Tacit. An. I, 31:
Duo aj)ud ripam Rheni exercitus erant ; cui nomen superiori^
sub C. Silio legato^ inferiorem A, Caecina curabat). Zu dem
Klein: lieber die Steinschrift von Boppard. 81
erstereii gehörte die auf der Inselirift erwähnte 14te Legion,
Hr. Klein folgert daraus, dass ßoppard (Baiidobriga, Bonte-
brice, Bodobrica, welcher Name f iir Celtiisch erklärt wird) als
Fundort des Monuments das Standquartier eines Theiies jener
Legion gewesen sein, der Ort selbst also in Ober -Germanien
gelegen haben müsse. Ist es aber gerade nothwendig, dass
an dein Orte, wo der Stein gefunden wurde, aucli die bezeich-
nete Römische Legion oder ein Tlieil derselben gestanden
habe*? Konnte er nicht ebenso gut anderswolier per varios ca-
sus nach Boppard gebracht worden seyn*? Wir müssen diese
Einwürfe machen, damit Ilr. Kl. nicht auf willkührliche Vor-
aussetzungen , die ebenso gut falsch als m ahr sein kön-
nen , zu viel Gewicht legt , oder gar Folgerungen daraus zieht,
die in Ermangelung eines festen Grundsteines alsdann in sich
selbst zerfallen würden. Diese allzu kühne Kritik, die augen-
blicklichen Einfällen nur zu schnell ein geneigtes Ohr leiht,
hatten wir schon früher einigemal Gelegenheit in diesen Jahr-
büchern zu rügen. Nach der berührten Voraiissetzung nun
will Hr. Kl. die Grenze von Ober- und Unter -Germanien an
die Mosel setzen. „Jener Moselgrenze, die beyde Landstriche
schied, nahe muss dann Baudobriga gesetzt werden, weil die
erst erwähnte Stelle (Tacit. An. I, 37) auf eine genaue Berüh-
rung mit den aufrührerischen Cohorten Mieder -Germaniens
deutet.'' So also (wohl gemerkt!) glaubt Hr. Kl. nach einer
baufälligen Kritik die Grenze beider Germanien aufgefunden
zu haben. S. 32 wendet er sich selbst ein: „Aber diese Lage,
wie stimmt sie mit Ptoleraäus, der seine Obriiiga (oder Obrin-
gus) als Grenze beyder Römischen Germanien , vierzehn Stun-
den aufwärts und jenseits Moguntiacum in den Rhein fliessen
lässt*?'' Diese Eintheilung fällt natürlich in eine weit spätere
Zeit(Trajans und der Antonine) und konnte daher recht gut von
der früheren verschieden sein. Lieber die Obringa ist viel ge-
stritten worden, ohne dass ein ganz befriedigendes Resultat
herausgekommen wäre. Hr. Kl. erklärt sich für den Main (er
schreibt unrichtig Mayti)^ jedoch nicht mit zureichenden Grün-
den, zu deren näherer Erörterung hier nicht der Ort ist. —
GEM. ist zu lesen Geniina ^ ein Beiname den auch andre Le-
gionen führten, in denen nach Dio Cassius (LY, 23) mehrere
durch Kriegsverlust geschwächte Legionen vereinigt waren.
Sonst kommt nur ein Princeps I bei einer Legion vor; Hr. Kl,
erklärt den Princeps II für einen riyi^fov tcov bvcovv^ov dv-
ÖQCöVf wie er von Polybios (Mil. Rom. VI, 24) geschildert
wird, „der in Abwesenheit jenes (6 /tev TtQcörog im Gegensatz
zu dem divtsgos) der rechten dem ganzen ersten Manipel der
ersten Cohorte [ivas fiir eine steife Wo?'tsteU/ing\] vorstand,
und wenn er zur höheren Stelle des Centurio primi pili stieg,
nach allgemein eingeführter Römischer Kriegsordnung (Veget.
Jabri.f.Fhil.u.Fädagog. Jahrg.lll. Heft 5. 6
82 Programme.
II, 21) den Vordermann ersetzte. Ein solcher war wohl derPrin-
ceps secundus legionis auf unserer Steinschrift.'' Ueber die Le-
gio IUI gem. vergl. noch Iscrizioni antiche Veliterne illustrate da
Clem. Cardinalt. Rom. ]823. 4. Ergänzungsblätter zur Ilal-
lischen Litt. Z. 1827 N. 87. — Die nächstfolgenden Worte der
Inschrift sind so zu erklären, dass der fragliche Princeps 64
Jahre alt war, 46 Jahre als Krieger und unter diesen 16 in ge-
wöhnlichem Felddieiiste gestanden hatte. — CÜRATORIA
VETERAJV. IV. Die hier bezeichneten Stipendia curatoria
müssen sich natiirlich auf ein militärisches Amt beziehen. In
Theodosiani Codicis gen. fragm. ed. Puggaeus (Bonnae 1825.)
stehen I, 6 die Worte: Primicerius ., adjiitor tiiae sedis ofßcii
per bienmim , quod in eode/n gradu ex consuetudine priscae
ordinationis emeruit.^ curam insuper personarutn., nsurpatiotie
omni alque ambitione cessante., siiscipiat. — „Der erste Amts-
gehülfe also des Piäfecteu sollte, nach diesem Rescripte,
zivey Jahre hindurch, so lange derselbe alter Anordnung ge-
mäss seine Stelle behielt, zugleich mit der rechtlichen Perso-
nen-Vertretung, worin Vibrigens auch diese bestanden haben
mag, als mit einem Ehrenamte, ohne irgend einen Einspruch,
beauftragt seyn. Von dem Geschäftskreise des Primicerius
sagt Pancirolli in seinen gelehrtenAnmerkungen zur Not itia
dignitatum Utr. I/np. unter andern: „Magistros militum, Le-
giones, Cohortes, Auxilia, Vcxillationes cum earum praefectis
et stipendiis notabat." Hierzu kam also noch die fragliche
cura zwey Jahre hindurch, oder bestand diese vielleicht eben
in dem Angeführten'? Auf dem Denksteine eines solchen Pri-
micerius würden demnach Stipendia curatoria II sich von selbst
erklären, sowie Stipendia curatoria Veteranorum IV auf dem
unsrigen , sobald wir annehmen , beym Heere habe der Pria-
ceps secundus Legionis vier Jahre hindurch das Nämliche hin-
sichtlich der Veteranen , in früherer Zeit wenigstens, besorgt,
was der Primicerius späterhin für die ganze Provinz übernom-
men: dem Princeps Primus Legionis aber sey vielleicht dieses
Amt für die übrige Legion zugetheilt gewesen." Wir geste-
hen , dass uns diese Erklärung noch keineswegs befriedigt hat,
dass wir aber vor der Hand auch nichts Besseres an die Stelle
zu setzen vermögen. — Die Adjectivform evocativus ist nach
Analogie von provocativus gebildet , und kommt sonstwo nicht
vor. Nun war es Sitte, dass die vollständig entlassenen Ve-
teranen bei ausserordentliclien Gelegenheiten nochmals zu den
Waffen gerufen wurden, cf. Caesar B. C. 91 p. 757; Vellej.
Fat. II, 36, 4; Sneton. Vesp. 1. Diese waren bei der Legion
besonders ausgezeichnet und hiessen evocati, dvccx^T^roL bei
Dio Cassius XLV, 12: ort TiBitaviiivoi rrjs örgateiag In
avT^v avd'LQ dvexlT^^Tjöav. „Die evocatio selbst geschah
durch evocatores, bei Aushebungen im Allgemeinen con-
Zirkel: Bchand. der Au%. über die Berühr. Paulssen: Sclmlredc. 83
quisitores genannt. Die in der Inschrift vorkommenden Stipen-
dia Evocativa III waren demnach dreymalige Kriegsdienste ei-
nes evocatus oder auch eines evocator. Verfasser möchte die-
selben der Wortform nach eher für letztere halten," —
12) Bon n.
Behandlung einiger Fälle der Aufgabe über die
Berührungen. Von P. J Zirkel. Bonn bei Neusser. 4.
22 Seiten nebst ZAvei Tafeln mit matbematisclien Figuren. 12 S.
Schuinncbriditen.
Diese Schrift hat der Verfasser hauptsächlich den Schü-
lern der oherii Classen des Gymnasiums als Anleitung be-
stimmt zur Auflösung der berühmten Aufgabe des Apollonios
Ton Perga iiber die Berührungen, sowohl auf rein geometri-
schem , als analytischem Wege.
13) Essen.
Jahresbericht über das Gymnasium zu Essen. Von ^. J. Paulssen.
Vorgedruclit ist die am 3ten August d. J. von Ebendemselben ge-
haltene Rede. Essen bei Bädecker. 4. 12 S. u. S. 13 — 24: Schul-
nachrichten.
Es ist auffallend, dass Hr. Paulssen, der im Jahre 1825
seine eigne Biographie als Programm hat drucken lassen, im
J. 1827 abermals statt einer wissenschaftlichen Abhandlung
eine Rede gewählt hat, die bei dem grösseren Publicum kein
Avissenschaftliches Interesse erwecken kann. Um eine Probe
von der Schreibart des Verfassers zu geben, möge der erste
Satz hier eine Stelle finden : „Ilochzuverehrende Ver-
sammlung ! Ich darf wohl voraussetzen, dass am dies-
maligen Jahrestage der Geburt unseres geliebten Königs
Ihre auf Seine Majestät Bezug habenden (sie!) Ge-
fühle, verstärkt durch den innigsten Dank zu Gott für die
Wiederherstellung des Allverehrten und Allgeliebten von dem
nicht gefahrlosen Beinbrüche, höher und freudiger ge-
stimmt seyn werden als in irgend einem andern Jahre seit der
furchtbaren, aber auch grossartigen und erhebenden Zeit, wo
der theure Monarch durch tyrannische Wülkühr jenes imer-
sättlichen Staatenzertrümmerers und Menschenverderbers der
Liebe und Verehrung seiner treuen Unterthanen entrissen wer-
den sollte, doch unter Gottes allmächtigem Beistand durch
ihre ewig preiswiirdigen , aufopferungsvollen Anstrengungen,
ihm selbst zu hoher Freude, uns aber zu dauerndem Heil, da-
vor bewahrt wurde." —
14) DÜREN.
Die Weihe des Gymnasiums in Düren, a) Rede des
Landraths von liipperda. b) Bede des Consi&torialraths
C*
84 Kui'zeAnzeigen.
Klaessen. c) Rede des Directors Meyer. Düren bei Knoll. 8.
24 S. u. S. 25 — 44 : Schulnachrichten.
Schon seit dem Anfange des Ißten Jahrhnnderts war in
Düren eine Lateinische Schule. Im J. 1628 errichteten die Je-
suiten daselbst ein CoUegium, mit welchem 1636 die Lateini-
sclie Schule verbunden wurde. Nach der Auflösung dieses Or-
dens ward der Unterricht durch Exjesuiten fortgesetzt, die
nachmals durch Weltpriester ergänzt wurden. In dieser Ge-
stalt erhielt sich die Schule unter der Französischen Regierung,
und behauptete unter der Preussischen den Rang eines Pro-
gymnasiums oder einer höheren Stadtschule, bis sie im J. 1826
durch das Königliche Ministerium zu einem Gymnasium erster
Classe erhoben wurde.
Wir haben oben bei einigen Gymnasien bemerkt, wenn
die den Programmen angehängten Schulnachrichten verfas-
sungsmässig ausgearbeitet waren, und wenn nicht: der Mini-
sterial - Verfügung entsprechen ausserdem die von den
Directoren der Gymnasien zu Wetzlar, Duisburg, Co-
blenz, Bonn, und Düren ausgefertigten Schulnachrichten ; will-
kührlich abgefasst sind sie von den Directoren der Gymnasien
zuCöln, Aachen, Düsseldorf, Saarbrücken und Essen. Denn
in der betreffenden Verfügung (S. v. Kamptz Annalen Bd. 8 S.
827 ff".) wird N. IV, A vorgeschrieben: „Der erste Abschnitt
stellt die allgemeine Lehrverfassung des Gymnasii dar, führt
die Classen in ihrer Reihenfolge von der Prima abwärts auf,
und bei jeder derselben: 1) den Classenordinarius und die
übrigen Lehrer ; 2) die Lehrgegenstände und die für einen je-
den derselben bestimmte wöchentliche Stundenzahl; 3) die
Lehrbücher" u. s. w.
Es fehlen noch die Programme der Gymnasien zu Cleve
und Elberfeldt, die wir später zugleich mit den aus dem Jahre
1826 rückständigen einer näheren Erörterung zu unterziehen
uns vorgenommen haben.
Dr. N. Bach.
Kurze Anzeigen.
Hellas oder geogr aphisch - antiquarische Dar~
Stellung des alten Griechenlandes und sei-
ner Colonien mit steter Rücksicht auf die neuern Ent-
deckungen von Dr. Friedr. Carl Hermann Kruse, Prof.
d, Gesch. und Geogr. zu Halle. Ister, allgemeiner Theil.
Kruse'sHellaa 85
Leipzig, L. Voi^s. 1825. XXXII u. 624 S.S. Zweyter Theil, erste
Abtheil. 1826. 652 S. Dazu Atlas, 8 Tafeln enthaltend, in Folio.
Die specielle Beschreibung von Griechenland in der ersten Ab-
theilung des 2teu Thls. umfasst Attika , Megaris u. Bootien.
Mßes Verfassers Hauptaugenmerk in diesem Werke ist, wie
er es selbst deutlich und bestimmt ausspricht, die Erklärung
der Verhältnisse des Allcrthums aus der Gegemvart ^ das soll
wohl heissen : dessen was die Alten über Griechenland sagen aus
den Schriften der Neueren , welche Griechenland bereist, topo-
graphische Charten davon aufgenommen oder seine Kunstdenk-
niäler und Ruinen gezeichnet, gemessen und beschrieben ha-
ben. Er wollte also nicht so wohl eine Mythologie, als Geo-
graphie Griechenlandes liefern, und hebt mehr das Geographi-
sche als das Ethnographische hervor. S. 1, 461. Da der Hr.
Verf. sich selbst auf mehrere Anzeigen und Recensionen sei-
nes Werkes beruft*), so ist anzunehmen, dass der Zweck,
Plan und die Eigenthümlichkeiten dieses Werkes dem grössten
Theile unsrer Leser bekannt sind. Darum will Ref. hier nur
auf einiges , was ihm unrichtig oder weniger begründet zu seyn
scheint, aufmerksam machen, nicht um zu tadeln oder den
Werth des Buches herabzusetzen, sondern um zur Verbesserung
desselben einiges beyzutragen, wenn eine zweyte Ausgabe nö-
thig wird. Das Buch ist lehrreich , aber es würde vielleicht an
Zuverlässigkeit und Brauchbarkeit gewinnen, wenn das heil-
same öTiBvÖB ßgadscog noch mehr die Fortsetzung leitete.
Wenn man das einem Schriftsteller selbst zuschreibt, was
er nur als Sage, Erzählung, Meinung Andrer anführt, so
scheint dieses eine Verletzung nicht nur der dem Schrift-
steller, zumal dem verstorbenen, schuldigen Achtung, son-
dern auch der historischen Treue zu seyn. Sonderbar, dass
gerade dieser Verletzung sich schon so Mancher schuldig
gemacht hat; möchte daher jene Bemerkung beym Athenäus :
ovnt e'itL KsyEtcci nag 'Oiir]Qcy, rovd^ "O^rjgog kiyu, zum
warnenden Sprichwort werden! Auch Hr. Prof. Kruse hat
nicht immer genau unterschieden, was bey einem Schrift-
steller gesagt wird, und was er selbst sagt, noch überall
genau bemerkt , wie er es sagt, Tb. 1 S. 5ß6 lesen wir den
ungerechten Tadel: „Pausanias VllI, 10 (sollte heissen X, 8)
drückt sich falsch aus: unter Deucalion bildeten diese Völ-
ker die Amphictyonenversaramlung.", da doch Pausanias die-
ses nicht als seine eigene Meinung vorträgt, sondern aus-
drücklich sagt: v%6 'JiKptxTVOVOS avTOv gjaötv kg övv-
•) Vgl. Jahrbb. 1826 Bd. 11 Bibliogr. Verzeichmsa S. 35 u. 1821
Bd. V S. 387.
86 Kurze Anzeigen.
iÖQiov xoLvöv toödds yevrj rot; 'EXXtjvlkov övvayprivai. Wel-
ches Subject mit diesem (faölv zu verbinden sey , erhellt aus
dieser vorangehenden Stelle: Kataötr^öaö&aiövvtdQiov Ivravdu
'EXh]VC3v ot [lEV 'AyicpLTitvova rbv zJsvxriXiavog voju/^ovöi,
welclien sogleich Androtion, der den Ursprung des Namens
der x^mphictyonen ganz anders ei'klärte, entgegengesetzt wird.
Da nun der Schriftsteller von jenen sein qxxöl gebraucht hat,
80 können wir nicht sagen , dass er sich falsch ausgedrückt
habe. I, 162 steht diese Anmerkung: „der Euripus ändert sei-
nen Lauf siebenmal bey Tage und eben so oft zur Nachtzeit
nach Strab. IX p. 403." Strabon aberdrückt sich über den Eu-
ripus so aus: ETitccxtg ^EraßäXlBLV cpaöl xaO'' rj^igav ayMöri]V
■aal vvxra, wo wieder (paöl übersehen ist. II, (Sil wird über
Ascra berichtet : „Nach Zenodot brachte es viele Weintrau-
ben hervor, indem dieser Schriftsteller es noXvötätpvXog^ das
weinreiche, nennt;" und zum Beleg Strabon citirt. Allein Stra-
bon merkt IX, 413 an, dass der Grammatiker Zenodotus beyra
\\om.e.v"A(j'A.Qriv statt "y/pvr^r TCoXvördcpvXov lese, dass aber der
gute Kritiker wohl nicht gelesen habe, Mas Hesiodus selbst von
seinem Vaterlande sage, "AöKQr] XEi^a jc«x^, &BQeL agyalirj,
ovdk 710T iö^krj • auf gleiche Weise widerlegt den Zenodot der
Venetianische Scholiast zu Hom. II. 2, 507. So muss Askra auf
den fälschlich beygelegten Beynamen des Weinreichen verzich-
ten. Aber reich an Getreide war es doch: denn Hr. Pr. Kr. führt
dafür das iroAvAT^iog aus der Grabschrift des Hesiodus beyPau-
san. IX, 38, 3 an. Dagegen hatte aber schon der genannte
Scholiast eben wegen jenes Zeugnisses des Hesiodus von seinem
Vaterlande bemerkt: agtomöTOTf^6s£örti'.f/ö/o(5osA£j'fov "AöxQrj
X^l^K 'ji- T. A. äöTE ovdh nolvxccQTtog liyoixo äv, welches letz-
tere sich auf das lobende Bey wort in der Grabschrift noXvXr^^Cog
zu beziehen scheint. II, 290 wird zu dem, was vom Kolonos
Ilippios angeführt worden ist, hinzugesetzt: „Ein Heroon des
Oedipus deckte, nach Pausanias I, 30, des unglücklichen Soh-
nes , Gemahls und Vaters , Asche." Allein erstlich versetzte
die atheniensische Sage nach Pausanias I, 28, 7 das Grab-
mal des Oedipus nicht auf den Kolonos Hippios, wo er ein He-
roon hatte , sondern auf den Areopagus. Dann bezeugt Pausa-
nias I, 30, der Kolonos Hippios sey nach der Sage der Athener
der Ort in Attika gewesen, wohin Oedipus zuerst gekommen
sey. Pausanias selbst aber bestreitet beydes als Sagen, die
mit dem Homer nicht übereinstimmen. II, 307 wird auf Pau-
sanias I, 35 folgende Vermuthung gebauet : „Das Grabmal des
Ajax ist wahrscheinlich an der Südküste (der Insel Salamis) bey
der alten Stadt zu suchen." Dort aber wird es wohl schwer-
lich jemals gefunden werden ; denn das Grab des Ajax, dessen
Pausanias in der angezogenen Stelle gedenkt, war nicht in Sa-
lamis sondern an der Trojanischen Küste. II, 598: „Nach
Kruse 'sHellas. 87
Strabo IX, 408 soll Baccfms dort (bey Scolos) den Pentheus
zerrissen haben." Das wird Niemand im Strabon weder linden
noch suchen.
Andere ähnliclie Unrichtigkeiten , die wir bemerkt zu ha-
ben glauben, sind: ü, ()03: „Die Stadt (Thespiä) war die
Vaterstadt des Praxiteles^ der deslialb den berühmten Eros
der Glycera, einer Buhlerin in Thespiä schenkte," mit dem
Citat Strab. IX, 403 (vielmehr 410). Aliein weder Strabon
noch ein andrer Schriftsteller Iiat, so viel uns bekannt, Thespiä
zur Geburtsstadt dieses Praxiteles gemacht. Ebd. 85: „Pausanias
nennt das Arsenal des Lycurgus, aber innerhalb der Akropolis,
I, 29." Wir wollen glauben, dass der Setzer das Wörtchen
nicht vor innerhalb ausgelassen habe, denn nach Pausanias war
dieses Arsenal im Piräeus. Elbend. 140: „Es war hier ein Al-
tar des Prometheus , von wo aus bey den Lampadophorien die
Fackelträger mit P^euerbränden durch die Stadt liefen. Paus. I,
30." Sind das die Xa^inädEg und öadic; des Pausanias, und ist
sein %iHv nQog ti]v tlÖIlv durch die Stadt laiifenl Eb. 106:
„Dann folgte der Tempel des ylpollo Patrons^ am Eingange mit
zwey Statiien des Apollo von Calamos " (lies Calamis). Allein
das eine Bild hatte Leochares, das andere, mit dem Beynamen
Alexikakos, hatte Calamis verfertiget, s. Paus. I, 3, 3. Eh.:
„die Stoa (des Königs) hatte den Namen von dem Basileus oder
ersten Archon Athens" (*?). Eb. 107: „von Praxiteles" statt
von den Söhnen des Prax. Eb. 557 wird ohne Bedenken die
Meinung einiger Gelehrten wiederholt, dass der bey Pausanias
/X, 10, 4 erwähnte J)ret/fuss derselbe sei/ ?nit dem bey Hero-
dot V^ 59. Dagegen ist neulich in einer Anmerkung Viber die
erstere Stelle Widerspruch erhoben worden. Dass nachPausan.
/, 19, 6 der Altar des Boreas dem Kinflusse des Eridamis in
den Ilissus gegenüber gelegeii haben müsse ^ wie ebend. 131
angenommen wird, kann aus dieser Stelle selbst nicht gefolgert
werden. Ebend. 173 wird über den Theodektes^ den Phaseli-
ten, dieVermuthung vorgetragen, er sey wahrscheinlich ein be-
rühmter Seher gewesen , da doch aus zwey Stellen der Alten
hinlänglich bekannt ist, was er gewesen, s. zu Pausan. 1,37, 3.
II, 183 wird ein Ort Oerioe^ Pijiluum genannt. In den Coi'ri-
gendis heissts : man solle lesen Oenoe Pythium ohne Comraa.
Dagegen wird der Ort 211 gesclirieben Oenoe Pythiciim und
hinzugesetzt , die Thriasische Küste habe auch die Pythische
geheissen von Oenoe Pythicmn^ wozu citirt wird Soph. Oed.Col.
1102. Da stehen allerdings IJv&Lat axzai , allein nichts von
einem Orte Oenoe Pythium genannt. Der Ort hiess to sv Oivoy
Tlvdiov das pythische Heiligthum in Oenoe\ wovon die Pythi-
sche Küste bey Sophokles den Namen hat. s. Philochorus in
den Scholien zu der Stelle des Sophokles. Und nun ist noch
die Frage, wo ist dieses Oenoe zu suchen? Die Scholien wei-
68 Kurze Anzeigen.
Ben hier auf Marathon hin; aber hier ist wohl ein Oenoe, mir
keine Thriasische Ebene. Von Oenoe bey Maratlion, nord-
westlicli davon, handelt Ilr. Pr. Kr. ebend. S. 213 f.; des Apol-
locultus zu Marathon gedenkt er ebenfalls selbst S. 2(57. Dem-
nach möchten die nv&icci dxral und das Uvd'iov ev Oivoj] wohl
nicht in der Thriasischen Ebene, sondern bey Marathon zu
suchen seyn. An diese Stelle von dem Cultus des Apollo zu
Marathon knüpfen wir, was Ilr. Pr. Kr. I, 545 geschrieben
hatte: „Zwar führten die lonier auch den Apollo- Cult in Athen
ein; allein dies war der Apollo Patroos, der Sohn der Athene
und des Hephästos , wahrscheinlich der Pelasgische." Dage-
gen möchte nun der Verf. II, 267, da Marathos, von dem Ma-
rathon den Namen bekommen, von Einigen für einen Sohn des
Apollo ausgegeben wurde, auf eine ursprünglich dorische Co-
lonie in Marathon schliessen. Nimmt man dazu, dass doch au-
sserdem nach Pausanias 1, 19 in Atben ein ayaX^a AnöXkavoq IIv-
Qlov und ein uqov ^ATCoXlavog ^sXcpiviov erwähnt werden, so
scheinen die Angaben des Hrn. Vf's. an Zuverlässigkeit zu ver-
lieren. Des Alexikakos in Athen ist schon vorher gedacht
worden, vgl. Paus. VIII, 41, 5. Gegen das, was der Hr.Vf. I,
180 in der Abhandlung über die Stadien beJiauptet, „dass
die Griechen nicht so genau, wie hier das Stadium angegeben
ist, rechneten, beweiset indess schon der Umstand, dass /re?«
Beyspiel vorkommt^ wo ein halbes Stadium mir als Kntfernung
angegeben wird. Also auf ein paar hundert Fiiss katn es ih-
nen flicht an.'-'-^ sey es genug nur folgendes Beyspiel aus Strabo
X, 459 (114) anzuführen: rj ^Iv ovv Kvvia {li^vrj) kxöCdco-
öiv dg TTjv ^fäkattav • ai koLTcal Öh {Xi^vat) VTiigneivtaL oöov
•^ ^LötccÖLOV. Und tadelte nicht Avenigstens Polybius bey
Strabo X, 465 (146) die Xaodoy^aviicäs ccTiocpdöeLg tieqI täv
ÖLaötTjßccTcov in den Werken der Schriftsteller'? Bey den Wor-
ten II, 64: „Theseus vereinigte die 12 Städte des Attischen
Staates zu e/wer Volksherrschaft," möchte man fragen, wie
der Vf. dieses gemeint habe : doch scheint er sich liierüber
S. 77 etwas näher in den Worten zu erklären: Erechlheus
begründete unter dem Schutze der Athene eine Volksherrschaft
trotz der königlichen Würde , und Homer nenne Athen drj^ov
'EQExd^ecog. Aber dies lässt sich weder mit der bekannten Stelle
des Aristoteles Polit. 111,14: sldog fiovaQXcag ßaöihxijg at natu
tovg T^gmtcovg XQOVOvg tnovöiai ts %al TtaTQiai yiyvouBvai.
xccrcc vö^ov, noch mit dem Widerspruche des Pausanias I, 3
gegen die attische Volkssage vereinigen, dass Theseus die Re-
gierung dem Volke übergeben habe, und dass dieses von der
Zeit an bey der deraokratisclien Verfassung geblieben sey. Den
^CMs«7a?/s nennt unser Vf. II, 631 ainen Dichter ; nach welchen
Zeugnissen*? II, 626 schreibt der Hr. Vf. also: ^^Graia (ein
Ort in Böotien) ist nach Pausanias IX, 20, 2 eins mit dem spä-
Krusb'sHcliae. 89
ter so genannten Taiiagia,^ und soll davon benannt seyn, weil
die Tochter des Aeolus Tanagra später eine Gräa (d. i. ein al-
tes Weib) wurde. DieLädierlichkeit dieser EtymoIo«j:ie springt
in die Augen." Wer denPaiisanias selbst nicht darüber befragt,
wird nach dem, was er hier gelesen, leicht glauben, dass
Pausanias es sey, der sich durch diese Etymologie läclierlich
gemacht habe. Dass alle Leser die vom Hrn. Pr. Kr. citirten
Stellen nachschlagen, ist kaum zu erwarten ; Mancher also wird
im Vertrauen auf des Hrn. Pr. Kr. Zeugniss und nach einer leicht
sich darbietenden Deutung seiner Worte glauben, dass Pausanias
der Urheber einer so lächerlichen Etymologie sey. Allein
Pausanias sagt ja ausdrücklich: TOt»g TtSQLoinovg (puölv dq)E-
Kovtag ro ovo^a (nämlich Tanagra) tt^V t£ yvvalxa ccvt^v
xakelv Fgalav aal dva iq6vov vtjv jcohv. Ist also hier etwas
lächerlich, so fällt es wenigstens nicht auf den Pausanias. Allein
nicht nur das griechische, sondern auch das hebräische Alter-
thum zeigt deutlich, wie sehr sich die Menschen damals in dem
Spiele mit Etymologien der Eigennamen gefielen , und der un-
befangene Forscher des Alterthums wird jene Spiele der Kinder-
weit nicht lächerlich finden, ja er wird es dem Pausanias Dank
wissen, dass er ihn mit den Sagen und der Denkart des Volkes
mehr als Andere bekannt macht.
Der Zweck dieser Anzeige lodert, dass wir noch auf einige
andre Stellen aufmerksam machen, welche bey einer zweyten
Ausgabe dieses Buches einer zweyten Priifung bedürfen möchten.
Pausanias erwähnt IX, 34, 3 am Berge Libythrion zwey Quel-
len, die ähnlich den Brüsten eines Weibes Milch ähnliches Was-
ser ausströmen lassen. Einen heissen Strom, den Dodwell in
dieser Gegend gefunden haben will, nimmt Hr. Pr.K. II, 473
unbedenklich für den Milchbach der Alten, und den sich mit
ihm vereinenden kalten Strom für die Quelle Petra ^ welches
der Name der andern von den beyden Quellen bey dem Pausanias
ist. Allein Pausanias redet nicht von einem Milchbache, son-
dern von sjf^ej/ Quellen , die Wasser geben, welches der Milch
ähnlich sehe. Auch nicht von warmen Wasser spricht Paus.,
sondern von Wasser, dessen Farbe der Milch ähnlich sey. I,
404. 437. 439 wird die Bedeutung des Wortes "/^pyog Ebene^
Thalfläche ^ als eine altgriechische angesehen und vermuthet,
dass auch die alten Pelasger das Wort so gebraucht haben.
Allein bey Strabo, der dafür beweisen soll, heisst es VIII, 372
(22f)^ : "/^pj'og st«!, ro mölov khystai Tiagd TOtg vawrEpotg,
Ttag 'OfirjQCj ö'ovÖ' ccjia^' ^älLöta d'oYovtaiMaxEdovixov
xai ©sttahicöv üvai. Eustathius erklärt die Worte des Strabo
so zu Odyss. p. 1845: vbcSxbqoi MaxBÖövbq xal ©strakol "Agyoq
xal to dnXdog tieölov (vielleicht xal ktiIcös to naöiov) q)aöiv.l,
407, f. wird gesagt, Achilleus rufe beym Homer den dodonäischen
Zeus an, und hinzugefügt: „das dodonäische Orakel lag bey
90 Kurze Anzeigen.
den Molossern, welche mit den Aeaciden verwandt waren."
Diese Verwaiultscliaft aber Avurde erst nach dem Trojanischen
Kriege durch Neoptolemus gestiftet, s. Paus. I, 11. Spuren
älterer Verwandtschaft weist die angezogne Stelle Strab. Vll,
324 nicht nach, nnd eine poetische Prolepsis nimmt auch der
Vf. nicht zu Hiilfe. Sonderbar scheint uns II , 271 und "219
die Deutung der Aethiopen an der Schaale der Nemesis bey
Pausanias I, 33, 3, weil nämlich Aethiopen im Ileei-e desDa-
rius gewesen Avären, das zu Marathon landete. Allein dass
Aethiopen so wie im Heere des Xerxes also auch in dem des Da-
rius gewesen seyen, war doch zu beweisen.
Auch findet man in diesem Buclie hin und wieder Vermuthungen
aufgestellt, die auf schwachen, oder strenggenommen gar keinen
Gründen ruhen : z.B. 1, 43, dass PausaniasAetolien, Acarnanienund
Thessalien, als zu Hellas gehörig, auch einzehie Bücher gewid-
met habe; II, 647 über die Mythe von der Heriyna. 11,315 wird
angeführt, Stephanus aus Byzanz leite den Namen Megaris ab
yiagcc rd rga^v rijg yßgag, was Hr. Pr. Kr. übersetzt vo/i den
zerklüfteten Felsen^ mit dem Zusätze, Stephanus habe wahr-
scheinlich bey seiner Etymologie die Semitischen Dialecte zu
Hülfe genommen. Das Unwahrscheinliche dieser Meinung ver-
anlasste uns zum Nachschlagen, und wir fanden, dass Ab r.
B e r k e 1 dieselbe Meinung vorgetragen hatte. Wir glauben da-
gegen, dass Stephanus auf die Ableitung der Alten von ^syaC-
QUV ^ missgünstig seyn^ wovon ^iyRQöLg^ Missgnnst^ oder von
lisyaQit,ELV AA. h^cÖTxSLV , hungrig .seyn^ Rücksicht genom-
men habe. M. s. Etym. M. 574 und Phavor. Was Hr. Kr. S.
353 nicht erwähnt, wo er Megorisiren erklärt. Etwas stark
oder pythagoräisch drückt sich Hr. Kr. I, 622 aus : „die Four-
montschen Inschriften bekommen alle erst ihren wahren Werth,
indem dieser Critiker ihreAechtheit oder ünächtheit verbürgt."
Spuren der Flüchtigkeit, die eine zweyte Herausgabe tilgen
wird, sind die Nice xQVöonxiQri II, 89, Thebanisch in Aegy-
pten I, 443, Aegyptisches Maal ebend. 425, Karen II, 93 u.
94, Pytheisten eb. 128 und 288, llharisches Gefilde und
'PaQLOvnediov I, 286 und II, 35, Jägerin Kora II, 644, Mar-
cellin in v. Themistocl. II, 98, ZniQavr] II, 324, die Minerva
Promachos, die man vonSunium aus sehen konnte, II, 592, Ptole-
maeus Lagi statt Philadelphus II, 308; und Citate dieser Art
H, 73: in Gronovii Thes. Antiq. Graec, eb. 122: Strabo p.,
eb. 267: Plut. Theseus, eb. 293: Aeschiues in Timarch., eb.
600: Lysimachus Thebaica in den Schollen des Oedipus zu Co-
lon., eb. 265 f., wo dreymal II, 33 steht statt I, 32, dass
nach II, 311 Megaris ivestlich an Attika, südlich an Böotien,
nördlich an Korinth grenze, womit zu vergleiclicn II, 4. Auch
manche Nachlässigkeilen im Style, z.B. I, 337: „Ausser diesen
grossen Marmorbrücheu giebt es in Griechenland aber auch
Taciti Agricola. Edid. Schede, 91
noch an vielen andern Orten Marniorfelsen." II, 28: „Schon
am Fusse des Berges verschwindet das Wasser aber fast ji^anz.'*"
S. 99: „Die Einwolmer erwerben der Stadt aber durcli ihre
Kunsti'ertifrkeiten grossen Ruhm.'' S. StJfJ: „jetzt hey geringe-
rer Bevölkerung bringt der Boden, nacli Ponciuevilie, indess Ge-
treide im Ueberflnss hervor," S. 21t: „er reichte — zu den
Ruinen'' statt gelangte. S. 240 f.: „ die Spitze der Halb-
insel ist Sunion. — Ein Punkt , welcher auf dessen Höhe der
Athene Sunias ein weit ins Meer hineinstrahlender Tempel
erbauet war." Wohin man auch das fremdartige placiren^
taxiren u. d. gl. rechnen kann. Vosses Sprache war auch in
seinen kritischen Schriften immer rein und gewählt. Eine Stelle
desStrabo übei'setztlT.Pr.K. also II, 100: „da ich in die Fülle
von Gegenständen hineingerathe, welche von dieser Stadt be-
sungen werden" u. s.w. Endlich sind uns noch die Ungleich-
heiten aufgefallen: Triptolem , Triptolemos, Euraolpus, Icti-
nus, Coröbos, ApoUonins, Jacchos, Cephalns, Corydalos, Har-
pelus, Meilichios, Patroclos , Ptolemäus, und so manche Druck-
fehler, die nicht angezeigt worden sind, z. B. II, 292: Sophro-
nices statt Sophroniskus, I, 159 n. 160: VIII statt FII^ eb.
576: KAKON zweymal für KAAON. II, 35: Paucilos ^ dies
wird in den Corrigendis verändert in Peiicilos st.Poicüus. eb. 638 :
„Zu seiner (des Pausanias) Zeit existirte noch der Tempel und
die Statue des Poseidon, ja sogar auch der Hoya^ dessen Exi-
stenz Strabo läugnet" statt Hayn. eb. 198 f. muss in folgendem
„derColoss (der Ceres) wurde von hier — eingeschifft, um eine
zweyte Wanderung, dem Zorn der Göttin selbst nicht unähn-
lich, anzutreten," ein Sinn entstellender Druck - oder Schreib-
fehler verborgen liegen.
Dieses lehrreiche Werk, das sich selbst lobt, bedarf unsers
Lobes nicht , wohl aber wird es Dilettanten und Gelehrten sich
noch mehr empfehlen, wenn es von Flecken, Avie die hier an-
gedeuteten sind , sich reinigen wird, und dass dieses geschehe,
dazu einiges beyzutragen, ist der einzige Zweck dieser Anzeige,
mit der wir den innigen Wunsch verbinden , dass der Hr. Vf.
sich Zeit nehmen und alle 3Iühe anwenden möge, wo möglich
jede Art des Irrthums im Erklären alter Schriftsteller zu ver-
meiden , da solche leicht und weit sich verbreitende Irrthümer
unendlichen Schaden zu stiften pflegen.
Siehelis.
C. Corn. Taciti Agricola. Cum interpretatlone a GM*^a^'o
Schede. Ihnenaviae, 1827. Sumtibus Voigtü. IV et 56 S. gr. 8.
6 Gr.
Da die Vorrede zu vorliegender Ausgabe kurz ist , so wol-
len wir sie ganz hersetzen. „Hac nova vitae Agricolae editione
92 Kurze Anzeigen.
iis pro virili portione subvenire volui ^ quibus , licet amor iion
desit, haec prisitinae magnitudinis monurnenta tarn saepe sunt
occlusa, propterea quod facultas deest, editiones istas adeundi,
quae plemmque omnia Taciti opera coutineut et in quibus inter-
pretatio locorura difficilium passira inter animadversiones criti-
cas involuta invenitur. Quodsi ergo iuterpretatio nostra hunc
atque illuin ad hoc praeclarissimum auctoris [scriptoris] nostri
opus accuratius cognoscenduiii duxerit: satis magno praemio
opera nostra erit afFecta. Der Yf. scheint bei seiner Ausgabe
zunächst Dilettanten , Freunde des römischen Alterthums vor
Augen gehabt zu haben, denen es nicht sowohl um scharfsin-
nige Kritik , um Kenntniss der Varianten und der verscliiede-
nen Meinungen der Ausleger von einzelnen Stellen, sondern
vielmehr um reinen Genuss des Schriftstellers selbst zu thun
ist, doch so, dass ihnen das Verständniss des betreffenden
Schriftstellers bei schwerern Stellen durch eine hinzugefügte
Verbal- und Real -Interpretion erleichtert wird. Nun, eine
solche Ansicht ist ganz und gar niclit zu verwerfen. Diesen
Gesichtspunkt darf die jetzt anzustellende Beurtheilung nicht
ausser Acht lassen. Der Herausgeber selbst ist gegen die Kri-
tik des Textes nicht gleichgültig gewesen. Er weicht ohnge-
fähr an 50 Stellen vonOberlin ab, hält sich in Feststellung des
Textes grösstentheils an ältere Herausgeber, z. B. an Pichena,
jedoch mit Benutzung neuerer Bearbeitungen des Agricola, z.B.
von Dronke, Döderlein u. a. Es lag nicht ijn Plane des Heraus-
gebers , in den Anmerkungen die Gründe anzugeben, warum
der einen oder der andern Lesart der Vorzug gegeben worden
sey. Rec. will indessen seiner Pflicht gemäss zuvor einige, wenn
auch nicht alle Lesarten , wo er verschiedner Meinung ist,
durchgehen, und dann sein Urtheii über die Anmerkungen
abgeben.
C. 1 lies't derHerausg. mit Dronke: ni cursaturus. Indes-
sen hat Dronke diese Lesart bereits selbst wieder aufgegeben.
Vergl. Neues Archiv für Philologie und Pädagogik vonSeebode.
Jahrg. I, 1826, H. 5. C. V: neque segniter ad voluptates et
commeatus, titulum tribunatus et inscitiam retulit. Das Komma
nach commeatus ist mit Woltmann, Bekker, Lünemann, Becker
zu streichen, wenn durch eine gehörige, wenn auch etwas
harte, grammatische Konstruktion ein passender und ungezwun-
gener Sinn herauskommen soll. Vgl. unsere Jahrbücher Jahrg.
1 B. 2 H. 1 S. 145. C. VI: Ludos et inania honoris modo ratio-
nis et abundantiae duxit. Die Lesart des Cod. Vat. 1, medio
rationis, welche Becker und Hertel aufgenommen haben, scheint
dem Rec. die wahre zu seyn , insofern man ohnehin im Tacitei-
schen Zeitalter so zu sprechen pflegte. Vgl. Archiv a. a. 0., wo
Rec. bereits diese Lesart als solche bezeichnet hat. C.X: Di-
specta est et Thyle, quam hactenus nix et hiems abdebat. Statt
Taciti Agricola. Edid. Schede. 03
dieser Lesart des llhenanus hätte die der Codd. Vatt. und der
alten Ausgaben appetebas aufgenommen scyn sollen , zu wel-
cher auch Oberlin, Uloch , Dronke, Ilertel und Becker zurück-
gekehrt sind, nur dass Letzterer ohneNoth appetebant schreibt.
Ebcnd. tributorum auctionem. Der Cod. Vat.B. hat am Rande
exactionem, welche Lesart (aufgenominen Aon Bloch, Seebode
Bekker, Herlel) wegen des niollire, wie Ilertel richtig bemerkt,
den Vorzug verdient. C. XIX: quam provinciam. Regere nihil
per libertos servosque reipublicae. Diesen Weg hat bereits der
Rec. des Dronke'schen Agricola im Pädagogisch -Philologischen
Litteratur- Blatte Nr. 42 , 1825, S. 34'J eingeschlagen, in-
dem er zu provinciam aus dem Vorhergehenden coercere supplirt,
dagegen aber glaubt, dass von einem unwissenden Abschreiber
wegen provinciam ageie in regere verwandelt worden sey. Bei
obiger Interpunktion würde Tacitus schwerlich regere für agere
in dieser Verbindung geschrieben haben. C. XXV: infesta ho-
stili exercitui itinera timebantur. Dem Rec. ist keine x\usg. zur
Hand, die exercitui liat , ausgenommen dass Selling in seinen
Observatt. critt. in C Corn. Taciti Agricolam 1826, wovon
wir in diesen Jahrbüchern Jahrg. 2 B. 3 H. 3 8.14 — 79 eine
Beurtheilung geliefert haben, S. 21 vorschlägt, exercitu als
alten Dativ für exercitui anzusehen, wenn die Worte hostili
exercitu sonst nicht als Glossem zu betrachten seyen. Bezieht
man die Worte mit Selling und dem Herausg. auf die Römer,
so geben sie einen matten Sinn, weil sich die Sache so wol von
selbst versteht, aber nicht umgekehrt. C. XXX: et iuteriores
Romani. Der Cod. Vat. A. lies't infestiores , was hier unter
den Varianten den besten Sinn gibt. C. XXXVIII: proxirao
litore Britanniae lecto, omnis redierat. Diese Korrektion Pi-
chena's ist nicht nöthig. Die Lesart des Cod. Vat. 1 ist der
Taciteischen Schreibart ganz angemessen. C. XLIX: Nam licet
durare — augurio votisque- ominaretur; ^ame« festinatae mor-
tis etc. Diese hier angenommene Korrektion ist nicht nöthig.
Auf jeden Fall gibt der Text: Nams/c?^^« — ominahatur ; ita etc.,
wie wir ihn bei Grouov, Sörgel, Oberlin, Weikert, Seebode
Dronke, Bekker, Lünemann, Bloch, Schlegel, Becker, Hertel finden,
deren Ausgaben wir bei dieser Beurtheilung verglichen haben,
einen guten Sinn. Nur müssen wir bemerken, dass einige quod,
andere quodam augurio, und noch andere weder quod noch
quodam haben.
Die Anmerkungen, die zum Theil von andern, aber nur
selten genannten Erklärern des Agricola herrühren, sind für den
angegebnen Zweck im Ganzen zweckmässig und nützlich. Sie
erläutern sowol Worte als Sachen. Mit einigen Erklärungen
ist indessen Rec. nicht einverstanden. Einige wollen wir durch-
gehen. C. I: Clarorum virorum facta moresque. Dazu die An-
merkung: Mores hoc loco neque nostrura: Sitten, neque, quod
9^ Kurze Anzeigen.
Doederlein vult, Seele significat, sed potius propviam sentiendi
cogitaiidique rationera, in vita conspicuara. Die Erklärung von
mores ist offenbar zu weit gefasst. Mores ist der Gegensatz
von facta, also das Pi'ivatleben. Vgl. Klein und Ilertel ad h. 1.
C. IV: avum Procuratorem Caesarura Iiabuit. Dazu die Anni.:
Erant procuratores in provinciis, qui reditus possessionum
principis peculiarium adrainistrarent. So nimmt auch Klein die
Sache. Die richtige Erklärung findet sich bei Hertel ad h. 1,
in Dezug auf Creuzer's Abriss der römischen Antiquitäten.
Leipzig, 1824, S. 216. C.XV: ex facili tolerautibus. Darzu die
Anm. : i. e. qui in perferendis injuriis quasi a levioribus incipi-
entes ad graviora progrederentur, ita ut es facüi nostrum signi-
ficet: vom Leichten an. Für diese Bedeutung hätte der Her-
ausgeber uns irgend eine Parallelstelle beibringen und diesen
Latinismus durch analoge Redeweisen darthun sollen. Ganz
der Analogie gemäss ist ex facili wie ex composito und dergl.
gebildet. C. XVI: comitate quadam curandi provinciam tenuit.
Zu curandi die Anm,: i. e. imperandi regendique. Curare wird
hier deutlicher im Gegensatze des nullis castrorum experimeu-
tis durch res civiles obire erklärt, wie es auch die meisten Er-
klärer und üebersetzer gefasst haben. C. XXII: vastatis usque
ad Taum — nationibus. Dazu die Anm.: i. e. hello adactis, ut
Romano imperio se dedei'ent. Offenbar verheerte Agricola diese
Völker, weil sie gegen die Römer als Feinde auftraten, im ent-
gegengesetzten Falle würde er eine solche harte Maassregel
unterlassen haben. Unterwerfung Britanniens w ar ja die Absicht
der ganzen Expedition. Obige Anmerk. war mithin auf jeden
Fall überflüssig. €. XXV: sequebatur egregia specie. Dazu die
Anm.: Eventus ejus rei, quod classe assumta et mari dimica-
vit, egregie consiliis Agricolae respondit. Diese Anmerk. kann
leicht Missverständnisse veranlassen. Es musste zunächst der
Wortsinn von egregia specie erklärt werden. C.XXX: Quotiens
: — necessitatcm nostram intueor. Dazu die Anm.: i. e. casum
et fortunam adversani, in quam incidimus et quam ferre necesse
est. Diese Erklärung ist dem Zusammenhange gemäss nicht
genau genug. Bloch deutlicher: necessitas belli gerendi^ oder
wie Hertel : necessitas vel vincendi vel moriendi. C. XXXVII :
paucitatem nostrorum vacui spernebant. Dazu die Anm.: vacui
sive pugnae expertes, laboris nondum participes, sive melius:
inanes, qui se longe altiores ac potentiores putabant. Letztere
Erklärung ist durchaus unstatthaft. C. XL : Tradiderat Interim
Agricola successori suo provinciam. Dazu die Anm.: Successor
Agricolae in Britannia erat Sallustius LucuUus. Vor erat hätte
ein fortasse nicht fehlen sollen.
In Hinsicht der Orthographie bemerken wir Folgendes.
C. Vlll Vectius Bolanus. Richtiger Vettius. Vgl. Lipsius und
Eruesti ad Annal. XV, 3. C. XXIII Glota. Die Codd. Vatt. V
Taciti Agricola. Edid. Scliode. 95
nnd II haben Clota, welche Schreibart Oberlin, Dronke, Bek-
kcr, Becker, Ilertel u. a. belolfren. Da der Herausjr. durch-
weg das Gesetz der Assimilation belolg^t, so hätte C. XXII an-
nolabanl st. adnotabant stehen sollen. Ferner ist bald extin-
^uerennd dann wieder exstinguere ijednickt. Anf die Korrektur
liätte weit melir Sorgfalt verwendet werden sollen. So finden
sich mehrere Auslassungen. C. X fehlt nach den Worten: Na-
tnram Oceani: atque aestiis. C. XVI nach similis petulantia:
castrorum. C. XXXIII zwischen Equidem in agmine: saepe.
C. XXXVII nach silvis appropinquarunt: collecti. Ferner ist
an mehrern Slelien unnötiiiger Weise ac in et und umgekelirt
et in ac verwandelt worden. An Druckfehlern ist kein Mangel.
Da dieselben nicht angemerkt sind, so woUeji wir hier einige
anführen. S. 7 Z. v. u. liesßlius st. fllius. S. 9 Z. lo v. u. I.
oportebat st. opportebat. S. 11 Z. (j 1. ostentanda st. osten-
danda. Ebend. Z. 10 1. atieri st. alteri und so in der Anm. Z.
14 V. u. S. 15 Z. 9 1. caliäioribus st. callidioribus. S. 20 Z.
5 V. u. 1, Hist. 4, 60 st. 14, CO. S. 27 Z. 2 1. eoqiie st. atque.
S. 31 Z. 5 V. u. 1. mifugere st. auffugere. S. 39 Z. 15 v. u. 1.
aliorum esercitimm st. exercitum. S. 43 Z. 6 v. ii. 1. artiora
st. artoria. S. 51 in der Anm. 1) steht einige Mal Calligula st.
Caligula. Auch finden sich einige sonstige Unrichtigkeiten in
den yVnraerkungen. So wird S. 51 die Anmerk. 6) Dronke bei-
gelegt, da sie doch von Oberlin herriihrt , wie Dronke selbst
bemerkt. Der lat. Ausdruck ist im Ganzen gut. S. 4 wäre in
der Anm. 4) iram in se convertit, sibi conscuit^ letzterer Aus-
druck besser weggeblieben. S. 9 Anmerk. 2) ist alacris als
gen. masc. für alacer genommen, wie es bei Dichtern vorkommt.
Dergleichen Dinge sind jedoch in Prosa , zumal im Notenlatein,
nicht nachzuahmen. Ueber die bei Tacitus übliche Form ce-
lebris für celeber sind zu vergleichen Ernesti und Rupert! ad
Annal. II, 88. In der Verbindung S. 43 Anmerk. 12) modo hie
atque illic erinnert sich Rec. atque nicht gefundeJi zu haben,
wol aber statt des zweiten modo nunc^ interdum, tum u. s. w.
S. 35 Anmerk. 81 steht: Nihil ergo est, quo sperare possiraus
a Romanis veniam ac vitam, in welcher Ideenverbindung die
Römer quod oder cur setzen. Ein andrer Fall ist es mit der S.
30 Anmerk. 1) gebrauchten Wendung. Trotz dieser unserer
Bemerkungen empfehlen wir auch diese Ausg. des Agricola als
nützlich und brauchbar.
Druck und Papier sind sonst gut.
Damit verbinden wir folgende Schrift:
De fide Taciti scriptio I (,) qua disseritur (,) quatenus Tacitus fidem
ipse sibi habendain indicaverlt. Auetore (Vj Herinanno Justo.
Piaefatus est Fridericus hindemannus. Zittaviae, 1827.
In CüDamissiä apud J. D. Schoeps. VI et 35 S. 8. 4 gr.
96 KurzeAnzeigen.
Hr. Direktor Lindemann zu Zittau begleitet vorliegeudes
Schriftchen mit einer Vorrede. Der Verf. , ein hoffnungsvol-
ler Zögling, konnte wegen körperlicher Schwächlichkeit mit
den übrigen Abgehenden sich, wie es auf der Zittauischen
Schule üblich ist , durch keine öffentliche Rede dem
Wohlwollen der Einwohner der Stadt empfehlen. Um
jedoch diesen Zweck auf irgend eine andere Weise zu errei-
chen, rieth der verdienstvolle Vorredner dem Vf. einen Theil
dessen, was er bei seinem fleissigen Studium des Tacitus über
denselben bis dahin schriftlich aufgesetzt hatte, durch den
Druck bekannt zu machen, so sehr er, Hr. Direktor Lindemann,
sonst gegen Bekanntmachung von SchViierarbeiten eingenom-
men zu seyn aufrichtig bekennt. Nicht nur die edle Absicht
an sich selbst, welche die Bekanntmachung unseres Schrift-
chens veranlasst hat , sondern auch die wohlgerathene Bear-
beitung des Gegenstandes entschuldigen auf jeden Fall diese
Bekanntmachung. Im Eingange seiner Abhandlung macht der
Vf. auf die Vorwürfe aufmerksam , die dem Tacitus in neueren
Zeiten gemacht worden sind , unter denen er vorzüglich zwei
anführt: erstlich dass seine Schreibart oft unelegant und dun-
kel , und zweitens dass seine historische Treue nicht von alle«
Seiten beglaubigt sey. Der erstere Vorwurf sey vor mehrern
Gelehrten hinlänglich , der letztere aber noch nicht gründlich
genug widerlegt worden. Rec. hat bei seinem fortdauernden
Studium des Tacitus in neueren Schriftstellern manche den
Tacitus als glaubwürdigen Geschichtschreiber trefflich verthei-
digende Stelle, aber nirgends eine so vollständige Zusammen-
stellung der einzelen Stellen aus dem Tacitus selbst gefunden,
woraus seine historische Glaubwürdigkeit hervorgeht. Unter
den drei Fragen , die Avir bei einem historischen Schriftsteller
aufzuwerfen pflegen: 1) an scriptor vera tradere voluerit'J
2) an vera tradere potuerit*? 3) an vera tradiderit'? hat der
Vf. aus angegebenen Gründen bloss die erste zu beantworten
gesucht. Rec. hat den Inhalt vorliegender Abhaudl. genau ge-
prüft, und er hat die Aufgabe, die sich der jugendliche hoff-
nungsvolle Vf. gesetzt hat, im Ganzen gut gelös't gefunden.
Der Stoff ist gut verarbeitet, die Sache einfach und klar dar-
gestellt. Genug, das Ganze zeugt sehr vortheilhaft für die
Studien des Vis. Von Neuheit der Ansichten kann hier frei-
lich nicht die Rede seyn. Diess thut dem Verdienste des Vfs.
auch nicht den geringsten Eintrag. Rec. stimmt mit dem Vf.
fast überall überein. Nur wünschten wir , es nähme derselbe
im Fortgange seiner Darstellungen auf die S. 10 und 11 enthal-
tenen Worte : „uec desunt , qui Tacitum castigatorem sui tem-
poris, quam narratorem esse maluisse dicerent" mehr Rück-
sicht. Aus dem Zusammenhange ergibt sich, dass der Vei'f.
diess durchaus läugne. Rec. möchte den Tacitus eben so we-
Just: De Cdo TacitL 9t
nig einen castigator nennen; allein Ruperti's Worte in seinem
Px'ooemium de Taciti Vita et Scriptis (welches Prooem. sehr
lesenswerth ist) S. 22 und 23 von den Worten: Neque tarnen
dissiniilo — bis zu memoria — , praeseiitium aiigen<eseiisum schei-
nen doch Manches fiir sich zu haben. Zu dieser oder jener
Stelle Zusätze zu machen, ist wol nicht nöthig'. Nur bemer-
ken wir, dass der \T. auch an vier Stellen sich in der Kritik
versucht hat. S. lo wird zu Anual. I, 1 die am Rande der Gry-
phianischen Edition vom Jahre 1.342 befindliche Lesart detere-
rentur st. deterrerentur recht ^ut vertheidigt und sonst beige-
bracht, was sich zur etwaigen VertJieidigung sagen lässt. In-
dessen ist die Lesart deterrerentur dem Cliarakter des Tacitus
weit mehr angemessen , w enn man zur Erklärung derselben
Agricola III zu Hülfe nimmt, welche Stelle uns den CJiarakter
des Tacitus lebendig darstellt. Konnte derselbe dort nicht z.
B. den Livius im Sinne haben, der seine Geschichte bereits
mit Drusus Ileerziigen in Germanien schloss'? Vgl. Probe einer
Uebersetzung des Tacitus von Greverus. Lemgo, 1821. S. 5.
S. 17 fasst der Vf. die Stelle Anual. II, 88 Scriptores Senato-
resque als Hendiadys, nimmt also das que mit mehrern frühe-
ren Erklärern explicative, was auf jeden Fall weit richtiger
ist, als die Konjektur des Lipsius senioresque, welcher die
Worte eorumdcm temporum entgegen sind. Bedenkt man aber,
dass die Senatoren gewöhnlich das, was sie im Senate selbst
sagten oder horten, schriftlich aufzeichneten und in ihren Fa-
milien aufbewahrten, so braucht man auch nicht einmal das
que explicative zu nehmen, sondern man kann es hier in kopu-
lativer Bedeutung fassen. S. 24 und 25 wird zu Annal. XV,
C4 statt der Vulgate incertum an ignarae die Konjektur des
Acidalius ingratae recht wacker vertheidigt. Indessen, da die
Vulgate einen sehr passenden Sinn gibt, so bleibt Rec. dabei
stehen, eingedenk des, von ihm schon öfter vertheidigten,
Grundsatzes, der Konjektural- Kritik nur da Eingang zu ge-
statten, wo die Vulgate ohne Sinn ist. S. 30 und 31 verthei-
digt der Verf. zu Hist. V, 7: Nani cuncta sponte edita — in ci-
nerem venerant, die Vulgate und beruft sich auf Virg. Aen. XII,
684 sq., wo „sive — auf' im Gegensatze gebraucht werde. Rec.
ist bei dieser offenbar verderbten Stelle selbst in Zweifel, fiir
welche Lesart er sich entscheiden solle. Doch hat er längst
die Vulgate für das Richtigere gehalten. Der lat. Ausdruck ist
für eine so jugendliche Arbeit lobenswerth. Was wir aber
durchaus nicht billigen, ist der S. 9 und 11 gebrauchte Aus-
druck interpretatio vernacula^ so wie das S. 13 zweimal ge-
brauchte seHsim sensimque st. sensini.
Möge der hoffnungsvolle Vf. in dieser unserer Anzeige eine
Anerkennung seiner rühmlichen jugeudliclien Bestrebungen
Jahrb. f. JPhit. u. Pädag. JalirgAU. Heßb. «J
98 Fri derlei Lindemanni
finden, denen wir den erfreulichsten Fortgang aus der Fülle
unseres Herzens wünschen.
J. A. G. Steuber.
Friderici Lindemanni iter in Bataviam susceptuin.
*^ uere liaud pauci , qui mirarentur, quid esset, quod ego , qui all-
quaiido litteraruiu caussa iter in Bataviam suscepisseni, nihil de eo nar-
rationis in vulgtus edidisseni, quum scitu iion iniucnndnm videi'etur, quid
reruiu gesseriin, qiialis interior rei apud Batavos litterariae statiis mihi
apparuerit. Eius rei caussae fuerc permiiltae. Et ut quasdam tan-
tum coramemorem, primura non piitaram , quod ego voluissem et ex
parte perfecisscm, id ad quemquara alium spectare, aliisque relatu di-
gnura videri; tum censebam, quos fructus inde retulerira, eos partim
iam orhi litterato innotuisse, partim ad hominum notitiam in posterum
pervcnturos; deinde existimabam , quae mea esset opinio de rei litte-
rariae statu apud illam gentem, quae tam diu in litteris humanioribus
principatum tenuit, eam vel propter temporis ibi transacti brevitatem vel
propter meae doctrinae tenuitatem non posse cuiquam veram rei ipsius
ac iustara praebere adumbrationem. Quare taceresatius ducebam, neque
ab isto consiUo decessissem, nisi reputassem, nunc quidera, tam gran-
di temporis intervallo interposito , non tilitcr lectum iri meara narra-
tioncm , nisi quemadmodum cuiusvis hominis , etiam qui nihil habeat
litterarura, itinerarium legimus audimusque. Cogitabam etiam, si quid
errasset iudicium meum , aut si quae falsa protulissem , quae mihi uni
Tera visa essent, ea hoc saltem habitura esse excusationis , quod con-
cedi solet scnibus, qui, sive laudatores sive obtrectatores temporis acti,
tarnen libenter audiuntur , quum qui eos audiunt intelligant , omnia
iam immutata et in alium statum esse conversa. Accesserunt
quaedam doctorum Batavorum criminationes, eorum quidera, quos, dum
in Batavia eram , non laesi , nc vidi quidem; nee vidi, sed ne nomen
quidera eorura audivi. lis nunquam respondissem , nisi convicia in me
iactassent turpia. Quid enira infelix ego feci aut quid commerui?
Scilicet vitas duuravirorura in Batavia cditas a viris nee natione Ba-
tavis et qui studiis suis de toto genere huraano bcne meruerunt neque
unius gentis sunt proprii, recudendas curavi, vel potius earum recuden-
darum, quum iam olira in Gerraania recusae essent, petentibus libra-
riis curam recepi ; adiectis notis orationem Latinara scriptorura illu-
etravi, eraendavi, rem litterariam promovcre pro virili studui; edere
volui vitam Wyttcnbachii a Mahnio conscribendara , tura nondura con-
scriptam, qaod non constituissem , ei, qualis futura esset qualisque
ItcrinBataviamsusceptura. 09
nunc est, cognovisscra. Hoc nimiriira summum fuit piaculum, At nonne,
ego quod noii fecissciu, alii fccisscnt, id quod accidit? Nonne bene
nieretur de siia gcntc , qui allarum gentium scripta pi'aestabilla intro-
dueit corumque uäuiu patufacit'? O inhumanum et crudele genus ! No-
bis pauperibus Germanis , inter quos litterarum doctores et studiosi
saepe cum tristissima peuuria conflictant , qui ab omnibus Oceani et In-
diarum divilils exciusi sumus , nobis invident Batavi suorum librorum,
longe cariorum , quam ut nos craerc possimus , usum et lectionem, in-
sano pretio , veluti adiecto crudelis!>imo interdicto , venundantes. Uli
intcrdicto si quis in Germania litterarum studlosus se subtcrducere et
vlliori pretio recudendos curare studuerit Butavorum libros , quod pro-
fecto non turpe fuerit Batavis scriptoribus; elieu, conclamant vicinos
ac populäres, furta ac latrocinia ci-epant, lucripetas et alicnarum mes-
sium collectores nos vocant. Qui si scirent , quantillum a nostris nos
librixriis honorarium accipere soleamus , profecto turpe saltem lueri
Studium nobis non imputarent et furti crimen a nobis amolirentur. Sed
qui tam tcmere ac tam impudenter tam turpes criminationes in homi-
nem litterarum studiosura confert , is non dignus est, qui amplius in
liominum eruditorum numero censeatur. Alii etiam Batavi , rumori-
bus de me sparsis nimium tribuentes, ingratuiu mihi animum expro-
braverunt, quod scilicet dixissem, bibliothecam Lugdunensem vermi-
bus nutriendis, non litteratorum usui destinatam, et a barbaris quibus-
dam de stirpe Vandalica custoditam videri. Nimirum hoc est viri con-
siderati, liominum rumusculis tantum confidere , ut bonam existima-
tionem probitatisque laudem aliculus iure laedere te posse credas !
Quos riimores ut refutarem , quid iudieaverim de Batavis litteratis, pu-
blice et palam prodendum esse existimavi; ceterum de persuasione mea
nihil detracturus neque commissurus, ut aliquid veri reticeara , quod
eine damno palam dici posset.
Igitur haec etiam in caussa fuerunt , ut consilium mutarem et iter
meum Batavura describendum susciperem. Volebani enim lioniinibus
ostendere , me nondum oblitum esse neque unquam obliturum , quid
Batavis deberera ; putabam non posse me melius significare, quantope-
re non commeruerim istorum liominum inconsiderata convicia , quam
si , me summam adhuc illis habere gratiam , publice confessus cssem.
Quare nolui diutius hoi'tantibus amicis repugnare; quamquam de me
dicere ipsura , semper mihi et fuit et erit odiosum. Ceterum non in-
iucundam lectu spero fore meam narratiunculam , etiamsi nihil magno-
perc habitura sit utilitatis. Nam tametsi, quae mihi acciderunt et quae ego
\-idi, nee magnas rcrum mutationcs , neque gravia eventu, neque
egregia facinora et fortiter facta complectuntur ; tamen et humana sunt,
quorum nemo cordatior quicquam a se esse alienum putat , et ad lit-
tex-as spectant omnium liominum communes. Quapropter benivolen-
tiam lectorum singulari captatione venari , non erit opus.
Anno MDCCCXVII A, D. XXVIII mensis Martii Torga In Saxo-
nla , nbi tum Lyccum regcbam , una cum uxore profectus sum. Im-
petraveram ab üs, qui rebus scholastlcis iu provincia Saxonia Borusso-
100 Fri derlei Lindemanni
mm praesunt, coinmeatum satls diutlnuni, ut tum mihi videbatur. lam
vernuiu tempus iiigruebat; iam pullulabant germina, iara arbores fron-
descere incipiebant ; sed liae limüsae et vectura paene insuperablles.
Tarnen quuni sumino mane profecti essemus , eodem die JLipsiam
transeuntes Mtrutburgum pervenimus. l^ipsicie in transitu Spoli-
n i u ni meum, tum vegeta adhuc iuveuta llorentem , pauUisper con-
veni cum eoque de itineris mei consilio , de quo iam antea per litteras
multum dlsputarara , iam postremum auguriura expetens, quamvis ra-
ptim, sum coUocutus. Hac bona ave iter optima me confecturum esse
opinabar. Mersehurgi duo curanda erant, quapropter diem ibi con-
sumsi. Primum valc dicendnm erat Christiano Weisio, pbi-
losopho , patrono raeo, regis cunsiliariu in Coliegio Merseburgico.
Deinde syngrapha petenda erat, qnae me tutum ubique transmitteret.
Weisius dumi non erat, sed liüeras ab eo commendatitias iam ante ac-
ceperam; syngrapha mira benivolentia eodem etiam die mihi ab illu-
stri Coliegio rectorum provinciae confecta et tradita est. Iam omnibus
recte procuratis securo animo atqne hüari patriam reliqui.
Tristissimo coelo , irapeditlssimo itinere CastUas advenimus. Ibi
pauUisper morari et vires reficere decreviraus. Ac primo statim die
eol redditus regionis amoenitatera urbisque splendorem illustrabat nos-
que , ut diutius manereraus , invitabat. Suranio visnndi ardore pro-
spectabamus coUem Vilelmi ac montem ilhim , in cuius altissimo cacu-
mine pyramis saxea cum statua Ilerculis grandissima; aedium magni-
iicentiam in meliori et recentioi'i nrbis parte mirabamur./ Ad hoc ho-
niines laeti, liilari vultu, quippe crudelissima dominatione nuper exerati
et priscae stirpi dorainatrici redditi ; mores siniplices et caudidi; vivendi
ratio non nimis luxuriosa, sed lauta satis et commoda; sermo antiquua
et iam ad dialectum Saxoniae inferioris vergens : orania haec nobiä
nova, iucunda, grata, invitantia et ad se allicientia. Iam dierum sum-
ma matutina lectiunculis et litterulis scribendis consumebamus. Tum
ientaculo sumto excurrebamus in montes vicinos, ad Ilerculem illum
ealutandum, in cuius vicinia adhuc nives ; in arcem Leoninam, qua vi-
senda et perlustranda exsatiari non pnteramus; deinde in urbem redtJ^
ces coenam sumebamus ad mensam hospitis , ubi multi peregrinantes,
multuä Icpos, multae facetiae; coena sumta Musea, bibliothecam, bal-
neum marmoreuni, hnrtos publicos aliaque permulta adibamus, et
eumma cum voluptate et delectatione spectabamus. Prorsus beatissimi
isti nobiä dies illuxisse videbantur. Adii etiam Gymnasium Fridericia-
num, cui tum praeerat (nescio an adhuc inter vivos sit) Vir Clarissimua
Caesar. Is mihi multa de Gallorum superba dominatione, barbarie
prorsus \ andalica, intolerabili arrogantia, rerum omnium devastatione,
lurium ac leguni eversione. Aspera sane pertulerant per orane illud
barbaricae dominalionis tcmpus maxime litterarum doctores publici. Et
praeter alia , quae mihi narrabat satis gravia et quae prius longe secus
se habere cogitarara, de Joanne Muellero, cui per terras imperii
Westphalici suprema rei litterariae ac publicae institutionis cura fuerat
dcmandata, ea mihi teatimoniis satis firmata exposuit, quae audüäse
Iter in BataTiam eusccptum. 101
nollcm, , Eius in negotlis g-erundls tergiversationes , in resistendo im-
probis exteroruni stipulatioiiibus imbccillitas, in tuendis ac defendendiai
tuteliie suae traditis rebus et hominibus tarditas, maxime vero eins
in Omnibus rebus, quae ad suain curara pcrtinercnt , negligentia tanta
apparcbat, ut civitati gravissima indc dainna infligerentur. Non igi-
tur vir sumnius ad res gereiidas natus fuit; et si fuisset, in illa snlteni
oinnium verum pcrturbatioiie non constitisset. Quae enim tanta gu-
bernatoris fortitudo, quae in gravissima tempestate , ubi omneä vento
auferuntur, sola inconcussa et illibata maneat? Quis tantus animus,
qui solus resistere possit perditissimorum Iiominum , qui omnia agunt
et ferunt, rapinis et devastationibus? Profecto non credo , malitiose
fecissc virum summum et immortali gloria dignissimum. Sed quid
terapora possint in hominibus qui mecum reputet; profecto satis excu-
eationis ei habebit paratum.
Casellis adliuc versantes diu dcliberavimus , utrum Bataviam in-
gressi itcr terrestre , an maritiraum in lacu Flevone usque ad Amstelo-
damuiu persequereraur, Atque uxor quidem et socius itineris, qui iam
inde a Lipsia nobiscum coniunctu» in Batiaviam pvoficiscebatur , ut ibi
studia nobiliä adolescentuli regeret, iter maritimum commendabant.
Yidebatur id raultum habere et amoenitatis et novitatis. Quae postea
eententia vicit. Sed pauUo post a nobis intellectum est, quantura noceat
impetura potius animi, quam deliberatara rationem sequi. Facile enim
poteram coniicere, iter maritimum uec mihi neque uxori salutare fu-
turum.
Percursis inferioribus Westphaliae regionibua , Paderhorna et
Monasterio nonnisi in transitu et obiter conspectis , pluviosa tempe-
state , interdum frigidissirao coelo , tandem vicum Bataviae in confiniis
positum , -nfixtAwe Easchede , feria Pascbatls secunda intravimus. Iam
coelum pauUisper serenari videbatur, sed per breve tantum tempus.
Iam nova ubique facies. Vicorum plateae, ut in oppidis , stratae,
purae, nitidae; aedes fenestrarum magnitudine et multitudine pelluci-
dae , muiiditiis splendidae; homines nitoris et antiqui cuUus studiosis-
rimi , graves ; templa musico carapanarum et tintinnabulorum sonitu
varioque et composito concentu resonantia; in muito hominum et vege-
to comniercio niagnus decor et antiqua quaedam gratitas. Sed plebs
abiecta et ignobilis; egenorum et mendicorura otiosa et molestIs*ima
turba; multique ex eo nuniero efToeto «;orpore et tetro plane aspectu,
ut nnsqnam in omni Germania tale quid vidjsse meminerim. Et ta-
rnen egenorum publicam curam praeclare institutain es^, homines cre-
pabant. Quod quäle fuerit , perspicere non potui. Noio tarnen dif-
fiteri, annonae caritatem tum fuisse gravissimam, quae res in causäa
esse potuit, ut tarn teter egenorum aspectus ubique appatuerit.
Xwollam pervenimus feria Paschatis tertia. Adhuc mane erat.
Mox celorem quaesivimus, hora deciraa antemeridiana conscendiraus.
Ventus vid;t:batur operara dare; laeti aniniis , corpore validi , vultu hi-
lares futuram nayigationera prospicicbamus. Equi trahebant navem per
foisam usque in altnm iacns Flevonis. Vix in altum provecti eraraus,
102 Friderici Linde manni
quiim infestissima teinpestas orta est. Ventus plane advcrsus; pluvia
iiivihus areiiosis mixta; frigoris luultum, coeli aspectus horridus. Pror-
sus hienialis et procellosa navigatio. laui fluctus intumeseere , iam
nos trepidare, sed nautae vel ridere vel munia siia aequo aiiinio obire.
Id noljis aniinuin addebat, quaiitiimvis iiavis vehemens vacillatio iam
nauäeam iiobis procreaverat. Dixerat mihi nauclerus, si vellem a nau-
sea me defcnulere, ut in tabulato navis manercm et frigido aeri me
exponerem. Id feci, donec nox ingi-ucret, tibi gubernatoris cubicu-
lum adü , iixorem revisurus. Di boni, quae ibi rerum facies ! Uxor
nausca fei'e exanimata; socius itincris graviter afilictus; rcHqui in
codem cubiculo versantes, qiii pauci erant, ingeraiscentes; omnes nau-
sea correpti; odor gravis et per sc iam nauseam moveiis. Peruiansi, ut
uxorem manibus amplexus in sedili retincrem, ne ad @ohim procide-
ret; tanta erat navis iactatio. Cetcrum ego cum paucis aiiis, qui uon-
dum gravius laborabant ex nausea, bene sperabam. Iam gubernator
cnbile suum petit, nos eo lactiores animo. Sed vix ille unani sccii-
buerat liorulam, quum repente iactationem in immensum augeri senti-
mus, homines in tabulatis discurrere, trepidare audimus, Descendit
aliquls, gubernatorem expcrgefacturu;:. Kos retinere , sciscitari , si-
mul escendere. At ille prodeuntes reprimit, non esso multis locum
in tabulato dicens. Ego pauca intelligebam , ex gestu , imtu , viiltu
multa coUigens; nondum enim Bata\ice sciebam. Iam supra nos im-
raani voce cultrum aliquis clamat; quod mihi quidem eo terribilius,
quo tranquilliores et taciturniores hucusque fuerant nautae. Escendit
allquis nostrum. Reversus nunciat, velum maximum , a procella pro-
digialiter discissum, vix servatum esse. Iam undique lamentationes et
eiulationes coortae, pars ad prccationes conversi, ipse tacite mecum
ardentes preces ad Deum O. M. fundebam ut mie vivura servaret , vel
si mori iam destinatum mihi, ut id sine diutina fierct conflictatione, ut
facilis esset et cita exstinctio. Erant nobiscum quidam Romanae lidei
formulae addicti , qui litanias decantabant , clara voce et communiter
orabant tantoque clamore aures opplebant, ut hac molestia gravius, an
infortunü cogitattone angeremur , incertum esset. Ego ad parietem cu-
biculi sedebam, altera manu uxorem semianimem in sinu mco detinens,
altera ansam aliquam in pariete fixam llrmiter prehendens , ne liumi
proiicerer. Hoc ijisum tanta virium contentione fiebat , ut, ni anxietas
vires addidisset, non sufFecturus fuissem. Uxor constupefacta nihil
omnium recte sentire et vix quicquam , nisi spirare ; unuiu hoc gestu
signiricabat, se nolle cubile petere. Ita aliquot horas misere traximus.
Tandem descendit aliquis, nuncians, ancoras ad insulam Sc/tok-
landlam iactas esse, navemquc consistere. Igitur animi paullura re-
laxari metuque solvi. Sed iactatio navis eadem vel raaior etiam , ut
mihi quidem videbatur. Brevi lux reddita , uxor cubile petüt , ego
esccndi in tabulatum. Adhuc liber eram a nausea. Sed nihil come-
deram nisi aliquot mali Sinici frustula, quapropter quum per se diffi-
cile esset navi tam vehementer vacillante per tabulata discurrere, ego
viribus attritus rcptarc tautum poteram; ut plurimum iaccbam, vcuto,
Itcr in Cattivlam susccptum. 103
iilvibus , undis expositus , 6cd liberum tarnen et purum spirltum ducens,
cjuod in cubiculü licri iion anipüiis potcrat, aliquot liominibus etiara-
uum nausca liiboniiitibus. lnt(a-im iiautae velum consucbant, quae
res mira mihi accidit. Quaercbam ciiim , quid esset, quod non plura
eiusmodi vcla raaxima , vcl duo ealtem , secuni haberent. Sed nihil
responsi ferebam , vel quod me non rccte loqucnteni non intelligerent,
vel quod respoudere noUent. E longinquo conspiciebara, a latere qui-
dcm villarum cacuniiiia, oppitli alicuius turres , culta homlnura. In-
tcrroganti respondcrunt , esse JLirdrov'icum. Petii, ut nie lintre
transvehentes ibi appellerent , pretium centura florenos monetae Bata-
vicae pollicens. Si niillc ponere velles , inquiunt, fleri nequit. Ora
ijuportuosa, ventus nliuius. Conticui , obduravi.
Ita meridics advenit. Pransi porro vecti sumus , rento vix paul-
lum remitteiitc. Descendi in cubiculum ad uxorcni. Nox insecuta il-
lunis, proccllosa, nee tarnen priori similis. Aliquoties escendi, vidi
Pharos, cursum nionstrantes, practerea nihil, Ilomeri Odjsseam in
einu mecum ferebam. Putaram , naufragium Ulixis , tempestatis de-
scriptiones, alia huiuscemodi summa cum voluptate me in navigio le-
cturum esse, neque exiguura ex ea lectione ad Ilomericorum carminum
intelligentiam iiicrementum hausturum sperarara. Sed Di boni, quam
nihil tale fieri poterat ! Satis habebara auras vitales carpere. Neque
enim noctu neque interdiu legendi aliquam Opportunitäten! invenire po-
tul. Ita ex Omnibus rebus commodis atque amoenis exarueram; ita
omnia infesta, odiosa, afiovaci plane et aTiQosSiövvaa erant ; immo e
re nata ne litterulam quidem potuisseem legere, si vel maxime animus
fuisset.
Et liac altera quidem nocte per multas iterum molestias superata,
paullo ante diem ventus consedit, fluctus lenire coeperunt. Cum prima
luce regressus in tabulatum vidi multa turrium cacumiaa , silvae instar
in coelura eminentia. Quaesivi; responderunt, esse ^nisie/odamuTn.
Post nonam antemeridianam in terram egressi sumus et dcvex'so-
rium petiiraus. Curatis pauUum corporibus eodera etiam die LiUgdu-
nutn perrexiraus. Aquam exosi ippaginem vitavimus curruque vecti su-
mus. Iter erat ut pluriraum per amoena vireta, violaria, prata, areas
narcissi, hyacinthi, tulipae floribus consitas, qui flores illls in locis
coluntur et tum splendidissimis coloribus luxuriabant, maxime post-
quam ilarlcnunn transiimus. Sereno coelo Lugdiinum ingressi su-
mus , quam rem in bonum oraen interpretari non obliti sumus.
In deversorium publicum advenimus ante noctem. Omnia mun-
ditiis splendescebant , omnia animum exhilarabant. Uxor mea, quae
Gallice quaedam eflari poterat, facile , quae volebat, impetrabat; ho-
mines etiam Germanice pauUum intelligebant. A ix insequenti die de-
versorium reliqueram, quum duo iuvenes mihi obviam facto» Germa-
nice loqui audio. Ego hilari animo statim adire, salutare, alloqui.
Erant litterarum Studiosi, alter Brunsvico , alter Lingia oriundus, qui
ad ampliora litterarum stadia emetienda Lugdunum concesserant. Uter-
que modestuä, kumanus, perdoctus, uterque me invento laetior, si
104 Friderici Lindemanni
id fieri potuit , quam egomet ipse, Miiltum illi mihi et utilitatis prae-
etiterunt, quippe officiosissimi , et consuetudiiie sua iucumlitatem vitne
nostrae multain addiderunt. Quapropter facere non possiira , quin
eorura nomina grato hie animo publice prodam. Erat alter Philologiae
etudiosus, Waardenburgius, filius rectoris olim Lingiensis Gym-
nasii, alter Bluiiiius, arti medicae deditus, qxii, ut nuper Diaria
publica nunciaverunt , itinere in insnlam Javam facto feliciter reversus
inclaruit, multa ad historiam naturalem illuätrandam pertinentia per-
tcrutatus.
Ilorum praestantissimorura iuvenura opera et auxilio priraum id
effectum est, ut, viri docti quo quisque tempore adeundi esseiit et com-
modissime adiri possent, planissime edocerer, et uhi habitarent, f.icil-
lime iuvenirem. Itaque priraum adii W y 1 1 e n b a c h i u m. Horrebat
animus rcverentia victus , quum cogitarera , qualem virum mox visurua
essem. Titubante gressu, palpitante corde , trepida manu fores pulsa-
bara. Habitabat vir suramu» plerumque in villa prope urbem non splen-
dida, sed percommoda, Arboria cilsae (Je hooge Boom') nomine in-
eignita. Sed quum illo tempore adhuc scholas haberet, in urbem do-
mura suam ventitabat ibique convenientibus ac salutantibus sese prae-
hehat. Admi£>us sum , cubiculum intravi. Sedebat cum nepti sua,
quam pauUo ante septuagenarius uxorem duxerat, ad focum, pedes
igni admovens. Statura grandis , corpus bene nutritum, iiec tamen
amplum, rubor iuvenilis in ore, in fronte multa severitas. Sed ocu-
lis non amplius valebat, ita ut aegerrime scriptum legere posset; qua
in re uxoris ministerio utebatur, quae surgentem etiam e sedili adiuTa-
bat. Casu factum erat, ut , quas mihi Creuzerus , Vir lUustris, pro-
niiserat litteras ad Wyttenbachiura commendatitias , eas nondum acce-
pissem. Quare viro summo , de veritate eorum , quae exponebam,
eubdubitanti, alias ostendi Creuzeri litteras, ad me datas illas, in qui-
bus de itineris mei consilio, de quo illum consuluerara, scriptum erat.
Tarnen cunctabatur opem suam in libris de publica bibliotheca mihi
commodandis poUiceri. Paullo morosiorem et difficiliorem fecerat ae-
tas , quod etsi primo mihi mirum videbatur , paullo tarnen post aetatis
id Vitium esse intellexi. CoUocuti sumus Latine et Germanice. Sed
Germanicae linguae usus ei plane in desuetudinem abierat, quanquam
libenter eam audire videbatur. Pro se respondere uxorem iubebat , si
quid commode Latine dici posse desperaret. Interim recte sed lente et
caute Latine loquebatur. Ceterum, ut dixi, spem nuUam de liberi-
ore usu bibliothecae faciebat. Discessi tristis. A ix domum reversua
eram, venit, ecce, unus de eius famulitio , scidulam afferens , in qua
muliebri manu scriptum erat: Qui hoc affert, ei scrinia bibliothecae
ea , in quibus Codices manuscripti continentur, recludenda iubcmus, ut
pervestigare possit, non tamen ut domum secum asportet. Haec satia
quidem benigne, mihi tamen non poterant esse satis, quippe nisi Co-
dices domi haberera, tarde tantum labor procedere poterat.
lam ante constitueram adire lanum Bakium. Is rae supra
quam sperare poteram benigne, comiter, llberaliter excepit. Homo
Itcr in Bataviaiu susceptum. 105
gravis et plane vir; sed suavis, afTabilis, comis, seinper tempcrata
quadam Iiilaritate sedatoquc vultii totus amabili;!. Statiira erccta, corpus
ouine dccoruui, ociili lucentcä et candidi^sinli aninii indices. Vellcra eius
onincm vultum nunc etiani pingere, si artem tenerem ; tarn vivida eiua
adhuc animo meo obversatur imago. Latliie loquebatur rectissime,
eles^antissime , lingua salis volubili. Pollicitiis est operam; sed ma-
gis etiaiii postea praestitit , quam erat pollicitus. Diu sermones ccci-
dinius. Plane ei conciliatus abii.
Cognovi subinde alios , qui tum Lugduni erant , viros suninioa,
iu quibus priuio locoraibi coramemorandus est Bil der dy ki u s , poeta
illustris , hoino ingeniosissimus , et licet provectus iam aetate , animo
tarnen prorsus vegeto ac iuvenili, quem quoties commemini, Plautinum
illud in mentem vcnit :
Si albus capillus lue videlur, neutiqitam ibi ingeniiun est senis.
Eius consuetudini hoc maxime debeo , quod Batavorura lin-
guam magnifacerc didici. Is seditione Francica ad Batavos propagata,
quum stirpi dominatrici Oranitae adhaeresceret, in Germauiara liabi-
tatum concessit ibique diu habitavit. Sed sub Ludovico Boiiaparta re-
versus , multis honoribus auctus , in Societatcni litterarum alleetus , a
rege doctor sermonis B.itavi in cubiculum ascitus , tum quum Bonapar-
tidarum dominatio tolleretur , fortunas collabi vidisset suas, nisi a rege
novo ex Oranica stirpe \ilelmo stipendio esset adiutus ; quo beneficio
sie utebatur, ut cum uxore sua, honestissima femina, beato otio Lug-
duni degeret sibique et Musis viveret. Multum cum eo et satis amice
eatisque hilariter vixi. Ipse Germanice recte scribebat, loquebatur paullo
secus ; sed uxor eius satis scite et eleganter et scribebat et dicebat Ger-
manice. Uterque carmina faciebat Batava , uterque multa eo sermone
scripta edidit, quoruni magnam partem pellegi et multum lade volu-
ptatis sincerae pcrcepi.
E reliquis laudandus mihi magnopere est Tydemannus filius,
iuris Professor. Is quamquain serius innotesceret mihi, tamen et multura
profuit et sacpe docto et hilari sermone me suo beavit. Pater eius, item
iuris Professor , grandaevus iam tum erat senex , illo ex tempore mor-
tuus. Praeterea adii van Kampenium, Germanicarum litterarum
in universitate Leydensi doctorem publicum , Lectorem dicere solent,
qui historia Litterarum Batavarum Germanice conscripta aliisque libria
editis orbi doctorum innotuit; Molen aarium, verbi divini apud
Anabaptistas Leydenses tunc ministrum, qui olira lenae ampliora Tlieo-
logiae studia tractaverat, nunc vero Elberfeldii, nisi fallor, eodem
munere fungitur ; Donkermannum, privatum in Acaderaia Leydensi
doctorem , hominem valde eruditum. Cognovi ctiam K e m p i u m ,
iuris professorem clarissimum , illo tempore senatorera in supreiuo et
amplissimo reipublicae concilio , quos status generelles dicunt, ab Aca-
demia electum, qui splendidissimam et instructissimam possidebat bi-
bliothecam; van Voorstium, theologum celebratissimum , pro-
fessorem theologicarum disciplinarum in universitate Lugdunensi summe
venerabilem ; Brugmansium, medicae artis doctorem celebratissi-
106 Friderici Llndcmanni
mum, Speyertum van der Eyk, matliematum professorem, qui
illo tempore Rectoriä MagniGci muuus gerebat. Quorum multl an ad-
huc valeant ctvivant, parum corapertum liabeo. Bakium vivere ex
Bibliütheca crltica Batavorum cognori; Wyttenliachius, Tyde-
mannus patcr, Brugmansius ad plurea abierunt , et suis pari-
ter atque peregrinis sul desiderium reliqueruut.
laiu si quaeratur, queraadmodum litterarum status atque conditio
apiid Batavos mihi apparucrit , qualis mihi visa fuerit doctrinae ac li-
bcralium artium tiactatio, quid re»pondeam , dubius haereo. Etenim
ei de singulis hominibus tale ferreiudiciumiamsatis lubricura atque invi-
diosum; quanto plus babcbit et dubii et invidiac, de universa quadam
gcnte iudicare, iutcr quam per aliquot tantum menses fueris versatus.
Quapropter priusquara hoc faciam, simpliciter narrabo, quid mihi in
liominum coiisuetudlne ipso facto sese obiecerit tale, unde in animi in-
geniique cultum litterarujnque Studium faciiis fieri possit coniectura.
Ac primum quidem professorum scholas adii publicas. Quarum
quascunque audivi, Latine habebantur; Latinus sermo , vctere atque
untiquo instituto , doctorum sermo in Academia erat Lugdunensi. Au-
divi Wy t tc nb a ch i um historiam philosophiae enarrantem, atque
istae, quas audivi eins scholae, novissimae erant atque ultimae in omni
eins vitae curriculo. Posthac non amplius publice docuit. Igitur iam
ad occasum vergebat aurcum illud sidus , quod luce sua totum littera-
rum orbem ad reiuotissimas usque oras iilustraverat. Et tarnen quam
Ti\ida, licet temperata, eins oratio! Quam rectus et simplex sermo
Latinus , quam luciduiu et grave narrandi genus ! Dicebat lente , sed
tarnen ita, ut nunquara interpellaretur oratio, aequabili quodam et
moderato flumine verborum , quae non, ut apud Homerum est, vi(pu-
SsGGLv ioLKozcc , cadebant, sed sie ore exibant, ut ingens et latum
flumen quod tacita aqua ripas mordet, et omnia tamen, quae undi» eins
propinquant, vi terribili secum provolutat. Poteram eins omnem ora-
tioncm verbatim litteris consignare, licet nihil in calamum dictitaret;
tarn gravi et lento tenore dicebat. Auditores scribebant assidue , alii
audicbant acriter, nemo turbabat quidquam; numerus tamen auditorum
haud ita magnus.
Bakium audivi aliquoties Euripidis Orestcm explicantem. Pe-
culiare est et antiquum in Academiis Batavis institutum , ut in scho-
lis philologorum ac theologorum, in quihus scriptores veteres et
libri sacri explicantur, fortasse etiam in aliarum doctrinarum repe-
titionibus, singuli auditores nomine evocentur, veluti in Cymna-
giis ac Lyceis nostris fieri solet , aut non evocati sponte surgant , et
verba scriptorls Graeca , accurate recitata , Latine , Latina Batavice
reddant, quibus professor explicationem suam et annotationem sub-
iungit. Quarc accidit, «t, si qui discipulus minus cxercitatus dicat,
omnis illa publice docendi ratio plane siniilis cvadat nostrae illius, quae
in secundo vel etiam tertio nostrorum Gyinnasiorum ordine obtinet,
quaque in primo ordine , quum discipuli iam ad maturitatem Acade-
micam nspii'ant , parcius uti solcmus. Id institutum, Batavis haud
Itcr in Jiatnviiim susceptuin. 107
duble utile, qui nostris Acadcniii.'3 nupcr commendarunt, plane oLliti
esse videntur, quuniudo iiostri discipuli corum quidem Gjnnmsioruiu,
quae paullo melius iiistituta sunt , doceautur et quid corum huuieri va-
leant , quum ad altiora Academiae studia progrcdiuntur et scholaium
umbracula reliquunt.
Ceterum Bakius recte , dilucide , dlligenter doeebat , tranquillc
et sedate, ut omnia, agens , libenter auditus ab omnibus, quuruiu
tarnen numerus non ultra deceni ; rari enim etiara ibi pliilologi.
Logicam doceri audivi a Mro VA. van der Wynpersse. la
corapendium suiim dccantaliat, qiiod olim , Wulllum, nisl fallor, ee->
eutus eonscrlpserat. Auditores tarnen scribcbant avide.
Ex reliquis, quoruni audivi soholas, maxime mihi plaeuit Brug-
mansius, qui Geologiam doeebat Latine, recte atque eleganter. Nam
tametsl quaedam vocabula non Latina, utpote in disciplina tarn recens
uata et exeulta, subinde inleruiixta essent tersae ceterum orationi; ta-
rnen et celeri flumine , et faeilc, et recte structa oratione et dilucide
dicebat , ita ut eius scliolis pcrmulti Interesse solerent vlri doctissimi
atque in amplissirais reipublicae muneribus constituti.
Jnterfni etlam disputationibus tum publicis tuinprivatis, publi-
cis medicorum, privatis pliilologorura. Medici, utapudnos, vix La-
tine balbutiebant , in schedulis scriptas liabebant interrogationes et rc-
sponsiones, quas reeitabant. Atque ita summos in arte medica^liono-
res sibi vindicabant. Pliilologi dicere Latine ineipiebant, tanquam Se-
cundani nostri vel etiam Tertiani Gymnasiorum discipuli. Sed quum
sex et amplius annos studioruiu in Acaderaia curriculum extendatur,
nibil inde damni in rempublicam redundat, nisi lioe unum, quod non
adolescentuli, sed puei'i, qui a ferula etiam formari debent et paeda-
gogoriun imperio nondum subduci possunt, in Academia versantur et li-
berorura studiorum arbitrium babent. Unde plura oriuntnr, nee levla
incommoda, quorum hoc est levissimum, quod pueri illi litterarum
Studiosi saepe in locis publicis et palam omnibus pngno inter se decer-
tant, et pueriliter illatas iniurias pueriliter depellunt atque ulciscun-
tur. Hoc ego levissimum dico , si eomparetur cum singularibus illis
nostrorum studiosorum certaminibus , quae duella voeant, iibi gladiis
et sclopetis saepe ad necem usque dimicatur. Ceterum illa puerilia in
Academiis Batavis certamina longe minus sunt frequentia et longe ra-
rius accidunt, quam nostrorum illae digladiationes.
Denique orationem audivi, quam Bakius in aditu muneris pro-
fessoris public! liabuit , de Grammaticorum in re littei'aria omni tem-
pore meritis (ita, nisi falsus sum memoria, inscripta est), quam po-
stea typis evulgavit. Egregia liaec et plena rerum optimarum oratio,
a tanta auditorum frequentia, tam avide est audita., ut non memine-
rim alitim quemquam tall studio, tanta audiendi cupiditate, tanto omni-
um silcntio dicentem audiri. Mulieres etiam multac, matronae pa-
riter atque virgines , lionestissimis locis natae inter auditores , sed loco
discretae, in exedra superiori, quam nos Galleriam voeamus, assidentes.
Aderaut omnes Academiae profeasorcs, togis atrid iuduti, a Rectore et
108 Friderici Lindemanni
Decemvlriä solenni pompa introducti, praeeiintibus llctoribus, qui sci-
piones gerebant argenteis nianubrils inslgnitos , quo» instar sceptri ela-
tos portabant. Oratio unius liorae spacium excedebat longe; sed ae-
guali ad finein usque studio audita postquam landein finita est, ingens
undique seciitus est applausus , qui in aniplis auditorii public! gpaciis
fatis augusto sonitu repulsu» intonabat. Ego mirari hoc et scenicum
dicere ; at illi , esse hoc sub Gallorum domlnatione introductum af-
firmabant.
Cum litterarum studiosis adolescentibus inultis faniiliariter con-
ßuevi. Videbantur mihi neque ab ingenio , neque a diligentia et studio
contemnendi, saltem non peiores esse nostratibus. Sed in bibliotheca
publica non multos neque libros mutuare neque studere vidi, licet fcre
quotidie ibi fuerim. Utrum hoc in institutis bibliothecae fuerit, an
culpa in studiosorum inertia, dicere non possura, Numerus studioso-
rum haud ita grandis ; nisi fallor vix trecentos superabat. At multi
peregrini inter eos. Aderant Angli , üderant Lusitani , aderant plures
ctiam e prttmontorio JBunae Spei in Africa, quorum hi antiquam aba-
Torum et atavorum suorum Academiam revisere aparentibus iussi erant.
Ex bis Omnibus et ex aliis rebus, quae mihi obviam fuere, con-
iecturam faciens sie statuam circa Batavorum, quae illo tempore fue-
rit, rei littcrariae rationem. Scholae philosophorum, praeter Logicaa
etPhysicas, fere nullae erant; Acaderaici in philosophia doctores igno-
ti homines et obscuri nominis. Atque in philosophia mihi tum raa-
xime claudicare videbantur Batavi. Quae res minime mira vidcbitur
ei, qui cognitum habuerit et reputaverit, quanto despicatu multi do-
ctissimi Batavi, in priniis vero Wyttenbachius, de conarainibus meritis-
que philosophorum nostratium, Kantio , Fichtio aliisque publice sta-
tuerint. Et Wyttenbachius quidem plus uno loco sane quam acerbe
febrira Kantiauam, ita enim Pbilosophiae Kantianae Studium appellat,
exagitat ac risui propinat. Quid enim mirum, fugere homines pro-
fectus in philosophia et conamina recentia , si qui tantus vir ita loqui-
tur de iis, queraadmodura locutus est Wyttenbachius in Epistola ad
Lyndenum? „Ego", inquit, „adolescentibus metaphysica febri deliranti-
hus ignosco; qui eadem et ipse adolescentulus deliravi. Ita enim na-
tura fert, ut quisque homo semel, aut summum iterura, in vita, ve-
luti corpore variolis, sie animo amoris aut alia studii insania corripia-
tur, postea convalescens sanus et immunis vivat. Cumqne ista febris
fere novos et imperitos invadat, peritos doctosque fugiat ; ignoscitur
adolescentibus: aetate provectis minus ignoscitur. Quo turpius bis est
imperitis et indoctis esse, quoque maiore cum dedecore delirant, et
quo graviore cum periculo acgrotant." Sic Wyttenbachius. Atque
ista quidem et talia ubique in Batavia resonabant, ut mirum non sit,
philosophiae recentissimos progressus et incrementa ignorari tum ab
hominibiis Batavis, qui quidem docti, elegantes et cordati haberi vel-
lent. Sed tamen etiam antiquae philosophiae Studium negligebatur,
eive id doctorum, quos supra dixi , culpa factum est, sive discipulornm
crrore, qui, talia audientes e viris sumrais suramaeque in re litteraria
Iter in Batavinm susceptum. 109
nuctoritatls, quod de recentiori accipIcLant, ad omnem traduceront plü-
lüsophiam.
Iiide quid detrlincnti ccpennt cetcrao disciplinae, niaxirae theo-
logia, iiirisprudentia , quae taiitum non iiitcj^rae e piiilo!>ophIa pendent,
facilc est ad conicttandum. Ac theologia (jiiideiii videbatur iiiilü totlä
quinquafjrinta aniii!) stcuiuluni nostrain es»e posterior. Quod itiilii eo
accidit maji^is iniruiu , quo libeiior et ex onniünis doniinatioiiis sacer-
dotaliä vinculis exenitior et doetiiua et excicitatio sive cultus religionia
est apud Batavos. Kihil eiiiiii eorum, quae ad sauctiorera doctrinam
Deique cultuiu spcctant, impeditur aut remuratur ab iis, qui imperiuin
habent; id quod ex longo iain tempore ita institutuni viget. Onines
enim omnium doctrinariim asseclae et sectatores libere ibi agitant: Ca-
tbolici, Lutherici, Calvinici , Zwingliani, Anabaptistae , Ilemonstrantes,
ludaei,, Graeci , et j^i qui sunt alii, onines et sua Iiabcnt tcnipla et pa-
lam oniniI)us cerimonlas suas obcuiit, et nihil inde ortuni intelligitur
detriuienti neqne in vitara domeslicani neque in renipnblicara.
At lurisprudentia quo loco fuerit et nunc etiam sit, gravissimo
Bunt arguinento eae leges, quae iam, ut publica Diaria narrant, in eo
est ut fcrantur ad populum de publicis iudiciis, quam nos iustitiara cri-
niinalem vocainus. Quae leges, quum sint ab omni luimanitatis fasti-
gio remotissimae ; quum sancirc studeant, quod in alüs Europae ter-
ris iam dudum ut inhumanum, crudeie, medii acvi temporibus, bar-
baris hominum generibus conveniens, abolitum sit aut aboleatur nunc
maxime; facile est ad intelligenduni, qualera fuisse necesse sit ex lon-
go iam tempore iuris disciplinam in Academiis Batavorura. Sed studia
iam reviviscebant, et qui in Academia Lngdunensi constituti erant iuris
disciplinae doctores publici, summo studio videbantur meliora iam et
altiora non sine prospero eventu sectari.
Venio nunc ad Fhilologiam, quam Lilteras , vel etiam Litteras
Humaniores appellare solcnt Batavi. Eae ab omni tempore summo
in lionore fuerunt apud Batavos et tum etiam erant. Latine omnia do-
cebantur , Latine omnes, quos conveni, viri docti recte et scite loque-
bantur. Sed graviora Graecae liiignae studia tum exardescebant tan-
tum. Wy 1 1 enb a chi US remiserat senio confectns; eins discipuli oc-
cipiebant demum. lanus Bakius cdiderat Posidonium suum, Cleo-
medis editionem parabat; sed idem multa legebat et Graecos bibliothe-
cae Lngdunensis Codices multum tractabat. liamakerus scripserat
lectiones Pliilostrateas, Reuvensius collectanea sua iam evulgave-
rat; qui quid pararent, nesnire non potui. Santenius diu iam
mortuus. Coeptara ab eo Terentiani 3Iauri editionem Lennepius
absolvendam susceperat, quam inchoatam a biblinpola Traiectino me-
cum abstuli. Nupei-rimo tempore absoluta ea ad nos perlata est, post-
quam per triginta annos a nobis fuit exspectata. — Ceterum magni
nostrae gentis in bis iitteris viri paucis tantum cogniti erant : Her-
mannus, Boeckhius, Matthiae, Lobeckius, quorum iam
tum merita de Graecis Litteris insignia, a primariis tantum Batavorum
viriä doctid cognoscebantur; ]Niebuhrium malebant Latine conscri-
110 Fr. Linderaanni itcr in Batav. susceptum.
psisse historiam suain Romanam, Voss iura interpretatlonera Ilomeri-
corum carminum vernaculam versibug Alexandrinis homoeoteleutis
composuisse. Grammaticas Herrn an ni qnaestiones , quippe a nostra
philosophia alieni, nondum fecerant suas, necdnm in adolescentium
institiitionem , ut no3 diu fecinius, introduxerant; minime omnium rem
metricam , ab Herraanno suscitatani , tetigeriint.
In suis vero ipsorura vcrnaculis litteris magna multorum ardebant
studia , grata popularibns , grata liaud dubie etiam posterltati futura.
Conscribebat tum maximc Palraius gentis suae historiam novissi-
mam, Sallustiano plane dicendi genere, ut ferebant. Idem novam
bibliorum interpretationem mcditabatur. Bilder dykius et uxor sua
proxime ediderant carmina coniunctim sua , in quibus quum liberatio-
nem maxime a Fran«;ogalIornm dominatione cantabant, unde liber in-
scriptus est. Vitboesemingen, quasi tu dixeris expectorationes, lege-
bantur avide et multuni celebrabantur. Ferebantur multa multorum
carmina recentissima, operumque poeticorura coUectiones, veluti Her-
mannivan Tollens, JaniFrederici Helmers, aliorumque,
qui oranes popularium studia magis niinusre in sese accenderant.
Longe tamen omnium raaxiine nostraeGerraanicae vernaculae poesis
etudia illo tempore apud Batavos florebant. Nemo erat Tel mediocri-
ter, irao vel levissirae litteris tinctus, quin diceret Germanice, aut nisi
diceret, tamen intelligeret legeretquo. Atque id tale erat, ut ubicun-
que essem, excepta plebe, Germanice loquens intelligerer ; unde po-
stremo ita solebaraus sermocinari, ut illi Batavice dicerent, ego Ger-
manice ; utrique autera facillime intelligeremus. jVam quum mihi ab
initio Latine esset dicendum , uxori vero Francogallice; tempore aliquo
transacto ad patrii sermonis incundissimam consuetudinem sumus
reversi , quod ipsum utrisque et nobis et Batavis acceptissi-
mum fuit et optatissimum. E quibus facile intelligitur , quantam
fuisse nostrafiura scriptorum lectionem inter Batavos necesse sit. ]\ec
legebantur tantum nostrorura scriptorum opera , verum etiara in Bata-
vum sermonem convertebantur, quod maxime popularibus scriptis acci-
debat , veluti fabulis Romanensibus, scenicis, carminibus ex bucolico
genere, scriptis theologorum asceticis ; inque his idem nuper contigisse
Pescheckii nostri libro de lesu cum mülierlbus conversatione, no-
vimus. Non igitur mirum videbitur, me quöque ibi edere potuisse car-
minum iuvenilium collectionem , quae quomodo excepta sit a Batavis
nescio. In his nostrarum litterarum studiis dolebant Batavi, neque id
iniuria , a nostra gente , quae omnia extraria tantopere adamaret, suas
litteras vernaculas tantopere neglectui haberi; praesertim quum integro
saeculo prius , quam noster sermo , ipsorum lingua exculta fuerit, et
ecriptorcs in omni genere classicos habuerit, antiquamque illa et vete-
rcm gravitatem et grandiloqucntiam servaverit. — •
Sed nunc iam partcm hulus meae narrationis finiam, reliqua per-
ßcquuturus , quum otium crit. Interim lectores herum Annalium, quae
dedi, boni consulant.
MIscellen. 111
M i 8 c c 1 1 e n.
Einige Lesarten zu Cicero's Laelius;
Mitgetheilt von B. J. Docen.
München, 181 . .
feo unLedeutend auch die nachstehende, durch ein einziges pergamen-
blatt dargeliotene, ausbeute scheinen mag: so glaube ich doch, dass
jeder beitrag, der unter den vorarbeiten zu einer neuen kritischen
ausgäbe der säninitliohcn v erke Cicero's zu henuzen wäre, nicht un-
beachtet bleiben sollte , falls er auch nur dazu diente , noch unbeach-
tete oder mit unrecht vernachlässigte hülfsniittel wieder in erinnerung
zu bringen. — Bei vergleicliung noch unbcnuzter texte ist es wol das
zweckmässigste , hier immer als gegenbild die lezte ausgäbe Ernesti s
vor äugen zu haben, deren theils unverschuldete, theils freiwillige
mängcl in jedem eiiizelen Ciceronischen werke so immer mehr aufge-
hellt, und dadurch der Munsch immer mehr angeregt werden Avürde,
dass die Ernesti'sche ausgäbe, mit all ihrem in mancher hinsieht nuz-
lichen zubehör doch in einer bessern behandlung des textes von neuem
erscheinen möchte. Die in diesem augenblick vielleicht schon vollen-
dete , nett gedruckte neue recenslon der sämmtlichen werke Cicero s,
durch Schütz , würde zu dem gebrauch , von >velchem hier die rede
ist, eben so tauglich scyn, falls der verdiente herausgeber, in der
art , wie es durch Wolf bei den Tusculanen geschehen , überall die
abweichungen des Ernesti'schen textes unter jeder seite sorgfältig be-
merkt hätte, wie frü/iirhin Ernesti selbst jede stelle, worin die Gru-
ter'ische recension von der seinigeii abwich , angezeigt hatte , welche
einrichtung uns das verdienst der neuen ausgäbe am schnellsten vor
äugen bringen würde. Ueberdless fehlt in der Schütz'eschen ausgäbe
die bezählung der kleinern abschnitte , die für die nachmaligen hin-
weisungen doch überaus vortheilhaft geworden seyn würden.
Das anfangs erM ahnte bruchstück einer schön und correct geschrie-
benen handschrift in 4 aus dem XI jahrhund., enthält folgende stellen
des werkleins de amicitia: A) zu den abschn. 18 bis 22 gehörig: „quam
adhuc mortalis nemo — bis : qui non in amici rautua." — B) nach
auswärts etwas verstümmelt, gehört zu abschn. 29 — 33: crudelitatem
semper — bis: Recte tu quidera. — I) Hinsichtlich der Orthographie
bemerke ich, dass hier statt benevolentia, beniv. steht (so kömmt es
fünfmal vor); statt nunquam , nuinq. , statt minime hercle, hercule;
/eneramur, conf f7?2ptum , intel/f-^amus, qui «f/petiverunt, r/fl?plicant,
wie das Alles in hundert andern latein. handschriften von gleichem und
höherem alter der fall ist. — II) Abweichungen in der folge der Wör-
ter kommen hier nachstehende vor: 18. concedantque, ut hi boni viri
fuerint, die HS. hlos: ut viri boni f. — 19. Agamus igitur pingui mi-
nerva, ut ajunt ; die IIS. pi., ut aiunt, Min. — Cap. 6. illa autem supe-
112 Miecellen.
riora . . . posita non tarn In consiliis nostris, die HS. in consil. nost. — 29.
ut sit per quem quisque assequatur, quod desid., die HS. ■weniger ka-
kophoniscli: per quem adsequatur, quod quisque desiderat, — ut
quisque niinimum in se esse arbitraretur, die HS. minimum esse in se.
(Eine mir liiebei aufgefallene lesart verdient avoI einige beachtung, da
sie ein in den neueren texten unbillig, wie ich glaube, ausgefallenes
hauptwort dem Cicero zurückgibt. Hier die ganze Stelle, wie sie in
alten drucken lautet: — „Quamquam confirmatur amor et beneficio
accepto , et . . consuetudine conjuncta. quibus rebus ad illum primum
motum aninii et amoris adhibitis, mirabilis qnaedam exardescit benevo-
lentiae magnitudo; quam si qui putant ah imheciUltate proficisci, ut
git „amicitia ea," per „quam" assequatur, quod quisque desidei'at: hu-
milem sane relinquunt et ininime gloriosum , ut ita dicam, ortum ami-
citiae , quam ex inopia atque indigentia natam volunt. Quod si ita
esset; ut quisque „valitudinis" minimum „esse in se" arbitraretur, ita
ad amicitiam esset aptissinius. quod longo secus est." — Von valitudi-
nis zeigt sich bei Ernesti , m ie auch in unserra fragment keine spur ;
es heisst dort ganz nackt und bestimmungslos: ut quisque minimum in
66 esse arbitraretur , wo doch nach meinem Gefühl minimum nichts
deutliches aussagt. Jenes valitudinis, was die Iczte ausgäbe des Lam-
binus noch ohne irgend eine bemerkung darüber beibehält, könnte
in dieser von den lexicographen vielleicht nicht bemerkten bedeutung
(körperliche und geistige vorzöge) den gegensatz zu dem Vorherge-
henden: ab irabecillitate ex.. inopia atque indigentia, vollkommen gut
ausdrücken. Und wäre auch ein herausgeber hierin ganz andrer raei-
nung, so sollte doch hitr Aas in manchen HSS. befindliche wort im
texte selbst, in klammern eingeschlossen, mit erscheinen.) — 30. Üt
enim quisque sibi plurimum, die HS. plur. sibi, confidit. — atque
haec inter eos sit honesta certatio (besser wol: concertatio); die HS.
holt haec hinter sit nach ; die ersten Wörter sind weggeschnitten. —
Hl) Eigentlich abAveichende lesarten sind folgende: 19. fides, integri-
tas, aeqiätas , — die IIS. aequalitas , welches die herausgeber in
aequitas änderten, (der Manhcimer druck lässt dicss wort ganz weg.)
aequalitas liesse sich durch das im gegensatz folgende ,,sitque magna
constantia" sehr gut rechtfertigen; — auch Scheller im Lexic. 1788
findet Ernesti's änderung unnöthig — ; es heisst geseztcs , gleichmä-
ssiges betragen, so Cic. Orat. 1JI8: aequaliter, constantcrque Ingrediens
oratio. (Noch besser ist es hier in dem sinn zu nehmen, wie Ambros.
de Offic. H zwischen 1) aequitatera, und 2) aequalitatera unterschei-
det: 1) ut nihil sibi potentior vindicet, 2) ni/iil usurpet ditior. Und
nur so erhalten wir den ächten gegensatz zu der bei Cicero folgenden,
nicht constantia, wie ich vorliin sagte, sondern „audacia," anmassung.')
. . nee sit in illis , die HS. eis, ulla cu|)iditas; siiiiqnv, die HS. sitque,
magna constantia, ut ii fuerunt, die HS. gibt hi, wie denn diese Form
hi , his in alten MSS. so häufig statt der ii , eis , iis der gedruckten
texte vorkömmt. — Cap. 6. Est autem amicitia nihil aliud , die HS.
Est enim; autem stand scheu in dem zunächst vorhergehenden satz. —
M i b c e 1 I 0 n. 113
lielimrum hoc qultlcm cxtremum est; dieses est fehlt In der HS., wozu
nicht übel passt, dass zu den folg-g-. Substantiven überall auch kein
sunt beigefügt Avird. — 23. Principio, cui potcst esse vita vitalis, quL
non; die IIS. beidemal quae ; andre texte haben quis oder qui; da es
V'orte des Ennius sind, so wundert mich, dass man dort statt cui nicht
viehuehr quoi eingeführt hat. — 29. quid niirum , est fügt die IIS.
bei, si animi hora. — 32. At il , qui peciuliim ritu; die HS. ab bis,
ßchreibf. statt At hi. — nihil enim altum suspicere possunt, die HS.
pcrspicere, darüber: 1'. suscipere. — quam ah imbecilUtate et gravior,
die IIS. ohne ct.
Wer diese kleine Variantenreihe hei lesung des Ciceronischen
textes mit vei'gleicht, wird Vermutlilich p»it uns einverstanden seyn,
dass Einiges darunter wol verdient haben möchte, von Ernesti entwe-
der in dem texte selbst bennzt, oder doch in den noten erwähnt zu wer-
den. Schon ans den alten drucla-n hätte er in dem leztcn theil der
philosophischen Schriften gar Manches in den noten beifügen können,
ohne dadurch den Band zu sehr anzuschwellen, falls er nur die ganz
unnötliige beigäbe der unterschobenen schrift des Sigonius weggelas-
sen hätte. (Dafür aber sollten in den Fragmenten die stellen in den
briefen des li. Hieronymus nicht fehlen , in denen er offenbar auf den
inlialt der verlornen Ciceronischen schrift de consolatione sich bezieht.)
Der geringe fleiss, den Ei-ncsti auf die philosophischen werke gewandt,
drückt sich auch darin aus , dass er dort in der vorrede über die hand-
schriftlichen texte, die er dabei zu rathe gezogen , eine nähere aus-
kunft zu geben, nicht für gut befunden hat; bei den übrigen werken
ist das anders ; vielleicht hat ihn dort augenblickliche eile gehindert.
Ein andrer feliler ist der, dass Ernesti, wo er eine andere Icsart auf-
genommen, uns oft die, welche vorher da stand, nicht im mindesten
hemerklich macht; so z. B. Lael. 50: Quod si etiam illud addimus,
nihil esse , quod ad se rem uUam tam alliciat , et tam attrahat , quam
ad amicitiam similituto ; hiezu die note ; „quod ad se . . alliciat] alli-
ciat in plerisque libris scr. reperi , itemque edd. pr. plerisque, ut Rom.
Ven. Mediol." Da weiss man nun im mindesten nicht, wie denn hier
die andern i^iyAe lesen ; in der ausg. des Facciolatus wird man auf's
kürzeste darüber belelu't: ,,aUiciat) AI. illiciat.''^ Dieses iHiciat steht
denn auch noch ohne Variante in der Ernest. ausg. von 1737. Zu den
Worten Lael. 38: „perfecta quidem sapientia simus" sagt die note: Sic
MS. Erf. Graevius Canteri conjecturam probabat u. s. w. Da erfährt
nun niemand, wie die vulgata vor Ernesti hier lautete. — Wie höchst
Avillkoramen rauss unter diesen umständen ims die grosse Sorgfalt seyn,
mit der Görenz der besseren ausstattung der sämmtlichen philosophi-
schen Schriften Cicero's sich unterzogen hat. —
(Etwa zehn oder eilf jähre später, als obige zelten geschrieben
waren, erhielten wir die reichlich ausgestattete ausgäbe des Laelius
vonGernhard, 1825., worüber eine längere, inötructive beurtheilung
von Görenz in Juhn's Jahrbüchern der Philologie , I, 291 — 317, mit-
gethellt worden ist. Für unsre fragmeute dürfen wir ausserdem auf
Jahrb. f. Phil. u. Füdag. Jahrg. 111. Heft 5. fi
114 M I 8 c e 1 1 c n.
die das. IV, 17 hefimlUrhc anzeige Beier's über Wundor's Varianten der
Erfurter HS. Ciceronischer Schriften verweisen, wo die correspondi-
renden stellen s. 33 anzutreffen sind. — 1828. Jun.)
Im Jahr 1827 sind in Deutschland im Burhhandel 4303 neue Werke
erschienen , von denen 344 der Philologie, 50 der Mythologie und den
Alterthümern, 275 der Pädagogik (mitEinschluss der Kinderschriften),
399 der Geschichte und Biographie, 107 der Geographie (mitEin-
schluss der Reiseheschreibnngen), 101 der Philosophie, 159 den Natur-
wissenschaften, 194 der Mathematik und KricgsAvissenschaft, G24 der
Theologie (mit Einschliiss der Andachtshücher) etc. angehören. \gl.
Blatt, für liter. Unterh. 1828 Nr. 133 S. 532.
In Göttingen bei Dieterich ist das 6te Volum, der Cummentationes
Societatls Hegiae Scieiitiarum Gotting. reccntiores ^ ad a. 1823 — •
27 (72Bgn. gr. 4, mit 24 Kftfln.) erschienen. Die Commentationes der
histor. und philolog. Classe sind folgende: I) Tychsen: De numls
Graecis et jBarhciris in Hoc/iara nuper repertis , inpriniis ninno
Demetrll Iiidiae regis, cum observaLt. super numo pro Antlgoni
Asiae regls // aZ*//o. s. Göttiiig. Anzz. 1823 S. 1073. II und III) Tych-
sen: De orlgiiie ac fide antiquae Perfiaruin hisioriae ^ qualm a
scriptorihus orlenlallbus iraditur^ Cumm. I et IL s. Götting. Anzz.
1824 S. 1033 und 182G S. 521. IV) Heeren: De füiitlbu.s Geogra-
phicorum PtoleTnaei, tabularumquc iis aiinexarum, iium iL Grae-
cae an vero Tyriae originis fuerint. ■&. Ebend. 1824 S. 1361. V)
Eichhorn: Marmor a Palmyrena explicita. s. Ebend. S. 1873. VI
und VII) Müller: De Pliidlae rita, Comment. I et II. s. Ebend.
S. 1137 und 1825 S. 1025. VIII) Müller: De slgnis olim in po-
stico Partlienonis s. liecatompedi templi fastigio positis. s. Ebend.
1827 S. 281. IX) Sartor ius: De variis mercibus ab urhibus Ger-
maniae septentrionalis s. Hanseaticis per saecula X11I-~^XKI
ex Russia euectis et occidenteni meridienique versus longius trans-
/jo/'^a^i*. s. Ebend, 1825 S. 1273. X) von Hammer: De Byzanti-
nae Jiistoriae ultimis scripturibus ex /listoria Osmanlca elucidan-
dis et corrigendis. XI) Tychsen: Memoria J. Godofr. Eichhorn.
8. Ebend. 1827 S. 1161.
Als ein praktischer Theil zu den literarhistorischen Werken von
Fr. Hörn, Bouterweck, Wachler u.A. lässt sich empfehlen Akt Deittsche
Dichtersaal von Luther bis auf die Gegenwart. Auswald des
Gediegensten, geschichtliche Einleitungen, Biographieen und Cha-
rakteristiken. Herausgegeben von August Gebau er. Alle Dich-
ter und Dichterinnen sollen hier einen Platz finden, von ihnen eine
kürzere oder ausführlichere Biographie und Charakteristik, ein Ver-
zeichniss ihrer Schriften und das Gediegenste aus ihren Werken mitge-
theilt werden. Das Ganze soll in drei Abtheilungen (von Luther bis
Mfscelloo. 115
Hall er, von Ilallcr bis auf die Gobriider Schlegel und von diesen bis
aul' die Gej^cnwart) zerfallen. Von der ersten Abtheilung sind 2 Bände
in 16 1827 in Leipzig bei Klein (1 Thlr.) erschienen, über deren Inhalt
(sie gehen von Luther bis Opitz) in den Blättern f. lit. Unterh. 1828
Nr. 118 f. berichtet und ilirc Zweckmässigkeit gerühmt ist.
In der königl. Bibliothek zu Paria hat man eine vollständige Hand-
Schrift von Edrisi's Geographie , die dieser gelehrte Araber 1345 zu
Almcria schrieb, gefunden. Sie enthält die seltensten Specialnach-
richten von Ländern zu der Zeit, wo er lebte. Eine Uebersetzung da-
von steht zu hoiTeo.
Von Heeren 's Handbuch der Geschichte der Staaten des
jältertJiums^ welches in diesem Jahre seine fünfte Auflage erlebt hat,
erscheinen zwei Englische Uebersetzungen , die eine in Oxford, die
zweite zu Boston in Nordamerika von demselben Gelehrten, welcher
bereits das grössere Werk vor drei Jahren zu übersetzen angefangen
hat. Ausserdem ist dasselbe Buch ins Schwedische übersetzt worden
von Job. Ekel und (Stregnäs, 1817 in 8.), in das Holländische von
G. Dorn-Seiffen mit einigen Anmerkungen (Utrecht 1818. 2c Ausg.
1820. 8.), in das Französische von Thurot. (Paris 1823. 2e Ausg.
1826. 8. Die zweite Ausgabe enthält Zusätze und Verbesserungen von
II ee ren.)
Eine eigene Erweiterung der Griechischen Mythologie findet eich
häufig auf den Etruskischen Grabesurnen, wovon Inghirami's
AVerk mehrere auffallende Beispiele giebt. So findet man z. B. Serie
I tav. 93 die beiden todtwunden Brüder Eteokles und Polynikes darge-
stellt , wie sie als Opfer zu den Altären zweier Erinnyen geführt wer-
den. Der blinde Oedipus steht in der Mitte , und spricht mit erhobe-
ner Hand den Fluch aus. Hinter ihm sieht man noch zwei andere Fi-
guren, wahrscheinlich Tiresias und Antigone,
tJeber das berühmte Musalco -von Palestrina , das man an der
Stelle eines Tempels der Fortuna fand , hat der Adv. Luigi Cec-
coni eine Abhandl. herausgegeben: Del pavimento in Musaico rin-
^•enutü nel tempio della fortuna Prenestina , worin er zu bewei-
sen sucht, dass dasselbe auf Befehl des Sulla verfertigt worden sey.
Dagegen hat Carl Fea (Rom bei Paggioli) drucken lassen: L' Egitto
conqiiistaio dall' Iniperatore Cesare Ottaviano Aiigusto sopra
Cleopatra e Marco Antonio rappresentate nel celebre Musaico di
Palestrina; discorao lelto dal 5ig. Aup. Fea nell' Academia ar-
cheologica ai 10 gennaj'o 1828, und dazu eine besondere Abbildung
des Mosaiks gegeben. Cecconi hat hierauf öeine Meinung durch einen
8*
116 M i 8 c e 1 1 c II.
gratis ausg;eg'ebenen Nachtrag zu seiner Abhandlung gegen Fea aufa
Neue vertheidigt.
In Rom ist 1828 erschienen : Monurnenti Egiziani della raccol-
ta delSign. Demetrio Papandriopiilo descrliti e con brevi annota-
zioni espostl dal Cav. P. E. Visc o n ti. 14 Kftfln. und 11 S. Text. gr.
Fol. 5 Piaster (mit schwarzen Abdrücken). Es ist eigentlich eine Art
Ton Catalog einer zum Verkauf ausgestellten Aegyptischen Kunstsamm-
lung. Auf den 14 Kupfertafeln sind zwei Mumien mit den Geräth-
echaften und Bildwerken, die zu denselben gehören, abgebildet, wel-
che allerdings manches Merkwürdige und Auffallende bieten. Der Text
giebt eine sehr gedi'ängte Beschreibung dersellten und beiläufige Nach-
richten über mehrere kleine Kunstdenkmäler dieser Sammlung.
Der bekannte Erzieher Dr. Joh. Niederer hat eine neue Zeit-
schrift begonnen: Pestalozzische Blätter für Menschen- und V^ülks-
bildung y oder Beitrage zur Kenntniss Pestalozzis als Menschen-
hildners und zur Beförderung seiner Entwichelungs - und Unter-
richtsu^eise. Ersten Bandes erstes Heft. Aachen 1828. 96 S. 8. Es
soll ein Vorläufer der zu liefernden Biographie Pestalozzi's seyn , und
ein Organ öffentlicher Besprechung über alles das werden , was dieser
Mann im Erzieliungs- und Unterrichtsfache geleistet hat, und was von
dem durch ihn genommenen Standpunct aus ferner geleistet werden
muss. Das erste Heft liefert eine Reihe Bruchstücke zur Charakteri-
stik Pestalozzi's und seiner Erziehungsmethode, für welche letztere na-
mentlich ein raitgetheilter Brief Pestalozzi's an Wicland interessant ist.
Ein längeres Stück aus dem ersten Heft ist mitgctheilt im Tübing. Lit.
Bl. 1828 Nr. 45 S. 179 f.
Todesfälle.
■■"en 4 Januar starb zu Heidelberg der Privatdocent in der plülosoph.
Facult. Dr. Noch.
Im Februar zu Arnsberg der Gesanglehrer Grevener am Gj-mna-
eium.
Den 29 März zu Rom der ehemalige Englische Gesandte ara
Neapolitanischen Hofe, Sir JJ^m. Drunimond , als Gelehrter beson-
ders durch archäologische Werke bekannt. Das M'ichtigste sind die
Herculanensict , welche er 1810 zugleich mit Rob. Walpole heraus-
gab. Mit den Theologen gerieth er durch seine allegorische Deutung
mehrerer Stellen des A. T. in Streit, welche er in seinem, nicht in
Todesfälle. llt
den Buchhandel gelforamcnen, Oedlpiis Judaicus bcliannt machte und
gegen welche der Geistliclic d' Oyly ein gr<>sses Buch hcruusgah. Sein
letztes "Werk sind die Origiiit/i or rettiari.s oii t/ie origlii of seiural
empii-es , slate& and cUies , wovon der dritte und letzte Band 1826
erschien.
Zu Anfange des April zu Wien der Dr. jur. Pliilipp Mayer ^ Er-
zieher des Erzherzogs Carl , besonders durch seine Theorie und Li-
teratur der Deutschen Dic/itung.sarten (Wien 1824.) bekannt.
Den 18 April zu Berlin der seit 1826 in den Ruhestand versetzte
vormalige Professor und Inspector Joacliim Ernst yllbrecht Hilde-
hrand am Friedr. Wilh. Gyninas. , ira 80 J.
Den 20 April zu Lingen der Subcourector des Gymnas. Rudolph
Niehaus , im 33 J.
Den 9 Mai der Schreiblehrer Scheiiihütte am Jesuiten - Gymn. in
Cöln.
Den 6 Juni in Leipzig der Oherhofgerichtsrath und ord. Prof. dea
Sachs, Rechtä bei der Universität Dr. Carl Friedrich Chr. Wench^
im 45 J.
Schul - und UniTersitätsnachrichten, Beförderungen und
Ehrenbezeigungen,
Aachex. Der verstorbene Stadtrath JDantzenberg hat der Stadt eine
kostbare Bibliothek von mehr als 10000 Bänden vermacht, welche zum
gemeinen Bessten benutzt Averden soll.
Ansbach, Am 30 Apr. und 1 Mai wurde das Jubiläutn des Con-
sistorialraths und Lycealprofessors M. Joh. Adam Schäfer^ welcher
am 30 Apr. 1778 als Inspector mornm am Carol, Alexandrinum ange-
stellt ward und seitdem ununterbrochen als Lehrer an dieser Anstalt
wirkte, feierlich begangen, und dem Jubelgreise von Seiten der theo-
log. Facultät in Erlangen die theol. Doctorwürde, vom Könige daa
Ehrenkreuz des Ludwigsordens verliehen. Eine Beschreibung der Fest-
lichkeiten steht im Kürnbcrg. Korrespond. Nr, 132 S. 745.
Arnsberg. Der Professor Plassniann am Gymnas. hat die kathol.
Pfarrstelle in Erwitte erhalten und sein Lehramt an ersterer Anstalt
niedergelegt.
AscHERSLEBEiv. Bcim Gymnas. ist der Dr. phil. Johannes Sonn~
lag als CoUaborator angestellt worden. Vgl, Jbb. IV S. 343.
AuGSBt'RG. Das bisher zum Militär- Monturmagazin gebrauchte
St. Stephansgebäude ist dem Magistrat zur Einrichtung für die kathol.
Studienanstalt übergeben worden. Die Trennung der Studienanstalt
nach den ConfessionsverhäUniääen soll mit dem Beginn des Schuljahrs
118 Schul- und Universitätsn achrichten,
18|^ eintreten. Bis dahin sollen auch zwei Studentenseminarien, eins
für Katholiken und eins für Protestanten, errichtet werden.
Baiern. Das Königreich ziihlt jetzt 7 Lyceen, 18 Gymnasien,
21 Prog-yinnasien , 16 Studienschulen , Z Realinstitute und 5394 Volks-
echulen.
Berlin. Das kön. Schulcollegiura hat unter dem 31 Jan. d. J.
die Verfügung erhissen, dass bei Einreichung des Lectionsplans künftig
auch die Bücher nachgewiesen werden sollen, aus welchen die Lehrer
ihre Gebete bei dem Anfange der Lehrstunden entlehnen. Bei der
Kealscliule ist der Privatgelehrte Ditteric/i auf ein Jahr als Lehrer
der Botanik angenommen und ihm dafür eine Remuneration von 100
Thlrn, bewilligt worden. Die Collecte für Hülfsbedürftige würdige
Studierende der hies. Universität liat im vor. J. 955 Thlr. 4 Sgr. 11 Pi.
eingetragen. In der philosoph. Facultät ist der ausserordentl. Profes-
sor Hayne zum ordentl. Prof. ernannt worden. Bei der kön. Biblio-
thek ist der bisher. Hülfsarbeiter Kiessllng mit einem Jahrgehalt von
500 Thlrn. zu ersten Secretair ernannt ; der ausserord. Prof. Dr. Va-
lentin Scliinldt und der Dr. Stieglitz sind provisorisch als Custoden,
der Oberlehrer \i\\ Philipp und die Candidaten Sjfbel, Knorr , För-
stemanri und F/iedländer vorläuOg als Grehülfen angestellt. Vgl. Jbb.
VI S. 134.
Blaxkesbirg. Am Gjinnas, ist zu Ostern d. J. der Dr, JBaL-
hahn aus Braunschweig als Lehrer der Mathematik angestellt worden.
BosN. Auf der Universität ist im akadem, Jahre von Michaelis
1826 bis dahin 1827 die Summe von 6080 Thlrn. zu Geldbcneficien
für Studierende verwandt worden. Der Ertrag säramtlicher Kirchen-
eoUecten der Rheinisch -Westphäiischen Provinzen für die Studieren-
den in Bonn war in demselben Jahre 3338 Thlr. 25 Sgr. 4 Pf, Für ka-
tholische Studierende der Theologie ist seit 3Iich. v. J. ein Convicto-
rium gegründet, in welchem 60 Alumnen eine besondere sorgfältige
Ausbildung für ihren künftigen Beruf erhalten. An demselben ist der
Candidat Johann Malzer als dritter Repetent angestellt worden. Der
Prof. Dr. Nees von Estnbech hat vom verstorbenen Grossherzog von
Weimar noch kurz vor dessen Tode das Ritterkreuz des Falkenordena
erhalten. Am 20 Mai beurtheilte der geh. Staatsrath Niebuhr vor öf-
fentlicher Versammlung der Studierenden die Abhandlungen , welche
für seine vorjährige Aufgabe über den Dictj's Cretensis eingegangen wa-
ren. Der Preis wurde dem Studiosus Andreas Dederich zuerkannt.
DKt'TSCH-CBOMB. Bei dem kath. Progymnasium ist eine neue
Lehrstelle gegründet und dieselbe dem Schulamtscandidaten Heinrich
Malhownki übertragen worden.
Di^LAcn. Der Pfarrcandidat Ludwig Fesenbech ist zum zwei-
ten Lehrer am dasigen Pädagogium mit dem Prädicat als Diaconus
ernannt worden. Der bisherige zweite Lehrer und Diauonus Sander
ist in die erste Lehrstelle aufgerückt,
DoNAUiiscHiNGEx\. Das grosslierzogl. Badische fürstl, Fürsten-
bergische Gymnasium zählte nach der gedruckten Anzeige der Lelu-
Befürderungon und Ehrenbezeigungen. 119
gegenstände am Ende des Schuljahrs 18|l^ (den 10, 11 und 12 Septh.)
hn Ganzen 91 Schüler in sechs CLiüseu d. h. Scliulen. Von dieser An-
zahl sind 23 in Donaueschingen geboren , die übrigen 68 aber sind
Auswärtige. IXinimt man dazu noch die Frequenzzahl der einzelnen
Classen, so hat man alles, was über die Schüler zur allgemeinen Kunde
gebracht ist, wenn nicht allenfalls die geringe Schülerzahl (9) der ersten
d. i. untersten Classe dleVermuthuiig begründet, dass die Frequenz oder der
Zudrang zum Studieren auch auf dem Schwarzwald abnehme. Die
Classen selbst, deren jede in der Regel nur einen jährigen Cursus hat,
heissen zwar nicht öffentlich im Drucke, aber doch im Sprachgebrau-
che der Lehrer und Schüler Rudimente (I) , Inilma (II) , Grammatik
(III) , Syntax (IV) , Rhetorik (V) , und Poesie (VI). Die Lehrgegen-
stände all' dieser Schulen sind in I — VI: Religion, Lateinische Sprache,
Geographie und Mathematik; in I — IV: Deutsche Sprache; in II — VI:
Griechische und Französische Sprache und Geschichte; in III — IV: Na-
turgeschichte; in V: Rhetorik; in VI: Poetik, und in V und VI: Ae-
sthetik. Ueber die Ausdehnung des kalligrupliisdien Unterrichts und
des Zeichnens erfährt man nichts, obschon die Lehrer genannt sind;
des Musikunterriclits wird gar nicht erwähnt, und auch die Körper-
übung scheint, wie ausser VVertheim an allen Badischen Mittelschulen,
in Donaueschingen über der Geistesübung gänzlich vergessen zu wer-
den. Nach der Stundenzahl der einzelnen Lehrgegenstände und nach
der Ordnung der Prüfungen , zu welchen die Anzeige eine Einladung
seyn soll , sieht man sich ebenfalls vergebens um. Die Anstalt liefert
demnach dem Publicum oder andern Sclmhnännern ziemlich mangel-
hafte Daten, um die ganze Eini-ichtung kennen zu lernen. Ihren Lehr-
stoff giebt sie ZAvar ganz an, aber die wissenschaftlichen Fächer des-
selben in ziemlich engen Grenzen. Die Geschichte wird nur bis zur
Entdeckung von Amerika gelehrt , von alter Geographie kommt nicht
einmal bei der Gescliichte eine Erwähnung vor, die Mathematik endigt
mit einfachen Gleichungen und den Anfangsgründen der Geometrie, und
die Naturgeschichte behandelt nur die Säugthiere. Dabei fällt es auch
auf, dass die vor mehrern Jahren gegebne Vorordnung der höchsten
Studienbehörde, hei dem Religionsunterrichte die Schriften d. N. T.
zu lesen und zu erklären , in keiner Classe berücksichtigt ist. Neben
solch' engen Grenzen der wisscnscliaftlichen Lehrgegenstände liesse sich
nun eine um so vollkommnere Gestaltung des Unterrichts in den classi-
schen Sprachen erwarten , allein die Anstalt liefert in ihrer Anzeige
hinreichende Daten zu der Behauptung, dass ihre Methode, die alten'
Sprachen zu lehren , die ganz gewölinliche sej , nämlich zuerst das
Lateinische und ein Jahr später das Griechische anzufangen, neben der
Grammatik und dem Auffassen der Regeln Lebersetzungen ins Deut-
sche und sogenannte Stilübungen d. h. Uebersetzungen ins Lateinische
und Griechische zu Hause und in der Schule vorzunehmen, diese schrift-
lichen Exercitia bis zu Lateinischen Aufsätzen in den beiden obern
Classen, jedoch nicht auch bis zu Extemporalien zu steigern, Stücke
aub Autoren , aber höchst seilen oder im Grunde uie ganze Werke zu
120 Schul- und Universitätsnachrichten,
lesen , und erst noch die •wichtigsten und bedeutendsten der Univer-
sität zu überla:?sen. Daraus ist ohne Meiteres das zuniTheil unerfreu-
liche Detail klar, dass an dem Gynina*ium für die classische Literatur
der Griechen und Uönier wohl noch mehr zu wünschen ührig bleibt,
als für die Deutsche Sprache , welche in die Deutsche Literatur ihrem
ganzen Umfange nach ebenfalls nicht eingeführt ist, sondern die Gram-
matik mit einer Darstellung des Deutschen Stils in Prosa und Poesie en-
det. Die Anstalt macht in diesem Gegenstande mit den andern katholi-
echen Mittelschulen des Landes aus den unterscheidbaren Theilen der
Theorie des Stils einen doppelten Cursus, lässt aber mit dem Lyceum
zu Constanz und dem Gyranas. zu Freyburg die Theorie des poetischen
Stils dem rhetorischen folgen, worin die Gymnasien zu Bruchsal und
OfTenburg und das Lyceum zu Rastatt gerade umgekehrt verfahren.
Ausser dieser Poetik, dem Lateinischen und einem Theil des Griechi-
echen hat die höchste oder letzte Schule die Religionslehre, Geschich-
te und Geographie, Mathematik, Aesthetik und Französische Sprache
mit der vorletzten Schule gemeinschaftlich, und nicht nur dieses son-
dern auch noch das Combiniren von je zmcI Schulen in den meisten
Lehrstunden , ungeachtet verschiedener Lehrgegenstände muss darum
zum Nachtheil der Anstalt stattfinden, weil alle sechs Classen nur drei
Classenordinarien haben , nämlich die beiden geistlichen Professoren
üecker (Ordin. in V und AI) und Jäger (Ordin. in III und IV), nebst
dem Rechtscandidaten KeJiI (Ordin. in I und II), welcher mit Aus-
nahme der Religion sogar alle in seinen beiden Schulen vorkommen-
de Gegenstände lehrt. Neben diesen Lehrern giebt der Ilofprediger
Dr. üecker die Aesthetik in V und VI, der Fiscalassistent Seemann
Geschichte und Geographie in III — VI, der Georaeter Martin prakti-
sche Geometrie , der Hofmaler Jclhle Zeichnungsunterricht und der
Canzlist CaUlvode die kalligraphischen Stunden. Das Gymnasium hat
keinen erklärten V'orsteher, seitdem der letzte Gyranasialpräfect Jo-
seph F.Lselein vor 6 Jahren zur evangelischen Confession übergegangen
und zugleich von seiner Lehrstelle abgetreten ist. Ueberhaupt kön-
nen der Fundation gemäss nur Geistliche eine definitive Anstellung iu
den Hauptfächern der Lehranstalt erhalten.
Freybitig im Breisgau. Seine königl. Hoheit haben dem Univer-
feitätsprofessorMedicinalrath Dr. ScJimiederer den Charakter und Rang
als geheimer Hofrath, und dem Prof, medic. JBaumgärtner den Cha-
rakter als Hofrath crtheilt.
Güstrow. An der Doraschule ist der Collaborator TVenähausen
in die Stelle des Subrector Joh. ChrlsLian. Hai in ^ welcher das Re-
ctorat in Friedlard erhalten hat, aufgerückt.
Halle. Der ausserord. Professor Dr. Leo bei der phllosoph.
Facultät in Berlin ist in gleicher Eigenschaft an die hiesige Universität
versetzt worden.
HEiDELBiiRG, Dic ersto protestantische Lehrstelle am vereinigten
Gymnasium, d. h. diejenige, welcher die mit dem ältesten katholischen
Lehrer jedes andere Jahr wechselnde Direction der Austalt zukommt,
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 121
■wurde nach KaYse}-\<i Tod dem Prof. Jhinricli Friedrich TVühehni^
die zweite protcst. Lehrstelle dem Prof. Ju/iann Friedrich Ilaiilz,
die dritte dem Prof. Jo/uinn Ludwig Oetlinger, und die vierte dem
am Gymnasium in Elberfeld als Oberh-hrer angestellten diesseitigen
Pfarrcandidaten Joliann Georg JSehaghel mit dem Prädicat als Pro-
fessor übertragen.
Hessen, Die cluirfürstHche Regiei'ung hat die von den höheren
bürgerlicben Classen häufig vernachlässigte Fuldaer Schulordnung von
1181, nachAvelcher alle Stadtkinder gehalten sind, die öffentlichen Schu-
len zu besuchen, unter dem 19 Octob. v. J. aufs Neue eingeschärft
und verordnet, dass ohne eingeholte Erlaubniss zur Befreiung kein Kind
von dieser Oi'dnung ausgenommen seyn soll. Eltern, welche Aus-
nahme Avünschen, müssen sich mit ihren Gesuchen melden, und ver-
fallen sonst wegen Abwesenheit ihrer Kinder sofort in Strafe. Die Pri-
vatlehrer müssen überdiegs hinsichtlich ihrer Kenntnisse vorher ge-
prüft Averden,
Hirschberg. Zum DIrector des Gymnasiums ist der bish, Dir.
des Gymn, in Ratibor Dr. Liuge ernannt worden.
Hof. Am Gymnasium ist der Dr. Carl Jf'ilh. Feuerhach als
Lehrer der Mathematik angestellt worden.
KöMGSBERG in Preussen. Der im J. 1816 zur Unterstützung hülfs-
bedürftiger Gymnasiasten gestiftete Verein hat bis zum 1 Nov. 1827
zusammen 30905 Tlilr. 8 Sgr. 2 Pf. (nämlich 25785 Thlr. 24 Sgr. T Pf.
an Beiträgen , 1818 Thlr. 14 Sgr. au Zinsen und 3300 Thlr, 29 Sgr.
7 Pf. an Geschenken} eingenommen und davan 0839 Thlr. Ifi Sgr. 4 Pf.
zur Anlage eines Capltalfonds und 23261 Thlr. 12 Sgr. 8 Pf. zur Unter-
stützung vom 111 Jünglingen verwendet. GcgenMärtig werden 13
Schüler auf den verschiedenen Gymnasien mit 516 Thlrn. 20 Sgr. un-
terstützt und der Capitalbestand Ist 8615 Thlr.
Konstanz. Zu den öffentlichen Endprüfungen imd zur feierli-
chen Preisausthellung glebt das Lyceum jedes Spätjahr ein gedrucktes
Yerzelchniss der Lehrgegenstände, der Prüfungsordnung und der Schü-
lerzahl, und scheint denmach auf einen vollständigen Jahresbericht In
Verbindung mit einer der Anstalt und den Erwartungen des literari-
schen Publicums entsprechenden Abhandlung keinen AVerth zu legen.
Das Lyceum, welches durch seine Stellung und Lehraufgahe zu den
wichtigern Mittelschulen des Grossherzogthunis gehört, nannte im Ver-
zeichniss vom Schuljahr 18||^ bei der Angabe der Lehrgegenstände
folgende drei geistliche Lehrer, den Lycealpräfecten ff iehl und die
Professoren Lender und Fineisen, und folgende neun weltliche Leh-
rer, nämlich die Professoren Dr. Su/zer , Dr. Nenning, Benz,
Speck, Jßaer ^ lileibimhaus , Duhüis , Mahler 7i/^^ und Anstands-^
lehrer fVeher. Zu Anfang dieses Jahres ist aber Prof. Dr. Joh. Ant.
Sulzer gestorben, und seine Stelle wird nicht wieder mit einem neuen
Lehrer besetzt werden , da die wenigen Lehrstunden des Verstorbenen
(11 wöchcntl.) die übrigen Lehrer übcrnoiniuen haben. Dadurch wird
nun die ungleiche StimdenverthcUung, nach welcher bisher einzelne
122 Schul- und Univcrsitü tsuachriclit en,
Lehrer weit Aveniger Lehrstunden zu gehen hatten als selbst der Ly-
cealpräfect, welchen bei der gröissten Stundenzahl und verschiedeneu
Lehrfiichern doch auch seine Amtsgeschälte als Lyceumsvorstand viel-
seitig in Anspruch nehmen müssen , eine angemessene Ausgleichung
erhalten, wenn es nicht ein lortAvährendes llinderniss bleibt, dass die
Professoren Senz und Dr. JNeniiliig neben dem Lehrgeschäft einen
andern Lebensberuf, jener die Advocatiir und dieser die medicinische
I*raxis, patentgemäss verfolgen. Die jetzt vorhandenen 11 Lehrer ba-
ten , ausser der nicht angegebenen Tanzstundenzalil des Anstandsleh-
rers J l cber, wöchentlich 170 Stunden zu geben, >vorunter 18 gemein-
schaftliche d. h. solche Stunden sind, in denen zwei Classen den näm-
lichen Unterricht, z. B. in der Religion und in der Französischen Spra-
che erhalten. Ein anderes Schülercombiniren, wie an dem Gymnas.
au Donaueschingen , kommt in den acht Classen d. i. Schulen des Ly-
ceums nicht vor. Jede Schule hat nur einen einzigen Jahrescyclus
und die Anstalt kann demnach in der Regel in acht Jaliren absolvirt
werden, obscbon nach dem Schülerverzcichniss beinahe in jeder Classe
2 bis 3 Abtheilnngen alpliabctarisch aufgezählt sind , und diese Ab-
theilungen die Grade des Fleisses und der Foitsciiritte anzeigen sol-
len. Es ist kein Gesetz vorhanden, welches nach Art der höhern Lehr-
anstalten zu Carlsruhe, Mannheim und Heidelberg einer oder der an-
dern Schule des Lyceums einen zweijährigen Cyclus vorschriebe, son-
dern die nicht gehörig befälligten Schüler müssen , gleichwie diesa
auch an den übrigen katholischen Mittelschulen des Landes geschieht,
durch einen Beschluss der Schulconferenz , anstatt anisteigen zu dür-
fen, ihre Schulen repetiren. Sollten daher die in der zweiten und
dritten Abtheilung jeder Classe aufgezäblten Lyceisten , was freilich
nicht gesagt ist, aber nach der angegebenen Bedeutung der Abtheilun-
gen doch vermuthet Averden kann, in jenes Conferenzurtheil verfallen,
so muss nach der beträchtlichen Anzahl derartiger Schüler zu schlie-
ßsen, entAveder die Anstalt in ihren Befäbigungsforderungen sehr streng,
oder der Fleiss aus irgend einem andern Grunde sehr unbefriedigend
eeyn. Bei einer grossen Schülerzahl giebt es allerdings verschiedene
Hindernisse. Es Averden in dem Verzeichniss 301 Schüler namentlich
aufgeführt. Darunter Avarcn am Schlüsse des letzten Schuljahres (deu
Xlten — iSten Scptbr. v, J.) 240 Avirklicbe Schüler (1!)0 Auswärtige u.
50 Konstanzer), 0 sogenannte Gäste (3 AusAvärtige und eben so viele
Konstanzer) und 49 im Laufe des Jalirs Ausgetretene (41 AusAvärtige
in 8 Konstanzer). Nach Classen oder Schulen vcrtheilt, zählte I (Ru-
dimente) 25 Avirkliche Schüler und 0 Ausgetretene, II (Infima) 33
Avirkl. Schüler und 9 A. , III (Grammatik) 28 av. Seh. und 0 A. , IV
(Syntax) 29 vf. Seh. und 13 A. , V (Rhetorik) 00 av. S( h. , 7 A. und 4
Hospitanten, VI (Poesie) 32 av. Scb. u, 2A., VII (Logik) 2T av. Seh.,
4 A. und 2 Hospitanten , VIll (Physik) 12 av. Seh. und 2 A. Durch
diese classenAveise Angabe dürfte sich die Behauptung rechtfertigen las-
(sen, dass es weit zweckmässiger gcAvescn Aväre, die Anzahl derjenigen
Lyceisten anzugeben, welche die Universität bezogen, und av eiche von
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 123
den Ausgetretenen entweder an andere höhere Lehranstiilten oder zu
hürgerlichen Gewerben iilierghigen , ula dass in I — IV die Aamcn der
l'reistriiger und Acccssoren ihren Mitschülern vorgedruckt, und in
V — Vlll die durch Fleiss luul Fortgang besonders Ausgezeichneten mit
Sternchen bemerkt wurden , zumal solche öllcntiirh auszeicJinendc Un-
terscheidung, welche unter allen höhern Lehranstalten Badens nur an
dem Lyceum zu Carlsruhe und an dem Gjnin. zu VVertheiin , iiber zu
anderem Zwecke, auf verwandte Weise sichfuulet, bei vielen für un-
pädagogisch gilt, jene Notizen hingegen für die Schulstatistik allge-
meinen Werth haben. Die Versetzung und Entlassung geschieht ia
der Regel nur jähi'lich im Herbste, und das Lyceum entlässt, gleich
jenem zu Rastatt, seine Schüler zur Universität sowohl nach Beendi-
g'ung der gechs untern Schulen als auch nach absolviertem philosoph.
Curse, jene zum Studium der Philosophie und diese zu einem bestimm-
ten Fachstudium, beides mit einem Absolutorium nach den jährlichen
Fortgangsnoten und ohne besonderes Abiturientenexamen. In der gan-
zen Einrichtung der Anstalt aber lassen sich drei Stufen unterscheiden,
eine grummaiikalisclie, eine Immwiintitiche und c'iwe philoaop/di>c/ie.
Für die erste Stufe sind 4 Schulen, für jede der beiden andern hingegen
nur zwei bestimmt. Die Lehrgegenstände in der grammatikalischen
Stufe oder in I — IV sind Religion, Deutsche, Lateinische, Griechische
und Französische Sprache, verbunden mit Arithmetik, biblischer Ge-
echichte und Geschichte der Griechen , neue Geographie und Kalligra-
phie mit Orthographie, Der Unterricht in diesen Gegenständen wird
mit wenigen Ausnahmen streng nach dem Classenlehrer»ystem ertheilt,
80 dass Huer Ordinär, in I , Hleibiniliaiis Ordinär, in II , Fintiseih
Ordinär, in III und Speck Ordinär, in IV beinahe alle ihren betref-
fenden Schulen zugewiesene Lelirfächer geben. Man siüht in dem
Lectionsverzeichnisse deutlich, dass auf dieser Stufe die Hauptaufgabe
dahin geht, die Schüler bis zum fertigen fehlerfreien Uebersetzen aus
der Deutschen und Lateinischen Sprache zu bringen, den Unterricht im
Griechischen zu beginnen und bis zu Vollendung der Formenlehre fort-
zusetzen; ob aber alles übrige in Anlage und Ausdehnung eben so sach-
gemäss als der grammatikalische Lehrstofl' auf eine Vervollständigung in
den folgenden Schulen berechnet ist, dürfte sehr zu bezweifeln seyn.
Die humanistische Stufe (V und VI) umfasst in ihrem Lchrkreis Reli-
gion, Rhetorik, Poetik, Lateinische, Griechische und Französische
Sprache, Arithmetik, Algebra, mathematische Geographie, Geschichte
der Römer und der Deutschen , neue Geograplüe und Naturgeschichte,
Hier ist das Classenlehrersystera aufgegeben und mit dem Fachlehrer-
system grösstentheils vertauscht. Es lehrten die Professoren IFielü^
Leiiäer , Dr. iSiilztr , Dr. Nciiiilng und Hleibiinliaus. Die Haupt-
aufgabe enthält und befriedigt aber keineswegs die Forderungen, wel-
che mit Recht auf dieser Stufe gemacht werden können ; denn anstatt
das ganze humanistische Studium zu umfafesen, und in den alten Spra-
chen durch höhere Grammatik, strenge Interpretation , Extemporalieu
und Lateinischsprecheu neben wohlbcrechneter Schul- und Privatle-
124 Schul- und Universltü tsnachrichten,
ctüre der Classilicr und scharfem AufTassen des Ausdrucks und der Ge-
danken recht einheimiscli zu machen , g'icht die Anstalt eine Theorie
des prosaischen und poetischen Stils in Verhindung mit Uebersetznngs-
Übungen aus dem Griechischen und Lateinischen ins Deutsche , mit ei-
genen Lateinischen und Deutschen Ausarbeitungen, mit Griechischer
Syntax und wenigen Uebungen, das Griechische ins Lateinisclie zu
übersetzen. Man denke dabei nicht an einen allenfallsigen Ersatz in
der philosophischen Stufe ; denn dort schrumpft die Lateinische Leetüre
gar bis auf zwei gemeinschaftliche Stunden zusammen , und ebenso die
Griechische. Eher noch dürften die andern Lehrgegenstände, mit Aus-
nahme der von IV aus im Lehrplan ziemlich in den Hintergrund treten-
den Deutschen Sprache, weitere Vervollständigung erwarten und erhal-
ten. In der philosophischen Stufe nun d. i. in VII und VIII Averden
gelehrt Religion, theoretische Philosophie, Moralphilosophie und
pragmatische Anthropologie, Physik, reine und angewandte Mathe-
matik, allgemeine Weltgeschichte von der Schöpfung des Menschen
bis auf Christus und von der Reformation bis auf die neueste Zeit, Na-
turgeschichte , Lateinische, Griechische , Hebräische und Französische
Sprache. Auch lüer ist mit Recht das Fachlehrersystem befolgt und
CS lehrten die Professoren JJ'iehl , Lemhr^ Dr. Suher, Dr. Ntuning,
Jienz und JSpeck nebst dem Französischen Sprachlehrer Dubois ^ der
in II — VIII seinen Unterricht ertheilt. Wenn jedoch die Hauptaufgabe
auf der näclistvorhergehenden humanistischen Stufe sehr unbefriedigend
erschien, so muss sie auf dieser Stufe als völlig verfehlt erklärt wer-
den. Kicht als wenn auf Mittelschulen keine Philosophie gelehrt wer-
den sollte, sondern weil die Anstalt, die unter der theoretischen Phi-
losophie die empirische Seelenlehre, Logik, Rletaphyslk und Geschichte
der Philosophie aufzählt , nicht einzusehen scheint , dass dieser Lehr-
kreis mit den übrigen Gegenständen weder als philosophische Facultät
noch als philosophische Propädeutik befriedigt, sondern als ein in je-
der Hinsicht unglückliches 3Iittclding ZMischen diesen beiden dasteht,
anstatt einen sachgemässen Uebergang vom Gymnasium zur Universität
zu biklen, wie es doch seyn sollte und könnte. Freilich streitet man
sich noch über das Was und Wie des philosophischen Unterrichts auf
Gymnasien, aber die Klippen des Zuviel und ZuMenig sind in jedem
Fall deutlich genug nachgewiesen, und es dürfte nicht schwer seyn,
aus der Natur der gesaramten Gelehrtenbildung sowie den ächten Be^
griff der philosophischen Stufe, so die ächte Methode saramt dem Lehr-
kreis auszumittcln , welcher die Gymnasialgegenstände vervollständigt,
anstatt sie in ihrer Mangelhaftigkeit liegen zu lassen, und dem Univer-
bitätsgebiet wissenschaftlich vorarbeitet, ohne diesem etAvas von seinem
wohlverstandenen Eigenthura zu entziehen. Geht das Lyceum einmal
in diess Bedürfnlss ein, so kann eine Aenderung nicht ohne RückM'ir-
kung auf die humanistische Stufe bleiben, aber alsdann verbessere man
auch hier, wo so vieles zu verbessern ist , und sehe es zugleich nicht
als gleichgültig an , dass der Religionsunterricht an der ganzen Anstalt
vier Lehrer und wenigstens eben so viele Lehrbücher hat, dass in der
Bef urd crungen und Ehrenbezeigungen. 125
Gcschiclitc und Geograiilile Lei einer Anzahl von fünf Lehrer.-, sich
grosse Lücken finden , und dass bei der Malheinatik das Classenlehrcr-
systera erst in den ohern Schulen aufgeg<;hen vird. Uehrigeiis erhal-
ten sämnitliclie Schüler des Lyccuins in zwei Ahthcilungen Zeichnungs-
«nterricht ausser den gewöhnlichen Classenstunden. Auch ist im letz-
ten Soainierhalbjahr Tanzen gelehrt worden. Nur vom Musikunter-
richt, der in frühern Lectionsverzeichnissen immerhin aufgeführt wurde,
kommt diessmal keine Erwähnung vor. Wenn aber in dieser Hinsicht
bemerkt zu werden verdient, dass sich die Lyceisten in musikalischen
Privatvereinen fortwährend üben , so darf eben so wenig eine andere
lobenswerthe Einrichtung der Anstalt mit Stillschweigen übergangen
werden , obnchon durch den Druck nichts darüber bekannt w urde. Es
ist näuilieh seit etlichen Jahren durch den Gymnasialpräfecten Jf ichl
ein Lesezirkel eingeleitet Avorden, an welchem gegen einen kleinen Bei-
trag die Lyceijjten mit den Professoren und mchrern Einwohnern der
Stadt und Pfarrherren aus der Umgegend Autheil nehmen, in der Woh-
nung und unter der besondern Leitung des Lyceumsbibllothecai'S Prof.
Inender. Dieses Institut , Avelches sich durch Geschenke von Büchern
und durch jährliche neue Anschaffungen schon sein* gehoben hat, ver-
tritt die Stelle der an andern hohem Lehranstalten eingerichteten Schul-
bibJiotheken , und wirkt nicht nur auf die Privatlectüre der Schüler
sondern auch auf ihre Geschichtskenntniss sehr vortheilhaft ein. Die
Lycenmsbibliothek selbst, die auch den Lyceisten zugänglich ist, hat
vor einigen Jahren durch Ankäufe aus der von Jllner'':!>c/ieiiliiicherver-
eteigerung in Konstanz in der philologischen Literatur bedeutenden Zu-
wachs erhalten.
London. Von der neuerrichteten Universität, deren Bau und Or-
ganisation rasch fortschreitet, erwartet man wenig, weil die grossen
Privilegien der Universitäten zu Oxford und Cambridge ihr im Wege
stehen und überhaupt das Nationalvorurtheil für dieselben so gross ist,
dass man selbst die Vorzüge verkennt, welche Edinburg und Dublin
in vieler lilnsicht vor ihnen haben. Für die Einrichtung der neuen
Universität sind 150000 Pf. ausgesetzt , wovon 85000 Pf. auf die Bauten
gerechnet sind. Bis jetzt sind als Professoren angestellt: G. Long,
A. M., für Griech. Sprache, Literatur und Antiquitäten ; /. Jf^lUlamfi,
A. M. , für Latein. Sprache, Lit. und Antiq. ; u4. de Morgan für 3Ia-
tbematik; Dr. Lardner für Physik; /. yiwstin für Jurisprudenz ; A.
Arnos für Englisches Recht ; /. li. Macculocli für Statistik ; T. Dalc^
A. M., für Engl. Sprache und Literatur; A. Panizzi für Ital. Sprache
und Lit. ; Don. A. Alcalä Galiano für Spanische Spr. und Lit. ; JI.
Hurwitz für Hebräische Spr.; /, S. G'dclirist für das Ilindostanische;
Dr. Turner für Chemie; H. Graut für Zoologie; G, S. Pattison für
Anatomie; L. Seil für Physiologie und chirurg. Klinik; Dr. Lonolly
für Nosologie und Therapie; Dr. TVatfion für Klinik, Dr. Davis für
Geburtshülfe und Weiberkrankheiten; Dr. A. T. Thomson für Materia
medica und Pharraacie; /. MiUingloii für Maschinenbau und prakti-
sche Mechanik. Unbesetzt sind" noch die Lehrstühle der Chirurgie und
126 Schul- u. 1' 11 i V ersi t ä tsnachr ich ten,
Botanik , untl auch üher die Professuren für Moralphilosophie , Logik,
Geschichte, llömisches Recht, Franz., Deutsche und Orientalische
Sprache und Literatur, Mineralogie und Geologie fehlt noch die Ent-
Bcheidung des Aiisschusscs, Die Idee, einen hotanischen Garten anzu-
legen und ein Hospital mit der Universität zu verbinden , ist vor der
Hand aufgegchen. Ein physikalisches Lahoratorium soll Lardncr an-
legen und his zu dessen Coinpletirung jährlich 300 Pf. erhalten. Der
heabsichtigte Ankauf der anatomischen Sammlung von Sömmering ist
aufgegchen, Aveil der Kaufpreis zu hoch war. Das Köthigste hofi't
man vor der Hand fnr 2000 Pf. anzuschaffen. Zur Errichtung einer
Bibliothek sind SOOO Pf. ausgesetzt. Im October sollen die Vorlesun-
gen beginnen vmd bis zum April sollen der Studienplan, die Lections-
curse und die Ansetzung der H(morarc bekannt gemacht werden. Vor-
läufig sollen die angestellten Professoren eine Ucbersicht der Methode
hei ihren Vox'lesungen einliefern. Da die Universität keine Grade er-
theilcn darf, so Avill man den Studierenden nach gemachten Examini-
bus , über deren Umfang die Professoren dem Ausschuss ihre Meinung
schriftlich mittheilcn sollen, Certificate ansstellen, von denen man hofft,
dass sie künftig liei Besetzung von Acmtern oder bei Ertheilung von
Graden auf andern Universitäten Berücksichtigung finden •werden.
Leipzig. Das erledigte Rectorat der INicolaischule ist unter dem
7 Juli dem hish. Conrector Prof. Nuhbe übertragen worden; in das
Conrectorat rückte der Vvn^essoY Iroi scher , in dessen, dritte, Leh-
rcrstclle der bisherige Sextus M. Furhlgtr auf.
Mei.dorf. Zum (JoUaborator an der gelehrten Schule ist der Dr.
philos. IJeinr, C/irini. Friedr. Prahm ernannt worden , nachdem der
bisher. CoIIaborator Volquarksen als Subrector nach Haderslebei« an
Sleger's Stelle befördert worden ist.
MiivDEv. Der kathol. geistliche und Scliulrath Klaus hei derhie-
sigen Regierung ist auf sein Ansuchen aus diesem Amte entlassen wor-
den.
MüHLUAisEN. Der Schulamtscandidat Miihlberg <, bisher am
Gyranas. in Cottbus, ist mit einer ausserordentlichen Unterstützung von
200Thlrn. provisorisch an dem hiesigen Gymnasium angestellt worden.
MüxsTEn. Der Regens des bischöfl. Seminars und Ehrendomherr
ScJiniälling [Jbb, AI S. 378] ist zum Rath und Mitglied des hiesigen
Provinzial- Schulcollegiums ernannt worden.
]Veu-Strelitz. Der Schulrath und Director Siefert ist Pastor
in Kublatik geworden. Statt seiner ist der zweite Prof. Kämpfer in
das Dircctorat und der Prof. Eggert in die zweite Professur aufgerückt.
Offenbtru. An die Stelle des geisteskrank gewordenen Zeich-
nungs- und Schreililehrers Biltermann an dem hiesigen Gymnashim
ist der seitherige Zeichnungs- und Schreiblehrer Keimer vom Pädago-
gium zu Mahlberg gekommen, welcher künftig auch den Französischen
Sprachunterricht, der seit inehrern Jahren unter den Lehrern der clas-
sischcn Sprachen vcrtheilt war, durch alle Schulen zn besorgen hat.
Beförderungen und EhrcnbcsEeigungen. 121
Dafür müssen die Classeiiordiniirien jetzt eoviel mehr Latelnisiclio
Sprachstunden gehen, als ihnen Französische ahgcnomnien Avnrdon.
OsNABRvcK, Am Gymnasium ist die für den Unterricht in der Ma-
thematik und Naturwissenschaft hestehende Adjunctur nach dem Ah-
gang des Adjunctus B. Sergel a.U ZMeiten Predigers nach Quakenbriick
zu einer ordentlichen Lehrstelle erhohen und in dieselhe am 22 Apr.
der Schulamtscand. Johann Jacob Feld/iojf aus ElberfeUl eingeführt
worden.
Zur Statistik der Universitäten.
[Nachtrag zu Bd. VI S. 264 ff.]
"oRPAT zählte vor Ostern 1828 507 Studierende, darunter 95 Theolo-
gen , 84 Juristen, 178 Mediciner und 150 Philosophen.
Erlangen im Winter IS^^ 444, im Sommer 1828 441 Stud. , als
266 Theol., 81 Jur., 34 MeA. , 60 Philos.
Freybirg im Winter 18^^^ 628 Stud., darunter 108 Ausländer,
199 Theol. , 105 Jur. , 163 Med. , 161 Philos.
Gexv im Sommer 1828 206 Stud, , als 39 Theol. , 28 Jur., 88
Philos. und 51 der schönen Wissenschaften Beflissene. Im CoUegium
und in den Primärschulen sind 555 Schüler.
GIESSEN im Sommer 1828 432 Studierende.
Göttingen im Mai 1828 1371 Stud., als 632 Ausländer, 340
Theol. , 580 Jur. , 299 Medic. und 152 Philos.
Heidelberg im Winter 18 = ^- 727 Stud., darunter 452 Ausl. , 76
Theol., 416 Jur., 132 Med., 74 Cameralisten, 29 Philos. Im Som-
mer 1828 787 Stud., -worunter 541 Ausländer.
Kiel im Sommer 1828 370 Studierende.
Niederlande im J. 1826 auf 6 Universitäten 2774 Studierende,
davon 622 in Löwen, von denen aber 252 dem philosophischen CoUe-
gium angehörten.
Spanien zählte am Schlüsse des J. 1825 auf seinen Universitäten
2985 Philos. , 1295 Theol. , 4077 Jur. , 462 Studier, des kanonischen
Kechts und 1048 Medic. ; in den Collegien und Seminarien 2200 Philos.
und 1610 Theol. Am Schluss des J. 1826 vermehrte sich die Gesammt-
zahl um 1800, auf 15477 , wovon 5336 auf die Collegien und Semina-
rien [3133 Philos. und 2203 Theol.] und 10141 auf die Universitäten ka-
men. Von den letztern trieben 3389 Philosophie und Physik, 1467
Theologie , 3878 Jurisprud. , 491 kanon. Recht , 916 Medicin. Schu-
len der Collegien für die Humanitätsstudien gab es 736.
Tübingen im Sommer 1828 781 Stud. , darunter 54 Ausländer.
WüRZBüBG im Sommer 1828 610 Stud. , mit 257 Ausl.
128
Zur Recension sind versprochen:
Homer's Werke , übers, von Schaicmann, — Stesichorl Frag-^
menta von Kleine. — Leontü carminis llerinesianactei fragmentum v.
Jiigler u. y4xt. — JVeisse: De Plat. et Aristot. in const. pliilosopli.
principüs «lilTerentia. — • Ciceronis Orationes pro Plancio, pro Milone
etc. von Jl ernsdorf. — Koberstein: Grundriss der Gesch. der
Deutsch. Nationalliteratur. — Grimm: Grave Rudolph. — Graff^s
Diutiska. — U/ilenianii' s Ilehräische Sprachlehre. — Bretschneider'' s
Lehrhuch der Religion. — Ti/genhamp : Einleitung in die biblisch.
Sclu'iften. — Otto : Lehrbuch der allgemeinen Arithmetik etc. Lud-
wig : Lehrb. der Arithmetik u. d. Anfangsgründe der Algebra. Grass-
mann: Ueber Begrift und Umfang der reinen Zahlenlehre. Liltrow :
Elemente der Algebra und Geometrie. Oltemann : Materialien für d.
lieurist. Unterricht in der Geometrie. Müller: Geometrische Con-
structionslehre. Kazfey : Die Lehre von den Kegelschnitten. Xir".
kel : Ueber die Berührungen. Sperling : Ueber unmögliche Grössen.
Clirzescinski: Ent>yurf der körperl. Trigonometrie. J^ollmann: Ab-
leitung der trigonometrischen Formeln aus Coordinatenbeziehungen.
Leiizinger : Darstellung einiger Lehrsätze aus der Analysis. Tell~
kämpf: Zur Würdigung und nähern Bestimmung des mathematischen
Gymnasialunterrichts.
Angekommene Briefe.
Vom 4 Mai. Br. v. B. a, H. [Für die Beilage, die ich als vorzüg-
lich schätze, meinen wärmsten Dank. Selbst kann ich den mir sehr
schätzbaren Wunsch nicht erfüllen ; aber baldige Gewährung von ande-
rer Seite glaube ich versprechen zu können.] Vom 29 Mai Br. v. K,
aus H. [Ich danke herzlich und werde das Gewünschte möglichst bald
erfüllen.] Vom 17 Juni Br. v. B. aus P. Vom 10 Juli Br. v. C. a. G.
[Die vermuthete Person bin ich nicht; sondern eine viel jüngere.]
Druckfehle Ti
Shh. Bd. W S. 239 Z. 3 lies Carlisle statt Carlyh, S. 333 Z. 14
v. u. das Culonische st. das Cornelische. S.334 Z.15 sind die Worte
«S'. 9 Satira = satyra zu tilgen. In dem gegenwärtigen Heft ist S. 33
Z. 11 nae für nee zu schreiben und S. 35 Z. 5 das Komma nach ipsi
und allein zu tilgen.
Inhalt
von des zweiten Bandes erstem Hefte.
Ramshorn: Lateinische Grammatik. Zweiter Artikel. — Vom Adjunct M.
Hoffmann in Grimma . . S.
Leloup : De poesi epica et Pharsalia Lncani. — Vom . Oberlehrer Dr.
Bach in Oppeln. .........
Fiedler: De erroribuH Aeneae ad Phoeuicum colonias pertinentibua. —
Von demeelbeu. .........
Schebcn: De poetis Aeneae fugam atque fata ante Virgiliam describentibus.
— Von demselben. ...... ...
Foss ; Ueber einige Stellen des Horaz. — Vom Director Müller in Cüslin.
Herbst : Explicatur Horatii locus. — Von demselben. . . . •
JfiHmann: Von der üebersetzungskunst. — Vom Oberlehrer Dr. Bach
in Oppeln. ..........
Menge: Vorgeschichte von Rhodos bis znr Heraklidisch-DorischenSicdelung.
"— Von demselben. .........
Hopfensack: Grundzuge des histor. Unterrichts auf Gymnasien. — Von
demselben. ..........
Durst : Ueber die Methode des natarhistor. Unterrichts. — Von demselben.
Reiffenberg : De Rigodulo. Ed. Klein.
Klein: Ueber die Steinschrift von Boppard.
Zirkel : Behandlung einiger Fälle über Berührungen. — Von demselben
Paulssen : Schulrede. — Von demselben. ....
Die Weihe des Gymnasiums in Düren. — Von demselben.
Kruse : Hellas. — Vom Rector M, Siebeiis in Bauzen.
Taciti Agricola. Cum Interpret, a Schede. — Vom Prorector Dr. S
in Dortmund. .....
Just: De fide Taciti scriptio. — A'^on demselben
Lindemanni iter in Bataviam susceptum.
Miscellen. .
Todesfälle. .......
Schul - und UniversitätsnacfarlGhteB , Beförderungen und Ehrenbezeigungen
3 -
49
49 —
55
55 —
58
58 —
61
61 —
64
64
64 —
67
67 —
71
71 —
75
75 —
77
Von demselben.
78
83
euber
83
83
83
—
81
81
—
91
91
95
95
—
98
98
—
110
111
—
116
116
—
117
117
—
13T
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JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE UND PÄDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
1 von
M. Joh, Christ, Jahn.
Dritter Jahrgang.
Zweiter Band. Zweites Heft.
Oder der ganzen Folge
SiebenterBand. Zweites Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
18 2 8.
Si quid no\isti rectius istis,
Candidas imperti; si non, hiä uterc mecum.
Alte Geographie.
Das alte Megaris. Ein Beytiag zur Alterthuraskunde Grie-
chenlaiidä von D. Hermann Reuiganuin. 5iit zwey Cliiirten.
Beilin, bey Reimer. 1825. XX u. 182 S. 8. (1 Rtlilr. 4 gr.) und
Nac ht r üge zu diesem Werke in den Jahrbüchern für
Philologie und Pädagogik von Jahn Bd. IV Heft 1 S.60 — 73, unter
der üehcrschrift : Beurtheüuiig des Siebenten Capitels der Schrift
Hellas etc.
Mam den vielen kleinen Schriften über einzelne Theile Griechen-
lands geliört auch die vorliegende des Gymnasiallehrers Dr.
Reinganura in Berlin. Es ist ein erster Versuch des Ver-
fassers, und man kann daher niclit wohl etwas in jeder Hin-
sicht gediegenes erwarten. Geht man nur mit massigen Erwar-
tungen an die Lesung derselben: so Mird man allerdings durch
eine Menge wenn auch nicht gerade zweckmässig, doch fleissig
zusammengestellter Notizen befriedigt. Sonst hat sie, als geo-
graphische Arbeit betrachtet, einen sehr untergeordneten Werth,
ja wir möchten behaupten, dass sie eher schade als nütze, weil
sie so vieles Falsche in einem grossen Maassstabe dem Leser und
Beschauer seiner Charte vor Augen stellt, was der Verf. bey
nur einiger Kritik leicht hätte vermeiden können. Der Leser,
derdemVerfasser einer solchen Monographie nicht Viberall nach-
zumessen pflegt, indem er gewöhnlich ihm zntraut, dass er
desto sorgsamer geforscht habe, je geringer der Umfang der
Arbeit ist , kann dadurch leicht zu Irrthümern veranlasst wer-
den. Rec. liat schon in seiner Hellas an einigen Stellen (s. Th.
II, l S. 314, 329, 354 etc.) auf solche Nachlässigkeiten des
Verfassers aufmerksam gemacht; allein es ist nöthig, hier et-
was ausführlicher darüber zu sprechen. Eine Hauptsache bey
der Entwerfung geographischer Charten ist, wie jeder weiss,
die Ansetzung der Hauptptmcte nach astronomischen Bestim-
mungen , wenn diese nicIit etwa gänzlicli fehlen. Je seltener
aber solche feste Puncle in einem Lande wie Griechenland aus-
gemittelt sind, desto sorgfältiger sind diese zu benutzen, um
9*
132 Alte Geographie,
von dem Bekannten so zum Unbekannten iibergelien zu können.
Denn sind auch nur einige Puncte astronomisch bestimmt , und
werden diese durcli genaue Reiserouten und Angaben der Zwi-
schendistanzen verbunden: so kann man in Hinsicht derAnsetzung
der mit diesen Puncten durch terrestrische Dimensionen in
Verbindung gesetzten Oerter doch wenigstens nicht bedeutend
fehlen. So hat der Rec, auf seiner Charte von Attica, Megara
und die Umgegend gezcicluiet. Im S.Westen von Megara sind
Athen und dessen Hafen der Piräeus genau von Gauttier be-
stimmt. Athen ( der Philoppappus ) liegt nach ihm unter
37° hi 5-1" d. N. B. und unter 21° 23' 4" der Länge, und
der Piräeus 37° 55', 42" N. B. und 21° 17' 24" der Länge.
Im S. W. von Megaris ist dagegen Corinth und der Hafen Cenchres
(Cenchreae) ersteres 37° 5ä' 37" d.N.B.u. 20° 31' 50" der Län-
ge, letztres nach Chabert 37° 53' 24 ' N. B. 20° 42' 22" d.
Länge bestimmt. Dazu kommt nun noch eine dritte Position,
die von Theben, dessen Breite wenigstens von Vernon auf
38° 3l' 0" angegeben ist. Nun ist es natürlich, dass man,
im Falle, dass genaue Dimensionen der Zwischenörter existiren,
diese auch danach genau angeben und auf der Charte zeich-
nen kann. Von den angegebenen astronomisch bestimmten
Puncten liat nun der Verf. nur drey auf seiner Specialcharte,
aber leider diese drey alle fcdsch. Corintli hat er auf gut Glück
20° 41' 35" d. L. und Cenchres 20° 41' der Länge, Theben
aber sogar 38° 11)' der Breite angesetzt, letzteres also 12' zu
südlich. Deshalb schon mVissten alle übrigen Orte, welche
von diesen Hauptpuncten aus bestimmt werden, sehr unrichtig
seyn , wenn der Verfasser auch die sorgfältigste Rücksicht auf
die genauesten Bestimmungen der terrestrischen Entfernungen,
die wir insonderheit Gell verdanken, genommen hätte; aber
auch dieses hat er keineswegs gethan, sondern vielmehr ohne
Kritik einige bisherigen Generalcliarten copirt und ihre feh-
lerhafte Darstellung nur vergrössert, die Hauptquellen aber
nicht gekannt. Er gesteht selbst S. 171 : „Da mir die Benuz-
zung so mancher für diese Arbeit wichtigen Charten und Hülfs-
mittel , w ie sie z. B. Müller (vergl. Dorier Abtli. II S. 423) auf
so mannigfaltige Weise zu Gebote standen , nicht vergönnt war,
so sali ich mich nicht selten in die Nothwendigkeit versetzt,
den Resultaten Anderer, doch nie ohne vorhergegangene sorg-
fältige Prüfung zu folgen." Wenn man nun bedenkt, was es
heissen soll: ich habe zwar die Quellen nicht, muss daher
meine Zufluclit zu einigen Hülfsmitteln nehmen, folge aber
diesen nur nach sorgfältiger Prüfung: so sieht man leicht ein,
dass der Verfasser letzteres nicht mit gutem Gewissen sagen
kann, da die Prüfung der Angaben andrer ja nur nach den
Quellen , welche ihm fehlten , gescliehen konnte. Wir müssen
es daher sehr tadeln, dass der Verf. diese Quellen nicht ab-
Rcinganuiu : Das alte Mcgaris. 133
wartete. Konnte sie ihm, was wir doch vermuthen möchten,
sein würdiger Lehrer und ^äterliclier Freund, Ilr. Prof. Carl
Ritter, dem das Buch gewidmet ist, nicht leihen; so steht
doch zu erwarten, dass die so reicli hegabtc Bibliothek in Ber-
lin, vielleicht nach kurzem Verzug, alle die Schriften und Char-
ten ihm dargeboten hätte, die bey Müller aufgeführt sind.
Höchstens würden dann Müllers Excerpte aus den Fourmont-
schen Papieren noch unzugänglich gewesen seyn, aber auch sie
hätte Hr. Prof. M ül 1 er auf freundliche Bitte dem Verf. gewiss
ebenso bereitwillig zur Benutzung überlassen, als er sie dem
Reo. für seine Charte mitgetheilt hat. Indess der Verf. hat
selbst das nicht gehörig benutzt, was er besass; und diese
Nachlässigkeit ist um so unbegreiflicher , da Megaris einer der
kleinsten Staaten Griechenlands ist, und die Schrift also ein
geringeres Studium erforderte. Als Beweis diene die geringe
Rücksicht, die auf Gells genaues Itinerar durch Megaris ge-
nommen ist, das doch fast 3Iinute für Minute angiebt, und
das der Verf. benutzt zu haben versichert. Westlich von Eleu-
sis findet Gell 9 Minuten von dem angegebenen Orte einen Canal,
der einstmals das Bette des später abgeleiteten Cephissus bildete.
Der Verf. setzt hierher gleichfalls einen Fluss , den er aber
lapis nennt (auf den wir später zurückkommen werden). Dann
führt nach Gell der Weg über eine Iialbe Stunde Aveiter durch
eine fruchtbare und blumichte Ebene, die Gell richtig das
Rharische Feld nennt, bis zum Anfange der Kerata-Hügel.
Nur im Süden an der Küste ist diese schöne Ebene wieder von
steilen und buschichten Hügeln begränzt. Dann folgt der Pass
über das Gebirge, der sich steil wieder in die Megarische Ebene
hinab windet. Dagegen hat der Verf. keine Spur von einer J£bene
jenseits des vorgeblichen Flusses lapis , wo Gell und alle übri-
gen Reisenden sie fanden, keine Spur des über die hohen Fel-
sen der Kerata fortlaufenden Passes , keine Spur der Hügel,
"welche die Rharische Ebene an der Küste begränzen; sondern
er dehnt das Kerata- Gebirge über die ganze Ebene aus, und
so fängt dieses schon sogleich hinter dem vorgeblichen lapis an,
während da, wo buschichte Höhen seyn sollten, liart an der
Küste, welche hier als Ebene erscheint, eine bequeme Strasse in
das Megarische Gebiet hineinführt. Da wir die genauste Be-
schreibung dieser Gegenden von einem tüchtigen Reisenden und
zum Ueberfluss die vortrelFliche Piaiii of Mensis von Gell ha-
ben ; so ist es doppelt thöricht, hier eine Charte a priori zu con-
struiren , oder etwa frühere Charten zu brauchen , welche un-
genau sind und von welchen namentlich das Vaudoncourtscho
Machwerk nicht einmal gut als Lückenbüsser dienen kann.
Die berühmte Rharische Ebene, die doch so wichtig iu der Ge-
schichte Megara's ist, findet sich auf der Charte von Hrn. Rein-
ganum gar nicht (!), sonderu vielmehr au ihrer Stelle ein Ge-
134 Alte Geographie.
birge^ ein Beweis, dass der Verf. Glauben genug bat, um selbst
Berge versetzen zu können. Das Kcrata- Gebirge istbey ihm ein
schöner Kegel, zu dessen Ausbildung wohl der Steinzeichner
die Hauptsache gethan hat. Westlich vom Kerata- Gebirge hat
Gell auf dem Wege nach Megara ein Metochi mit Ruinen, dann
einen kleinen See an der Küste, darauf wieder Ruinen , dann
einen Bach, welches der lapis ist (den der Verf. nach Eleusis
versetzt), dann Ruinen und dann einen zweyten Bach, worauf
die Ruinen von Älegara folgen. Verfolgt man den Verf. auf
dieser Tour, so sieht man deutlich, dass er sich auch hier
schlecliterdings nicht an den genauen Reisenden anschioss, son-
dern willkiihiiich wegliess und hinzusetzte, was ihm geüel,
auch nicht untersuchte, welchem alten Orte die Ruinen ange-
hörten, die Gell auf diesem Wege fand.
Wenn wir so auf dem von dem Verf. geschaffenen Wege
nacli Megara gekommen sind, so finden wir uns angenehm über-
rascht durch eine anscheinend genaue Darstellung der Stadt
Megara und ilirer Hafenstadt Nisaea selbst, und eine Topogra-
phische Charte dieser beydeti unchligen Orle^ Tab. 2. Der Verf.
erläutert diese Charte auf einer Iialben Seite (182) und will nun,
dass auch die ganze zweyte Abtheilung der Schrift selbst als
Erläuterung gelten solle. Allein wir finden leider auf eben der
Seite 182 , dass sich diese Zeichnung bloss auf die wichtigen
Capitel 39 — 14 der Beschreibung Griechenlands von Pausanias
(soll heissen auf Paus. Lib. I Cap. 39 — 44.) und auf die (an-
geblich) mit diesen sorgfältig verglichenen Notizen neuerer
Reisenden griindet. Allein weder Pausanias noch die neuem
Reisenden sind dabey sorgfältig benutzt, geschweige denn,
dass die Nachrichten anderer Alten damit übereinstimmten.
Schon der Anfang der Beschreibung des Pausanias stimmt nicht,
indem dieser gleich beym Eintritte in die Stadt von Osten
her die Wasserleitung der Sithnidisclien Nymphen findet, die
Hr. R. im Osten ansetzt, und dann den alten Tempel mit den
Bildnissen der Römischen Kaiser und der Diana Sospita antrifl't,
Aen wir bey Hrn. R. vergeblich suchen. Auf dem Wege zur
BurgCaria hinauf findet sich nun allerdings auf jener topogra-
phischen Charte der Tempel und Hain des Olympischen Zeus,
allein die Acropolis Caria ist so wenig mit Mauern umschlossen
gezeichnet, dass man tmmöglich sehen kann, welche Gebäude
innerhalb derselben liegen sollen, und welche nicht. Audi ist
dieser Hügel niciit nach der Beschreibung des Herrn Desmou-
ceaux gebildet, dessen sehr genaue Darstellung dieser ganzen
Gegend der Verf. gar nicht kennt. Hier hat übrigens nicht nur
W h e l e r, wie der Verf. anführt, sondern auch Gell, C h a n d l e r
luidClarke Ueberrestc aus alten Zeiten gefunden. Die von
Gell gefundenen M^irmorfragraente scheinen dem Tempel der
Demeter anzugehören (M. v, des Recens.Hellas W, 1 S.369).
Kciiiganum: Das altü Megaris. 135
Auch die Lage der Hügel S^gen einander, auf denen die
bey den Acropolen standen, bezeiciinet derVerf. S. ] 23 ganz falscli,
indem er die zweyte Uurg der Megarenser auf den ^^no/dwesL-
lichen'-^ Hügel setzt. Hiermit stimmt nun gar nicht überein,
weder was die Alten, noch was die neuern Reisenden darüber
mittheilen. Denn aus Pausanias I, 41 erhellt schon, dass die
Burg Caria nördlich lag. Nun aber gelangte Pouqueville
5 Lieue weiter auf dem Wege nach dem Isthmus zu dem Hügel,
welcher die andere Acropolis trug. Diese lag also westlich
von der Burg Caria oder höchstens etwas südwestlich (nicht
nordwestlich) von dem vorigen. Desraouceaux beschreibt
die Lage so : dass beyde Hügel nicht weit von einander entfernt
wären. Der eine en dos d'äne nördlich , der andre südlich ;
allein er nennt an einer andern Stelle den einen östlich, so dass
man sieht, es sey die Lage, wie wir sie bezeichnet haben, von
N. W. nach S. 0. Auch Chan dl er setzt Cap. XLIII seiner
Reise die jB6ewe südlich der bey den Hügel. AberHrn.Rs. Charte
stimmt nicht einmal mit seiner eigenen Angabe überein, so dass
man zweifeln könnte, ob beyde einen Verfasser haben oder
nicht. Höchst unglücklich ist er aber in der Benennung dieses
zweyten Hügels ; denn er nennt ihn nachPindar Nem. V, 84 und
Pyth. IX Nisoshügel und giebt die wichtige (!) Nachricht:
„in seiner Nähe sind heutiges Tages viele Windmühlen, " was
um so mehr auffällt, da man sonst die Windmühlen lieber auf
den Hügeln als unterhalb derselben anlegt. Chandler sah
auch nur eine Windmühle ohne Zweifel auf dem Hügel, und —
was wichtiger zu erwähnen gewesen wäre, einen Winkel der
alten Mauer dieser Burg von der Art , die man Incertum nennt.
Die angeführten Stellen des Pindar rauss der Verf. aber gar
nicht gelesen haben, weil sie sich gar nicht auf Megara, sondern
auf Nisäa beziehen. Noch unglücklicher geht es ihm aber mit
der andern Benennung der Burg. Rec. traute seinen Augen
kaum, als er nicht bloss auf bey den Charten, sondern auch im
Buche selbst S. 123 und 12-4 die Benennung Aciopolis Alca-
thoo und Burg Alcathoo^ ja S. 130 die Stelle fand : „Von jenem
Heerd (sie) und dem klingenden Stein (sie) stieg man den
nordwestlichen Hügel aufwärts, zu der von Alcathoos erbauten,
und nach ihm den Namen ALCATHOO führenden Acropolis."
Die Benennung selbst aber konnte er sich nur erst erklären, als
er in der Uebersetzung des Pausanias von Amasaeus 1 , 42 , 1
die Stelle fand: ^Jiabent Megarenses et arcem alteram^ cid ab
Alcathoo nomen est'-'- (dno ^Alzä^ov xo ovo^a txovöa).
Hinc illae lacrymae! . —
Nach solchen Proben der Gelehrsamkeit wird man sich
nicht wundern, wenn eine Menge anderer Stellen falsch citirt
oder gänzlich missverstanden sind. So bestimmt er Phalycoii
nach dem feuchten Boden an der Meeresküste , obwohl die
136 Alte Geographie.
Feigen von Phalycon nach Theophrast nur auf magern Boden
wuchsen. Nach S. 61 sollen die Sagen von Cariern und Lele-
gern in Megara in's graue Alterthum liinaufreichen, und citirt
ist zum Belege Paus. I, 39, 5 und IV, 26. Allein in der er-
sten Stelle steht nichts von Cariern und in der zweyten weder
von den Cariern noch von den Leiegern in Megara etwas, sondern
bloss von Leiegern in Messenien. Von Cariern in Messenien
steht nirgends etwas. Eben so steht weder in den S. 80 citir-
ten Stellen noch sonst wo etwas von einem den Eleusinischen
Göttinnen geweihten, den Megarern und Atheniensern gemein-
schaftlichen heiligen Boden. S. 85 wird der Böotische Ort Isos
hey Anthedon mit dem Megarischen gl. Namens verwechselt.
S. 93 ist vom Cithäron Thuc, IV, 70 citirt, wo kein Wort
davon steht. S. 103 wird Mannert die Behauptung schuld
gegeben, dass dem alten Pagae kein heutiger Ort entspräche;
allein dies sagt Mannert nicht, sondern bloss, dass niemand
da gewesen sey ; was übrigens nicht ganz richtig ist. S. 145, wo
der Verf. von den silbernen und hron%ernen{%\c) Münzen spricht,
führt er bloss die an, welche bey Dodwell, Pouqueville
und Wh ei er beschrieben sind. Weit wichtigere finden sich
bey Mionnet, mit den Köpfen der Ceres, der Diana, des
Bacchus, dem Caduceus und der vollständigen Inschrift ME-
räPESlN. Ja selbst in Berlin hätte er in der Königl. Samm-
lung eine sehr interessante bronzene Münze sehen können,
wodurcli eine bey Mionnet 1. II, 325 und eine in der Gothai-
schen Sammlung (Jacobs Catal. p. 772: Frorafiavis.R.: co-
himna inter duos delphinos) näher bestimmt werden kann. Diese
Columna, welche auf der Gothaischen Münze nicht deutlich ist,
ist ein candelahrum cum flarnma^ wofür Mionnet einen Obe-
lisk oder Pharus angiebt, und der Delphin und die Schlaf? ge der
Mionnetschen Münze lösen sich in zwey Delphine, den gewöhn-
lichen Typus der Meg. Münzen auf. Ueberdem steht auf der
Berlin. Münze ganz deutlich die Inschrift MEFA. S. 156 Nr. 4
in den Anmerkungen hat Hr. R, eine Inschrift aus Wheler
und Chandler, die sich auf Athen bezieht, auf Megara be-
zogen.
Auch wegen Nisaea, Minoaund der andern Orte vonMegaris
hätte wir noch viel mit dem Verf. zu rechten.
Hr. R. hat selbst eine Recension seines Werks in den
Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik Bd. IV Hft.l S.60
— 73 unter dem Titel: ^^Beuriheilung des siebetiten Capitels
der Schrift : Hellas etc. von Kruse '', geliefert , indem er dort
eine Menge Nachträge zu seiner Megaris giebt, die er später
gefunden hat , und diese so stellt , als hätte Rec. in seinem un-
gleich umfassendem Werke, bey dem eine sorgfältigere ^z^s-
wahlnöthig war, alles dieses, was grösstentbeils sehr unwich-
tig ist , mit aufnehmen müssen. Der aufmerksame Leser wird
Rclngamim: Das alte Mcgails, 137
aber finden, dass es nur Nachträge zu des Verf. Megaris und
Verbesserungen seiner eigenen Verstösse sind. Der Saclie selbst
wegen müssen wir nur noch einige Angaben daraus priil'en.
In der Einleitung lobt der Verf. seine Ordnung in der Dar-
stellung gegen die, welche Rec. in seiner Hellas beobachtet
hat. Die Verschiedenheit besteht darin, dass Rec. den politi-
schen Gesichtspunct festhielt, Ilr. R. den physischen. Rec. geht
die verschiedenen Länder und so auch Megaris so durch, dass
er zuerst eine allgemeine Uebersicht und darin die Beschrei-
bung des Bodens, der Gebirge, der Gewässer, der Producte,
dann die politische Geographie im Allgemeinen, die Völkerstäm-
me, welche zu verschiedenen Zeiten den Boden besetzten,
und die Gränzbestimmung zu verschiedenen Zeiten auseinander
setzt, ehe er zu der eigentliclien Topographie oder der Be-
schreibung der Städte und Comen übergeht; Herr R. über-
schreibt seine verschiedenen Aufsätze, aus denen eigentlich
das Buch besteht, die Formen der Oberfläche von Megaris^
und Unterabtheilungen sind hier 1) die westliche Hügelparthie
(sie) und 2) die östliche Hügelparthie. Dann folgt II) (obgleich
das I, welches diesem gegenüber stehen müsste, nirgends zu
finden ist) Thal und Ebene von Megara. Darauf III) die Kera-
tahügel und der Vorsprung des Kithäron (welches eigentlich
alles zur östlichen Hügelparthie geJiört) ; IV) das Geraneische
Hügelland (welches zu einem Tlieile der westlichen Hügelpar-
thie gehört), und nun folgt ^^^weyte Ablheüung , Megara und
sein Hafen Nisaea", obgleich von einer „ersten Abtheilung"
wohl die Rede gewesen ist, aber ohne dass dabey bemerkt
wäre, was diese enthalten sollte. In der That Aväre es auch
schwer dieser ersten Abtheilung eine allgemeine üeberschrift
zu geben , weil der Verf. in dieselbe physische und politische
Geographie und Topographie liineingemischt hat, und nur die
Beschreibung der Hauptstadt und des Hafens Nisaea für diesen
letzten Theil aufspaart. Hätte er consequent seyn wollen , so
hätte er die Beschreibung der Lage der andern Orte des alten
Megaris auch von der Beschreibung der Gegenden, worin diese
liegen, trennen müssen; oder, er rausste die Beschreibung
der Lage Megara's und seines Hafens auch in denjenigen Theil
der kleinen Schritt verweben, welcher das Thal von Megara
umfasst. Zu guter Letzt kommt noch ein Anhang zu den Char-
ten (soll heissen über die Charten), in welchem er anführt,
welche Ilülfsmittel und Quellen er benutzt und nicht benutzt
hat. —
Nach dieser Anpreisung seiner Eintheilung geht der Verf.
zu dem Einzelnen über und tadelt Manne rt, dass er Megaris
in n Meilen Grösse, und Kruse, dass er demselben nur 8
□ Meilen gebe. Er denkt medio tutissimus ibis , und giebt
ihm ^jgewiss an 12 Q Meilen." Gründe für diese Annahme
138 Alte Geographie.
fehlen natürlich. In Betreff der Schriftsteller, die über Me-
garis schrieben, wird hinzugesetzt , dass Ilereas wahrschein-
lich noch über Megara geschrieben habe, und dabey wird
Plut. Thes. Cap. 20 erwähnt. Allein dort steht nichts davon,
sondern nur dass Ilereas, ein Megarenser , sage, Pisistratus
hätte einen Vers im Ilesiodus aus deniHesiodus ausgelassen,
um den Atheniensern zu schmeicheln. Auch wird ein Druck-
fehler Diog. Laert. IV, 22 in VI, 22 verbessert , welcher in die
Darstellung von Meg. bey Rec. übergegangen seyn soll. Wäre
dieses der Fall: so wäre es bey einer so unwichtigen INach-
richt kein Zeichen einer grossen Naclilässigkeit. Allein dem
ist nicht so, und das bey dem Verf. in seiner Megaris an-
gegebene Citat ist eben so wenig das, welches Ilecens. an-
führen wollte, als dieses neue Citat, denn die Nachricht
steht iveder im IV noch im VI Buche ^ sondern im V c. 44
in der Lebensbeschreib. des Theophrast , zu deren Schlüsse
Diog. Laert. unter den nachgelassenen Werken des Theophr.
ein liuch, Megaricus betitelt [Mayß^ptxog k], anführt. S. 62
geht der Verf. zu Nachträgen über den Boden von Megaris
über. Nach einigen höchst trivialen Bemerkungen, die zu
nichts führen, sucht er seine Idee iiber das Oneisclie Ge-
birge geltend zu machen, welches er mit den Scironischen
Felsen verwechselt. „Bekanntlich," sagt er, „gehörte die
Scironische Felsenparthie dazu." Ist dieses bekannt: so
braucht es nicht erwiesen zu werden. Daher linden wir bey
dem Verf. auch keinen Beweis ; allein Strabo und alle andere
Schriftst., welche Kruse Hellas II, IS. 319 und 320 wörtlich
angeführt hat, müssen dann nicht gehört werden, indem diese
gerade das eigentliche Oneische Gebirge erst „row da anfan-
gen und bis zum Cilhäron hinauf sich erstrecken lassen,"
wie Rec. es auf seine Charte von Megaris und Attica auch
richtig gezeichnet hat. Nur im weitern Sinne wurde auch
dieser südliche Theil der Gebirge darunter verstanden, aber
nie allein und hauptsächlich. Die grosse Neuigkeit, dass der
Molurische Fels am östl. Ende des Scironischen Weges ^q-
^e,\\ Megaris zu suchen sey, brauchte der Verf. nicht erst
aus Hase (^Journal des Sava?is p. 7) zu entlehnen. Gell
(^Ilinerary of Graece p. 5) bestimmt diesen Felsen schon
weit genauer als Hr. Rehiganum (m. v. Kruse Hellas II, 1
S. 323). Ueber den lajjis haben wir oben schon gesprochen.
Natürlich muss Gells genaues Itinerar, so wie sein treflli-
cher Plan der Ebene von Eleusis unrichtig seyn, weil Herr
R. den lapis auch in diesen Zusätzen östlich vom Kerata-
Gebirge ansetzt. Der von ihm bezeichnete lapis ist aber der
Cephissus bey den Alten, ein Aveit grösserer Fluss nach Gells
Piain of Eleusis^ als R. ihn ex ingenio gezeichnet hat. Dann
folgt kein Fluss weiter bis zum Kerata- Gebirge, und hier an
Ucingiinum : Dus alte Megiiris. 131)
der Glänze Atticas uiul Mcgaris niiiss der erste nur irgend
bedeutende Bach der lapis seyn, Meil dieser als die Gränze
Attioas betrachtet wurde, und kein anderer Fiuss zwischen
Megara und Eleusis vorhanden ist. So möge denn aucli die
Behauptung des Verf. S. 04, dass dasjenige, was Rec. von
dem lapis und der Megarischen Gränze in seiner Hellas
sagt, ein reiner Widerspruch sey, auf sich beruhen. Es ist
nur dann ein Widerspruch, wenn man den lapis mit dem Ce-
pliissus bey Eleusis verwechselt, wie es der Verf. zu thun
beliebt. Auch Hase vermisst den Cephissus auf der Charte
des Verf. bey Eleusis. Herr ß. entschuldigt sich so: dass
dies in der ^er intern Sorgfalt seinen Grund habe, die bey
Zeiclinung der Specialcharte eines bestimmten Landes auf
die der Nachbarländer Aerwendet zu werden pflegt, auf glei-
che Weise sey das Gebirge um (sie) Theben nur angedeutet,
nicht ausgeführt. Wir kennen, beyläufig gesagt, kein Ge-
birge WH Theben, und schlimm ist es, wenn der Verf. so we-
nig Riicksicht auf die Nachbarländer nahm, dass er den Gränz-
fluss des Landes , welches er beschreibt , mitten in dieses
Nachbai'land hineinverlegt. S. 65 hat der Verf. noch einige
unbedeutende Nachrichten iiber die Benennung der Meere bey
Megaris, die bald nikayog^ bald %6Xnog, bald TtOQog genannt
wurden, geliefert. Letzteres bezieht sich indess, wie Strabo
p. 309 ausdrücklich erwähnt , und auch nach dem Sinn des
Worts natürlich ist, nur auf einen Theil des Meeres. Zu den
Producten macht er ebenfalls einige scheinbar interessante
Zusätze, namentlich was den Megarischen Wein anbetrifft,
über welchen der Verf. jetzt eine Stelle gefunden hat, die auch
dem Verf. der Hellas entgangen war, nämlich Theophrast bist,
plantt. II, 7, 5. Allein leider hat der Verf. auch diese Stelle
nicht verstanden, denn von dem Weinbau der Megarenser ent-
hält sie nichts, sondern nur von dem Melonen- und Gurkenbau
der Megarenser. Nachdem Tlieophrast liiervon gesprochen,
fährt er fort: „Dies nun ist allgemein bekannt (nämlich, dass
die Megarenser die Gurken und Melonen behacken), den Wein-
stock aber soll man nicht behacken, oder überhaupt rühren,
wenn die Traube sich färbt." Der Verf. macht aus dieser all-
gemeinen Vorschrift Theoplirasts, dass die Megarenser beym
Weine alle Bestaubung widerrathen haben. War denn, fra-
gen wir, Tlieophrast, welcher diesen Rath anderer^ nicht der
Megarenser, giebt, ein Megarenser*? Nur die Stelle über denAe-
gosthenischen Wein [Fragm. Polyb. ex Lib. VI, 1 (doch nicht
2)] ist richtig, und kann dafür genommen werden, dass dieser
FüsseWein bey Aegosthena wuchs, wenn er auch dort nur ver-
fälscht oder versüsst werden konnte.
Die Zusätze über die Schweine S. 07 sind trivial. Eben so
das, was er über eine mögliche Verwechselung der Megarischen
140 Alte Geographie.
Münzen mit andern erinnert. Das Hauptwerk über die Mega-
rischen Münzen hat er , wie wir oben gesehen haben , nicht
benutzt, und so wären mehrere andere hinzuzusetzen gewe-
sen, als er gethan hat. — Die Zusätze über den Volkschara-
cter S. 68 enthalten einiges Interessante, abgedruckt aus dem,
was Hase im Journal des Savans, Paris 1827 Janvier p, 9,
aus ungedruckten Manuscripten mittheilt. S. 70 fangen nun
die Zusätze des Verfassers über die schwachen Parthien an,
die von der Burg Caria und der des Alcathoos liandeln.
Bey der ersten war er getadelt worden, dass er im Pausa-
iiias ausdrücklich gelesen haben wollte , dass die Carier die-
selbe gestiftet hätten; hier fügt er hinzu, dass dies auch
nur seine Hypothese gewesen sey. Bey der zweyten Burg,
die er bekanntlich ^4lcathoo nannte, bemerkt er, dass sie
wohl Alcathoe geheissen habe, indem er hier, ohne seine
Schwäche zu gestehen, eine Seitenbewegung, wenn auch nicht
geradezu einen Rückzug nimmt. Wirklich nennt sie Ovid
Metam. VII, 444 (nicht 443) so, aber Alcathoo hat nur die
Lat, üebersetzung des Araasaeus im Ablativ, den der Verf.
für den Nominativ nimmt.
Endlich fügt der Verf. S. 72 noch etwas über andere
Ortschaften zu seiner Megaris hinzu, namentlich über Tri-
podiscos und Phalycon. Erstere sind ganz unbedeutend. Letz-
tere betreffen die Lage von Phalycon oder Alycon, wo zu
seinen Citaten noch Theophrast 8, 2, 11 hist. plantarum hin-
zugesetzt ist, um zu beweisen, dass der Ort am Meere
lag, was Recensent aus andern Stellen der Alten erwies
(Hellas II, 1 S. 403). Eine andere Stelle, von der er sagt,
dass sie dem Recensenten ^^eidgangeii sey^'"'- nämlich Theo-
phrast hist. plant. II, 8, 1, wird Hr. R. , wenn er etwas ge-
nauer die Hellas ansehen will, eben an der rechten Stelle Not.
628 S. 402 finden. Sie lautet so: „Theoplirast hist. plant. II,
8, 1." Dagegen findet Rec. die von dem Verf. nun nachträg-
lich angeführten Stelle Theophr. hist. plant. II, 9, 1 nirgends
als eine besondere, und zwar aus dem ganz einfachen Grunde,
weil das zweyte Bucli der Pflanzengeschichte des Theoph. nach
der Schneiderschen Ausgabe nur 8 Capitel enthält und das 8
Cap. der Schneid. Ausgabe mit dem 9ten der frühem corre-
spondirt, woher man mit Recht in Beziehung auf den Verf.
mit seinen eigenen Schlussworten schliessen kann: „Wenn man
Stellen citirt, die man nicht gelesen hat: so citirt man böse
Geister, die überall umherspukend dem Verf. den Credit ver-
derben und den Leser verscheuchen."
Rec. kann schlüsslich nur versichern und wiederhohlen,
dass er von diesen Bemerkungen für seine Hellas wenig oder
nichts brauchen und sie nur fürZusätzezudesHrn.Vfs. Megaris
ansehen kann, üebrigens lässt er dessen ürtheil über seine
Scliolia in Sophoclis tragoedlas. Edid. Elmsley. 141
Hellas ganz auf sich beruhen, so leicht sich auch namentlich
das S. 61 gegebene Urtheil auf Hrn. II. zurückbeziehen Hesse.
Halle. Prof. Dr. Kruse.
Griechische Litteratur.
Scholia antiqua in Sophoclis Oedlpum Tyran-
num. Ex codice Laurcntiano plut. XXXII, 9 denuo descripsit
et edidit Petrus FJinsley. Accessit Elinsleii praefatio ad
editionein tertiam Oedipi tj-ranni. Lips. Suiupt. Hartinanni.
MDCCCXXVI. XXXI u. 43 S. gr. 8. 8 Gr. und Scholia in
Sophoclis Tr agoe dias. E cod. ms. Laurent, descr.
P. Elmsley. Ibid. eod. IV u. 384 S. gr. 8. 2 Thlr. [Die übri-
gen Stücke enthaltend.]
Aras Bedauern über die traurige Zerstörung, welche die er-
klärenden Werke der alten Grammatiker erlitten haben , be-
gleitet uns vielleicht durch keine Scholiensammlung so unun-
terbrochen als in den Commentaren zum Sophocles. Denn an-
dere tragen entweder das Gepräge der spätesten ^eit so unver-
kennbar, dass sie kaum noch an alte, wirklich gelehrte Quel-
len erinnern, oder sie sind noch jetzt so wohl ausgestattet, dass
die reichlich zufliessende Belehrung Trost gewährt für das Ver-
lorene. Die Schollen zum Sophocles erinnern noch durch Na-
men gerühmter Grammatiker , häufiger durch innere Reichhal-
tigkeit an ihren Ursprung: aber entweder entstellt oder spär-
lich für ihren Umfang. Von Namen der Grammatiker erscheint
am häufigsten Didymus, nämlich achtmal, aber davon viermal
in völliger Verstümmelung. Z. B. Antig. 122 :
£t ö ovv.) (pilsi yccQ rovzo ^ij Tavxyj qbtiuv —
ü 8b Tig dvoTjtog tvQE^fj' ^Idv^os ös (p7j6L — . und An-
tig. 4:
ovöev yaQ o{)r aXysLvöv ovz ätTjg ätsg —
^idv^ög (p7](}Lv SV tovrotg ro attjg cctsq Ivavtiag öwtetaKtat
Toig öv^(pQa^o^Bvoi,g. Kurz wir erfahren, dass an dieser
Stelle, die noch heute ein Kreuz der Herausgeber ist, Didy-
mus anstiess: wie er das Räthsel sich gelöst, ist uns nicht
aufbehalten. Und Aj. 1225:
d^Aog ÖS ^ov 'ötI öxaLov saXvöcav 6t6}iu
/JldviLog' Koi öJjAdg löxiv äg xl Otj^avojv vtov — . Hier
142 Griechische Litteratur.
also wird uns sogar zii;jemuthet zu glauben, ein Kritiker
wie Didvmns habe fiir den gewähltem Vers einen einfachem
und anderswoher entlehnten angenommen, aus Antig. 242:
d}]XoLS ö' cog Tfc öfj^aväv vsov. Gewiss nicht. Didjmus las
anders, vielleicht aal öjJAog oder drjXoi ^' äg n (*?) ö'naiöv
i'/,lv6cov 6t6^a, und belegte die Konstruction durch den Vers
aus der Aiitigone: die Ellsion beunruhigte ihn schwerlich: —
oder der Vers und der Name standen in gar keiner Verbindiuig.
Gleichfalls entstellt ist auch das Scholion Oed. C. 15(]. Unter
solchen Umständen besonders möchte es wichtig sein, ob nicht
von den gelehrten Schollen einige auch ohne ausdrVickliches
Zeugniss sich einem bestimmten Grammatiker mit Wahrschein-
lichkeit beilegen lassen. Wir unseres Theils zweifeln kaum,
dass sie dem Didyraus gehören. Dieses hat für sich: 1) die
Analogie mit andern Scholicnsammlungcn, die einen Vergleich
mit der unsrigen zulassen , z. ß. des Pindar. Seine reichhal-
tigen Commentare, welche die Frühern berücksichtigten, ge-
währten was — zumal die Spätem — suchen konnten; ja es
scheint mit ihm die gelehrte, selbständige Erklärung der alte?i
Dichter ziemlich aufgehört zu haben. Horapollon, dessen
V7t6^vr][ia 2Joq)OxX80vg Suidus erwälint, zog doch wol gleich-
falls nur frühere Commentatoren des Dichters aus. 2) Der
Verfasser unserer Schollen beruft sich mehrmals auf Didymus
als seinen vorzüglichsten Gewährsmann , Oed. Col. 237 : cd
^evoL aid6q)Q0V£g' to trjg 'Avriyövr^g TCQoganov oXov %a\ rov
XOQOv to rsTQccöTLXOv d%'£tovvTai' y,QHTT0V yocQ cpaöLV tv%itog
xä ÖMatoXoyLKcp •j(^Q7]6a6d'ca töv Olöinow UQog avrovg , u. s.
w. Der Schluss: ovdlv de iv roig zlidv^ov xovxcov 6ßili6^\v
£VQO[isv. — Antig. 45: zJcdv^og ds (prjöiv vno xc5v VTCO^vrj-
^axLöxcöv xov B^'^g 6Ti%ov vevo&Ev69ai. Jene zuerst erwähnte
Athetese war also wol der Einfall eines Spätem, dergleichen
man ohne Gelehrsamkeit haben konnte. Sonst hätte ihn Didy-
raus nicht unerwähnt gelassen: es galt nicht weniger als zwan-
zig Verse. Wie Didymus an der zweiten Stelle seine Vorgän-
ger mit dem Namen vTCO^vyfiaxLözai zusammenfasst, so gehö-
ren auch ihm ot vJtO[iv)]^axL6dfiEVOL ^ Oed. C. 388. 390. (>81,
und aTta^äxavxEg oi tcqo rjfiäv 1375. Man braucht blos einen
Blick in diese gelehrten Schollen zu werfen, um sich zu über-
zeugen, dass wer hier Vorgänger widerlegt und ergänzt, nicht
unser Commentator ist: der sein gelehrtes Glaubensbekenntniss
AI. 1197, El. 539 verräth. Des Ausdrucks oi vjio^vfj^axiöd-
(lEvoL, um seine Vorgänger zu bezeichnen, bedient sich übri-
gens Didymus auch sonst. Scliol. Find. Ol. VI, 55: zliÖviiog
(pr]6LV ort TtvdtEg ot vTiofivrjfinxoGä^uvoc ^aiödvav cpaölv Etvat,
— ,Nem. 111,1: 6 öh /HÖv^iog dirjTtarijöQ'aC cprjöi, xovg viio^vi]-
^axLöa^Evovg ^ und ot TtQovTtofivi^iiaTLöd^EVOL Ol. III, 68,
Isthra. II in. — Ferner der Zusatz bei Oed, Col. 388 über das
Scholia in Sophoclis tragoediaä. Kdid. Elmsley. 143
dort bezeiclinctc Orakel: ißovX6^t]v 8s avtovg (rovs vjto^vr]-
fiKZiöaiiivovg) (iccQtvQicf) iQi]6a6^c:i i] övyyQacpscjg ij nou]-
tov: unser Erklärer ist we;nger besorgt darum, zu V. 457.
Diilymus verlaiii^t überall gescliiclitllche Zen^^nisse und vcr-
misst sie bei friiliern Ei'klärern , ganz auf älmliche Weise Avie's
hier gescbieht. Um nur ein Paar Beispiele anzuführen, wo
scbon der Ausdruck dahin leitet, Schol. Pind. Ol. II, 7J): 6 Ö£
^tdvfiog tö dxQLßEöreQOV r^g laroQtag Exti^srcci. Ib. Iflin.:
6 öh ^iöv^og tötoQLXCoTSQov Xiyu. Ol. Väll, -\l : TcaQ ov8bvX
ÖB TtQBößvtiQcp TlivdaQov 7] iötoQLa. VIII , 1 : ^ccQiyjL ds
q}iq6iv 6 ^idv^iog tovro unoQiav, x6 [itjÖEtEQOv ccvtcov h'
totg NE^EOVinaig ävaysyQuq^&at. Ol. V, 20: rovto de q}i}6iv
6 zlidviiog d^KQtvQOv elvcl' ov yaQ löxogsitai, negl zöv"l7C-
jcaQLV %ai T^v Ka^ccQLvav tovro ysvo^iEvov. Nem. VII , 1 :
K^KQtvQov ÖS tovro , — ovös tovro löroQELtat. 3) Es fällt
auf dass in den Schollen, von denen wir reden, eine grosse
Anzahl von Zeugnissen wörtlich aus den Schriftstellern beige-
setzt ist, nicht in oratione obliqua aus ihnen berichtet wird.
War nun dieses die Sitte des Didymus nicht , so können diese
Schollen ihm nicht angehören: das Gegentheil würde einen
nicht verwerflichen Grund dafür abgeben. Und so findet sichs.
Man sehe in uusern Schollen Oed. Col. 56 : 'JnoXlaviog yga-
(pEv ovrcog- vgl. 705. Dann : Av6iiia%og 6 'JXE^avÖQEvg ygd-
(pav ovrag' 91. Tloli^cov Iv tä utQog Ti^atov yQacpcov ov-
tcog' 100. Nvficpodagog iv tcp ly tav Bag^agcuav yQä(p£i
owtög- 337. Ebenso von ^AKEöodcoQog 1051, "lörgog 1059,
Pherecydes, Menecrates Trach. 354. Electr. 504. Damit ver-
gleiche man Harpocr. o£,v%viiia (AvrLX^iEidov U^lv TCaQuygcc-
■^ag Eic tav e^rjyrjtLiccjv), ya^rjUa {nagart^E^Evog liliv Öa-
vodrjfiov), Schol. Pind. Nem. IX, 95 (öagofg 6 Ti^mog Ttoitj-
öEL '}'Q(xq)C)v ovrcjg' zweimal in demselben Schol. ), Ol. VI,
158 {aal Tcagati^Etai tä ^lUörov aal ta Tiixalov), Pyth.
V, 33 (tovro ÖE Ttiörovrai itagari^i^Evog rd ©Eoti^ov ex
tov TiQcotov tieqI KvQ^vrjg l'xovta otJrw), Nem. VI, 53 {^vrj-
[.lovEVELV ÖE (pviöL, falsch goßöl, tov Bovdicovog IIvd'aivErov
iv ngcStcp AlyiVTjtLxcöv ygacpovra ovrco), Athen, p. 501, E
{naQari%Erai td Avx6q}QOVog ovrcog')^ Schol. II. r, 116,
Pind. Ol. VI, 55. —
Wenden wir uns nun zur vorliegenden Ausgabe der So-
phocleischen Scholien. Elmsley schrieb im Jahre 1820 in Flo-
renz die Scholien aus dem Cod. Laurentianus XXXII, 9 ab,
demselben, aus welchem die Römischen Scholien geflossen
sind (Vorr. zu Oed. Col. Auf.). Die sehr genaue Abschrift
sollte eben so gedruckt werden. Elmsley selbst, durch Krank-
heit unterbrochen , besorgte den Abdruck nur von Oed. R. und
Oed. Col. bis 495 : dann übernahm Gaisford das Geschäft.
Um den Gewinn bemerkbar zu machen , führen wir eini-
144 Griechische Litte ratur.
ges an, was in der Römischen Sammlung und beiBninck fehl-
te oder von der Handschrift abwich. Ai. 173: xan^ yaQ (priori
(cod. (pn) vniJQ^s 7C£qI toü ^IWrog. R. Br. (prjöi' — Ai.
1285: dvi]xtaL rolg £ rj iGtogia ^ TiBQi Egsöcpövrov, fehlte
R. Br. Es heisst ^^^oVoig, wie Seh. Electr. 47, und Schol.
Find. Nera. VII, 56: avayEL toifs XQovovg. Ai. 1225: ^Idv^og
aal dij^og eötiv äg xl öTj^avcSv veov, fehlte R. Br. — Ai.
1309: övyxELfiivovg] yQ. övve^noQOvg, fehlt R. Br. — Electr.
1: ötQattjy^öavtog] yg. tvQavvrjeavrog^ fehlt R.Br. — Ebenso
El. 331 : %v^ä ^aTaia] yg. ipvxfj ^araici. 5lÜl: incciviGai^ av]
yQ. tTtccLveöa^EV. 876: lÖetv] ht: welches gleichfalls andre
Lesart ist, die sich auch im cod. Monac. findet. — 948: aal
710V 60L q)Llc3v] yg. aal Gv Ttov (piKav 'tjyovv aal nö&sv 6ol
iöovtat (ptXoL. — 985: (lij ^akiJtSLv] yg. ^ol Kvjieiv- — Phil.
431 lautet zu den Worten 6ocp6g Ttakaiötijg aslvog' alCka yal
Gotpai FväfiaL, ^UoKTiJT., s^7iodit,ovtat &a^ccj das Schol.:
öocpög ^iv £örtv, «AA' ov 8l6Xov aötaf ai yag toiavtat yvä-
^ai öia^cikXovtai sv^iag. Statt des letzten Wortes haben R.
und Br. noKldaig. Die jetzige Lesart führt wol darauf, dass der
Scholiast vor Augen hatte td%a. — Antig. 1136 fehlte etilöho-
Ttovvr dyvLag] yg. E7ii6ao7iovvta yviag (Valck. Phoen. 648)
u. s. w. Uebrigens hätte die Angabe der Abweichungen von
Brunck und der Rom. Ausgabe füglich wegbleiben können; wo
nicht, musste sie vollständig und genau sein. Wir versichern
dass beides nicht der Fall ist. Älitunter sind Fehler der Hand-
schrift im Text gebessert und die wirkliche Lesart dann unter
dem Text angegeben. Umgekehrt war's consequenter. Für
eine falsche Aenderung halten wir Antig. 20 aalxaivovöa: dvtl
xov Tiogcpvgovöa aal zEtay^Evag (pgovTit^ovöa- adXxtj ydg
lötLV 6 aox^og tj^S nogrpvgag — Aber die Ilandschr. hat
aölxog , und dies rausste bleiben ; s. Schäfer zum Schol. Apol-
lon. Rh. III, 859.
Angenehm ist es auch , hier einmal einen Abdruck zu ha-
ben, der nicht in Orthographie und Accenten von den Besorgern
des Druckes nach Willkür geändert ist. Zu wissen was die
Spätem in diesen Dingen befolgten ist, wie alles was zum Un-
tergang und Fall der Griech. Sprache und Grammatik gehört,
nothwendig. Wir bemerken einiges. Der Infinitivus av ist
immer ohne t geschrieben, 'Egtvvg immer (in Text und Scho-
llen, wie Elmsl. bemerkt zu Oed. Col. 42), Niöog wiederholt,
Q-gvXEiv. Ein doppeltes g bald mit den Zeichen, bald und öfter
ohne sie. Thut man Recht, wie neuerlich Dindorf im Athenäus,
dies anzunehmen ? Der Scholiast zum Dionys. p. 693, 19 lehrt
Qg schreiben: und Lascaris sagt: daövvEtac ÖE aal rö g ev ag-
%ylEi,EC3g, olov g/jtcog — * övolv dh ovtoiv^ onov dv tv%Gi6i,
xö Tigäxov ipikovxaL aal x6 ÖEVTsgov öaövvExat aaxä xovg
naXaLOvg, olov^dggrjxos, aggaözog. — Das v Eg)BXavöxixdv
(Scholia In Sophoclia tragoedias. Edid. Slmslej. 145
Ist vor Consonantcn bald gesetzt bald nicht. — tiQ^aösvou^-
vav und ri&aööBvovüi. (s. zur Aiiti^\ ;{4ü). — Täocarjööa oft,
nur ein Paar mal Te>c(i^]<}cc, Aa&pa und AaO-^a, L,cp ov imd ^cJov.
Also vorlierrschend ist Uuiileicliinässi^keit. Auch thateii die
Späten, welchen zu selbstäiuliirer Erlorschung der Wahrheit
die innern und äussern Hüirsmittel fehlten, und welche gar
kein Sprachgebrauch mehr leitete, am bessten hier keine Kon-
sequenz zu erstreben. Wie in nnserm llesychius eine Menge
Wörter unter doppelter Orthographie aufgeführt sind, so beiEu-
ßtathius Wendungen wie to ^cSov ij ^röov 6vv reo i u. ähnl.; die jetzt
einmal etwas hierin feststellen wollten, waren die peinlichsten und
verfielen in Sonderbarkeiten, wie sich an einigen Beispielen
aus Tzetzes zeigen lässt. — Antig. -iCO steht dsvccov, diellöm.
Ausg. Iiatte dtvväov Dies verdient bemerkt zu werden. Die
von Homer geheiligte Form dävaog blieb den Dichtern aller
Zeiten eigen, Ilerm. Eurip. Ion. 117. Aber die gangbare Form
der Prosa war dtvvaog, z. B. Strab. I p. 97 Tz., Arrian exp.
AI. IV, 6, 12, Aelian. V. II. III, 43, Piutarch. ne suav. 6(3' p.
129, Luc. INigrin. Iß; mit Recht iici txevaov tb 'naX noXi) Itclq-
Qiov Luc. Gall. 12 auf. Ilesych. divvuoq und uivvdov, Suid.
divvaov to dnavörov , xal dsvvccog 6 dsl geav , dno xov vuco,
o eöTL Qkco. 'Ode 'lovözLVuivog ägjisQ noranog dsvvaog sg rjfiBgav
£'Adötr]i> Idtpv T£ nal £Ä?^t^fro rovg v7t7]x6ovg (Procnp. bist. arc.
19). vgl. Zonar. p. 54. Ausserdem noch Suid. dal vcov to div-
vaov. Scliol. Pind. Ol. XIV, 16. Daher Eustath. auf den son-
derbaren Gedanken kommt , man könne in den Formen dävaoc
U.S. w. der Dichter die Schuld, wie er sich ausdrückt, der
(pavlötyjg der Handschriften beimessen und das Metrum erhalten
durch Synizese, adDion. 1055 (s. Ilerm. am angef O.): daher
Erscheinungen wie Schol. Pind. Pyth. I, 9 dsvdov Jivgög] x6
divvaov nygiag im rav vdätav ti&staL, und die Verfälschung
selbst, wo das Metrum vor Augen lag: Ttaydv devvdov (pvöEog —
lambl. vit. Pyth. 150; und in dem mit geringer Veränderung
in Prosa aufgelösten Orakel bei Bentl. ep. Mill. p. 458 Leipz.A.:
drp^LTOV divvaov TtaviitiöxoTiov o^fxa, wo es kurz vorher in
dem Verse selbst divaov heisst. Nicht einmal dsvvdovta Por-
phyr, antr. Nymph. CX u. XIII wird man danach geradehin zu
läugnen wagen; Hesychius giebt es so; vgl. Eust. p. 1735, 5ö.
Ferner ergiebt sich was Heindorf 's Urtheil werth war, zu Phaedo
p. 111,</. : „Pro dtvvdcov scripsi dEvdav. divaog constans usus
apud Pindarum, Euripidem , Aristophanem ubivis fere vel scri-
ptum in libris vel metro postulante scribendum,"' und ob es von
Bedeutung sei, dass nun einige Handschriften wirklich das ein-
fache v haben. Denn auch bei Xenophon, v/elcher das Wort
mehrmals hat, ist die herrschende Schreibart divvaogt wie bei
Ilerodot I, 145, wo von 13 Handschriften divaog nur aus zwei
bemerkt ist. Denn ganz Späte, die gar keiue Richtschnur mehr
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jahrs:. III. lieft 6. 10
14(> Griecliische Litteratur.
hatten, schreiben aucli wieder asvaog; so Etym. M. 98, 22
und unser Schol. — Wir kennen noch ein andres Wort, wel-
ches dieselbe gleichfalls verkannte Erscheinung darbietet: yäv-
vvö&ai. Eust. p. 199: dyavol ^iv A.öyoi, ot 7CQogy]VELg, Ttagä rö
ß ijriraTtxov xal rd yävvvG&af olg tig ayav yävvvtai iqyovv
%aiQU. Mnsstc ev liier nicht die Schreibart mit einfachem v
-wählen, wenn ihm die andere nicbt durchaus die geläufigere
war? Daher p. 1710, 9 die Bemerkung: t6 ds ov8\ yävvvrai
(fi,43) 8->]Xoirä daxrvXina Trodiö^co iQrivai ^17] diTiXaGiä^södca to
V Iv Ta yccvvö&ai, oigTtsQ ovÖe ev reo ydvog yavocjvteg %a\ yavv-
öKovrai. Und 546,30: ijds ag^ovöa Tovravvu7]d£og ovx, dXoycjg
äkln y.ard dvaXoyiav rov ydvog (nicht wälilt er ydvvvöd^ai
zur Ableitung) ev avl tacpsgetcci v' oidv no?.Xol iv olg yQucpovöi
8iiiXdt,Gi6iv avtö : doch wol nicht anders als verfuhrt durch
ihr ydvvvö&ai. So findet man geschrieben Et. M. 85, 14. 221,
23. 589, 52. 629, 44. Schol. Piud. Pytb. 1, 4. — Plülostr.
imag. p.9, 31 vnsQydvvzai,. ,,Genuinani haue scripturam, sagt
Jacobs, solus habet G. Caeteri vTtiQydvvvTai."- Ders. p. 11, 26
ydvvvTui: „Sic G, ydvvvvxai vulgo.'^ Und 47, 22 ebenso.
Das Resultat Avird man selbst ziehen. — Und Plato'? Pliädr.
p. 234, d: Kai tovvotycj i7ia%ov did öa , co 0alÖQe, TtQog 68
aTioßXi^Ttcov , ort e^ol edoKEig ydvvvö&ca vjto tov Xoyov. „yd-
vvö^ai Bodl." Freilich eine gute Handschrift ; aber doch hier
i^e.^Qn alles Uebrige nicht \o\\ Gewicht — Ob Dichtern selbst
yavvv^ivav erlaubt war, welches Jacobs — ohne Wahrschein-
liclikeit — unter andern zu Nossid. epigr. XI vorschlug (annot.
T. VII p. 418), ist zweifelhaft
Lelirs.
Anleitung zum Uebersetze?i aus dem Deutschen
in das Griechische von Dr. Val. Chr. Fr. liust und Dr.
E. Fr. JVüstemann. Ir Tlil. Ir und 2r Kursus. Dritte , sorg-
fältig berichtigte Auflage. Göttingen, beiVandenhoeck und Ruprecht.
1826. XIV und 433 Seiten. 8. (leAufl. 1820. 2e Aufl. 1823)
-I-iine sehr schätzbare aus Classikern entlehnte Beispielsamra-
lung, wozu Hr. Hofrath Jacobs seine reichen Sammlun-
gen hergegeben hat, in dessen Griech. Elementarbuche viele
liier übersetzte Sätze und Anekdoten scJion vorkommen.
Der Itc Cursus (bis S, 166) giebt Beispiele, Avelche zur Ein-
übung Acv Formenlehre dienen sollen, in 5 Abschnitte oder 35
§§ geordnet, so dass in Betreff der berücksichtigten Formen
auf die B u 1 1 m a n n i s c h e, M a 1 1 h i ä 's c h e, Thierse h's che
und des Verf. eigene Schul- Grammatik verwiesen ist. Im 2n
Cursus, mit welchem die Behandlung der syntaktischen Hegeln
Rost u. Wüsteuiaon : Anlelt. z. Ueber:;«. u. d. Deutsch. In d. Griech. 147
beginnt (nberschrieben : Von der Bi/dung des emfache?i Salzes
und dem Gebrauche der casus obllt/ui\ in 4 Abschnitten oder
21 §§ ) ist (Hess zwar ebenfalls geschehen, aber dabei hat der
Verf. auch eigene Regehi für die verschiedenen Absclinitte die-
ses Cursus entworfen. Kürzere grammatische Bemerkungen
stehen vor den Absclmitten des In Cursus. Unter den synta-
ctischen Bemerkungen ist manclies Schätzbare. Daliin gehört
S. 183 die Angabe der gewolinlichsten deutschen Subst., welche
man im Griech. blos durch ot oder rä in Verbindung mit ei-
nem Genit. oder mit Präpositt. und dem erforderlichen Casus
eines Substantivs bezeichnet. Dazu hätte noch der Begriff Ge-
schichte^ Bcgebeuhvitw. dgl gesetzt werden sollen. Doch ist
der erstere S. 185 Not. 14 nachgeholt. Bemerkenswerth sind
auch die Erläuterungen Viber die sogenannte Conjugatio conju-
gatorum (wiewol der Vf diesen Kunstausdruck nicht beigefügt
hat) S. 237 ; desgleichen über den Dat. bei den Verb, der An-
näherung u. dgl. S.267. Nur sollte bezeichnet seyn, ob tmi-
gehen oder Mmgehcn gemeint sei; auch sollten die Classen der
liiehergehörenden Verb, in besserer Ordnung auf einander fol-
gen ; auch die hieher gehörenden Adj. nicht fehlen, 8.317 ist
die Regel vom Genit. bei Zeitbestimmungen gut an die Regel
von den Adverb, loci und temporis cnm Genit. angeschlossen.
Eigenthümlich, wenn gleich nicht einleuchtend, ist S. 351) die
Erklärung des Genit. nach Comparativen. Es ist mehr eine Er-
klärung des Abi., der im Lat. nach Comparativen gesetzt wird.
Nach S. 331 soll der Genit. bei den Verb, anklagen und ähnl.
durch hinzuzudenkendes Subst. Vergehen^ Schuld^ u. dgl. er-
klärt werden. Wäre es aber nicht Tautologie, wenn man z.E.
sagte: „Niemand will einen Tyrannen wegen des Vergehens
oder der Schuld eines begangenen Unrechtes anklagen? Und
was wäre am Ende damit erklärt*? Die Apposition wird S. 226
ein dem Subjecte beigelegtes Prädicat genamit, da sie doch ein
ganzer implicirter Satz ist. Ueberhauptist dieser § wol zu dunkel
für den Anfänger. S.227 hätte es nicht als etwas der griech.
Sprache Eigenthümliches angemerkt werden sollen, dass eine
Apposition auch demPronom. possess. beigefügt werden kann.
Im Lateinischen findet ja das Nemliche Statt , wie wenn Hora-
tius sagt : quum mea nemo Scripta legat vulgo recitare timentis.
Warum sind wol im Anfange über diele und 2e Declinatiorx
einige Beispiele gesetzt, die keinen vollständigen Satz bilden*?
Dass der Anfänger mit demVerbumund andern Redetheilen noch
nicht bekannt sei, kann der Grund nicht seyn. Denn so-
gleich auf der folgenden Seite giebt der Verf. vollständige Sätze,
so dass er unter dem Texte allezeit die erforderliche Form des
Verb., so wie die Präposit. mit ihrem Casus angiebt. Was
soll ein solcher todter Mechanismus für die zu bildeden Jugend 'J
War es denn nicht besser, das regelmässige Verbuni und allea-
10*
HS Griechische Litteratur.
falls noch das ganze Praes. und Imperf, von ftat als vor allem
Uebersetzen ins Deutsclie zu erlei'nendes vorauszusetzen'? Oder
konnte es nicht, bevor es erlernt war, eben so gut in der Gram-
matik nachgewiesen werden, als die Declinationen nachgewie-
sen sind*? Hinsichtlich der Präpositionen aber konnte ja auf
die dahin einschlagenden Abscluiitte des 2n Cursus S. 3fi9 ff, ,
wo alle Präpositionen einzehi mit ihren Casibus und Bedeutungen
aufgeführt sind, verwiesen werden. Ueberhawpt waren viele,
sehr viele ^^ iederholuiigen Viberfliissig , wenn die beiden Cur-
sus , zumal da sie, so viel ich weiss, ganz gleichzeitig er-
schienen sind , mittels gehöriger Verweisung aus dem einen in
den andern in ein engeres gegenseitiges Verhältnisy gesetzt wur-
den. So findet man z. E. Viber den Artikel fast ganz gleiche
Bemerkung S. 3 nnd 170 fg. , eben so über die Weglassung des
Pronom.se/« S.5 nnd 195, über die Verbindung von :;rßg mit
seinem Subst. S.5 und 10 (also sogar in demselben Cursus zwei-
mal). So steht auch S.229 § 10, 4 und § 11, 1 ganz dieselbe
Bemerkung.über den Accus. alsObject des Verb., nnd das, was
S. 259 vom Dativ gesagt ist, steht schon S.22S>, S. Wozu dieser
Ueberfluss'? War es nicht geimg, bei der einen Stelle auf die
andre zu verweisen*? S. 6 konnte, wegen der Setzung oder
Weglassung von t;r6g, auf S. 181 verwiesen werden. Ebendas.
bei nr. 1] war es für den Anfänger belehrender, auf S. 215
(vom Dativ zur Bezeichnung des Ablativ- Verhältnisses) zu ver-
weisen, als hinzuzusetzen: „£:;ra5d>;, im Dativ ohne Präposition";
eben so S. 9 nr. 26. Ueber den Accus, bei inTilr^TTiö^ai und
ähnlichen Verb, war, statt der unverständlichen Bemerkung S.
12 nr, 3, eine Ilinweisung auf die Regel S, 230 fg. lehrreicher;
aber dabei war auch ein Wink darüber nöthig , wie , nach S.
205 nr. 2, auch i'/.7iX}]xtiQ^i al xivi stehen könne. Ueber den
Genit. nach Comparativ. war die Bemerkung S. 14 nr. 70 unnütz,
wenn das Genauere hierüber , was S. 359 fg. steht, nachgewie-
sen wurde. Die Bemerkung S. 33, dass dfieXElv mit dem Gen.
stehe, war unnöthig, Menn auf S, 351 verwiesen wurde. Was
S. 34 von dXkdtzEiv mit Gen. steht, findet sicli S. 340 fg. ge-
nauer erörtert. S. 38 nr. 21 war es belehrender , wenn , an-
statt zu sagen, Heilmittel gegen Krankheit sei durch Genit.
auszudrücken, auf die Kegeln vom Gen. als ergänzendem Ca-
sus S. 289 hingewiesen wurde: denn da sähe der Lernende gleich
den Grund dieses Sprachgebrauchs ein. S. 50 nr. 28 war über at,i6s
lörfc mit Gen. auf S. 320 zu verweisen. DieBemerkung über die
besonders auszudrückenden Pron, person, steht S. 70, und zum
zweitenmal S.188. Nochmals aL?o die Frage: Wozu solcher Ue-
berfluss? Das S. 15 nr. 11 für nach in der Redensart /^fl^/^ der Flöte
tanzen angegebene jr^og kann erst dann mit Nachdenken ge-
braucht werden, wenn dabei die Bemerkung S. 424 verglichen
wird. S.8 bei der Redensart eine Prüfung mit dir anstel-
Rost u. Wüstcmann : Anlelt. z. Uebcrä. a. d. Deutsch. In d. Griech. 149
len war es wol weit besser, auf die Regeln vom Genit. als Ca-
sus der Ergänzung zu verweisen, als öov hinzuzuse(zen, wel-
ches der Autanger doch nur mechanisch abschreiben wird. Zu-
weilen ist auf den 2n Cursus hingewiesen, als S.CO, 111), 128
(hier sogar zweimal nach einander), 120, 121. Aber im
Ganzen ist es viel zu selten, und ohne einen festen Plan dabei
zu befolgen, geschehen. So fehlt auf derselben S. 121 bei
■KOLvovödai die zur UegrVmdung der Construction erforderliche
Hinweisung auf die Regel S,299. Der Grund, warum £ört ^oi,
zu schreiben sei fiir: ich halte oder besitze, und S. 337 fort für
Tiiaji kann, war aus einer Grammatik nachzuweisen. Die Be-
merkung Vlber den Accus, und Inf. S. 348 nr. 13 steht mit den-
selben Worten wieder S. 349 nr. 14. Bei den Worten S, 351
es ist die Sache der Herrscher war an S. 321 zu erinnern; so
wicS. 3t>9bei rj ol^wös 6d6g auf S, 180 zu verweisen; S. 333 bei
dem Beispiele: J^s (rehörte dies zu den Ungerechtigkeiten der
Athener^ auf S. 302; S.334 über tan so beser, je theurerani
S. 209; S. 347 über TiQog mit Acc. in der Bedeutung in Ver-
gleichung (jiicht im Vergleich) auf S. 424; S. 315 über igrjöd'aL
auf S. 267; S, 3!^0 wegen aö^evr^g t)]v 'yv(6(jij]v auf S. 246 fg.;
S. 358 nach nr. 1 über Mangel haben auf die hieher gehörige
Kegel S.323; S.370nr. 13 h^\7iQQaiQBl6%ai^\ii S. 378 nr.2;
ferner S 284 nr. 17 wegen ^BXiyuv nvog auf S. 299; S.285
nr. 12 bei ovrag (wo auch hinzuzufiägen war: 7nit dem Artikel)
auf S. ISO; S.293 bei tvyxdveiv rivög aui S.303, und ebend.
bei ÖLij^^v tbvog auf 8,357. Eben so sollte S. 247 nr. 25 wegen
der Construction desYcrh.dLcccpBQELV auf die Regel S. 298 ver-
wiesen seyn; S. 252 wegen der Construction von ysfisiv auf die
Regel S. 323. Eben so bei 6 avtog mit folgendem Daliv für
das Deutsche r/e7.se/6e mit oder wie auf die Regel S.272 fg.; bei
KueXsLV Tivog S. 264 auf S. 351 , und ebendas. wegen uvv^d-
vi.G%al xi ttvog auf S. 312.
Zuweilen ist schon vorläufig auf den Sn Cursus hingewie-
sen; jedoch ebenfalls nicht oft genug und niclit nach einem
festen Plane. So ist S. 201 S. 313 und S. 332 fg. über das
Particip. mif dem Artikel , statt des Relativ, mit einem Tem-
pus finitum, auf die Regel im Sn Cursus verwiesen, aber gleich-
wol , so oft in andern Beispielen dieser Fall wieder vorkommt,
in den Noten dieselbe Benjerkung wiederholt, anstatt immer
wieder auf dieselbe Stelle des 3u Curs. zu verweisen. So ist
ferner S. 123 nr. 13, S.124 nr. 35, S.133 nr. 6, S. 201 nr.27,
S.309 nr. 12, S. 357 nr. 11, und noch an mehreren Stellen
angemerkt, wo tVo;, wg, oder das Relativ mit dem Coni. oder
Opt. stehen müsse, anstatt jedesmal auf die genauere Erörterung
dieser Sache im Sa Curs. hinzuweisen. Dies hätte auch S 172,
262 und anderwärts hinsichtlich desgt mit Indic. und im Nach-
satze äv mit Indic. geschehen sollen. S. 284 nv. 13 ist we-
150 Griechische Litteratur.
ffea tvyicivuv mit dem Particip. auf den 3ii Ours. verwiesen.
Warum ist dasselbe nicht auch S. 374 nr. 7 hinsichtlich des
Verb. "kav^ciVio und S. 375 nr. 25 in Bezu^ auf biaxil^ö mit
dein Particip. geschehen*? Da wegen der Verb, cognoscendi
mit dem Particip. selir oft auf den 3n Curs. verwiesen ist, war-
um nicht aucli S. 353 nr. 11? Das war zweckmässiger, als
die — zweideutige — Erläuterung, die der Vf. giebt, indem er
das Griechische so nachbildet: was er kennt seiner Gesundheit
schadend: denn dieses Particip. kann ebensowol Neutrum als
Masc. seyn. Solche Nachweisungen des 3n Cursus waren auch
S. 345 in Beziehung auf den Inf. mit av, S. 355 nr. 8 über
ovÖug^ in wiefern es heisen könne Jemßwrf, ebeud. nr. }) über
«Tf mit dem Particip., zum Vortheil der Lernenden wünschens-
werth.
Doch an diesen Beispielen mag es genug seyn, um zu zei-
gen , dass der Verf. die Theile dieses Werkes in ein näheres
Verhältniss zu einander hätte setzen und dem mechanischen
Verfahren des Schülers beim Uebersetzen — durch mannich-
fachere Veranlassung zum Nachdenken über die Spracheigen-
heiten hätte \orbeugen können und sollen. In dieser Absicht
hätte auch die Grammatik, insbesondere die Syntax, gar sehr
vereinfacht werden können. So hätten sich z. E. die Beispiele
über die Präpositionen mit den Beispielen über den Gebrauch
der Casus obliqui recht fruchtbar verbinden lassen, selbst nach
des Verfs. eigener Ansicht von dem Wesen der Präpositionen,
wie man dieselbe aus S. 368, vgl. 381, vermuthen kann ; zu-
mal da auch bei manchen Bemerkungen über die Casus obliqui
die Lehre von den Präpositionen schon vorausgesetzt Avird, wie
S. 2Sß. 229, 4. 249. ii78. Wie sehr nahe beide Abschnitte
der Grammatik einander berühren, zeigt die Vergleichung der
Bemerkungen über die Verba sich freuen , sich betrüben u. dgl.
mit dem blosen Dativ S. 282 und über dieselben Verba mit tni
seq. Dat. 417, so wie die Vergleichung des deutschen und grie-
chischen Sprachgebrauchs besonders in Hinsicht des Genit-
Denn wie im Deutschen das Genitiv -Verhältniss oft durch Prä-
positionen ausgedrückt wird (z. E. r} räv XQtj^Atav iTii^viiia^
das Streben nach Geldy. so wird ja auch umgekehrt im Deut-
schen oft der Genitiv gesetzt , wo im Griechischen eine Präpo-
sition gewöhnlich ist, wie auch S. 414 die unter TtEgl vorkom-
menden Beispiele zeigen, z. E. der Anhang des Perikles, die
Tapferkeit des AclüUes. Daher auch der Vf. mit Recht S. 184
die Zusammenstellung des Artikels im Plur. mit dem Genitiv
und die Verbindung desselben mit Präpositionen (ot ducpi tlvcc,
OL övv Tiin., ot (ittä tivog) in Eine Regel zusammengefasst hat.
Aber auch anderwärts hätte die Anzahl der Regeln sich sehr
vermindern und die Uebersicht derselben erleichtern lassen —
eine Rücksicht, die in unsern Tagen, bei der Menge von Lehr-
Rost u. Wüsteiuann: Anlelt. z. Uebcrs. a. d. Deutsch, in d.Griecb. 151
gegenständen, womit die studierende Jugend überladen wird,
besonders wichtig ist. So hätte die Bemerkung über die Prae-
posit. %ccQLV S. 379 der über svexa S. 370 näher gerückt und S.
211 die erste und zweite Anmerkung verbunden werden sollen.
Denn nicht blos iivai, v7idQ%ELV und yiyviö^ai stehen als Co-
pula, sondern auch (paiviG^av^ dijXov uvai (augenscheinlich
seyn)^ doxftv (dem Scheine nach seyii)^ ^tvsLV, zataötfjvai,
(dauernd seyii)^ mcpvxEvaL (von Natur seyii)^ 6vo[iä^£ö9^ai,
anovELV^ vo^i^sö^KL (namentlich oder angeblich seyji) sind als
Copala zu betrachten; und so ist demnach die Construction die-
ser Verb, mit dem Nomin. ganz natürlich, und nicht, wie der
Vi'. S. 213 sagt, als Ausnalime zu betrachten. Uebrigens hätte
nicht VTKXQXBiv und sivai, hinsichtlich der Bedeutung ganz iden-
tiiicirt werden sollen. Die Regel S. 244 über die Verba mit
einem doppelten Accus, war so zu fassen, dass zugleich die hie-
her gehörigen Verba besser geordnet wurden, etwa so: Die
Verba , welche ein macheu ausdrücken , bedürfen , ausser dem
Acc. des Objects, auch einen Accus, der nähern Bestimmung
(des in ihnen liegenden Prädicats). So sowol diejenigen, wel-
che den Begriff des Machens im Allgemeinen^ als diejenigen,
welche e/we ^^// des Machens bezeichnen, wie nennen^ wüh-
len (= einen durch Wahl zu etwas machen), für etwas halten
(= in Gedanken zu etwas machen, wie man etwa sagt: Ich
glaube, du machst mich zum Spitzbuben = du hältst mich da-
für — eine Ansicht, worauf Redensarten führen, wie noulö^ai
öVfKpoQav Tt, etwas für ein Unglück halten.). Auch hätte der
Vf. die ihnen entsprechenden Verba, die einen doppelten Nom.
bei sich haben (S. 214), mit ihnen in Vergleichung stellen
und auf sie zurückweisen sollen. S. 268 steht: Die Verba —
beschuldigen u. s. w. haben einen Dat. der Person , und erst S.
331: Die Verba — beschuldigen u. s. w. nehmen die Schuld im
Gen. zu sich , ohne dass dem Lernenden ein Wink gegeben
wäre, beim Letztern wieder an das Erstere zu denken. Der
Dat. war übrigens als Dat. incomiiiodi zu erklären bei den Verb.
ImnX^TXHV , ly/.aXhlv, ^e^Kp^ö^^ai, ogyl^eödai, cpxfovElv und
älinl. Bei jedem dieser Verb, sollten auch die gleichbedeuten-
den deutschen Ausdrücke gleich mit angeführt seyn. Dann
brauchte nicht ein und dasselbe Verb, in den Noten an mehrern
Stellen beigesetzt zu werden, wie iTatifiav S. 264 nr. 2 und
265 nr. 19, tjanhJTxsLV S. 264 nr. 5 und S. 265 nr. 2, [iBfi-
(peö&aL S. 264 nr. 16 und S. 265 nr. 14. Auf S. 282 fg. waren
die Verba so zu ordnen: sich freuen^ sich eJgötzeti^ vergnügt
seyn^ und die entgegengesetzten auf folgende Weise: sich be-
trüben^ traurig seyn^ sich ärgern u. s. w. S. 289 unterschei-
det der Vf. den Geiiit. der Ergänzung und den Gen. als Angabe
der Ursache, als wenn nicht auch im letztern Falle der Genit.
eine Ergänzung enthielte. Daher sollte dieser Fall jenem, als
152 Griecbiscke Litteratar.
dem generellen, untergeordnet seyn. — Warum sind ferner
die Subst. und die Verba gleiclien Begriffs , Avelche den Gen.
als Ergänzung erfordern, uiclit verbunden? Denn was von
imiiiXiia. , tTCi&v^ia und äbnlichen gilt, das gilt doch auch
von iTiiiiikhlö^ai und ähnl. (S. 351), zumal da auch Redensar-
ten mit den erstem gebildet werden, die den letztern, den
einfachen Yerbis , ganz gleich stehen. S. 296 sollte nach dem
Ausdrucke der erste ^ trefflichste seyii sogleich folgen: i'iber-
irejjen^ sich auszeichnen^ und dann erst die übrigen AusdrVicke.
So wurde die Regel behaltbarer. Und wie hier die griechi-
i(chen Synonyme für herrschen in grosser Anzahl angeführt
sind, so sollte diess gleichmässig überall bei andern Wiirter-
Classen geschehen seyn, z. E. S. 303 bei den Verb, herühren^
ergreifen u s, w, , S. 291) sollte bei Tvy%äviiV auch die Bedeu-
tung finden angefiilut seyn. Dann war S. 300 ur. 10 entbehr-
lich. Auch hazvy/dviiv sollte in diesem Register nicht feh-
len (eben so wenig die hieher gehörigen Adjective, wie ä^oi-
Qog, d^uLyrjg und ähnl.) und die entgegengesetzten Verba, wie
ki^yELV, ti'oyrLV. S. 302 sollte, ausser eivaC nvog in der Bed.
dazu gehören^ auch y[yvB6&ai erwähnt seyn, schon wegen des
Beispiels, in welchem das letztere Verb, berücksichtigt ist, S.
316 nr. 11. Die Verba, welche gemessen u. dgl. bedeuten, S.
305 konnten mit den Verb, des Berührcns S. 303 in eine engere
Verbindung gebracht werden, besonders da aTCZBö&ca und
kaßstv öitov und dgl. auch vom Geniessen und Essen gebraucht
werden, vgl. S. 309 nr. 1. Die Verba des Erinnems ^ Krwäh-
nens und Vergessens S. 310 hätte der Vf. mit den Verb, und
Subst. der Sorge S. 351 und diese mit den Verb, des Verlan-
gens S. 3.5T in eine nähere Verbindung bringen können, da sich
jene zu diesen dem Begriffe nach wie Grund und Folge verhal-
ten , die ganze Grammatik aber eine fortwälirende angewandte
Logik seyn muss, wenn sie bei der Jugend haften und ihr
wahrhaft nützlich werden soll. Die Verba des Erinnerns u. s.w.
selbst aber waren auf folgende Art zu ordnen: an etwas den-
ken^ eingedenk seyn (^^e^rijö^ai,^ dem auch v7Co^Euv)]6d^aL bei-
zufügen Mar, damit es bei nr. 7 nicht nöthig war, es anzuge-
ben, gedenken, erinnern {^ifivy]6xBLi') erivähneu (^vy]^ovsv£Lv).
Zur Erklärung des Genit. bei den Verb, dieser Art waren die
mit den ihnen verwandten Subst. gebildeten Redensarten zu be-
nutzen, wie ^V7^fi7]v TCOLBiv und %0iBi6%ai = ^ivtjuovbvblv, kr'ßi]
iyylyvBTcd ^oi nvog = btiiIccv^Üvo^ccl. S. 231 hätten die ein-
ander entsprechenden deutschen und griechischen Verba, Avie:
schmeicheln {y.okauBVBLv) ^ sich scheuen (aidetöd^ai^ aiöxvvB-
6&ai), sich fürchten ((poßBLö^fai, ÖBdoLaivm) zusammengestellt
und (pBvyBLV in seiner eigentlichen Bedeutung S. 231 und das-
selbe in seiner uneigentlichen S. 235 einander näher gerückt
werden soUeu. In grosser Unordnung stehen S. 241 mehrere
Rost u. Wüstemann: Anleit. z. Uebcrs. a. d. Dculscli. in d. Griccli. 153
Verl) a mit doppeltem Accus., mcIcIic ^aiize Classen bilden, un-
ter einander gemischt; wenigstens sollten die Verba anziehen^
airsziehen und wegnehmen^ rauben als Hezeichmingen entgegen-
gesetzter IJegritle, und eben so und aus demselben Grunde die
Verba lehren und verbergen^ verltcimlicheti unmittelbar auf
einander folgen und dieses Verhältniss des Gegensatzes zur
Erleichterung des Lernens beimtzt seyn. Die \erba //r/^e/z,
fordern und bitten sollten dann wieder eine besondere Reihe
bilden. Die Kegel iiber den Dat. nach Adjcctiv. der Aehnlichkeit
j?. 270 war mit der von 6 avroq c. Dat. S. 273 zu verbinden,
und an diese wieder die von avtög c. Dat. S. 278 fg. passend
anzureihen. Die Regel S. 315 über die Adverbia des Orts und
der Zeit mit dem Genit. liätte durch engere Verbindung mit der
Regel vom Genit. partitivus S. 291 an Licht gewonnen. Das
Beispiel ebend. ro?i welcher Seite (= nö^iv^ des Feldes MÜre
zur Erläuterung dieses Sprachgebrauchs gut zu benutzen gewe-
sen. S. 311): die Regel vom Genit. des Besitzes bei iivai war
mit der vom Genit. des Zugehörens bei demselben Verb. S. 302
in Verbindung zu setzen und jener Genit. , wie dieser, einfa-
cher zu erklären durch Wiederholung des Subjects, z. E. Alles
Schöne gehört demjenigen = ist ein Schönes dessen. S. 322
beginnt der Vf. eine neue Rubrik vom Genit,: „Wörter, welche
an u. für sich keinen vollständigen Begriff haben, nehmen das
Subst. — zur Ergänzung des Begriffs — im Genit. zu sich."
Darunter gehören ja aber offenbar auch mehrere der friiher er-
wähnten Wörter- Classen, z. E. die Verba, Subst. und Adj.
curae etincuriae, memoriae et oblivionis, cupiditatis et studii.
S. 323 sollten die griech. Verba, welche Fülle oder Mangel aus-
drücken , alle , nach den verschiedenen Nuancen ihrer Bedeu-
tungen, zusammen aufgeführt seyn, und eben so die hieher
gehörigen Adjectiva, so wie S. 27() die zur Bezeichnung der
Aehnlichkeit u. dgi. gewöhnlichen Verba. S. 326 konnte man
eine Zusammenstellung der von at,LOq kommenden Adject. und
Verb, erwarten. Den Genit. des Preises bei den Verb, emendi
und ähnl. erklärt der Vf. S. 334 durch das hinzuzudenkende
XQij^icc oder Ttgay^a, da derselbe wol natürlicher als abhängig
von dem (in Gedanken zu wiederholenden) eben vorhergehen-
den Subst. und als Gen. der Ergänzung erklärt wird, wie bei
den Wörtern, die eine Fülle, Würdigkeit, Fähigkeit u. dgi.
bezeichnen (S. :-;23 ff.). Die Verba des Losmachens S. 338
sollten mit denen des Lossprechens S. 331 in ein näheres \er-
hältniss gesetzt seyn , wegen der Verwandtschaft der Bedeu-
tungen. Uebrigens fehlt auch liier die Angabe der hergehö-
renden griech. Verba ; ja, selbst in den Noten sind sie nicht
alle angegeben; so inlüi a^aQxävuv ^ diacpSQHV. Die Ordnung
ist auch nicht die beste. So sollten die Verba des Verfehlens,
der Abweichung und Verschiedenheit auf einander folgen.
154 Griechische Litte ra tu r.
Nicht mit angemerkt ist, dass die Verba der Beraubung zum
Theil einen doppelten Accus, haben, vgl. acpaLQÜö&ai XLvä xi.
Warum ist derGenit. des Stoffes oder der Materie S. ;>42 nicht
auch als Ergänzung betrachtet*? Eben so war der Gen. der
Ursache und der Veranlassung S. 346 zu erklären, wo im
Deutschen wegen oder in Ansehung gesagt wird. Es sollte
diess als zufällige Ergänzung von der wesentlichen oder noth-
wendigen unterschieden seyn. S. 347 war auf die Hegel S.
280 zuriickzuweisen und ein Wink darüber zu geben, wie der
Beweggrund sowol durch den Dat. als auch durch den Genit.
ausgedrückt werden könne. S. 351 fehlen bei den Verbis cu-
rae et incuriae manche deutsche Synonyme, Avie Sorge tragen^
steh bekümmeryi^ und, von den entgegengesetzten, vernach-
lässigefi^ verlackeii u. a. Auch hier sollten die in Betracht kom-
menden griech. Ausdrücke gleich mit in die Regel aufgenom-
men, auch ^erafislEi , welches S. 282 nr. 27 viel zu früh vor-
kommt, mit seiner abweichenden Construction erwähnt seyn,
da es , dem Sinne nach , gleiche Construction mit jenen zu ha-
ben scheinen könnte. Auch die Construction mancher dieser
Verb, mit Praepositt. c. genit., z. E. cpQovzL^eLV VTtsg und jroA-
h]V ETtLfieksLav Ttouiö&at tcsqC rtvog sollte nicht felilen, zu-
mal da liiervon schon S. 265 nr. 11 und dann wieder S. 406 nr.
17 Beispiele vorkommen, ohne dass an beiden Stellen liieher
verwiesen wäre. Auch das Synom. ,, sparsam umgehen" sollte
neben „sparen" nicht übergangen seyn. 0av(xcc^a öov rovto
S. 356 war wol natürlicher zu erklären, wie auch S. 312 d/iova
ÖOV TOVTO (gleichwie: ich höre dieses Wort des Mannes.).
Schon in dem Bisherigen ist gelegentlich manches Fehlen-
de angemerkt Morden. Dessen ist aber noch weit Mehreres.
So sollte z. E. über den Accus, cum Inf. als Object der \erb.
declarandi u. s. w. eine kurze Bemerkung im In Cursus nicht
fehlen, oder doch zeitig auf den hiervon handelnden Abschnitt
des 3n Cursus verwiesen seyn, da ja diese Construction schon
bei den Bemerkungen über den Artikel S. 187 als bekannt vor-
ausgesetzt werden muss. Dann war niclit so oft uöthig, in den
Noten zu sagen, dass nacli dem und dem Verb, der Acc. c. Inf.
folgen müsse.
Eben so war über den Unterschied zwischen ov und ^^
vorläufig im In oder 2n Curs. Auskunft zu geben, oder doch
zeitig genug auf Abschu. VI im 3nCurs. zu verweisen. Wie kön-
nen sonst Aufgaben, wie S. 187: „Gut ist nicht ^ Jemanden
nicht zu beleidigen, sondern es auch ^^/cZ/i zu wollen ," über-
setzt werden? S. 3J)5 sollte mit stehen, dass öia (nicht blos
mit Accus., sondern) auch mit Acc. und Infin. verbunden werde,
schon um nr. 4 begreiflicher zu machen, und weil ja schon S.
301) nr. 8 ein Beispiel von diesem Sprachgebrauche vorkommt.
S. 215 war noch beizufügen, dass vian auch durch Ttg, beson-
Rost u. Wüstemann : Anleit. z. Ucbera. a. d. Deutsch, in d. Grlccli. 155
ders in Conditional- Sätzen, aiis/^edrückt wird. Ueber die
Adj. verbalia auf rog und rsog solJte, am gehörigen Orte, Aus-
kunft gegeben seyn. Dann waren solche Erläuterungen in den
Noten, uie S. 218 nr. 6, S. 225 nr. 1 , S. 339 nr. 8, S. 354 nr.
25, S. 380 nr. 16 („das Leben verdient diesen Namen nicht,
(xßicitog föTt'*") , w eiche oline diess vom Anfänger nicht begrif-
fen werden, meistens unnöthig , und es konnte in vorkommen-
den Fällen blos auf die einmal gegebene Auskunft verwie-
sen werden. S. 284 sollte auch der Gebrauch des Dativs, da
er als Abi. des Verhältnisses (der Proportion) gesetzt wird,
(oöcj — TOöovTCp) bemerkt seyn, wovon S. 200 nr. Ü eiiiBeispiel
vorkommt. S. 286 sollte neben di]^o6ia — wobei auch die Be-
deutung auf öffe?itl. Kosten mit anzumerken war — auch iÖia.
als Gegentheil, tavtr] als Synonym von adt, desgleichen
7C£^ij «. a. mit in der Regel aufgeführt (und nicht erst gelegent-
lich in den Noten angegeben), auch die dabei gewöhnlich an-
genommene Ellipse nicht übergangen seyn. S. 187 ist der Ge-
brauch des Artikels mit dem Inf. blos auf unpersönliche Sätze
beschränkt, da doch in den Aufgaben auch dcä mit dem Inf.
und vorgesetztem Artikel , z. E. S. 301) nr. 8 , und andere Ver-
bindungen mit dem Inf. vorkommen. Die Bemerkung S. 180,
dass Adverbial -Ausdrücke durch beigefügten Artikel zu Adje-
ctiven werden, ist zu allgemein ausgedrückt. Denn oft steht ja
tondkaL und ähnl. blos in Adverbial -Bedeutung. S. 317, wo
vom Genit. der Zeit die Rede ist, war eine Ilinweisung auf S.
287 (vom Dativ des Zeitpunctes) nöthig, um Verwechselungen
vorzubeugen. S. 321 wird gesagt: „Die deutschen Ausdrücke
Sache ^ Pflicht und andere dürfen im Griech. nicht übersetzt
werden, sondern üvai muss allein stehen mit dem Genit.''' Be-
kanntlich steht ja aber öfter tgyov dabei, wie Xenoph. Memorr.
S. I, 4, 4; III, 3, 3. Ebendas. war beizufügen, dass in dem
angegebenen Falle der Genit. eines Subst. eben so wol von con-
creten als von abstracten Begriifen bei slvat zu stehen pflegt.
In den Aufgaben über diese Regel sollten, statt der immer
wiederkehrenden Wendung: Ji!s ist die Sache eines u. s. w».,
Ks ist die Eigenschaft eines u. s. w. , auch andere, dem deut-
schen Sprachgebrauch angemessenere, gebraucht seyn, wie:
Es gehört zur Männlichkeit u. s. w. , Einem freien Mmme ge-
ziernt es u. s. w.
Auch die den Aufgaben untergelegten Bemerkungen, die
den Anfänger leiten sollen, sind oft mangelhaft und zeugen über-
haupt von Mangel an planmässigem Verfahren. S. 13, dass
die Geschichte — von jedem stolzen Menschen gelte ^ ist nicht
angegeben, dass von durch tccQl zu übersetzen sei. S. 297,
Alles fange mit Gott «7^, ist vergessen, anzugeben, wie das
mit ausgedrückt werde. S. 308 nr. 36 war es nicht nöthig, an-
zugeben , dass Nutzen von einem haben heise dstolav^LV rivög.
156 Griechlache Littcratur.
cla es schon in der Reg^el S. 305 mit angeführt ist. S. 293 fehlt
bei so viel als möglich die Angabe des griechischen Ausdrucks.
S. 2J)6 ist nicht klar, wie %0iv6g durch zufällig Vlbersetzt wer-
den konnte. Warum nicht: etwas gemeinsames^: Weswegen ist
doch S. 2{)7 nr. 8 TtSQLyiyveöd-cci und nr.lO, so wie S. 2J)H nr.5,
y.QaTHV hingesetzt, da beide Verba schon in der Regel mit vor-
kommen? S. 298 ist angegeben, dass öffeTiilich durch bk tou
<]P«i'£^oü iibersetzt werden soll; aber erst S. 375 ist diese Re-
densart erläutert, welche aber, so wie die parallele Ik toij^ i^-
q)(xvovg, gleich mit in die Regel zu bringen war, MJe auch S.
374 e^aQTcJv sx Tivog. S. 180 ist zur Erläuterung der Worte
sei so — wie in den Noten gesagt: „von solcher Beschalfenheit,
— von welcher Beschaifenheit." Warum ist niclit vielmehr das
veraltete solcherlei und welcherlei gebraucht, welches sich dem
rOLOVTog und oiog weit mehr nähert 7 S. 133 bei nr. H ist eine
friiherc Bemerkung unrichtig nachgewiesen. S. 220 sollte be-
merkt seyn, w Ig Schätze zu iibersetzen sei. S. 223 sollte bei
den Worten in solchen Beschäftigungen^ in welchen an die Cor-
relata erinnert seyn. S. 257: Die Athener glaubten^ dass sie
— geboren ivären. Hier war zu bemerken , dass und warum
sie im Griechischen nicht mit ausgedrVickt werde. So auch
ebendas. bei den Worten: welcher erklärte^ er hönne u. s. av.,
wo auch für erJclären kein griech. Verb, angegeben ist. S. 2f>2
war in dem Satze: Ich bekomme Einkünfte von den Lündereien^
ein Wink über das von nötliig. Planmässig ist es gewiss nicht,
dass iQijG^ca S. 2(58 in der Bedeutung umgehen und erst S.
27Ö in seiner gewöhnlichen Bedeutung vorkommt. S. 3'»J4 war
ein Wink darüber nöthig, wie 21m keinen Preis verkaufen so
viel seyn soll, als 7iicht für Alles. Auch S. 335 wäre wol ein
Wink darüber, wie zu übersetzen sei dann ist jede Reue zu spät.,
dem Anfänger erwünscht. S. 338: Er nahm ihn und führte
ihn zu den Gerstengraupeii., um einen Obolos (wird verkauft)
u. s. w. ist unverständlich ohne den Zusatz: imd sagte. S. 338
ist nicht angegeben, >vie zu übersetzen sei: inuss suchen sich
die Kenntniss zu verschaf)'en. Ebondas. war bei dnaiQBLV ^hx
Wink über die intransitiv gebrauchten Verba der Bewegung nö-
thig. Die S. 349 nr. 13 stehende Redensart TtQÖvoiciV xi\rz6%^av
sollte schon S. 348 nach nr. 13 stehen. S. 357 sollte bei den
Worten trachte auch nicht in den Noten ft?;öe angegeben seyn.
S. 359 bei A^n Worten: von welchem sie sehen., dass er u. s. w.,
war die Regel vom Relativ mit dem Particip. in gleichem Casus
naclizu weisen. S. 310 nr. 15 >var bei iva anzumeiiten, dass es
als Local- Adverbium den Indicativ bei sich habe, so wie nr.
19 bei vTCtji dass es in dem angegebenen Falle den Conj. mit äv
erfordere. Ebendas. war nach nr. 23 bei den Worten in dem
(nemlich Theile) auf ivrav^a nr. 1 zu verweisen. S. 318 war
über das absolut stehende Öiov eine Erläuterung nöthig. S.324
Host u. Wüstemana : Anlcit. z. Ucbers. a. d. Deutsch, in d. Grlcch. 157
bei nr. 1 war auf S. 323 nr. 3 zurückzuweisen. S. S2J) Iieist
es: „Die Ausdriicke erfaliren^ kundig ^ geschieht^ fül^iti mid
alle Adjective, welclie eine Fäliijjkeit, Geschicklichkeit —
ausdrücken." Hier i;*t das erste uiiinUz, da ja hlos Adjectiva
hieher g^eluircn. üebrigens ist liier nicht einmal i^nsLQog ge-
nannt, und in den Noten steht es erst nr, 20 lür beuHiiidert^ da
es doch schon zum Uebersetzen mehrerer vorherjjehenden Bei-
spiele nöthig war. Auch iTCLötr'j^ucov ist später (S. 330 nr. 24)
ermähnt, als es der Uebersetzende nöthig hat. Was S. 77 nr.
15 von BLTCE steht, passt viel mehr auf t(p7]. S. 7ö: welchen nichts
tmderes übrig ist. Dabei sollte ^rjÖev angegeben seyn. Ue-
berliaupt über ov und ^j) werden in den Noten fast
überall die erforderlichen Winke verraisst. Vom Deutschen
zu seiir abweichenden griechischen Ausdriicken sollte eine kurze
Erläuterung beigegeben seyn; z. FJ. S.120 nr. 28 dem^gAAEtv, in
wiefern es in der Bedeutung wollen stehen könne; S. 121 nr.Sl,
wie für das Deutsche mit dem Preise der Tapferheit beehrt K^toü
anzuwenden sei (wclclies dem Anfänger verständlicher wäre,
wenn es im Deuischen hiese: des Preises gewürdigt); S. 123,
wie fiLöQ^ovv Iieisen könne einen vermögen^ etwas zu malen;
S. ]8v> nr. 22, wie seijn durch ii^iv auszudrücken sei und wie,
nach nr. 24, 25, die Adjectiva mild nnd freundlich durch Ad-
verbia wiederzugeben, wo doch gewiss das Verstehen erleich-
tert wurde , wenn der Verf. ein für allemal an dieser Stelle die
Redensart b%HV cum Adverb, erläuterte und in der Folge alle-
zeit wieder auf diese Note verwies. Bei solchen mehr vom
Deutschen abweichenden Ausdrücken hätte der Verf. , um dem
blinden 31echanismus des Ausarbeitenden vorzubeugen, die ei-
gentliche Bedeutung mit angeben sollen , z. E. S. G war deut-
lich zu machen, Mie ikaßov ayQCiV 7ioXkt]v lieisen könne: Sie
machten einen guten Fang. S. 20 nr. 39 sollte, zum Vortheil
des Anfängers, vielmelir das dem Griechischen oijöelg av unot,
QCcdLCjg wörtlich Entsprechende im Text und das bessere Deutsch
kann ynan nicht einmal nennen in Parenthese stehen. Zuwei-
len hat der Verf., um die richtige Stellung der Griech. Wörter
zu veranlassen, eine undeutsche Wortstellung gewählt. So
lieist es S. 321: .„Die Aegyytier .^ welche — gehören, diese
alle enthalten sich u. s. w.^' S. 283: „üass die meisten sich
nicht freuen weder an den Speisen" statt, sich tveder über die
Sp. freuen. So ist auch S. 200 („nachdem sie denselben ge-
schmückt hatte mit dem, was sie hatte''), S. 271 („Es kömmt
dir zu (darnach) zu streben , dass du ähnlich werdest den be-
sten Menschen," und „Glaube, dass dir vorzüglich angemessen
sind Schaam, Gerechtigkeit, Besonnenheit") und an andern
Stellen das Regierte dem Regierenden nachgestellt. Der Verf.
bleibt sich insofern nicht gleich, dass er im Texte bald das
Participium gebraucht (wie S. 172 oben, S. 175 im letzten Bei-
158 Griechische Litteratur.
spiele), wodurch zuweilen die Wendung schwerfällig wird,
bald aber statt dessen einen Uelativ-Satz wählt und in der Note
einen Wink iiber den Gebranch des Particips giebt. Mangel an
planmässigem Verfahren zeigt sich ancli darin, dass nianclie He-
gel scljon viel friilier, als sie angeführt ist, durch Beispiele
geübt wird. So ist erst S. 224 angemerkt, dass die Copula
HVUL häufig V. eggelassen wird, und schon S. 212 sind viele Bei-
spiele dieser Art gegeben. So kommt sclion unter den Uebun-
gen über die erste Declination ein Beispiel von Adjectiven zweier
Endungen vor, nenil. avEog. Eben so ist erst S. 211 von der
Bildung des einfachen Satzes die Rede, da doch bereits von
der ersten Seite au die Bekanntschaft damit und überhaupt mit
den ersten Anfangsgründen der allgemeinen Sprachlehre unent-
behrlich ist. Dergleichen vötsqov tcqÖteqov kommt öfters vor.
Besonders gilt diess auch von der Lehre von den Casibus ohli-
quis. In der Vorrede zur 2ten Aullage S. XI sagt der Verfas-
ser, dass bei spätem Abschnitten Ausdrücke, die schon früher
angegeben waren , als bekannt vorausgesetzt worden. Diess ist
jedoch bei Weitem nicht iiberall mit der erforderlichen Conse-
quenz geschehen. So steht S. 9 nr. 12 6 diddöxaXog ^ das doch
schon S.8 nr.21 angegeben war; so S. 13 nr. -lO bei vo^i^e die-
selbe Andeutung des zu setzenden Acc. cum Inf., die sich
schon S. 10 nr. 14 bei f'qpjy findet. So ist S. 25 nr. 7 bemerkt,
dass XQaTHV mit Gen. stehe, was doch bereits S. 9 nr. 30 an-
gemerkt ist. S. (J3 bei nr. 1 steht ysQULog^ welches doch schon
S. 62 nr. 2 steht. S, 333 nr. 15 ist [itjÖLö^iog angegeben, ob
es gleich schon S. 331 nr. 1 angegeben ist. Das Sicherste war
wol, solche öfter vorkommende Wörter und Ausdrücke in ein
alphabetisches Register zu bringen.
Sehr beschränkt ist die Brauchbarkeit des Buches auch
dadurch, dass nur sehr selten in einer Reihe von Beispielen
die Uebung 7neh?'erer Regeln zugleich beabsichtigt worden ist,
wodurch doch der Anfänger am Sichersten grammatisch richtig
schreiben lernt, da hingegen nichts leichter ist, als die Regel
zu treffen, wenn eine Menge von Beispielen immer gerade nur
über diese einzige Regel aufgegeben ist. Solche gemischte Bei-
spiele finden sich S. 218 IT., 362 ff. (über alle vorher einzeln auf-
gestellte Regeln vom Gebrauche des Genit.). Aber fast bei al-
len übrigen Partieen des Werkes fehlen dergleichen, auch da,
wo sie, zur Unterscheidung verwandter Fälle, als sehr gute
Uebung des Scharfsinns hätten dienen können, z. E. über den
sogenannten Accus, absolutus in folgenden drei Arten zu reden:
(S. 246 — 251) Er ist krank am Körper; er ist ein trefflicher
Redner ; es ist ein Weib von herrlicher Gestalt.
Der Verf. scheint (S. VII der Vorr. zur ersten Auflage)
einen Werth darauf zu legen, dass jedes einzelne Beispiel einen
für sich bestehenden Sinn enthält. Einige indessen sind für
Rost u. Wüstemann: Anleit. z.Uebers. a.d. Deutsch. In d. Griech. 159
kleine (zusammeiihäng'eiKle) Aufsätze zu acliten, wie S. 122,
171, 175, 21(51?., 222, 245, 247, 255, 251», 284, 308,
333, 335 fg., 343, 344 fg, 349, .*?56fg., 3(i4 fg , 306 fg.,
376, und es konnten deren leicJit noch mehrere gewonnen wer-
den durch Vereinigung mancher znsammengehörender IVotizen,
z. E. S, 300 und 301 der heiden über Alexander, ferner des
vorletzten Beispiels S. 345 und des ersten S. 344; eben so des
ersten Beispiels S. 344, H und des letzten S. 345. Eine ge-
wisse Sachordnung in den Beispielen unter jedem § würde auch
wesentlich zur Erleicliterung des Uebersetzens gedient haben.
In den Beispielen kommen sehr viele seltene Namen vor,
welclie zwar in den Stellen der Classiker, voraus die Beispiele
entlehnt sind , meistens durch den Zusammenhang, in welchem
sie dort vorkommen, näher bestimmt werden, über welche aber
in dem gegenwärtigen Uebungsbuche für den, gewöhnlich ge-
schichtsunkundigen, Anfänger einigeAuskunft unentbehrlich war.
Eine solche wird bei den Namen Tolmidas S. 73, Bagoas S. 74,
Thrasyllos S. 191, Abradatas S. 20(5, Parysatis S. 239, Athe-
nodoros S. 2fi3, Gelon S. 279, Klearchos S. 282, Polemon S.
284, Poliagros S, 305, Epaphos S. 321, Tomyris S. 325, Oroi-
tes S. 378, und wol noch bei vielen andern vermisst. Diess
gilt aucli von Ortsnamen, denen jedoch zuweilen eine nähere
Bezeichnung beigefügt ist, wie S. 271: der Olijmpos, ein Berg
in Lykien.
Zu bedauern ist es übrigens, dass, besonders im ersten
Cursus , zu wenig Gelegenheit gegeben ist, die Declination der
Orts- und Personen-Namen zu üben (oder dass solche doch mei-
stens nur im Nominativ vorkonnuen) , deren Declination zn ken-
nen doch selbst zum Behuf des Lateinischen dringendes Bedürf-
niss ist. Eine sehr passende Aufgabe dieser Art , welche im
2n Curs. S.308 steht {^Odysseus hatte — vom Athenodoros Nuz-
zen^, gehörte ganz eigentlich, auch wegen ihrer grossen Leich-
tigkeit, der Länge ungeachtet, in den ersten Cursus, in wel-
chem ja vorzüglich die Uebung der Formen beabsichtigt wird.
Bei der ersten Declination vermisst man Beispiele zur Anwen-
dung des Dualis; der Vocativ ist nur in zwei Beispielen und der
Dat. plur. zu wenig berücksichtigt. Bei der zweiten Declina-
tion hat der Verf. nur zwei Beispiele vom Dualis , und vom
Genit. plur. keines. Es fehlen ferner Beispiele über die Duale
derPronom. personall. u. a., über das Pronora, reflex. a^Xijkav,
über 6 avtog und dessen Construction, über die Pronomm. und
Particulas correlat. , über ovvog mit der Paragoge , über die
Zahl-Substantiva, über die Numeralia multiplicativa u. a., über
die Art, wie die Distributiva ausgedrückt werden, über die
Heteroklita, über die Accentuation, über den Apostroph, über
die Präpositionen (w clclie füglich bei den Declinationen mitge-
nommen werden konnten), über die Adver bia nach ihren ver-
160 Griechische Litteratur.
»chiedenen Arten. (Wenn hierüber ein besonderer Abschnitt
in den ersten Cursus eingesclialtct worden wäre, so liätte der-
selbe beim 2a Ciirs. S. 315 ig. durch Zurückweisung^ sehr
nützlich werden können.) ücber die unregelmässigen und man-
gelhaften \erba sind zu wenige Aufgaben gegeben.
Hinsichtlich des Inhalts ist nicht leicJit an den Aufgaben
etwas zu tadeln. Sätze, wie S. 306, Geniesset die Freuden
der Gegenwart ., und heiner fürchte der Zukunft xregen^ ent-
halten freilich für die „levis juventas'' eine bedenkliche Auf-
forderung.
Manche Beispiele sind undeutlich ausgedrückt. So S. 5:
„Suche die Rettung mit gutem Rufe" st. sm-he die Wolfahrt
durch guten Ruf ; ebend. „Er ^/-«^^ ein Soldatenkleid" ; S.53:
„Mache dich nicht allen offenbar;" S. J25: „Asklepios heilte
selbst (als Object'? oder als Subject?) tödtliche Wunden" (auf
alle Fälle war zu .,selbst" das passende griech. Wort zu setzen);
S. 190: „Die Trauer wird, wenn du sie verschmähest, dir
nicht ankommen," u. s. w.; S. 200: ,,Es gicbt keinen kurzem
Weg, einsichtsvoll zu sclieinen darin, worin man wünscht" (In
Parenthese sollte dabei stehen: es zu scheinen.); S. 210: „Die
Bestrebungen der Seele sind melir des Eifers werth, als die
des Körpers ;" S. 265: „Es schmähete jemand den K. Agesilaos.
Dieser sagte: Lass nichts aus ;'■'■ S. 267: „Nähere dich von den
jedesmal Gegenwärtigen nur den Verständigen;" S. 290: „Sei
massig in dem Gebet an die Gottheit;" S. 319: „damit sie nicht
inehr in der Hitze als mit üeberlegung — fehlten." (Deutlicher
wäre : nicht vielmehr.)
Auch in andern Hinsichten ist der Ausdruck zuweilen ver-
fehlt. S. 187: „Die Ergänzung zu einem unpersönlichen Satze"
st. eines unpers. Satzes. S. 199: „Häufig muss der relative
Satz dem Hauptsatze ro/Y/?// (voran) gestellt werden, wenn nem-
lich in jenem der wichtigere Begriff' des ganzen Satzes (st. der
ganzen Periode) enthalten ist." S. 213: „scbmilzt in einem (st.
eine?/) Verbal -Ausdruck zusammen." S 218: „wo das Prädi-
cat im Genus abhängig ist vom Subject" st. im Genus mit ihm
zusammenstimmt. S. 219: „Die Bildung nur ist — allein un-
sterblich" (wo entweder alleinoder 7iw/" überflüssigist). JEbendas.
ist „unrühmlich und wenig ehrenvoll" eine Tautologie. S. 220:
„Dann rauss man aufhören zu reden, wenn die Dinge, worüber
jemand reden will , ein Ende genommen haben." Es sollte statt
jemand wieder man stehen und schon S.215 Tig für diesen Fall
mit erwähnt seyn. S. 222: „Es war nicht erlaubt, dass ein
Jüngling forsche'-'- st.forschete. S. 231 sollte vor weTin aber ein
halbes Kolon statt des Komma stehen. S. 247 nr. 17 wer ist
st. wer schön ist. S. 258: „welcher zehen Jahre lang aus sei-
nem Vaterlandesich entfernte." S. 284: „ein Unglück, was'-'-
st. welches. S. 300: „Begräbniss, was'-'- st. welches. So auch
Römische Litteratur. 161
S.S68 zweimal nach einander: „ein Verhältniss, was'-'' st. wel-
ches. S. 341 stellt verwechselt., wo vertauscht stehen sollte.
Ebend. : „Wer möchte die Erde mit dem Himmel (st. den Him-
viel mit der Erde) vertauschen?" S.323: scA/erA^e Begierden
st. böse. S. 35() oben ist entweder auszustreiclien. S. 357:
„M elcher lieber Scliätzc der Weisheit besitzen wollte als des
Silbers und Goldes" st. lieber Seh. der JF. als des S. und G.
besitzen wollte. S. 370: „ror vielen Schätzen — vorziehen"
st. vielen Seh. a.llem. S. 410 und anderwärts: „sich a7i (st. über)
etwas freuen."
Druck und Papier ist gut. Setzfehler finden sich nur we-
nige. S.252 u. 333 steht Epameinondas und doch sonst über-
all Epaminondas. S. 3U> nr. 20 ist onö^iv zu setzen st. 07io%iv.
S.341 thun st. thuen. S. 263 die Feldherren st. Feldherrn. Der
Vf. schreibt überall Nomineu und Pronominen., so wie Einern.^
(z.E. S.287, 311, 313), wo es doch nicht das Zahlwort ist.
J. D, Schulze.
Römische Litteratur.
1) Taciius' A gricola. Urschrift, Uebersetzung [p. 1 — 93],
Anmerkungen [p. 9J) — 446] und eine Abhandlung über die Kunst-
form der antiken Biographie [p. XXXIII — LXXIV] durch Georg
Ludwig JT'^alcli. Mit Gorrtons Situationskarte von den Römer-
strasscn , Lagerplätzen und andern Ueberresten der Römerzeit ia
England und Südschottland. Berlin, bei G. C. Nauck. 1828. [Vor-
rede— p. XXX. — Ausserdem Chronol. Tabellen über Agric. Leben
p. 447 — 452. Register über die Anm. p, 453 — 472.] gr.8. geh.
3 Thlr.
2) Taciti vita Julii Agricolae. Ad libros scriptos et editos
recognovit, emendationibus et critica nutatione fontes lectionis
indicante instruxit G. Zy. /'/^«/cA. Berlin, Kauck. 1827. VIu. 56S.
gr. 8. 4 Gr. [Textabdruck der vorigen Ausgabe mit Auswahl der
vorzüglicheren Varianten.]
"er Zweck und Plan, so wie theilweise die Ausführung vor-
liegender Arbeit haben dem llec. viel Freude gemacht. Jener
war "^junge Freunde der Rritik zu vollständiger Selbstbelehruiig
anzuleiten'; diese, den Ausdruck 'Kritik' in höherer Bedeutung
fassend, und Wort- und Sacherklärung, so wie das aus ihuen
Jahrb. f. Phil. u. Pädaaog. JahTg.in. Heft 6. 11
162 Römische Litteratur.
hervorgehende Verst'andniss des Ganzen nur als Ilülfsmittel für
jene gebraiicliend, versucht als letztes Resultat der Bearbeitung
ein kVinstlerisches, auf wissenschaftliche Priucipien gegründe-
tes Urtheil über Agricola als biographisches Kunstwerk aufzu-
stellen. Daher zerfällt das Werk in 3 Theile. 1) In Anmerkun-
gen, welche alles Einzelne, was irgend der Erklärung bedarf,
grammatisch, antiquarisch, historisch und anderweitig erläu-
tern; in ihnen werden, jenes anleitenden Zwecks wegen, über-
all vollständig ausgeführte Untersuchungen der fraglichen Pun-
kte, nicht deren kurzes Resultat gegeben. 2) In eineUebersez-
zung, um das in den Anmerkungen gefundne Verständniss des
Einzelnen als zusammenhängendes Ganze übersehbar zu machen
und zugleich die Kunstform der Biographie möglichst nachzuah-
men, o) In eine Abhandlung über die Kunstform der antiken
Biographie, mit Anwendung auf des Tacitus iVgricola, dessen
Grundidee und dramatische Durcliführung. Die Trefflichkeit
dieses Plans ist so in die Augen springend, dass er keiner An-
preissung bedarf, sondern nur den lebhaften Wunsch erregt, ihn
von tüchtigen Männern auch auf andere Werke des Alterthums
angewendet zu sehn. Man erkennt in ihm gern die Nacheife-
rung eines Musters, an das Hrn. W.'s Arbeit auch im Einzelnen
liäufig erinnert, indem er es geflissentlich im Allgemeinen wie
im Besondern auszuprägen sucht, F. A. Wolfs, und dessen
grossartige Ansicht des Philologen und philologischen Studiums.
Dass nun aber das Ideal, das sich Ilr, W. gestellt hat, nicht ist
erreicht worden, hat theils seinen Grund in der allgemeinen
Unzulänglichkeit menschlicher Kraft , welche selbst die gröss-
ten Geister, wie Wolf , zuweilen beklagen durften, geschweige
ungleich geringere Talente, und in Rücksicht auf welche man
schon des redlichen Strebens Megen gern allen Irrthum verzei-
hen möchte,- theils aber — und es betrübt uns ernstlich, diess
aussprechen zu müssen — in dem absichtlich gewählten, der
Wissenschaft und des gebildeten Mannes keineswegs würdigen
Tone, in dem fast das ganze Bucli gehalten ist. Denn neben
gerechter Anei'kennung derVerdienste Andrer auch Mängel, wenn
es nöthig ist, nicht zu verschweigen, oder auf falschellichtungen
Einzelner wie der Wissenschaft ernstlich und belehrend auf-
mei'ksäm zu machen, odermoralischen Krebs scharf wegzuschnei-
den, ist allerdings wahre Humanität und Pflicht für den, wel-
cher dazu Beruf iiat. Aber ein aufgesteift vornehmes llerab-
blicken auf die Leistungen der Zeitgenossen im Aligemeinen *),
*) Nur wenige Beispiele, wie sie dem Auge entgegentreten. Vor-
rede p. III: 60 möchte man fragen, ob sich Fortschritte 7X'igen oder
Rüclisclirittc , welche die lateinisclie Littcratm- seit längerer Zeit acht-
baren Männern zu machen scheint'. So urtheilte zu einer gewissen Zeit
TacUus' Ag^rlcola , heiausgeg. von Walch. J 63
die nur wenn sie Lehrweisheit vernehmen sollen, preciös jün-
gere Freunde' genannt werden, — wie wolil der Mann, den
Hr. W. auch hierin leider nathr//«»/, dergleichen Lernbegierige,
wenn er von ihnen sprach , junge Meiischen nannte , — ein
höchst anmaassendes, ja wegwerfendes Absprechen, wo irgend
Andersdenkende entgegen treten *), und eine eingebildete In-
fallibilität in eignen Lehrsätzen, die, wenn nicht durch innere
Wahrheit, doch durch Superlative Derblieit alle Gegenredenden
niederschlagen Avili **): das ist in der That weder derToii, den man
Wolf, nicht mit Unrecht. Wer wollte aber ungerecht genug sein,
die erfolgreichen Versuclie nidit w eniger melir oder minder ausgezeich-
neter 3Iiinner in der lateinischen Litteratur seit jener Zeit, deren Na-
men sogleich jedem einfallen, und unter denen Hr. Walch selbst steht,
nicht anzuerkennen? p.XVII: so ist wohl klar, auf solclie Art nur dem
Inhalt nach ein Kleines zu leisten, sei nicht der Fähigkeit von Vielen
angemessen, oloi vvv av&QConoi bIgi. p. XVIII : Verlangteer [derPhi-
lolog, oder H. W.] auch die Form von Bemerkungen dem Text nicht
unähnlich an Gestalt, stellte er Lessings Ansiclit auf, die Bemer-
kung, einem Epigramm gleich, solle ihre Spitze haben, Scharfsinn,
Witz, Geist, in harmonischem Spiel, solle Verstand und Phantasie
gleichmässig beschäftigen; so mochte wohl, bei feister Unzulänglichkeit,
bang werden, und behaglicher dünken, in die scheinbare Regelmässig-
keit eines wissenschaftlichen Buchs sich zurückzuziehen, etc. etc.
*) Wir machen nur auf die Ausfälle gegeu H. v. Weltmann
aufmerksam; anderer, z. B. eines Rec. der J. L. Z. und Heindorfs
nicht zu gedenken. Hieher rechnen Avir auch die Namenlosigkeit der
Angefochtenen. Hr. W. will zwar aus Schonung diese Maassregel befolgt
haben. Wir müssen aber behaupten, dass diess der Grund des Verfah-
rens ntcÄt sei. Wer mild und bescheiden sein will, fasst sein Buch an-
ders ab ; und ist denn andrer Meinung sein etwas so beleidigendes, dass
man den schonen muss , von dein man in Ansichten abweicht? Sehr
schlimm, wenn Jemand die Wahrheit mit seiner Persönlichkeit ver-
wechselt!
**) Siehe p. 159 Not. 1 über modo raiionis. Unwillkührlich erin-
nert man sich bei solchen hochmüthigen Worten jener Verse: Mistres&l
dismiss that rabble fromyour throne: Avavnt — is Aristarchus yet unknown?
p. 183. Fama wird als Nominativ vertheidigt: woraus man nun einen
Ablativ machen \\\\\ ; unde et (facies) in Universum fama est transgressa
— leider nur Unlatein , {fima. formavit terrara : [den Beweis hätten wir
zu hören gewünscht] folglich auch facies partis Br. per f am am in uni-
vcrsam Br. transgressa est . Wie gern nähmen wir auch hier Beleh-
rung an! Sowohl über den Scbluss, als über das Unlatein. vergl. p. 187
u. 188. — p. 194; atque ex eo argumenta. "^Gewöhnlich colligas. Wer
dergleichen Ellipsen als besondere Sprachkühnbeiten von T. ansieht,
11*
164 Uömiache Litteratur.
'jungem Freunden' einlehreii soll, noch durch den man viel-
leiclit Irrende am sichersten für bessere Einsicht empfänglich
macht, nocli welcher überhaupt dem anstellt, dem das Ideal
der Wissenschaft vorschwebt oder der auf wahrhafte Bildung
und Humanität selbst Anspruch macht. Sollte nun wirklich ein-
zelnen jener Aensserungen u. Wendungen die gute Absicht zum
Grunde liegen., Trägheit, Seichtigkeit und andre Gebrechen
in ihrer Blosse darzustellen und zu strafen, wie uns ein Zitat
Lessings p. Xlil *) schliesseu lässt, so müssen wir für den Fall
verrätli nur oberflächliche Bekanntschaft mit dem lebendigen Gesprächs-
ton der Römer. Selbj^t Cic. ad Atticum bietet überall Beispiele dar.
Wozu hier dieser verächtliche Hinblick auf Andre? Allerdings ist
hier keine Sprachkühnheit; aber eben so Avenig durfte die Eigcnthüra-
licbkeit dieser Ausdrucksweise mit dem lebendigen Gespräcbstone ( z.
B. in den einleitenden Gesprächen der philosophischen Bücher Ciceros)
oder mit dem nachlässig andeutenden Epistolarstil verwechselt werden.
Und so gleitet, nach dem alten Sprichwort, Ilr. W. gewöhnlich selbst
aus, wo er sich recht hoch stellt. — Ibid. "^Der Unterschied zwischen
nam und namqiie , worüber gangbare Bücher schweigen sollen, kein
andrer , als zwischen enim und cienim , zw ischen yccQ und xat yuQ.
C. H. Frotscher hatte zu Quinctilian X p. 216 den Unterschied fast
mit Hrn. W.'s Worten, nur bescheidner, auseinandergesetzt. Wir fügen
hinzu , dass etenim noch schärfer fortschreite , als namque. — Warum
mag Hr. W. dieses wichtige namque in Cap. 21 Anfang ganz zu übersez-
zen unterlassen haben? — Wie sehr diese Vornehmheit Hrn.W. zur Ge-
wohnheit geworden sei, erhellt unter andern aus Cap. 36: simul con-
stantia, simul arte Br. ingentibus gladiis et brevibus cetris missilia nostro-
rum vitare vel excutere, atque ipsi magnam vim telonim siiperfundere.
Gleichwohl ist nicht jedem Leser sogleich deutlich, bei so grosser Kürze,
wie T. den Kampf der Caledonier sich dachte. — Uns will kein Aus-
weg sich zeigen, als folgender, (wofür die Art dieses Kampfes zu spre-
chen scheint,) [wie so??] das Abwehren des römischen und Abschleu-
dern des eignen Geschosses erfolgte nicht gleichzeitig , sondern nach
einander, erst von den llöraern dann von den Caledoniern eine — Salve'
Wie übel auf andre herabzusehn, und dann auf solche Weise nirgends
aus wissen und das Einfache zu verfehlen! Die Caledonier hatten am
linken Arme das Schild, darunter in der linken Hand quer das Schwerdt,
mit beiden schlugen sie die röm. Geschosse w eg. Wenn man nicht et-
wa annehmen will, dass die Waffengattungen hier im Beginn des Kam-
pfes in einer Art nQolrjiptg genannt werden , um die Feinde lebhaft vor
die Augen zu bringen, ohne dass die Abwehr mit den Schwerdtern so
eigentlich zu nehmen ist.
') Denn das Wahre kann nur Eins sein: diesem mit aller Kraft
nachzustreben, oder dem, was als höchstes gelten darf, ist würdiges
Streben des Menschen : ohne Rücksicht auf Personen ihm nachzustreben
Tacituä' Agricola, hcrausgcg. von Walch. 105
das Geständniss ausspreclicii , dass sich Hr. W. nicht als den
Mann gezeiiit hat, von dem man einen solclien Richtei'stulil
möchte besetzt selin. Denn wer Woli"s scharfe Rüge gegen
Meinnngsphilologie *) dahin missverstclit, als di'irfe man schnö-
de Niemand gelten lassen, als sich selbst, und als Avenn jeder
Fund Gold Averde, wenn man nur nicht sage, es sei vielleicIU
Gold, sondern, es sei wahr und wahrhaftig Gold, und wer das
läugne, sei — wir müssen des Hrn. Verfassers Wort schon nach-
schreiben — ein Esel **) — der hat Wolf nicht verstanden.
Iliemit soll kcinesweges gesagt sein, dass dergleichen Kraftaus-
drücke und Wendungen bei dem Hrn Verf. die Stelle von Grün-
den verträten ; vielmehr bemüht er sich überall auf das Ernst-
hafteste um philologische Beweisführung. Aber so gewiss der
Humanist sich nur nach alle den mannigfaltigen Reweisen, die
ihm zu Gebote stehen , für eine Ansicht oder Erklärung ent-
scheiden soll , so darf er darum doch nicht die Unmöglichkeit
postuliren, irren zu können. Denn es folgt ja gar nicht aus dem
an und für sich richtigem Grundsatze, beweisen zu wollen, dass
man den Beweis auch überall richtig geführt habe. Wer aber
Ist seine Pflicht , selbst auf die Gefahr, wie Les sing bekennt, für un-
gesittet und bösartis; gehalten zn werden. Die Stelle ist aus Leasings
antiquar. Brieten Br. 57.
') Wolfs liter. Analecten Bd. I p. 18fi. Zur Erklär, von Horat.
Serm. 1,4, 11.
**) Um pag. 401 zu Cap. 41 (cum inertia et formidine eoruni) seiner
eignen Conjectur reorum Platz zu machen , spricht Hr. W. , naclidem
er die Vermuthungen euies Ernesti und Grotius abgewiesen hat,
also: Will man zur Kurzweil noch, um so flache Verhesserungsvor-
schlägerei recht lächerlich zu machen, ein prionnn, ein aiilicorurn,
contemtorum , oder kräftig ein asinorum (Cic. Phil. 2. Quid asinc te do-
cea/n?) verrauthen.' — .So, ohne Nachsatz. Vollständig lieisst aber jene
Stelle hei Cic. Pison. c. 30: Quid nunc te, asine, literas doceam? i\on
opus est vcrbis , scd fustihus. Vielleicht ist aber diese artige Stelle ein
Witzwort aus Grundsatz, nach der oben aus Los sing beigebrachten
Stelle, und Avir sehen hier Geist und Witz in harmonischem Spiele.
Die Vergleichung andrer Witzworte mag uns zurecht helfen, p. X:
Tieferes Sprachstudium sei kein Gegenstand mehr für Universitäten,
(der arme Stil, fast könnte er ein Besenstiel scheinen, Menn kein Wis-
sen ihm zum Grunde liegt!)' — p. XXXIII, 1) Wer wüsste nicht, wo-
her der römische ßur^emeister seine Weisheit schöpfte. Wolf nem-
lich , der diese naive Verdeutschung ältrer Uehersetzer , wie Damms,
noch selbst mit Ergötzen oft mochte auf der Schule und anderweitig
gcliört hahen, erinnerte sich und andre wohl mit Vergnügen an jene
Zeit , und für ihn und seine Zeit hatte der leichte Scherz seine Bedeu-
tung. Nicht minder alt und aus derselben silva ist der Besenstiel.
166 Römische Litteratur.
nicht bloss diess voraussetzt, sondern auch jeden verdammt und
verhöhnt, der anders zusammenrcihet und schliesset, und nur
ijiinier nicht begreifen kann (nicht selten, wie es scheint, nur
darum, um sich selbst recht muthige Sicherheit einzureden),
wie man seiner Ansicht nicht augenblicklich huldigen könne;
dem felilt es an jener Unbefangenheit des Geistes, die zu einem
höchsten Richteramte unentbehrlich ist. Wer ferner jenen
oben angeführten Grundsatz Lessings (S.164 N.*), den er zur
Rechtfertigung des Tons aufstellte, wodurch er einen Klotz
von seinem feilen Ricliterstuhle herabdonnern musste, auf alle
diejenigen ausgedehnt wissen will, die, vielleiclit bei dem besten
Willen, geirrt haben, auch dem darf man kein Richteramt an-
vertraun. Wolf stellte in kühner Genialität oft schrolF genug
Rügen und Verdammungsurtheile, Regeln und Sprachansicliten
auf, wie sie ihm scharfe Intuition einzelner Missgritfe und Irr-
thümer oder bemerkte Spracheigenthümlichkeiten in aller Keck-
heit eingab. Einsichtige wissen, wie so etwas zu nehmen war;
ein grosser Tlieil al)er , flügellose Thierchen, sammelte treu-
gläubig das Irrlichtgold, das jener grosse Mann im Uebermu-
the umherstäuben liess , und verbaute es fromm zu Brutzelleu
ihrer Abortivgedanken und Regelchen. Dadurch sind unzählige
Monstra in die philologische Welt gesetzt worden, die nocl) immer
mit verwandtem Antlitze umgehn. Aliein dem genialen Manne
sah man das gern nach, ja man liebte es an ilim, und bedauerte
nur , dass durch jene geistigen Ueberscixwemmungen auch al-
lerlei Gewürm aus dem saamenreichen Niedersatz ausschliefen
würde. Anders organisirten Naturen dagegen steht dieses Ver-
fahren weder gut noch natürlich, und in einem Werke, das
'jüngere Freunde' für Kritik erziehen soll, ist es im höchsten
Grade verderblich. Wer spielt nicht gern den Gewaltigen !
Wie viele, nach ,1. Pauls Ausdruck, halten sich nicht für Wall-
fische, weil sie Fischbein imSchnürleibe fülireu! So wird hier an
mehr als einer Stelle mit geflissentlicher Bitterkeit der soge-
nannten "^ Kleinbesserer' gedacht, und es werden unter diesem
Namen diejenigen verstanden, die es bei nothwendig geworde-
ner Conjectur für gerathen halten, sich möglichst nahe an das
verderbte Wort anzuschliessen, und Iiierin einen Grund für
grössere Wahrscheinlichkeit der angenommenen Verbesserung
zu finden. Diese, zumal gegen frühere ziemlich weit getrie-
l)ene Veränderuiigswuth sehr weisliclx aufgestellte Regel wird
nun, wenn eine dagegenlaufende Conjectur soll durchgefochten
werden, bespöttelt, bemäkelt und verhöhnt (z. B. p. 2!)3). Was
sollen aber die '^jungen Freunde' die '^ oloi vvv ävd'QOTtoC H<ji\
die so schwer einen höhern Genius begreifen, daraus wohl ent-
uelimea? Nichts ist so bequem als lachen und junge Leute
lachen zu machen, wenn dadurch einer Bequemlichkeit oder
Zügellosigkeit das Wort geredet wird! Warum wird nicht mit
Tacituai* Agricüla, hcraueigcg'. von Walcli. 107
einfach lehrendem Worte der Misshrauch dieser Regel und das
tadle Bekleben an papierner Auctorität nachgewiesen und vor
iJim gewarnt? Obwohl alle diese Warnungen unnütz sind;
denn wer Verstand hat, bedarf ihrer nicht, die Andern aber
verstehn sie nicht, und werden dennoch nicht aufhören zu
schreiben. Diese wesentlichen Ausstellungen an einem vielfach
trefflichen Werke haben wir aus zwei Gründen hauptsäclilich
geglaubt, freimüthig aussprechen zu müssen. Erstlich weil
der Ton an und für sich jedem Feinfühlenden Unwillen auf-
dringt, und den Tadel nothweudig macht. Dann aber, weil
man vor einem so vornehm w egwerfenden , alles bemäkelnden,
dünkelhaften Ausdrucke warnen muss, der nur gar zu leicht
Eingang findet in schwache Gemüther, besonders wenn er an
einem 3Ianne haftet, dem es nicht an Auctorität in der Wissen-
schaft fehlt, und an einem Werke, das durch vielerlei lo-
benswerthe Eigenschaften besticht; und auch diess könnte
hier der Fall sein, wo gründlicher Fleiss , so wie nicht
selten (nur Jiicht, wo polemisirt wird) höclist lichtvolle
und präcise Darstellung und Erörterung lateinisches Sprach-
gebrauchs neben erstaunlicher Zuversiclitlichkeit zur Nachah-
mung einladen. Hinzufügen möchten wir noch, dass es des
Hrn. Yerfs. selbst wegen geschehen sei. Er würde nicht
nur methodisch mehr nützen , wenn er diess für Aiiii Wackern
störende, für den Beschränkten verführerische Nebenwerk
wegthäte, sondern auch selbst die Wahrheit seltner verfeh-
len. Denn, wie so eben angedeutet wurde, nirgends strau-
chelt er öfter und verbaut sich den unbefangenen Bück häu-
figer und handgreiflicher, als wo er andrer, besonders jetzt
Lebender, Meinung wegräumen zu müssen glaubt, um eigner
Ansicht Platz zu gewinnen. Zwar behauptet die Vorrede,
nur in den uothw endigsten Fällen abweichende Meinungen
berührt zu haben, allein man stösst doch häufig genug (S,
103 N.**) auf Abfertigungen , die wohl mehr aus Neigung zu
diesem liebgewordenen Geschäfte, als zur Belehrung des Le-
sers oder wegen Furcht etwanniges Rückfalls in verschollene
Irrthümer dastehn. Möcht' es also dem Hrn. Verf. gefallen,
bei aller Würdigkeit des Musters, dem er nachstrebt, den-
noch nur das Nachahmungswürdige desselben zum Vorbilde
zu nehmen , und die Verschiedenheit der Naturen in jenem
Maujie und sich beachtend , nur sich selbst wiederzugeben,
nicht ein verkrüppeltes Schattenbild , das weder Jener ist
noch Er selbst. Denn nur in diesem tadelswerthen Streben,
etwas andres aus sich zu machen, als die Natur es gewollt
hat , finden wir den Grund für die zum Theil raissratJieue
Form, in welcher das Buch verfasst ist. Woher kam' es wohl
sonst, dass einige Thelle des Werks durcli die verständlicliste
Klarheit iu Gedanken und Worten den Leser anziehn, wäh-
168 Bömische Litteratur.
rend andre sich so müliseelig durch Redensarten hindurch-
winden, dass man mit dem Gefühle, als wade man in tiefem
Sande, das Ziel zu erreichen aufgiebt? Mindere Klarheit
der Gedanken scheint es wenigstens niclit immer zu sein;
denn man findet sie meistens, wenn man sicli die Miihe nicht
verdriessen lässt, vollständig heraus. Diese Bemerkung trifft
besonders Vorrede und Abhandlung. Ein Beispiel aus ei'ste-
rer! p. XIV: 'Konnte auf einem Gebiet [dem Agricola] , wo
überall erst Grund und Boden zu suchen war, zu jenem
Zwecke ebenfalls nur unpassend erscheinen, Resultate auf-
zustellen, wie es hinreichend war für Gelehrte, mit einem
Wort, mussten sie vielmehr aus den Untersuchungen von
selbst sich entwickeln, damit, nachdem die Sache auf die
Spitze gebracht worden, ein Urtheil über all' das Gemeinte
hervorginge, und willkührlicher Ansicht so wenig als mög-
lich Raum bliebe; so liess sicli hoffen, ohne namentliche
Anführung und direkte Polemik zum Ziele zu gelangen. '
Letztere enthält, freilich auf grossem Räume und unter sehr
vielem Bekannten, viel Wahres und Schönes, und verdient
das Lob angestrengter Gründlichkeit; — würde nur nicht
alles in so gar selbstgefälliger Bespiegelting vorgetragen! —
allein ob die Darstellung gerathen sei, beurtheile der Leser
aus einigen Stellen selbst. Gleich der Anfang; erst, wie ge-
sucht pikant, dann wie schwerfällig! "^Ueber Tacitus' Agri-
cola dürfte nach so manniclifachen Vorarbeitungen von Neuem
zusprechen, nicht ganz unnötliig scheinen. Wie bei Unter-
suchungen dieser Art Viberhaupt, wenn verschiedene Meinun-
gen sich durchkreuzen, kann die Frage nur auf die /f/ee des
Ganzen gerichtet sein, oder das, was dem Künsitler vorschwe-
bend beim Abfassen der Schrift, den Mittelpunkt bildete,
worauf alles Einzele der Darstellung sich hin - und zurück-
bezog. Wie fern diese Idee sich nur in geistiger Individua-
lität bedingt denken lässt, raüsste eine Entwickelung dersel-
ben, wenigstens in allgemeinen Umrissen, zur Bcgründimg
vorausgehen. Da indess ein so individuell gestalteter Chara-
cter kaum zweckmässig an einer, in Verhältniss zu den grö-
sseren Kunstproductionen weniger bedeutenden Schrift ent-
wickelt Avürde, so rauss die Untersuchung wagen, jenes be-
seitigend, sich durch sich selbst zu begründen. Wie fern
die Schrift nemlicli aus Theilen besteht, die (vielfach ange-
fochten) nur dann ein Ganzes bilden, wenn ein durchgrei-
fender Gedanke als Einheit ihm zum Grunde liegt, so ist
wohl klar, wenn eine Ansicht sich fände, die in nothwen-
digem Zusammenhange alles Einzele verbände, in dieser An-
sicht sei zugleich die Idee des Ganze7i ausgesprochen: ' ett.
Dagegen stelle man p. XLIII den kurzen Abriss des Lebena
Agricolas. Wie leicht reihen sich die zweckmässig gewählten
Tacitus' Ajjricola, herausgcg. von Walcli. 169
Fakta in klaren Sätzen an einander! Und dasselbe lässt sich
an vielen Anmerkungen loben. Minder an der Uebersetzung.
Sie beginnt mit Eleganz und gefälliger Anschliessnng an die
Urschrift; allein weiterhin, nachdem der Ilr. Verf. sich pjiniges,
dem lateinischen Genius zu Liebe, erlaubt hatte, was der
deutsche Sprachgebrauch frei genug nennen mnss, erweitern
sich ihm die Grenzen der errungenen Freiheit in dem 3Iaasse,
dass nmn dem kiihnen Freibeuter nicht länger folgen mag. Es
ist diess eine Klippe, vor welcher der Uebersetzer sich vorsich-
tig bewahren luuss. Man verliehrt bei stätcm Kampfe mit der
Unlugsamkeit unserer Sprache in manche Eigenthiimlichkeit
des fremden Idioms gar leicht das natiaiiclie Gefiihl , in dem
die Handhabung der Muttersprache zum grossen Theil wurzelt,
und mit ibm den w arnenden Genius, der von allem Uebermaass
abhält. Wir geben einige Proben. Cap. (i: "^Das Jahr hierauf
zwischen Qnaestur und Volkstribnnat, selbst — voju T/ibi/nut^
ging in liuhe und Müsse ihm hin, kundig der Zeiten unter
Nero, wo Thatiosigkeit als Weisheit galt.' Cap. 8: 'In Kur-
zem erhielt Britannien zum Consular Petilius Cerealis. Seiner
Thatkraft öffnete sich Bahn zu Beispielen. Anfangs zwar theilte
Cerealis Miihen und Gefahren, [hier ist wohl nur zufällig er
ausgefallen: er theilte anfangs des Cerealis etc.] später auch
den Rubra'. Cap. 11: '^Galliens Nachbarn verrathen auch Aehn-
lichkeit.' P/oxiini Gallis et similes sunt. d. i. Die Nachbarn
der Gallier sind ihnen zugleich ähnlich. Cap. 12: honeslior au~
liga^ clieyites pjopugnant. "^Edelgeborne die Lenker; SchVitz-
liuge vertheidigen.' Giebt einen Gegensatz, den T. nicht hat,
und der ihn etwas Unrichtiges sagen lässt. Ibid.: 'Jetzt werden
von Grossen sie in Spaltungen und Parteien getrennt, und sonst
nichts wider so gewaltige Völker ist erspriesslicher fiir uns,
als dass' etc. Wie hier 'von Grossen' mit Auslassung des Ar-
tikels gegen den Sprachgebrauch gesetzt ist , finden wir häufig
%on gebraucht, oder den Artikel fehlen. z.B. ibid.: Asperitas
frlgorum abest. 'Schärfe von Frösten mangelt.' Wir gebrau-
chen überdem den Plural nur von einzelnem Frost öfters wie-
derkehrend; Z.B.Nachtfröste. Ibid. : 'Nächte — hell, und in
Britanniens äussersten Theilen so kurz.' Ibid.: 'Freilich erhebt
der Erde Grenze und Fläche bei niedrigem Schatten die Fin-
sterniss nicht, unter Dunstkreis und Gestirnen sinkt die Nacht.'
Die Form Gestirwew ist wohl nur Druckfehler : hifraqiie coehim
et sidera nox cadit. Ibid. : 'Ich möchte lieber glauben, Perlen
mangle diese Beschaffenheit.' liier ist von den bestimmten
Perlen Britanniens die Rede, und die Sprache ertrüge eher ein
'jenen Perlen'. Ueber 'diese Beschaffenheit' wird später
die Rede sein. Ferner: 'Als Trebcllius durch Flucht und
Schlupfwinkel Wuth des Heeres vermieden, — kein öffentli-
ches Geschäft durch Sklaven oder Freigelassene: niclit nach
170 Röiuiäcbe Litteratur.
Privatwünschen oder Empfehlung und Bitten von Centurionen
— Legioakrieger erwälilt, nur der Tüchtigste galt als —
Treuste.' — Die Gedankenstriche in den angeführten Stel-
len, hier, wie überall, gehören Hrn. W., nicht etwa nns. —
Mililum in ag/nine laudare modestiam. Xobt im Zug er Manns-
zuclit von Soldaten.' Ausserdem ist militum in agmine ein Be-
griff, und die üebersetzung würde das erreichen was die Anm.
verbietet. Man würde nemlich verstehn müssen, Agr. habe
häufig im Allgemeinen gute Mannszucht gepiiessen; vielmehr
lobt er die Einzelnen, die Mannszucht hielten. Aehnliche Bei-
s[jlele finden sich überall; wir fügen nur noch Einiges bei, wo
der Ausdruck der Üebersetzung nicht treffend scheint, andres
für die Anraerkk. aufsparend. Cap. 2 : Ne quid usquani honesiuni
occuneret. "^damit nirgendwo Tugendhaftes begegnete.' Allein
wir gebrauchen ' tugendhaft' nicht mehr in so ausgedehnter
Bedeutung, so dass nicht leicht Jemand die üebersetzung ver-
stehn möchte. Ilonestum umfasst alles , was dem Menschen
als Menschen geziemt, und bezieht sich liier zunächst auf
"^omni bona arte'. Vielleicht "^damit nirgendwo dem Auge Ge-
ziemendes entgegenträte. Ferner ibid. : quid iiltimum in liber-
taie esset, 'und wie die Vorzeit sah, was von Freiheit höch-
ster Gipfel war, so nun wir, Avas von Sklaverei.' Ultimum be-
zeichnet hier, wie öfters , das Extrem oder Uebermaass, was
wir im "^ höchsten Gipfel' nicht wieder finden. Wohl besser:
Zu welchem Aeussersten die Freiheit führe. Häufig gebraucht
unsrc Sprache ein Wort mehr, oft auch weniger, und Sprach-
richtigkeit verbunden mit naclibildendem Numerus sind Mohl
höhere Anforderungen, als das Streben nach zeilenmessender
Gleichheit. Für den Dicliter ist der Vers die Begränzung, für
Prosa die Periode und ihr Fall. Der Hr. Verf. Iiat auf diese
Darstellung der Form Sorgfalt verwandt , aber wohl häufig mit
Aufopferung der Spracheigcnthümlichkeit, wofür die oben ge-
gebenen Beispiele als Beweis hinreichen mögen. Hielicr rech-
nen wir auch die Nachahmung des beschreibenden Infinitivs.
Um ihn zu ersetzen, gebraucht der Hr. Verf. öfters (s. oben:
'kein öffentliches Geschäft' etc. aus c. 19.) Participialconstruktio-
nen nicht ohne Härte; da diese aber gleichwohl nicht überall
anwendbar ist, so treten die nächsten Sätze derselben Con-
struktion in unser historisches Imperfectum , und so wird die
Gleichmässigkeit der Form für dieselbe Gedankenverbindung
aufgehoben. Auch unser Infinitiv hat einen bedeutenden Um-
fang, Avic z.B. in XeidvoU und freudvoll' etc., und könnte noch
weiter ausgedehnt werden. Gezweifelt haben wir, ob der öf-
ters ganz iambisch eintretende Wortfall in der bewegteren Re-
de zufällig oder absichtlich wäre. z. B. Cap. 31: 'Und wie im
Hausgesinde all' die jüngsten Sklaven selbst Mitsklaven ein
Spott sind; so in des Erdkreises altem Skla^enthum sind wii.,
Tacitus' Agricola, hcrausgcg. von Walcb. 171
als Neulinge und Verworfene, zum Untergang erzielt.' We-
nigstens bietet der lat. Text hier keinen metrischen Gang' dar,
der überhaupt nicht Tacitus Weise ist, wohl aber sehr häufig
Senekas. Denn der trochäische Ausgang Cap. 45: sed cl'iam
opportunitale jnorlis^ ist wohl zulailig, Uebersetzung: "^ Nicht
bloss durch deines Namens Ruhm , auch deines Todes so ge-
legne Zeit.' Ebenso Cap. 31: "^ Erkennen werden die Britanneii
ihren Vortheil.' wo in Text steht: Agiioscent suatii causam.
OlFenbar ist dafiir Vortheil ein selir schwaches Wort, da der
Sinn ist: Sie werden erkennen, dass wir ihre Sache verfechten,
lind dass sie zu uns übertreten müssen; oder, sie werden unsre
Sache für die ihre erkennen. Cap. 33: iieque vie miUtnm neque
vos Ducis poenitnü. "^Nicht durfte /c/t meiner Krieger mich, nicht
ihr des Feldherrn euch schämen.' Aber non me poenitet heisst
wohl hierAielmehr "^Icli bin wohl zufrieden,' was poenitet mit
der Negation häufig ausdrückt, z. B. Liv. I, 8: me haud poeni-
tet eoriim sententiae esse. "^ Ich bin gern.' oder: Quam jam
" virium haud poeniteret. Worin der Begriff der Scham nicht
wohl liegen kann. Auch unser ^es gereuet mich' hatte früher
ähnliche Bedeutung, und die Schweizer gebrauchen es noch
so. Cap.' 5: "^ Brachte es Kunst, Uebung und Reiz dem Jüng-
ling.' für: artem et usum et stimiduni addidit juveni. Mau
würde in der Uebersetzung schwerlich den wahren Sinn wie-
derfinden: Es erhöhte des jungen Mannes theoretische und
praktische Kenntniss, und verlieh neuen Eifer. Cap. 15: In
j)roelio forliorem esse qui spoliet. ' Im Kampfe zeige den Hel-
denmüthigeren — Siegesbeute.' Statt: Im Kampfe sei es (we-
nigstens) der Stärkere, der die Beute gewinne; jetzt würde
\on Feigen ihre Habe entrissen. Ibid.: (Quantum enini transisse
TniUtum , si sese Brilanni numerent. "^Wie gross denn die Zahl
übergesetzter Krieger, wenn Brilannen sich zählten.' Zahl —
zählten ist nicht wohllautend ,• und den wahren Sinn luöchte
niemajid in der Uebersetzung wiederfinden: Wenn die Britan-
nen sich als Britannen zählten, nicht als Bundesgenossen der
Römer, Cap. 16: 'Als Trebellius durch Flucht und Schlupf-
winkel Wuth des Heeres vermieden, stand er ungeehrt und
niedrig, später bittweise vor.' Vielmehr gehört fuga ac late-
bris indecorus et humilis genau zusammen : Trebellius entehrt
und verachtet durch Flucht und Versteck befehligte seitdem
bittweise das Heer. Ibid. ist innocens nicht schiddlos^ sondern,
wie so oft bei den Römern, der Gegensatz von uvaritia; unzu-
gänglicli für Geld, alam in suis ßnibus agentetn. 'Ein Reiter-
geschwader im Standlager auf ihren Grenzen.' vielmeiir, in
ihrem Gebiet. — Eoque inilio erecta provincia: 'In Spannung
durch diesen Vorfall ;' vielmehr, Ermuthigt durch diesen An-
fang; den sie als eine Vorbedeutung glücklichen Erfolgs an-
sahn. In demselben Capitel wird velut omissa expeditione rieh-
172 Römische Litteratur.
tig übersetzt Vie nach eingestelltem Feldzuge;' neniHcli weil
Agricola media jam aestate ankam, so hielten sie den gewöhn-
lichen Soramerfeldzug für unwahrscheinlich. Um destomehr
überrascht die Anraerk. "^om. exp. als iväre die Leberwätligting
der Insel aufgegeben.' Cap. 22: ita intrepida ibi hiems. "^So
der Winter dort furchtlos vorüber.' furchtlos erschöpft keines-
wcges. Weil jede Burg wohlvcrsehn, sibi quisqne praesidio
war, so durfte man sie sich selbst i'iberlasseii ; bei etwanigcu
Anfällen nicht tumultuarisch und in Schrecken gesetzt, bald
hiehin, bald dorthin geängstigt zu Hülfe jagen. Ibid.: inxta
pellebatitur. "^jetzt im Sommer und Winter zugleich geschlagen.'
vielmehr "^ gleichraässig angegriffen.' pellere wie iiupellere von
der Offensive. Eben so C.25: sinml terra simnl mari bellinn im-
pellere^ wo es übersetzt wird "^ indem der Krieg fortwogte.'
So Silvas impellere vom Jäger. Siehe die Ausleger zu Grat.
Cyneg. v. 64: Quam magna mercede meo sine immer e silvas
Impulerint. Cap. 43: Vulgus quoque et hie aliud ogens popu-
lus. 'Selbst das Volk und die geschäftslose Menge.' Annierk.
'Der geschäftslose ^ um fremde, ihm nichts angehende Dinge
sich kümmernde, grosse Haufe ist gemeint.' Keinesweges
genügend, weder der Ausdruck 'geschäftslos' noch die Ausein-
andersetzung. Was aliud agere sei, lehrt am besten Seneca
Ep. I, 1: Magna pars ritae elabitur male agentibus , maa;inia
nihil agentibus^ iota aliud agentibus Der Philosoph meint
hier, Niemand kümmre sich um die eigentliche Lebensaufgabe,
Pliiiosopliie. Tacitus nennt das Volk aliud agens^ nicht weil es
sich um fremde Dinge bekümmert , sondern weil es sich nicht
um seine eigentliche Aufgabe kümmre, d. h. um das Vaterland u.
dessen Stützen. Dieses Volk also, das sonst alles andre wahr-
nimmt, als seine Interessen, fühlte docli, was es an einem
Manne wie Agricola verlohren hatte. Zugleich ist liieraus klar,
dass zwar vulgus der grosse Haufe sei, aber keinesweges pojm-
lus ^ und dass ' Ä2c' in der Uebersetzung auf keine Weise feh-
len durfte. Ibid.: momenla deßcientis^ ' die Augenblicke des
Erblassens.' Vielmehr die nach und nach entscheidend eintre-
tenden Todesanzeigen und Krisen. Cap. 35: "^ Schon bei Agri-
colas Ermahnung strahlte GUitli von Soldaten, [niilitum ardor
eminebat] und dem Ende seiner Rede folgte unbändiger Froh-
sinn.' «/ßcr?7ffs vielmehr Kampflust. Cap. 31: qui adhuc e:v-
pertes pugnae — paucitatcni nostrorum vacui sperncbant. 'Wel-
che nocli unkundig der Schlacht — die Geringzahl der Unse-
ren sorglos verspotteten.' Unkundig würden wir in Prosa nicht
vcrstehn, wie es gemeint sein muss ; es wäre ohne Einsicht',
und spernebat kann nicht durdi bespotten gegeben werden.
Diess würde spottende Worte bedeuten, woran hier nicbt zu
denken ist. Die Britannen sassen verächtlich herabblickend in
sichrer TheilnahmlosigkeU. lind.: Tum vero. 'Alsdann aber.'
Tacitus' Agricola, Iierausgeg. von Walcb. HS
Jene Partikel dient hier, wie so oft in der ErzUlilnnp;^,
beim Ucbergange zum Ilauptmonient einer Begebenheit. Dafiir
gebrauchen wir unser l)a^ nicht Alsdann. Und vero ist nicht
aber ^ sondern der Ablativ, welcher der Bctheurung wegen zu-
gefügt wird, z.B. bei dem Personalpronomen Kgo vero^ Tu
vero. Dass dieser aber wesentlich von der Adversativpartikel
verschieden sei, ersieht man daraus, dass er gebraucht wird,
■wo diese nicht stehn kann, z.B. bei Relativis. Cap. 45: tan-
quani pro virili portione ., "^wie mit ^lanneskraft.' pancioribus
lacriniis^ "^ mit zu wenigen Thränen,' wäre ein Vorwurf für
Agr.'s Gattin j "^ mit weniger Thränen,' ncmlicli, als bei unsrer
Gegenwart.
Was nun endlich die Anmerkungen betrifft, so finden Avir
sehr empfehlenswerth , dass sie ausführlich lelirend und stili-
sirt sind. Es wird leider immer allgemeiner, Bemerkungen
nur andeutend abzufassen, und man suclit ein Verdienst darin,
recht wortkarg zu sein. Aber obgleich diess für gewisse
Zwecke sehr räthlich sein mag, so kann doch die Uebertrei-
bung, diese Form oder Unform zu allgemeinem Gesetz zu er-
heben, nur höchst verderblich sein. IS'icht nur entgeht so dem
minder Geübten oder Begabten ein grosser Theil des Nutzens,
sondern bei der unendlichen Bereicherung der Wissenschaften
in unsren Tagen hat überhaupt Niemand Müsse genug, bei je-
dem kurz liingestelltem Resultate eine Untersuchung über des-
sen Begründung von vorn anzufangen. Man muss es also als
wohlbegründet annehmen, und das Aväre gefähi'lich genug,
oder es existirt für uns bis zu eigner Untersuchung gar nicht,
üeberdem aber entgeht dem Leser das Bildungsmittel und der
Genuss, den eine wohlgefügte Rede und ein scharf und eigen-
thümlich gefasster Gedanke liervorbringt. Dass wir freilich
den Ton, in dem gegenwärtige Bemerkungen geschrieben sind,
nicht billigen können, mussten wir oben der Wahrheit gemäss
bezeugen. liier wollen wir nur Einiges beibringen, worin
unsre Ansicht und Erklärung von der des Hrn. Verf. abweicht.
Gleich Cap. 1 ist mehreres Wesentliche anzumerken. Sed apud
priores conscientiae prelio ducebatur. ' Doch wie bei den Alt-
vordern Denkwürdiges zu vollbringen ungehindert und offen-
kundiger war ; eben so ward jedes glänzende Talent, ein Denk-
mal für Tugend aufzustellen, ohne Vorliebe oder Gunstbuh-
lerei, nur durch den Lohn edlen Bewusstseins bewogen.' An-
merk. *^ln deutlicher Beziehung auf A. Weder ungehindert war
für A. das Grosssein , noch offenkundig seine Thaten gewesen.
S. c. 40. Wem könnte es einfallen, das dichterische /;/'o;2m/«
(iür facüe wie c. 33) und das Sallustische in aperto für Sy-
nonyma zu nehmen.' Wir läugnen die namentliche Beziehung
auf Agricola. Erstlich sind alle umgebenden Gedanken ganz
allgemein, also auch wohl dieser, da er als ein bezüglicher
174 Römische Litteratur.
clnrcli nichts bezeichnet wird. Sotlann traf das Loos, das diese
Worte characterisiren, alle Zeiti:;cnossen des A. gleichniässig,
und ihn nicht mehr als Alle. Wo ist der historische Erweis,
auf den iiberall Ilr. W. mit Reclit dringt, dass A.'s Grosssein ins
Besondre sei behindert worden'? Er hat viehnelir alle Staats-
würden erlangt, und zwar alle "^ suo anno' erlangt, und nirgend
ist von Erschwerung seiner Bewerbungen die Rede. Denn die
letzte, die Provinz Asien, kann niclit gelten, da er sclion den
ganzen Kreis aller Staatswiirden durchlaufen hatte. In Cap. 40
aber finden wir eben nur den Beweis , wie offenkundig A.'s
Tliaten selbst geflissentlich von Domitian gemacht wurden:
Igilui' triumphaUa ornamenta et ülust/is statuae honorem , et
quidqiiid j)ro triinnpho datii/\ muUo verhorum honore cumulata
decerni in Senatu iahet : addiqne insuper opinionem etc. Auch
beweist das allgemeine Volksverlangen nach A.'s Kriegsiuh-
rung (Cap. 41) bei andrer Fcldherrn Unbrauchbarkeit die über-
all hin verbreitete Kunde und Anerkennung. Wiederum allge-
mein gefasst characterisirt die Stelle, nach Hrn. W. Erklärung,
ganz und gar nicht Tacitus Zeitalter, Denn offenkundig waren
bei der Vergrösserung des römischen Reichs, nach der Ein-
richtung der diurna, durch die unendlich viel weiterverbrei-
tete Kenntniss der röm. Sprache und Litteratur die Thaten der
Römer damals in ungleich höherern Grade, als zu den Zeiten
der Republik. So wiirde also "^apertnni' ein Synonymura von
"^pronum'; dem der Ausdruck 'ungehindert' hier nicht ent-
gpricht. Vielleicht hatte Hr. W. Stellen im Sinne , wie Plin.
Epp. 8, 10: liheros ciipio^ quibus videor a vieo tiioque latere
pronu7n ad honores iter et aiidita latius noniina et non subi-
tas imagines relictunis. Aber allerdings sind proniim. u. aper-
tum hier nicht Synonyma Vielmehr bilden sie einen Gegen-
satz, und vielleicht um diesen schärfer zu marquiren, stellte T.
'magisque', was zu beiden Adjectiven gehört, in die Mitte.
(Ueber diese Wortfiigung hat A. E. Z i n s er 1 i n g: De inter-
pretatione duplici locoriim. quorundam Virgilii et Horatii^ Var-
saviae 1817, mehrere treffende Bemerkungen, nnr nicht scharf
genug sondernd, aufgestellt.) Zu einer jeden Handlung nem-
lich geliören zwei Stücke wesentlich : die handelnde Person
und der Gegenstand mit den begleitenden Zeit- und andern
Umständen. Beides bezeichnet hier Tacitus als früher günsti-
ger gestaltet durch "^pronum' u. "^apertum'. Demnach besclireibt
pronum die grössere Thatenlust der Vorfahren; wobei zu be-
merken, dass die früheren Schriftsteller pronum gern von in-
stinktartiger, oft leidenschaftlicher und daher verderblicher
Neigung gebrauchen, Tacitus aber es auch in edlerem Sinne
von bewusster Vorliebe versteht, wie hier. Und hier zeigt
sich die seltner gewordne Thatenlust allerdings als characteri-
stisch für T.'s verweichlichte Zeit. Magis apertum war aber
i
Tacitus' Agiicola, Iierausgeg. von Walch. 175
für Verdienste die Vorzeit, weil damals jeglicher Kraft Gro-
sses zu versuclien freistand; also "^apcrtum' so viel als 'in me-
dia positum'. Auch so verhielt es sicli. Denn unter den Kai-
sern hatte sich die Rennhahn für Geisteskraft in immer engere
Kreise meist schlechter Regenten znsammengezogen. Ihnen
mnsste hekaiint sein , oft mit Gefahr, meist mit gewaltsamer
Zurückdrängung edler Gefühle, wer dem Staate und seinem
Ruhme dienen wollte. Dass diese Erklärung richtig sei, be-
weist auch die folgende Ausfülirung. Zuerst "^sine gratia et am-
bitione' und dessen Gegensatz ' celeberrimus quisque ingenio'.
Jene beiden Wege, zu Ehrenstellen zu gelangen, auch ohne
dass man, was früher liedingung gewesen, celeberrimus inge-
nio war, bezeichnen diejenige Eigenthümlichkeit der Kaiserre-
gierung, die schon nach Vertreibung der Könige die jungen
Patrizier ungern vermisstcn: "^ Regem hominem esse — esse
gratiae locum, esse beneficio'. S. Liv. II, 3. Wie dort bene-
ficio, wofür anderswo, in etwas motivirtcm Sinne, '^obsequium',
so hier ambitio; nur dass beueficium die Handlung selbst, am-
bitio die Absicht derselben giebt. In diesem Zusammenhange
wird zweitens auch erst klar, Avas "^pretio bonae conscientiae'
sei. Dass wir es nicht mit Hrn. W. nehmen dürfen für "^Lohn
edlen Bewusstseins' ist ausgemaclit genug. Denn wie hinge
das zusammen: Grosse Talejite wurden bewogen "^ad proden-
dam virtutis memoriam', der Nachwelt ein Denkmal ihres Wer-
thes zu hinterlassen durch den Lohn edlen Bewiisstseins ! Of-
fenbar würde hier nicht nur ein doppelter Zweck grosser T ba-
ten aufgestellt, sondern sogar ein ganz widersprechender;
denn wem sein eignes Bewusstsein genügt und letzter Zweck
ist, der verschmäht irgend einen äussern Lohn, und am mei-
sten äussere Anerkennung. Da nun T. unmöglich diesen Un-
gedanken aussprechen wollte, so folgt, dass'^bona conscien-
tia', wie oft mea, tua memoria für mei, tui memoria, gesetzt
sei für "^conscientia boni' und dass "^pretio' nicht sein könne
de?' Lohn^ sondern die Schützimg. Wie nemlich zu Tacitus
Zeiten auch der Talentlose sich auf Gönner und allerlei Wege
Terliess , so trat früher das Talent auf im Bewusstsein seiner
Fähigkeit. Wir übersetzen deswegen den ganzen Satz so: Je-
doch wie bei den Vorfahren für denkwürdige Thaten die Be-
geisterung allgemeiner und die Schranken allgemeiner geöffnet
waren, so wurden auch die glänzendsten Talente zur Darle-
gung gedächtnisswürdiger Trefflichkeit nur durch Schätzung
ihrer Fähigkeiten vermocht , nicht durch Gönnerschaft und
Gunstbuhlerei. Wir bemerken nur noch: Wenn obige Erklä-
rung richtig ist, es folgt zugleich , dass "^agere' für 'pronum'
Prädicat sei, Subject für 'in aperto'. Denn aufgelöst hiesse
der Satz etwa so: 'Apud priores et homines magis ad agendura
proni et agere ipsuni magis in niedio erat positum'. Und so
176 Rümiecbe Litteratur.
wäre diess ein passendes Beispiel , wie im Infinitiv der reine
Begriff der Handlung selbst, ohne hinzukommende passive und
active Bedeutung, an und für sich gesetzt werde, aus dem aber
die umgebende Rede bald das Eine bald das Andre absondere,
und dass dieselbe Bemerkung auch auf die Gerundia und die
Participia in diis ausgedehnt werden könne, jedoch nicht ohne
Berücksichtigung der Casus und der verbindenden Präpo-
sitionen.
Cap. 2: At mihi nunc narraturo vitam defuncti hominis
venia opus fiiit. "Durfte der grosse Staatsmann in T.'s Zeit-
alter, Verewigung für Verdienste hoffen, Avenn der Sieg über
Unverstand und Neid ihm gelang, so dünkt dem Verf. dage-
gen 'Nachsicht' nöthig für Agricola's Leben, weil die Biogra-
phie so feindseelige Zeiten berülirend jetzt eben erscheine'. — •
Hiegegen bemerken wir erstlich, dass der Vordersatz vom Hrn.
Verf. sehr willkührlich hieher gezogen sei. Denn der Gedanke
in demselben hat längst andern Raum gegeben, imd der Näch-
ste , an den der unsrige sich anschliesst, war dieser: Ac pleri-
que siiam ipsi vitam narrare fiduciam — inoriim — arhitrati
sunt. Doch davon später. Jetzt sei diese Freiheit zugegeben;
wie -wird der Gedanke des Gegensatzes können gerechtfertigt
werden'? Im Vordersatze ist der Grund der Hoffnung auf An-
erkennung Sieg über Unverstand und Neid^ hier der Grund
für die Bitte um Nachsicht die gegenwärtige Zeit. Allgemein,
wie dieser Gegensatz ist, heisst das, seine Zeit wäre durchaus
unverständig und neidisch , und deswegen alle Hoffnung auf
Anerkennung nichtig. Eine so ungerechte Herabsetzung seiner
Gegenwart konnte T. aber nicht einfallen. Der Grund seiner
Bitte, sagt Hr. W. einen Gedanken hineintragend, liegt in der
so eben verflossenen Zeit des Domitian. "^ Nicht als Ankläger
gegen die Vergangenheit hatte er nöthig, um Nachsicht zu
bitten ; — dagegen als Ankläger bestimmter Männer , —
■welche das Agricola' gespendete Lob nicht als Verherrlichung
ihrer Laster annehmen und gleichraässig übersehen koimten,
heischte vorschauende Klugheit mit Besonnenheit aufzutreten'.
— "^Nur an diese .^ meinen wir, nicht an das Zeitalter oder die
Leser überhaupt kann die erbetne Nachsicht gerichtet
sein'. Zuerst fragen wir: Wird dadurch der willkührlich an-
genommene Gegensatz gerechtfertigt? Sind diese bestimmten
Männer neidisch oder unverständig'? Keines von beiden. End-
lich bittet er ja um Naclisicht für sich, den Schreiber; der
Gegensatz fordert sie aber für Agricola. Diess schien auch
anfangs Hr. W. anzunehmen, gleitet aber unvermerkt, wie auch
T.'s Worte nöthigen, auf Tacitus selbst zurück. Sodann, wor-
aus soll der Leser entnehmen , dass nicht Nachsicht im Allge-
meinen, sondern bestimmter Männer gesucht werde*? Und fer-
ner, welch unendlich wundersamer Ausweg, diejenigen um
Tacitus' Agricola, herausgeg. von Walcli. 171
Nachsicht zu bitten , deren Laster er im Betriff ist , auf das
Empfindlichste anzugfreifen ! und zwar solcher, deren '^ heim-
liche Anfeindung' er fürchtet! Einmal dünkt es uns überhaupt
Tacitus unwürdig, Furcht vor diesem giftigen Gewürm zu he-
gen. Dass er sie nicht hegt, beweist eben die Einleitung, iii
der er mit einer Bitterkeit anklagt, wie sie der ganzen Biogra-
phie fremd ist, in der er auf das Leiseste iiber die Gebrechen
der Vergangenheit weggleitct und namentlich alle Persönlich-
keit gänzlich vermeidet. Hätte er aber jene Männer gefürch-
tet, so war es unklug, diess auszusprechen, und unbegreiflich,
sie um Nachsicht zu bitten! Hätte er um Schutz gegen sie
angesucht, hätte er sie characterisirt , so sähe man wenigstens
einen Zusammenhang; aber so ...Wir müssen also diese Erklä-
rung gänzlich verwerfen, und können anch keine Unterstützimg
für sie in folgender Bemerkung des \erfs. finden : 'Endlich:
auf persönliche Rücksichten lässt der bis zur Täuschung vor-
sichtig gewählte Ausdruck schliessen. Das vilam defimcti ho-
minis für venejio necati^ das ni cursaturus ttmi injesta tempora
für nisi conquerendnm esset ^ etiam nunc impunitos superesse^
quorinn criminationibns Agricola cecidit'. Da man diesen letz-
ten Gedanken ("^bis zur Täuschung' sagt Hr. W., der das fühlt)
in Tacitus Worten durchaus nicht finden kann, so beweist diess
hinlänglich, dass er ihn selbst nicht hatte; man müsste ilira
denn eine infantia zuschreiben, wie sie Hr. W. selbst am wenig-
sten zugiebt. Für den ersten Fall aber vertausche man "^de-
functi' mit dem gewünschten: At mihi nunc narraluro vitam ve-
716710 necati hotninis, um das gänzlich ünstattliafte zu belä-
cheln. An die Art des Todes dachte jetzt Tacitus gar nicht;
sondern defu7icii hominis bezieht sich, denn wir kommen jetzt
auf die wahre Erklärung und auf den wirklichen Gegensatz, auf
"^plerique suam ipsi vitam narrare' ; 7nihi entspricht jenen Selbst-
biographen; nunc endlich jenen Zeiten \|uibus virtutes optime
aestimantur', und venia dieser richtigen Schätzung der Vor-
zeit. Es hat also jedes Wort seinen Gegensatz. Jene Männer
konnten zu jener Zeit ohne Besorgniss unedler Auslegung ihre
Thateu selbst beschreiben, ich Xidiww jetzt nicht das Leben ei-
nes Abgeschiedenen erzählen ohne Bitte um Nachsicht. Und
so offenbar ist dieser natürliche Ideengang, dass man von
selbst sieht, wenn "^defuncti' hätte sollen näher bezeichnet
werden, so war die Bezeichnung diese: Ich, der ich das Le-
ben eines Abgeschiedenen schreibe, muss um Nachsicht bitten,
weil er mei7i naher Verwandter ist. Allein diese Ausführung
ist ausgelassen, theils weil durch sie der Gedanke derVerglei-
chung geschwächt wäre, indem er von seiner Allgemeinheit
verlöhr, theils weil er mit ihm viel besser die Einleitung schlie-
ssen konnte. Indem nemlich die Regeln der Rhetorik, die wir
nie bei den Römern ausser Acht lassen dürfen, vorschreiben,
Jahrb. f. Pha. u. Pädag. Jahrg. lü. Heft 6. 12
178 Römische Litteratur.
im Epilogus die Gefülile der Zuhörer stärker zu berühren, so
kehrt er auf diesen Theil unsres Satzes am Schlüsse mit den
Worten zurVick: Hie Interim liber honori Agricolae soceri
mei destinatus etc. Die übrigen Worte werden so ausgeführt,
dass er zuerst nunc erläutert in einer Schilderung des vergan-
genen Elends, dann mihi (vox rudis) in der Darstellung der
Folgen jener unseeligen Zeit auf geistige Kraft. Die eigentliclie
Scliwierigkeit unserer Stelle kann also gar nicht in diesen einfa-
chen Worten liegen; sondern in den nächsten: ni cursaturus etc.
Diese erkläre ich so: Indem T. seine eigene Zeit ^^^e\\ die
frühere dem Bedurfniss der Einleitung und der Wahrheit ge-
mäss so tief herabsetzt, sucht er wenigstens den Eindruck der
herben Wahrheit mögliclist zu mildern, indem er den Grund
dieser Verderbniss in die jüngst verflossene Vergangenheit
setzt (aus der plötzliche und allgemeine Rückkehr weder intel-
lectuell noch moralisch möglich ist ) , die jetzt bevorstehende
aber als ein Erwachen aus langer Lethargie lobpreissend, je-
ner entgegenstellt (S. c. 3). Dennoch aber, sagt er, ist es
nur ein erstes Erwachen (nunc dennwi redit animus) und noch
leben wir nur in Hoffnung besserer Zeit. Man sieht also , wie
Tacitus seinen Grundsätzen gemäss , altrömische Freimüthig-
keit in Rede und Handlung mit derjenigen Vorsicht paart, M'ie
sie eine Zeit, worin rücksichtslose Geradheit nur dem Verf.
geschadet, aber Niemand genützt hätte, nöthig maclit. Diess
erreiclit er, indem er anfangs die Bitte um Nachsicht für die
Gegenwart für ganz unnöthig erklärt, 'quam non petissem';
doch wäre das Andenken und die Gefühle einer nahen Vergan-
genheit noch so lebendig, dass er in Bezug auf sie, "^ni cursa-
turus', jene Bitte natiirlich finde. Nun folgt eine Schilderung
erst dieser Vergangenheit, dann der Gegenwart, in welcher
letztem allmählig jenes Zugeständniss der Trefflichkeit be-
schränkt und zum Theil zurückgenommen wird. Im ganzen
Agricola ist Tacitus Ton der eines aus langer Krankheit Gene-
senen , mit sanfter Wehrauth auf vergangene Leiden und künf-
tige Heiterkeit der Tage liinblickend. So ungefähr mochte
auch Fabius Rusticus geschrieben haben, nach Quintilian X,
1, einer vielbesprochenen Stelle, die ich so lese: Superest ad-
huc et exornat aetatis nostrae gloriam vir saeculorum memoriae
dignus ; qui olim nominabitur ^ nunc intelligitur. Habetur
amarior ; nee immer ito^ ut cuilibertas^ quamquam circumci-
sis , quae dixisset , vel nocuerit. Sed elatum abunde spiritum
et audaces sententias deprehendas etiam in his , qtiae manent.
Die weitere Ausführung dieser Lesart gehört nicht hieher ; nur
80 viel , dass man erst in dieser Ausdrucksweise , die zwischen
Lob und Tadel eines freimüthigen Historikers in der Mitte
bleibt , den furchtsamen Quintilian wiederfindet.
Ibid. Legimus wird auf die diurna bezogen und Tortreff-
Taoitus' Agricols, Jict-ausgeg. von Waloh. 179
lieh erklärt. Doch läugnen wir die Folgerung (aus Agr. c. 45)
von Tacitus persönlicher Gegenwart bei den Hinrichtungen.
Denn jener rhetorisch belebte Ausdruck: Nos innocenli san-
guine pei:ßidit^ erlaubt eine minder wörtliche Auslegung, und
umgekehrt konnte er hier Vidinius d. h. Aetas nostra indit
auch ohne persönliche Gegenwart sagen. Und dann vermissen
wir die gänzliche Auflösung der noch bestehenden Frage, war-
um T. legimus dem sinnlich belebteren vidinius vorgezogen ha-
be. Sie folgt unmittelbar aus Hrn. W.'s Erklärung. Beide Aus-
drucksM eisen waren zu jener Zeit, nur in verschiedner Riick-
sicht, gleich eindringlich. Vidimus giebt den sinnlich leben-
digen Eindruck der Anschauung; /eg2Vrt?^s dagegen: Das Ver-
brechen wurde nicht bloss begangen, nicht vielleicht absicht-
lich verborgen ; nein , das ganze römische Reich sollte es öf-
fentlich lesen, und die Frechheit bezeichnete es als eine Hand-
lung von Rechtswegen.
Ibid. Et sicut vetus aetas nennt Hr. W. Lipsius' nicht zu
bezweifelnde Verbesserung für ut; welches letztere, wie es
scheint, alle Auctoritäten schlitzen. Uns dünkt jene Aende-
rung keinesweges zulässig. Man nimmt dadurch T. einen ihm,
wie fast dem ganzen Alterthum sehr geläufigen Gedanken , den
stets sichtbaren Willen der Gottheit in der Völkergeschichte:
Wir sollten eine solche Zeit erleben, wie den Gegensatz unsre
Väter. Dass die Ellipse durch Auslassung des conjunctiven
videremus etwas stärker wird , darf nicht irren. Selbst frü-
here Schriftsteller erlauben sich ähnliches, und des Tacitus
Zeitalter mehr als jene. Dahin gehört z. B. ein licet egregius
ohne esset ^ nach Analogie des alten und einfacheren qiiamvis
egregius^ und manches andere. Ueber das Schicksal als ein-
greifend in menschliche Handlungen bei den Historikern siehe
den Hrn. Verf. selbst p, 214.
Ibid. "^Auch die Gedächtnisskraft wäre — geschwunden
— hätten wir so in unsrer Macht' etc. Vielmehr ist wohl perdidis-
semus acih zu nehmen: man hätte uns die Gedächtnisskraft
entrissen. Denn sie ivollten nicht vergessen , so wenig als sie
schweigen wollten. Scilicet illo igni voceni P. It. aboleri arbi-
trabantur., espulsis instiper etc. Sie sollten vielmehr das letz-
tere, und hätten das erste auch gesollt, wenn sich zu vergessen
gebieten liess. Hieraus wird klar, dass nostra potestate ein
.Glossem sei (wie c. 3: ut corpora nostra lente augescunt, wie
Hr. W. richtig urtheilt ; andere Glosseme im Agr. siehe beim
Hrn. Verf. z. c. 6.) weil es einen ganz falschen Gedanken gäbe.
^i tarn in potestate esset heisst demnach nicht, wenn es in
VMsrer Macht stünde, sondern, wenn etwas zu vergessen von
Jemandes Macht oder Befehle abhinge.
Cap. 3: promptissimus quisque, alle die Gewandtesten'.
Anm. : "^Nicht wie Oberlin und Virdung erklärt , quibus virtua
12*
180 Römische Litteratur.
maxime in promptu , sondern die Gewandtesten durch Talent,
Wissenschaft, külinen 3Iuth, Unternehmungsgeist'. Die Er-
klärung ist nur in sofern richtig, als sie mit Virdung iiberein-
stimmt ; der Ausdruck aber 'die Gewandtesten nicht passend.
Gewandt ist, wer sich in neue Personen, Lagen, Ansichten
und Geschäfte mit leichter Beweglichkeit des Geistes findet.
Solche Leute fallen nicht zuerst in der Zeit der Tyrannei. Al-
lerdings liegt in promplns immer der Begriff rascher Leistung;
aber wer rasch ist, ist nicht immer gewandt, und das Wort ist
eine vox media, die nicht selten die Bedeutung übergrosser
Zuversichtlichkeit oder unbesonnener Vorschnelligkeit in
sich schliesst. Daher prornptus beim Redner oft Zungenfer-
tigkeit, facUitas aber liedefertigkeit in etllerem Sinne, und
prompta facultas besitzt, wer auf der Stelle worüber fertig
reden kann. Ein solches, doch nur milde getadeltes rück-
sichtsloses Hervortreten für das Recht, rasche Wortführer für
die Sache der Freiheit bezeichnet auch hier wohl Tacitus,
ganz gemäss seiner moderatio ^ über die, als des T. höchsten
Lebensgrundsatz, Hr. W. zu Cap. 4 so gut spricht. Aehnlich
wird, doch stärker tadelnd jaromp^ws Cap. 27 gebraucht: Alque
Uli modo cauti (Cap. 25 hiessen sie specie prudentium ignavi)
ac sapientes promjiti post eventum ac magnilo qui erant.
Cap. 5 : Nee Agricola licenter ad voluptates et commeatus
iitulum TribuTiatus et — inscüiam retulit. Der Gedanken-
strich gehört Hrn. W. 'Auch benutzte Agr. nicht zügellos nach
Art junger Leute , welche Kriegsdienst in üngebundenheit ver-
wandeln, [vielmehr 'verkehren'] auch nicht trägen Sinnes zu
Urlaub und Vergnügen und — Unwissenheit den Namen eines
Tribuns'. Die Anmerk. ziehen wir zusammen. 'Die Erklärung:
Agricola benutzte die Würde eines Tribun und seine Unerfah-
renheit nicht zu Urlaub und Vergnügungen würde dem Schrift-
steller einen Ungedanken aufdringen, wogegen, wenn irgend
ein Alter, Tacitus wohl sicher ist. Ob der leichtsinnige Jüng-
ling neben seinem Range auch Neuheit und Unerfahrenheit im
Dienste zum Vergnügen benutzen wollte, gehörte in den Ge-
danken so wenig hinein, als A.'s noch nicht gereifte Körper-
kraft. — Dieses mit Absicht nachstehende, durch kleine Pause
und scharfe Betonung hervorzuhebende et inscitiam hätte
längst den Sinn des Schriftstellers entwickeln müssen. Ein
ganzer Satz hatte in jenes Wort sich ihm zusammengedrängt.
Nemlich nicht den Zweck , sondern die Folge des Leichtsinns
enthaltend, wodurch A. unwissend geblieben wäre' . Betrach-
ten wirHrn.W.'s Erklärung zuerst. Wir behaupten, dass sie ei-
nen Sinn hervorsucht, den Tacitus Worte einem unbefangenen
Leser unmöglich geben können, ad voluptates et commeatus
und wiederum titulum trib. et inscitiam ist jedes in sich so
rund und abgeschlossen, dass et inscitiam ohne ein erneutes
Ttidtus' Agricola, herausgeg. von Walch. 181
ad dennoch zu volnpl. und commeatus zurückzuziehn, und von
seinem Worte zu trennen nur dem thunlich erscheinen kann,
der sich lange, in Erniangelnn^ eines andern Auswegs, die
Möglichkeit eingeredet hat. Ja betrachten wir die so zusani-
mengewiirfelten Wörter näher, so leuchtet die gänzliche Un-
möglichkeit der vorgeschlagnen Verbindung ein. JVemlich et
vor commeatus ist nicht das einfache, coordinirte Glieder ver-
bindende und^ sondern Urlaub ist eines der vielen Vergnügen,
das als besonders übertrieben beispielsweise durch et der vor-
hergehenden Gattung zugefügt wird. So gebraucht sogar ne-
gativ T. non — nec^ Cap. 19: non ^tudiis privalis^ nee ex com-
mendatione ; wo er unter den mancherlei Privatbemühungen
die so häufig übertriebene Empfehlung auszeichnet. An dieses
erste et nun kann sich ein zweites et^ um ein coordinirtes
Glied dem voluptas zuzufügen , auf keine Weise anreihen, und
kann es um so weniger in einem Satze, in dem ad zuerst einen
Zweck, und dann (nur ergänzt!) einen Erfolg andeuten soll.
Der Ilr. Verf. scheint fast diess selbst gefühlt zu haben, indem
er in der Uebersetzung das specielle Urlaub' dem allgemeinen
'Vergnügung' voranschickt. Allerdings setzen die Lateiner auch
eine einzelne Art der allgemeinen durch et zugefügten Gattung
voraus ; z. B. Agr. 5: Ludi et inania honoris. "^Spiele und son-
stigen Prunk des Ehrenamts'; wiewohl dreigliedrige Sätze viel
häufiger sind ; z. B. Liv. 1 , 54 : Largitionis ijide praedaeque et
dulcedine privati cotnmodi d. h. 'und überhaupt durch Lok-
kung von Privatvortheil'. Allein sollten wir etwa hier die
Worte umstellen, um die Möglichkeit einer Erklärung zu er-
halten , die noch sehr weit von aller W ahrscheinlichkeit ent-
fernt bliebe? Zumal da der jetzige Text einen durchaus ein-
fachen Sinn giebt, eben den , welchen Hr. W. , wir begreifen
nicht recht warum, einen Ungedanken nennt: Agricola be-
nutzte seine Unerfahrenheit nicht etc. Da wir hier nur zwei
Worte haben, so muss das Missverständniss entweder in re-
ferre oder in inscitia liegen, referre heisst nun überhaupt et-
was womit in Zusammenhang bringen, als Mittel wozu gebrau-
chen ; wie die Epicuräer omnia ad voluptatem referunt ; hier
aber ist das Mittel für den Zweck des Vergnügens inscitia^
worüber wir der Kürze wegen auf Gernhard Escurs. ad
Cic. de Senect. verweisen, ohne deshalb alles dort Gesagte
unterschreiben zu wollen. In unserer Stelle ist inscitia das
aus Unkenntniss und Jugend entspringende Unvermögen etwas
zu leisten. Dieses Unvermögen, wie es natürlich die meisten
jungen Tribunen mit ins Feld brachten , gebrauchte nun Agri-
cola nicht als Mittel oder Vorwandt, sieh allen Leistungen als
Soldat und Tribun zu entziehn und träge umlierschweifen zw
können (non segniter retulit ad voluptates et commeatus), noch
seine Tribunenwürde (wie gewöhulicli junge Leute) zu allerlei
182 Römische Litteratur.
ausschweifenden Unbilden (in lasciviara). So entsprechen sich die
Glieder des Satzes ganz genau , und wir erhalten ein treffendes
Gemälde der Sinnes- und Handelsweise der damaligen jungen
Tribunen. Ist hier ein üngedanke ? Oder gehört dieser Ge-
brauch der inscitia nicht zu gegenwärtiger Schilderung*? Der
Vergleich liegt zu nahe , als dass nicht die Anführung eines
früher, vielleicht noch jetzt, unter Studenten üblichen Witzwortes
Entschuldigung finden sollte. Es hiess : Ei, warum sollten wir
nicht, Studenten sind wir, gelernt haben wir nichts. Siehe da,
die Tribunen !
Ibid.: Simulque anxius. 'Brotier aus Vatic. 3429 (und
mit ihm Neuere) simulque et anxius et intentus. Falsch. Was
hiesse denn et simul et a7ixius et intentus. Die Fälle , wo ein
que-et-et steht (unten c. 41.) sind von ganz andrer Art.' Die
Cap. 41 beigebrachten Stellen enthalten meistens dreigliedrige
Sätze durch que-et-et verbunden. Die fanden natürlich hier
keine Anwendung! Wie kann man sich durch Vorurtheile ver-
blenden, selbst in den einfachsten Dingen 1 Q,ue nach der Nega-
tion nihil statt sed gebraucht bezieht sich auf die vorhergehen-
den Sätze zurück, und siimd verbindet zwei durch et -et getheilte
Glieder eines Begriffs zu einem Ganzen. Diess ist nicht nur
an und für sich sehr richtig, sondern auch hier wohl das ein-
zig Wahre; denn die entgegengesetzten Fehler wurden eben
so negativ durch nihil- nihil getrennt, wie hier affirmativ et -et
verbindet, recusare - agere ; iactatio - intentus ; formido - anxius.
Ibid. : intercepti exercitus. ' Heerschaaren niedergemetzelt.'
Hr.W weist mit Recht intersepti zurück. 'Wie hätte Tacitus
diese Reuter, und nicht die Legion ex'ercitus nennen sollen*?'
Ganz recht ; aber ebendesswegen konnte exercitus nicht durch
' Heerschaaren' übersetzt werden ; denn diess Wort bezeichnet
unbestimmte Heerhaufen, exercitus aber und Heer ein Ganzes.
Intercipere' aber sei 'aufreiben', wie venenoinlerceptus stünde
beiAgr.c.43: Scelere Pisonis interceptus (Gerraanicus), Annal.
2, 71 : Neque ob aliud interceptos (Drusura et Germanicum)
quam quia etc., Annal. 2, 82 ohne Substantiv, wie an unsrer
Stelle. — Der Analogie nach wäre allerdings die Bedeutung
tödten in intercipere eben so möglich , wie in interficere und
interimere y aber der Sprachgebrauch hat diesem Worte eine
noch ausgesprochenere Bedeutung gegeben, als jenen beiden;
und die hat Hr. Walch übersehen. Es heisst nemlich durchaus
etwas unterwegs , vor Erreichung eines Ziels in Empfang neh-
men. Dabei ist noch nicht ausgemacht, zu welchem Zwecke.
frumenta et commeatus intercepti werden verspeisst , milites i7i-
tercepti gefangen oder getödtet werden. Letzteres ist hier der
Fall; aber darum fehlt der erste Begriff nicht , denn: Victor
Britannus Cereali adventanti obvius fudit legionem. Das-
«elbe beweisen auch alle von Hrn. W. beigebrachten Stellen. Ue-
Tacitua' Agricola, herausgeg. von Walch. 183
berg:etragen nemlich von eigentlicliem Weg und Ziel auf die
natürliche Lebensdauer heisst inlercipere immer auf unnatür-
liche Weise, oder wenigstens vor der Zeit sterben. Diess gilt
vonAgricola; daher es von ihmCap. 44 heisst: quamquam media
in spalio integrae vüae ereptus ; dasselbe von dem vorzeitigen
und. gewaltsamen Tode des Drusus und Germanicus , wie in An-
nal.2, 71 der Gegensatz deutlich zeigt: Sifato concederem^
— nunc scelere Pisonis interceptus. Noch deutlicher, wo mög-
lich Quintil. X, 1, 121 : Julius Secundus^ si longior contigisset
aetas^ clarissimum profecto nomen oratoris apud posteros foret.
Ceterum interceptus quoque inagnum sibi vindicat locum.
Cap. 6: Ludos et inania honoris. "^Spiele und Eitelkeiten
der Ehre.' Anm.: "^Mit Recht erinnert Vir dung an die ludi ho-
norarii. Inania honoris wie bei Cic. Verr. Act. 6: propotiit in-
aniamihi nobilitatis. Richtig öuchner: quod ex illis nihil verae
dignitatis ac honoris, sed tantum opinio quaedam in raagistra-
tumredit. Dann Annal. I, 7 : Eadem magistratuum vocabula^
Wir gestehen aus diesen Stellen nicht ganz klar über desHrn.Verf.
Meinung werden zu können, ob honor als Ehre oder als Ehrenamt,
magistratus, genommen sei. Doch lässt die folgende Anmerk. kaum
länger zweifeln, die mit Virdung erklärt Spiele zu eitlem Ehrer-
werb.' Wir nehmen Äowor als Ehrenamt, so dass et erweiternd die
Gattung zusammenfasst : Die Spiele und sonstiges äusseres Geprän-
ge des Ehrenamts. Hierauf verweist uns der Gegensatz der wesentl.
Wirksamkeit, die er nicht hatte: nee enira iurisdictio obvenerat.
Ibid.: modo rationis - duxit. 'Wir erklären: Ludis edendis
ita praefuit , (duxit) ut modum haberet , quem ratio praescribe-
ret et facultates ipsius: [so schon früher, doch bedenklieh,
Virdung] kurz: moderationis rationem. Gebot Ueberlegutig
\xiiA Einsicht ., Wesentliches nicht fehlen zu lassen, so unter-
sagte ein zwar reichliches, doch nicht im höchsten Ueberfluss
glänzendes Vermögen, der ausschweifenden Prachtliebe zu hul-
digen.' Wir finden diese Erklärung nicht so einfach, als Hr.
Walch. Denn gewiss wird wohl der unbefangene Blick in
abundantia als Gegensatz von ratio überflüssigen Glanz er-
kennen, also in ratio die Einsicht und Berechnung, durch
leeren Prunk dürfe er seine Vermögensumstände nicht in Un-
ordnung bringen.) Zwischen diesen beiden Betrachtungen
hielt er die Mitte; er gab nicht so wenig, als strenge Rück-
sichtsnahme auf sein Vermögen rieth, noch so viel, als die
herrschende abundantia forderte. Der Hr. Verf. kehrt die Sache
um; dass diess aber nicht angeht, beweist erstlich die weitere
Ausfiihrung und ihre Gegensätze. Y)e.\\n uti longe a luxuria
entspricht in erhöhtereni Begriffe der abundantia; und in ita
famae propior verlangt der elliptische Comparativ propior nicht
die Ergänzung quam luxuriae.^ ^\\{^\ nicht quam abundantiae.,
die beide gar nicht möglich siiid, sondern einzig und allein
184 Römische Litteratur.
quam rationi^ d. h. der genauen Berechnung seines Vermögens'.
Diess allein ist beweisend ; aber wäre dem auch nicht also, so
möchten wir wohl den Beweis sehen, dass modo abundantiae
heissen könne ^ nach Maassgabe seines reichlichen, doch nicht
glänzenden Vermögens' und: 'ratio' billige Riicksicht auf die
Verkehrtheit seiner Zeit ; denn darauf kommt es zuletzt doch
hinaus. In Lipsius Erklärung, mit der die unsrige im Allge-
meinen übereinstimmt, tadeltderHr. Verf., dass er abundantia für
summa abundantia im Begriff von magnificentia fasse. Dem
steht aber gar nichts im Wege, abundans ist, wo alles in reich-
lichem Maasse, ja überreichlich vorhanden ist. Diess kann aber
dem mag7iificuni gerade entsprechen, ja beides kann die digui-
tas Jemandes erfordern, und nach Maassgabe dieser, damals aber
viel zu hoch angeschlagnen, abundantia, die A. mit Recht als luxuria
ansah , richtete sich derselbe , indem er pro ratione rei fami-
liaris davon abzog, was ihm als luxaria erschien. Ganz hieher
passend spricht Cic. Phil. 2 , 27 von Pompeius : muUa et lauta
supellex^ et magnifica multis locis^ non illa quidem luxu-
ria si hominis^ sed tamen abundantis. — Schwer möchte
die Entscheidung über den Sinn des ducere sein, Hr. W. (auch
Hr. Walther in Observatt in Com. Tacit.Spec. alt., wie ich
aus dem Leipziger Repertor. ersehe; denn ich selbst habe das
Werkchen nicht gebrauchen können) nimmt es für edere ludos^
Spiele führen, leiten, wie ducere pompam' Die 3Iöglichkeit
der Erklärung lässt sich nicht läugnen. Aber ist sie wahrschein-
lich? Würde nicht T. das Erkennen eines so ganz ausserge-
wöhnlichen Ausdrucks irgendwie erleichtert, durch ein andres
dem Begriff ducere pompam näher liegendes Wort eingeführt
haben? Nun abersteht das Wort ganz unbeachtet im Satze,
und wird dem Genitiv rationis et abundantiae (duxit) angefügt.
Und wie käme T. in einer so ganz einfachen Erzählung, wie
hier, zu einer, zugegeben, so ausserordentlich kühnen Bezeich-
nung? 'Man denke sich, sagt Hr. W., den in feierlicher Proces-
sion mit seiner Pompa circensis zum Kampfplatz ziehenden Prae-
tor.' Diesen glänzenden Aufzug hätte T. gewiss besser einzu-
führen verstanden, als durch inania honoris. Und konnte wohl
einem Manne wie Tacitus daran liegen , einen Mann wie Agri-
colain dieser von dem gebildeten Römer höchst massig geschätz-
ten Situation zu zeigen? An der Spitze der Pompa circensis?
Wir können uns in diese Ansicht nicht finden. Wohl aber er-
scheint es uns wesentlich zu erfahren, wie A. über diese Prunk-
leistungen gedacht habe. Zwar sagt Hr. W. 'Was gewönne man
für den Sinn, als den schwächlichen Satz: Agricola Äie/i Spiele
etc. Denn nicht die Gesinnung ., sondern die That gab dem
Geschichtschreiber einen kräftigen Gedanken.' Allein die Li-
beralitas war für den Römer und besonders für den römischen
Staatsmann eine so wichtige Tugend , dass Cicero ihr einen be-
Tacltus' Agricola , herausgeg. von Walch. 185
deutenden Abschnitt im 2teiiBaclie de officiis widmete, und sich
namentlich sehr ausführlich über die sumptus liberales ausliess.
üesswegen war, wieA. über diesen wichtigen Punkt dachte, lür
den verehrenden Tacitus die Hauptsaclie, was er gethan dage-
gen, nur geringfügig; wiewohl er freilich dessen Meinung nicht
wi'irde aufgeführt haben, wenn er sie nicht praktisch bewährt
Iiätte. Darum sind wir geneigter, die Stelle, so zu nehmen:
Spiele und sonstige Eitelkeiten seines Amtes schätzte er nach
demMaasse berechnender Einsicht und reichlicher Darbringung
ab ; zwar weit entfernt von übertriebner Pracht, doch dem Hufe
sich mehr hinneigend. Zu diesem Gebrauche von dticere gab
;a<ww«s Veranlassung und Farbe und die Ausdrücke beleuchten
sich gegenseitig. Diess meinte auch wohl Ernesti in seiner
nicht ganz deutlichen Auseinandersetzung, die Hr. W. so unzu-
lässlich findet.
Ibid. : Fecit^ ne cuiiis sacrüegium P. R. sensisset. "^dass
der Staat keines Tempelraub empfand,' Ueber sensisset , das
die Uebersetzung nicht genau wiedergiebt, hätte man eine An-
merkung erwartet. Es ist dazu ein Nachsatz mit si und dem
Plusqüamperf. zu ergänzen, den Tacitus lieber dem Leser i'iber-
lassen mochte. Es ist wohl aus dem sensisset mehr als wahr-
scheinlich, dass die res conquisitae gar bald von dem begehr-
lichen T. Vinius und sonst wie zersplittert wurden, und dass
T. sich nicht berufen fülilte, dieses deutlicher, als durch
das elliptische sensisset zu erkennen zu geben.
Cap. 8 : Peritum obsequi. "^ Kundig, Folge zu leisten.' Da-
durch wird der Begriff sehr unvollständig wiedergegeben ; au-
sser dem allgemeinen Nachgeben heisst obsequi häufig, wie hier,
sich und seine Meinung, selbst mehr als Einsicht und Recht for-
dern, aus Bescheidenheit und Ehrfurcht ^^g^n Höhere unter-
ordnen. So des Tarquinius Priscus einschmeichelndes obse-
quiura bei Livius. Sogar gegen die Götter j bei Grat. Cy-
neg. 456:
Sed cui bona pectore mens est,
Ofrse^m'furque deo , deus illam molliter aram Lambit etc.
wenn die Stelle nicht verdorben ist, wie die alte Ausgabe Barths
und die Gryphiana wahrscheinlich machen, und die sehr unbe-
hülfliche Wortfügung. Gleich in unserm Capitel ist eine andre
Stelle': ita virtute in obsequendo^verecundia in praedicando^ de-
ren Uebersetzung nocli weniger ausreicht. 'Tüchtig im Folge-
leisten; bescheiden im Rühmen.' Denn die beiden Ablative in
obsequendo und in praedicando drücken ein verschiednes Ver-
hältniss aus, wie öfters bei T., doch seltner mit der Präposi-
tion ; jenes in ist während , dieses in Rücksicht auf: Seine mi-
litärische Tüchtigkeit , während er sicli doch unterordnete in
186 Komis c h eLitteratur.
der üeberweisung des glücklichen Ausgangs an die Fortuna
(die auspicia derRep.) des Feldherrn, verlieh ihm Ruhm; seine
Bescheidenheit in Rücksicht ruhmrediger Aeusserung bewahrte
ihn vor Neid.
Ibid.: Habuerunt virtutes spatium exemplorum. 'Seine
Thatkraft öflFnete sich Bahn zu Beispielen.' Ist dunkel und die
Anmerkung klärt nicht auf. Doch lässt die Aeusserung: Xip-
sius Aenderung spatium et exemplum^ dem Sinne nach gut,
wäre unnöthig' , und die Uebersetzung schliessen, dass der Hr.>
Verf. es so verstand, als wenn Agricola auf dem gegebnen Rau-.
rae Beispiele hätte aufstellen können. Allein diess widerspricht
dem eben gerühmten obsequium und des A. Stellung imd Alter;..
Vielmehr giebt Lipsius Aenderung denselben Sinn, nur für
uns einleuchtender, als Glossem des Genitivs. exemplum steht
wie oft statt des Mannes, der zum Muster dient, spatium aber'
ist das Stadium, auf dem A. mit jenem Muster Wettrennen konn-
te, und diess Stadium wird ganz lateinisch das Eigenthum des-
sen genannt, der ihm den Wettkampf eröffnete, des Cerealis.
Ibid.: atteri soräidum arbitrahatm\ \\\ unterliegen achtete
er für schmutzig.' Die Anm. stimmt E r n e s t i bei ; atteri', vinci
et iacturam facere dignitatis. Es erinnere an i/laööoüöO'at —
Aber die Bedeutung des Unterliegens ist wohl nur dem Gegen-
satze f2«ce;e zu Liebe angenommen; denn wenngleich atterere
vires, oder stärker terere und deterere^ Jemandes Kraft schwä-
chen und seine Macht (auch durch Sieg) beschränken heisst,
so kann wohl diess nur zufällige Mittel Sieg nicht die Haupt-
bedeutung verdrängen, zumal in einem Zusammenhange, wo
von Beschränkung der Macht durch Unterliegen gar nicht die
Rede sein kann; auch wäre eine solche Niederlage nicht schmu-
tzig, sondern schmählich und lächerlich, atteri ist nichts
mehr und nichts weniger als nQOSTQißsG&ai, in welchem eben
so die Bedeutung unanständiger und schmutziger Sitte liegt;
und et heisst hier wiederum 'überhaupt.' Einen Procurator
zu besiegen hielt er theils für unrühmlich , theils überhaupt
sich mit ihnen zu bemengen , tief unter seiner Würde.
Cap. 9: Fama haud semper errat, aliquando et elegit.
'Der Sinn neigt sich zu einem allgemeinen Ausspruch; also:
Oft trift der Ruhm das Wahre.' Die Bemerkung ifet ohneZwei-
fel richtig; aber es kann doch nicht anders als auffallen, dass
T. zwei unmittelbar neben einander stehende Glieder eines
allgemeinen Ausspruchs durch verschiedne Zeiten, errat - elegit,
hat geben wollen; und man vernähme gern den Grund. Dieser
liegt schon in semper und aliquando angedeutet. Der erste
Theil ist ein völlig allgemeiner Gedanke , daher errat ; der
zweite sollte auf die wirklich faktische Vergangenheit zu-
gleich hinweisen, daher wählte er für diesen das Perfectura
praesens, das gleichwohl nicht aufhört Theil eines allgemeinen
TacUus' Agricola, herausgeg. vonWalch. 187
Satzes zusein, und das wir uns nicht scheuen dürfen durch
unser Perfectum wieder zu geben , was Hr. W. verbietet.
Cap. 10: eloqiientia percoluere. 'mit Beredsamkeit ge-
schmückt.' ' Die Neigung zu unterhalten mochte Veranlassung
sein, dass manches — mit allem Glanz der Beredsamkeit ver-
schönt in ihre Erzählung einfloss. Wie oft, lässt T. mehr er-
rathen als er sagt.' Hier wenigstens, wie uns dünkt, konnte
die Sache, wenn er nicht beleidigend sprechen wollte, kaum
deutlicher benannt werden. Zwar giebt die Erklärung den
Sinn von percoluere genauer, als die Uebersetzung ; doch
noch nicht mit befriedigender Schärfe, oratio culta ist schon
an und für sich der dritte und höchste Grad geschmückter Rede;
da nun hier percoluere nicht eiinen übermässigen also fehler-
haften Schmuck bedeuten kann, so beschreibt es deutlich jene
alles Lückenhafte der Kcnnims^ über glätteiide7i Phrasen, wel-
che sich seine Vorgänger erlaubt hatten. Und sollte dennoch
vielleicht ein Zweifel übrig bleiben, so räumt ihn rerum fide
tradentur gänzlich weg : Wie die Sachen wirklich sind, nicht
wie sie sich gut lesen lassen. ^Beglaubigt' übersetzt esHr. W. ;
nicht treffend; wir würden dadurch jene bloss schön gesagten
Dinge nun auch bestätigt oder bewiesen erhalten.
Ibid.: hiems abdehat. 'der Winter umschloss.' Warum wm-
schlossl Die Anm. (die zu vergleichen) bringt auf die Ver-
muthung, dassHr. W. zuerst üppetierat (oder appete bat?) habe
lesen wollen. Hactenus würden wir aber nicht mit dem Hrn.
Verf. als Zeitbegriff nehmen, sondern auf dispecta beziehen:
Ein scharfes Auge erblickte selbst Thule , welches bis soweit,
d. h. bis auf diesen unbestimmten Umriss nur einem scharfen
Auge wahrnehmbar, Schnee und Wintersturra verbarg. Ibid. :
Ne ventis quidem proinde atlolli. Man ist nicht gezwungen,
mit dem Hrn. Verf. proinde für perinde anzunehmen. Ergänzt
man 'als andre Meere', so stünde es allerdings statt non perinde
atque alia maria, oder per omnia maria maiores fluctus. Ver-
steht man aber , was näher liegt , ventis^ so ist proinde ganz
eigentlich gebraucht: ßuctus non turgent pro ventis^ nicht im
Verhältniss zur Heftigkeit der Winde. Eben so German. 5:
(^Auri) possessione et usu non proinde afficiuntur ^ i. e. pro auri
pretio ; wollte man dagegen ergänzen , quam pleraeque gentes,
so stund' es freilich auch hier für perinde. Nicht anders bei
Lucret. 3, 1066: Si homines possefit cognoscere^ proinde ac
sentire videntur: Si pro simulata prudentia saperent. Das-
selbe gilt von unzähligen Stellen, wo man Verwechselung bei-
der Partikeln annimmt. Perinde ist ein Vergleich von wo aus
durch oder über einen grösserji oder kleinern Raum hin sich
ausbreitend, proinde der Vergleich zwischen Ursach und ent-
sprechender oder nicht entsprechender Folge.
Ibid.: mtiltttm fluminum huc atque illuc ferri erklärt der
188 Rüniische Litteratur.
Hr. Verf. von Meeresströmungen. Allein da vor- und nachher
von der Natur der Ebbe und Fluth an Schottlands Küsten ge-
sprochen wird, so können wir der Annahme nicht beitreten.
Der Hr. Verf. hringt p. 3«1 selbst die Stelle aus Mela III , 6
hei, die der unsern ganz ähnlich lautend von derselben Natur-
erscheinung zu Terstehn ist. Wiewohl sie auch dort so eigen-
thiimlichen Zusammenhang hat, dass man glauben muss, Mela
selbst habe nicht das Rechte gedacht: Fert nemora^ lacus
ac praegrandia ßu7nina ^ alternis niotibus modo iiifelagus^ modo
retro fluentia etc. Hier wo von der vordringenden Ebbe und
der zuriickweichenden Fluth die Rede war, konnte T. die Rich-
tung durch die nnhestimmten AusdrVicke huc atque illuc hezeich-
nen ohne Furcht vor Älissdeutung. Wir wissen, dass noch jetzt
die Fluth der aestuaries Schottlands mit solchem Ungestüm
hereinbricht , that wellraounted horsemen lay aside hopes of
safety , if they see its wliite surge advancing, while they are
yet a distance from the bank.
Ibid.: iugis etiani atque montibus inseri^ velut in suo.
'Dringe in Gebirge sogar und Höhen ein, wie — in die Seinen.'
Diess erklären dieAnmerk.: wie in dieThäler, Schluchten, Ber-
ge, Gebirge auf dem Meeresboden. Die Stelle ist eine von
den vielen, die ganz einfach, wenn wir sie einmal, von andern
verwirrt, mit befangenem Auge ansehn, in die wunderlichsten
Irrgänge lockt. Es ist einzig und allein , wie an so unzähligen
Orten das der Sprache fehlende Participium ens zuzudenken:
Eines möchte ich zufügen ; dass nirgends das Meer unumschränk-
ter gebiete, viele Ströme hiehin und dorthin treibe, und nicht
bis zu dem Ufer allein anwachse und zurückgeschlürft werde,
sondern auch gänzlich hinein- und umfliesse, ja in Gebirgskäm-
me sogar und Berge eindringe, wie in seinem Eigenthum schaltend.
Cap. 12: naturam margantis deesse, quam nobis avarüiam.
'Ich möchte lieber glauben, Perlen mangle diese Beschaffen-
heit , als tins — Habsucht.' " Man denkt , quae margaritis est
in rubro mari. Natura für das Princip , Natur von uns genannt,
zu nehmen, welches stiefmütterlich die brit. Perlen behandelte,
würde deesse m doppelter Bedeutung setzen ; für T.'s Stil nicht
unpassend ; will sich hier aber nicht empfehlen.' Wäre hier die
Beschaffenheit oriental. Perlen gemeint, (die übrigens im Text
nicht einmal namentlich genannt ist,) so konnte das vieldeutige
natura bei so lockerer Beziehung nicht ohne einen Satz , wie
ihn Hr. W. zudenkt, oder wenigstens nicht ohne Pronomen ge-
setzt werden. Daher ist Natura allerdings die schaffende Na-
tur und defuit^ sie hat es an etwas fehlen lassen. Dadurch
wird jedoch deesse so wenig in doppelter Bedeutung gesetzt,
dass avarüiam nobis deesse gar nichts anders heissen kann, als:
unsre Habsucht habe es an etwas fehlen lassen , nemlich am
Versuch aller Mittel, jene minder beliebte Bleifarbe den Perlen
Tacitus' Agricola, herausgeg. von Walch. 189
zu nehmen. Dicss bezeugt ausser manchem Andern der aus-
drücklich vorherg^elicnde Gegensatz mit abesse: Quidam arlem
abesse legentihis arbilrantur.
Cap. 20. Wir haben bis jetzt uns, nach den vorangesand-
ten allgemeinen Bemerkungen iiber den Ton des Hrn. W., aller
Bitterkeit sehr geflissentlich enthalten; Menn wir es in den näch-
sten Ausstellungen vielleicht nicht immer können, so bitten wir
im Voraus um Nachsicht; uns überwältigt derUnmuth. — Wohl
nur Vorliebe fürRhenanus und dessen Verbesserungen, oder
Eigensinn gegen neuere Ansichten verleitet den Hrn. Verf. jenes
Mannes Conjcctur militiim in agmine vorzuziehn, und um
die Auctorität der Codd. zu vermindern , gegen sein besseres
Wissen mancherlei Irrthümliches aufzustellen. Zuerst läugnet
er tnultus in agmine wäre lateinisch. Ich sage, ganz g^^ew bes-
seres Wissen; denn da nacn Hrn. W. Zugeben, — und wie ist es
anders möglich — multum esse in agmine lateinisch ist, wie
wird doch auf einmal, sobald esse in der Participialconstruction
oder einem elliptischen Satze wegfällt, die Phrase Unlatein?
Ferner wird behauptet, es wäre diese Bezeichnung ' multum esse
in agmine' wenigstens überflüssig bei einem Feldherrn, 'der
fortwährend in oder Äe^m Heere war.' Als wenn Hr. W. nicht
wüsste, dass in agmine nicht lieisst, beim Heere ^ sondern
mit dem Heere auf dein Marsche beschäftigt. Und hier viel-
fach thätig zu sein, war nichts weniger als überflüssig. Denn
erstlich suchte natürlicli A. von vorn herein dem Heere eine
Vorstellung von der nun überall andersgewordenen Disciplin
fühlbar zu machen; nicht erst, wenn er vor den Feind kam.
Daher begann er gleich, so wie das Heer sich zusammengezogen,
beim Ausrücken. Und zweitens verdiente diese Maassregel um
so eher genannt zu werden, weil auf dem Marsche selbst von
strengern Feldherrn manches übersehn wird. Daher ist multus
in agmine ; laudare modestiam die unbezweifelt richtige Lesart,
welche auch Rhenanus würde unangetastet gelassen haben.
Aber sehr gern geben wir zu, dass, was Rhenanus vorfand:
multum laudare ein sehr überflüssiger Zusatz wäre; und
darum corrigirte es derselbe mit Recht; auch lag militum sehr
nahe; denn contracto eccercitu multum in agmine laudare mo-
destiam gab einen anstössig allgemeinen Satz. Gleichwohl war
militum nicht richtig. Denn wie käme dieser ganz unbedeutende
Genitiv an die Spitze eines Satzes, der rerscA/erfweDisciplinmittel
beschreibend aufzählt 'i Er könnte sich nur rechtfertigen durch ei-
nen Gegensatz wie Officiere,Tross u.a.m. Davon aber findet sich
nichts. Denn i/ise im Folgenden bildet keinen Gegensatz für mili-
tiim; multus in agmine aber ist ein allgemeiner Satz, der in zwei
Unterabtheilungen zerfällt : modestiam— disjectos. Endlich in dem
Satz selbst (agmine), in dem nächst vorhergehenden exercitus^
dem disjectos ist hinlänglich gesorgt, dass hier nicht mehr
190 Römische Litteratur.
(was Hr. W. noch fürchten will,) "^von philosophischen Kernsprü-
chen' im Allgemeinen die Rede sei.
Ibid. Die schwere Stelle: Qm'bus rebus — illacessita tran-
sierit^ wird sehr umständlich besprochen, doch schwerlich
genügend corrigirt und erklärt. Wir müssen hier gegen unsre
bisherige Weise auch einige Widerlegungen berühren, da sie
gegen theilweise von uns gebilligte Erklärungen gerichtet sind.
'Die Verbesserung, sagt Hr. W., ut nulla — pais magis illaces-
sita manserit lässt eben so unbestimmt, als historisch uube-
gründet, auf wen das unbefehdet gehe, ob auf die Britannen
oder auf die Römer.' Wird wohl Jemand in dem Satze : Die
eroberten Provinzen wurden so wohl durch Kastelle geschützt,
dass kein Theil je unangefochtuer blieb, die Frage aufwerfen:
unangefochten von Wem? Und historische Begründung wird
verlangt! Diesen Einwand scheint sich Hr. W. so angewöhnt zu
haben, dass er ihm in Ermanglung eines Bessern sogleich auf
die Zunge tritt. Ist nicht bekannt genug, dass die Britannen
frülier keine Gelegenheit, keinen Winter vorüberliessen, ohne
Freiheitsversuch*? Und dass diess jetzt nicht der Fall war, er-
fahren wir ja eben hier! und zwar als etwas ganz Unerhörtes;
ja recht ausführlich im nächsten Capitel, im nächsten Satze
selbst : Sequens hiems saluberrimis consiliis absmnpta. — (Cap.
22.) Itaque intrepida ibi hiems ^ et sibi qiiisque praesidio —
irritis hostibus eoque desperantibus ^ quia — tum aestate atque
hieme juxta pellebaiitur. Man wird versucht, Hrn.W. auf seine
eignen Worte p. 281 zu verweisen. 'Dem überall im Grossen
und Allgemeinen erzählenden Historiker möchten wissbegierige
Leser gern (nach heutigem Bedürfniss) im Einzelnen folgen,
um wo möglich mit arithmetischer Genauigkeit über Umfang
und Grösse der Ereignisse dieses Sommers nach Tag und Stun-
de in voller Zuversicht abzuurtheilen.' Auch in Ernestis Vor-
schlag: ut nulla pars — SIC illacessita transierit findet Hr. W.
die Annahme, A. habe die in friedliche Verhältnisse eben mit
den Römern gekommenen Völker mit Schanzen umringt, an sich
unwahrscheinlich, und müsste des Beispiels wegen doch auf
etwas Historisches sich gründen. Dies aber bleibe Ernesti
schuldig. Den Beweis wollen wir auf unbezweifelte Auctori-
tät gründen: 'Immer durchstreiften die Römer erst das Land,
und suchten durch gelegte Schanzen es in Besitz zu nehmen.'
Tacitus' Agricola durch G. L. Walch. p. 300. Ibid. p. 313: 'Es
ist bekannt, wie vorsichtig die Römer beim Eindringen durch
Schanzen den Besitz zu erhalten suchten.' [verkürzt.] Hier aber
ist von neuen Bundesgenossen die Rede*? Kann Ernesti oder
Tacitus etwas dazu , dass Hr. W. ihnen diesen Gedanken unter-
legt, und dann einen Beweis vermisst, den sie nicht nöthig hat-
ten zuführen*? Wo hat Hr. W. den historischen Erweis , dass
hier Bundesgenossea erworben wurden ? Denn die wirklich an-
Tacitus' Agricola , heraiisgeg-. von Walch. 191
geführten Stellen Liv. 34, 57 und 28, 34 beweisen nichts. —
Der Haupteiawurf aber gegen alle bisherigen Erklärungen ist
dieser. "^Terrere und pacis irritamenta ostentare, oder dieses
tapfere und zugleich milde Betragen bewirkte^ viele von Britan-
niens Stämmen — lieferten Geissein, bewirkte^ sie wurden
mit Schanzen umschlossen. Wer glauben wollte, T. habe so
antilogisch das Unischliessen mit Burgen als Folge von A.'s
mannliaftem und menschenfreundlichem Betragen aussprechen
wollen, für den möchte bei Tacitus Vieles — nicht ausgespro-
chen sein.' Sehr wohl. Aber wird uns denn hier A. als mann-
haft und menschenfreundlich beschrieben'? Es wäre wenigstens
ein sehr befremdliches Mittel letztere Eigenschaft durch 'pacis
irritamenta ostentare' an den Tag zu legen. Hr. W. sieht, weil er
mühseelig sucht , was nicht ist. T. schildert uns hier nur den
grossen Feldherrn im raschen Fortschreiten und bedachtsamen
Sichern, wodurch ihm gelang, was Keinem vor ihm, 1) durch
wechselndes Schrecken und Locken viele noch nie besiegte
Völkerstämme (wie wilde Thiere) zu zähmen (iram posuere) ;
2) diese so gewonnenen Stämme so wohl zu sichern, dass nie
ein erworbenes Land unangefochtener zu den Römern überging.
Ist hierin etwas antilogisch*? Denn wer wollte T. aufbürden, er
habe quibus rebus (terrere et pacis. irrit. ostent.) auch ani prae-
sidiis circumdatae bezogen? Et giebt das weitere Verfahren
A.'s nach der Eroberung mit ausgelassnem sunt. Hören wir jetzt
Hrn. W's. eigene Lesung und Paraphrase : Quibus rebus multae
civitates — ira7n posuere: QUAE praesidiis castellisque cir-
cumdatae (tanta ratione ET cur a^ QUANTA nulla ante nova
Britanniae pars,) ILLACESSITAE TRANSIERUNT. 'Dies
milde und tapfere Betragen A.'s hatte zur Folge, viele von Bri-
tanniens Stämmen, welche mit Nachdruck bisher widerstanden,
legten von selbst die Waffen nieder, wurden unabhängige Bun-
desgenossen: (hatte zur Folge) auch Schwächere mit Burgen
Umschlossene (und zwar mit so viel Einsicht, wie zuvor kein
neuumfasstes Volk Britanniens) wurden , ohne gereizt werden
zu dürfen, römische Bundesgenossen.' Der Gegensatz 'Schwä-
chere mit Burgen Umschlossene' wird hauptsächlich dadurch
geschaffen (aus Nichts) dass behauptet wird : 'Schanzen anzu-
legen sei nur da möglich, wo der Feind — in Schlupfwinkel
und Wälder und Sümpfe sich zurückzieht.' Wir wollen weder
dazn etwas bemerken, noch zu manchem Andern, sondern nur
darüber Aufklärung bitten, wie von Jemand, der schwach vor
dem mächtigen Feinde in Sümpfe und Wälder fliehend , dann
mit Burgen rings umgeben, gleichsam umgarnt und wehrlos
gemacht, und dadurch zur letzten Nothwendigkeit der Erge-
bung in die Gewalt des Siegers gezwungen ist, wie, fragen
wir, von diesem Tacitus habe sagen können: illacessitae tran-
aierunt. In der That , ein solcher Satz wäre die bitterste Iro-
192 Römische Litteratur.
f
nie entweder von oder mif Tacitus. Wir selbst finden den Satz,
wie ihn die Ausgaben lesen, wenn man mit allen alten Edd. et
vor tantaratione streicht, ganz richtig: Qiiibus rebus — iram
posuere, et praesidiis castellisque circuradatae tanta ratione
curaque, ut nulla ante Br. nova pars illacessita transierit. Durch
diese Mittel legten viele Völker, welche bisher unbeugsam ent-
gegenstanden, Geissein liefernd ihren Zorn, und wurden so
einsichtsvoll und sorglich mit Schanzen und Burgen umgeben,
dass kein neuer Theil Br. früher unangefochten iibergegangen
war. Wollte man mit Ernesti szc illac, sounangef. , lesen, so
erhielte man denselben Sinn geschwächt. Denn ohne Verglei-
chungspartikel wird alle friihere Beschiitzung neu erworbener
Provinzen Viberhaupt als unzulänglich bezeichnet. Da nun aber
gleichwohl hier eine Vergleichung angestellt wird , so drückt
der unerwartet allgemein eintretende Satz das Missverhältniss
ungleich stärker aus. Ausserdem ist bekannt , dass der Cora-
parativ, wenn er schon im ganzen Satze angedeutet ist, wie
hier in tanta ^ oft ausgelassen wird. So nahm gewiss Lipsius
die Stelle, und ging still über sie hin.
Cap. 22 wird, wie in früheren Ausgaben, unbequem inter-
pungirt: Periti — legisse^ nullum — desertiim. Crebrae etc.
Allein das ürtheil der Kundigen kann sich nur auf fion alium
— legisse beziehen. Die folgenden Sätze Nullum etc. beschrei-
ben den Erfolg jenes klugen Benehmens , wovon crebrae irru-
ptiones e\n.'Y\\^\{ %mA. Daher ist richtiger: legisse. Nullum —
desertum; crebrae etc.
Cap. 24. Indem Hr. W. Rh enanus Lesart diff'e?'u?it. Me-
lius annimmt, und die derlldschrr. und neueren Ausleger differt
hl melius verwirft, verwickelt ihn wieder die eigensinnige Ge-
ringschätzung seiner Zeitgenossen in schlimme Fallstricke, unde
pedem proferre vetat pudor aut operis lex. Zuerst kann Hr. W.
die grammatische Richtigkeit des Singul. dijfert nicht läugnen.
Doch, sagt er, sollten Ausnahmen die Grundregeln nie erschüt-
tern. Gewiss nicht. Doch ebensowenig soll eine Grundregel
zu willkührlicherAenderung dawider laufender Ausnahmen ver-
führen, umso weniger, wenn die Abweichung, wie hier, all-
gemeinanerkannt, und von allen Schrifstellern zugelassen ist.
Und gar nicht, wenn, wie wiederum liier, Gründe da sind, die
für sie sprechen. Die röm. Dichter hatten schon längst gern
das Verbum dem letzten Substantiv im Singular zugefügt , wo-
durch die Sprache nähere Beziehung und grössere Lebendig-
keit gewinnt; Tacitus Zeitalter aber hatte, nach dem gewöhn-
lichem Verlauf der Sprachen, unter andren Redeweisen auch
diese auf die Prosa übergetragen. Soll man nun dergleichen
Eigenthi'iralichkeiten des Zeitalters willkührlich verwisclien?
Also könnte man. ganz richtig mit den alten Ausgaben lesen:
differt. in melius. Für die andere Abtheilung cultus differt in
Tacitua' Agricola , herausgcg. von Walch. 193
melius verlangt JJr,\y. historische Begründung! Wir kennen die
alte Parade! Sic ist wohl unterhaltend; aber verdriesslich ist»
doch auch, aiil' alle iiiinVitzen Fragen antworten zu müssen. Und
diese ist so unuiifz als möglich. Denn erstens, wenn Ilr. W.
non mnltum diffenint für lüstorisch begründet annimmt, wie er
thut, wie in alier Welt ist non differunt in melius es nicht*? Wo
ein geringer Unterschied ül)erhaupt ist, ist er doch wohl zum
Bessern wie zum Schlechteren gering? Ferner: '^Wie wäre ein
so unbestimmtes, auf Treu und Glauben liiiigestelltes Urtheil
[nemlich: diffcrunt in melius] in der Weise eines Scliriftstellers,
der nie selbst urtlieilt, ohne dem Leser das Urtheil zu begrün-
den'?' sagt Ilr. W. Und was sollen wir dazu sagen'? Doch wohl,
diess sei eine ganz leere und nichtige Redensart. Denn wo ist
denn non mnltinn diffenint begründet'? Nirgends; gar nicht.
Ja was mehr ist ; es konnte nicht begründet werden ; denn es
ist falsch. Der Unterschied des Klimas, des Landes, der Men-
schen ist keineswegs so gering, und wie noch jetzt, wird schon
damals über Irland und Schottland geurtheilt; diess lehrt ein
Blick in die Geographen und Ossian. Auch der Cliaracter der
Iren w ird anders beschrieben. Aber der Ausspruch no7i mul-
tum differuut in melius kann selir wohl, wie hier der Fall ist,
einen ganz bedeutenden Unterschied annehmen, und nur läng
MQn^ dass er zum Vortheil des einen Tlieils ausfalle. Nur diess
konnte T. behaupten; und gerade diess Urtheil hat T. in unsrem
Capitel begründet, so weit wenigstens, als es der gegenwärtige
Zweck, A.'s Absichten auf Irland, erheischte. Denn mit einer
Legion und massigen Ilülfstruppen getraute sich A. das Land
zu nehmen und zu behaupten. Er hielt sie also für nicht so
tapfer, als die Britannen. Aber differre in melius ist nicht la-
teiniscli, sagt Ilr. W. Auch diess kennen wfr; und Hr. W. wei^s
es selbst wieder besser. Man vergleiche seine eignen Beispiele.
Und ohne alle Beispiele , bedenke man bei dem Streben dieses
Zeitalters nach möglichster Kürze den ganz ungemein erwei-
terten Gebrauch der Präp. in mit dem Accus., und frage sich
selbst, ob T. den Begriff "^sich zu seinem Vortheile unterschei-
den anders geben konnte, als 'differre in me/ius.' Jedoch Ilr.
W. zieht melius zum zweiten Satze. Wir fragen zuerst: War-
um nicht mit den Codd. In ?nelius cogniti'} Diess übergeht er
ganz, und behauptet nur non mulium diffenint verlange "^einen
kräftigen Gegensatz,' Weswegen, sieht man nicht ein. Sei
es! Der Gegensatz ist: ^Besser (als von Britannien) kennt
man A7ifuhrlen und Häfen! Welch ein Gegensatz ! Land und
Bewohner sind wenig verschieden; besser kennt man die An-
führten! Hätte nicht gerade dieser höchst unpassende Sinn
durch das an die Spitze gestellte melius jeden Unbefangenen
überzeugt, es könne unmöglich hiehergehören? Aber es hat
eine '^historische Beziehung; theils auf Caesars fruchtlose Ver-
Jahrb.f. Phil. u. Pädag. Jahrg. lil, fleftü. ^g
1^4 Rüraisclie LItteratur.
suche von Britanniens Häfen Kunde einzuziehen; theils auf Agri-
cola selbst.' Was hat aber Caesar und seine Versuche mit der
jetzigen Zeit und AgricolasKenntniss2u schaffen? Oder wodurch
würde der Leser an jenes Mannes Kenntniss von Britannien er-
innert'? Auf Agricola passt eben so wenig: besser kannte er
die Anführten durch Kaiifleute. Denn der nächst folgende Satz
berichtet: Agricola habe einen Irischen Fürsten zum Zweck
eines gelegentlichen Einfalls bei sich behalten. Von wem wird
er nun bessere Kenntniss der Anführten gesucht haben; von
unzuverlässigen Kaufleuten, oder von diesem regulus', den mit
ihm geraeinsames Interesse verband? Daher kann hier ein ganz
allgejueiner Satz — "^aditus per commercia cogniti' — allein richtig
stehn, und die ganze Stelle heisst ohne Zweifel: — cultusque
— Jiaud mullum a Bi\ differt in melius. Aditus etc.
Cap. 27 wird constuutia et fama durch fama constans er-
klärt. Nicht richtig. Der Begriff eines daurenden, gleich-
bleibenden, überall hin verbreiteten Rufs kann hier gar nicht
gemeint sein, wo die unmittelbare Folge des Sieges geschildert
wird , Siegestrunkenheit und Selbstvertraun. Dagegen die
grosse Beharrlichkeit, womit die schwächste Legion, überfallen,
zur Nacht, mit jedem Nachtheil kämpfend, dennoch mit der
ganzen feindlichen Armee ausdauernd gestritten und endlich
gesiegt hatte, war das grösste Verdienst, das der Soldat sich
zuschreiben und zu Erhöhung seines Muthes gegen einen ge-
fürchteten Feind gebrauchen konnte. Und diese aus den Um-
ständen des Kampfes treffend entlehnte Mahlerei würde Nie-
mand, selbst wenn eine constans fama möglich wäre, gegen
diese vertauschen mögen. Ueber die Richtigkeit des victoriae
constanlia wird hoffentlich Niemand Zweifei erheben, und am
wenigsten, wer sich erinnert, dass victoria nicht nur den da-
von getragenen Sieg, sondern auch dieHandlung des Siegens be-
deute (wie umgekehrt vincere auch Sieger sein). So gleich
am Ende des Cap. 26: Nisi silvae fugieiites tesissent., debella-
tuvi illa victoria foret. Denn nicht der schon davongetragene
Sieg hätte leicht den Krieg beendigt, sondern ein fortgesetztes
Siegen über den flüchtigen Feind, hätten ihn nicht die Wälder
gedeckt.
Cap, 28. Rh en an US Lesart: viox hac aique illa rapti^
so passend sie an und für sich ist, entfernt sich doch zu frei
von der Schreibung der Codd. mox ad aquani atque ut illa raptis
oder rapti. Vergleicht man mit diesen Wörterfragmenten des
DioCassius Nachricht: agtö ts xv^a ncclo äve^uog autovg e(psQSj
so wird uns wenigstens sehr wahrscheinlich, jene Worte ent-
hielten: mos ab aqua atque vi procellarutn acti.
Cap. 30 : recessus ipse ac sinus. " Uns schützte Tiefe und
Busen unseres Rufs bis zum heutigen Tage.' Hr. W. versteht
unter recessus et sinus famae ' Glanz und Macht des Rufs', und
Tacitus' Agricola , herausgeg. von Walch. 195
indem er ausgeht von fnma crescit eundo^ behauptet er, je ent-
legner der Gegenstand der Fama, desto grösser sei ihre Kraft
an Intensio?i; diese uäre durcli recessus ausgedrückt. Docli
ein so entfernter und intensiv staiker Ruf sei darum noch kein
extensiv ausgebreiteter; diese PJxtension gäbe am zweckmässig-
stensz/ms, und dieser grosse Ruf der Tapferkeit habe sie bis da-
hin gescinitzt. Diese Ilerleitung aber und Erklärung hat wolil
bloss das Ausserordentliclie für sich, und verlaugt im Einzelnen
keine Widerlegung. IIi\W. , der so oft bemerkt, dass bei T.
kein Wort dürfe übersehen werden , übersieht liier ipse (nos
terrarum extiemos recessus ipse etc.). Wir sind die fernsten,
und eben diese Entfernung hat uns beschützt. Diese Entfernung
nun, die nur durch Hörensagen mit den Römern in Berührung
bringen konnte, wird durch /«/««e recessus näher bestimmt.
In diesem einfachen Fortschi*itte des Gedankens liegt keine Er-
"wähnung des Ruhras. Wie käme auch Calgacus in dieser Abge-
schiedenheit darauf, seinen Leuten einen so unermesslichenRuf
beizulegen'? Und thäte er es, warum besteht der grössteTheil
der Rede in dem Beweise der unumgänglichen liriegsnothwen-
digkeit? Er wäre gänzlich zwecklos. Dagegen führt auf
unsern Gedanken Cap. 31 zurück: "^Et longincjuitas et secretum
ipsum quo tutius ^ eo suspectius.' Jenes ist recessus und sinus,
das suspectu7n^i tiz\Q\\i sich auf die Furcht, dass dort die Feinde
der Knechtschaft sein möchten. Es ist die Furcht des Tyran-
nen , nicht die Furcht seines Siege suchenden Kriegers. Bloss
auf Entfernung führt auch an unsrer Stelle die Fortsetzung:
Jmn terminus patet. Offenbar : Nun ist die Entfernung aufge-
hoben. Nach Hrn. W. 's Erklärung würde etwa folgen: Jetzt
wagen die Tollkühnen sich selbst an uns. (Die früher erwähn-
ten priores pugnae haben folgenden Zusammenhang: Andre
konnten sich auf uns verlassen, besiegt in noch freie Gegenden
entrinnen. Darum fochten sie nicht mit ganzer Kraft. Wir
haben hinter uns das Meer, vor uns die feindlicheren Römei-.)
Ist diese Erklärung richtig, so folgt, dass Hr. W. Atqui omne
ignotum etc. nicht richtig nimmt: "^ Bisher schützte uns unser
Ruf. Jetzt aber ist das Ende Britanniens dem Blick unsrer
Feinde geöffnet: folglich von unserm Ruf keine Hülfe mehr.
Denn nur das, was nicht aus der Nähe gekannt ist, gilt als
gross.' Wie kann man doch diesen Gedanken herausfinden !
Atqui ^ welches die zweite Prämisse einführt, sollen wir mit
^de!ui' übersetzen können*? Und der Schlusssatz mit seinem
-^t^,^^ soll gar nicht dasein, sondern von den Hörern ergänzt
werden'? Es ist unmöglich. Dazu kommt, dass der Schluss
erst nachher folgt von infestiores Romani an. Ist aber atqui
-zweite Prämisse , so hat sie Hr. W. schon gehabt in sinus und
recessus, und es kann nicht noch einmal folgen; und heisst
ginus nicht grosser Ruf, sondern Entfernung, was uns erwie-
13*
190 Römische L i 1 1 e r a t n r.
sen tlüiikt, so ist der Syllogismus: Früher schützte uns Ent-
fernung ; jam terniinus etc. Nim aber ist die Entfernung auf-
gehoben, also müssen wir kämpfen ; dieser Schluss beginnt mit
einer Beschreibung des Feindes (infestiores Rom.), den bis in
diese entlegensten Gegenden Kaubsucht führt, bis er aus eben
dieser Beschreibung c. 31 mit Ita siimite animos beendigt wird.
Aus beiden Auslegungen scheint uns also deutlich hervorzugehen,
dass atqui oder atqiie omne ignotian pro mngnißco est ein Glos-
sera von sinus sei, in dem Sinne, in dem Ilr.W. erklärt. Diess
zeigt auch der Verfolg: Sed milla jam ultra gens. Hr.W. er-
klärt, die Zwischenidee fehle: Schützt uns unser Ruf nicht,
so werden wir bei entfernten Völkern Hülfe finden. Diesem
Einwände begegne er: Allein über uns hinaus etc. Allein wie
hätte Calgacus einen so wunderlichen Einwand machen können,
da Alle das Gegentheil Avussten? Sed gentes ist nemlich die
Fortsetzung von Brit. ter minus jjatet^ den bisher das ganz \\n-
hraxichhare ^fqui ignotum falsch unterbrach. Es wird gut sein,
kurz den Gedankengang der Rede zu skizziren: Hoffnung er-
regt mir ]) unsere gute Sache, 2) unsere Noth, Nach dieser
Parütio eine kurze captatio benevolentiae: Lob jetziger Eintracht.
Hierauf wird das 2te, die Noth, zuerst abgehandelt ; (um mit dem
Ermuthigenden , der guten Sache, besser zu schliessen.) Skla-
ven sein mögt ihr nicht, euch zurückziehn könnt ihr nicht,
um dem gierigen Raubthier aus dem Wege zu gehn. Also müs-
sen wir kämpfen, alle, auch die Feigen. Früher Besiegten
waren wir eine Zuflucht: uns selbst hat bisher die äusserste
Entfernung geschützt. Nun sind die Feinde da, aber hinter
uns kein Volk weiter , wir sind die letzten , vorn drängen die
Römer, durch nichts zu beschwichtigende, unersättliche Feinde,
gleich hart in Krieg und Frieden. Also fasst Muth , wie die
Briganten. Diess macht den Uebergang zur guten Sache. Die
Römer sind entnervt, nur sicher durch unsre Fehler, die wir,
jetzt einträchtig abgelegt haben , und im Vertrauen auf unzu-
verlässige Bundesgenossen, die bald für uns kämpfen werden.
Wir selbst etc.
Cap. 31. Für die schwere Stelle: Nos integri etc.
schlägt Hr. W. folgende Conjectur vor : Nos integri et indomiti^ et
LIBERTATEM in PRAECIPITEM ALEAM VATÜRT,
primo statim etc. Sie hat aber das gegen sich, dass inpraecip.
al. dare nur von freiwillig Angreifenden gelten könnte. Sie
aber haben keine Wahl; sie müssen kämpfen. Wir finden die
Lesart derCodd., wenn man mit Vatic. 3429 in vor libert. aus-
streicht, so vortrefflich, dass wir sie mit keiner Aenderung
vertauschen möchten: Nos integri et indomiti^ et libertatem
non in praesentiam latiiri — non ostendamus — '? Die Brigan-
ten hatten in übermüthigem Genüsse die langentbehrte Frei-
heit, nur wie einen im Raube davon getragenen Gewinn der
Tacllus' Agricolu, hcrausgeg, von Walch. I9T
kurzen Gegenwart, träge veigeudet. Non ferebant libertatem
nisi in pracseiitiani. Diess ist ausserordentlich characteristiscli
als Folge langer Knechtschaft aufgestellt, die keinen Lebens-
zweck und Plan, nur augenblickliche Bei'ricdigung der Lust,
am liebsten durch llaub und List kennt! Sie dagegen, noch frei
und nie bezähmt, würden sie nicht beim ersten Angriff sogleich
zeigen etc.
Cap. 34. Die Stelle: nori restüertint^ sed deprehensi sunt
novissimi ; ideo ejctremo mein eorpora deJLvere^ erinnert so sehr
in alleir Theilen an jene homerische Beschreibung der erjagten
Hindin II. d, 243:
O' Tiq)\f ovTcaß s6tf]t£ xEd'TjTtoTgg t^vts vißQol;
(t lijtJfjV £Ä£t ovv ixa^iov jioXsos TtshioLO &£0V6aL,
£öT«ö', ovo' äga ri'g öcpi ^btcc g}Q£Gl yiyvbtai dl^t] ' etc.
dass man das vonRhenanus als Glosse weggeworfene ßc/ewt
hinter deßsere^ in allen Codd. stehend, in der Bedeutung von
Blich mit zugefügtem et wohl mit vollem Rechte in seine Stelle
zurückführen rauss: extremo mein eorpora defixere et aciem.
Vielleicht zögen Andre vor et animum. —
Noch sind uns in den folgenden Capiteln manche Punkte
übrig, die wir gern durchgesprochen und, nach unsrer Ansicht
wenigstens, bei dem Herrn Verfasser berichtigt hätten. Allein
wir haben die Geduld des Lesers vielleicht schon unbillig
in Anspruch genommen, und brechen daher mit der Be-
merkung ab: Dass wir nur das herausgehoben, was uns ei-
ner Berichtigung zu bedürfen schien; dass man aber dem Werke
grosses Unrecht thun würde, wenn man über unsre Aus-
stellungen vielleicht vergässe , dass des Guten und Treff-
lichen leicht mehr darin ist , als des Falschen ; — auch ist
ja vielleicht nicht alles falsch , was uns so schien. — Auch
raaclien wir darauf aufmerksam, dass Jemand, der treti alles
erörtert, leichter eine Blosse giebt, als wer hier und da nur
anmerkt, was er gewiss weiss — und Viele mit ihm. Möchte
nur der Herr Verf. durch unbefangenes Urtheil und anspruch-
losen Vortrag künftig nicht ferner zu unniuthigem Einspruch
reizen
Posen , im Mai. Fr. Jacob.
Q» Curtii Rufi de reb. gestis Alex and ri Magni
jRegis Macedonum libri super st it es. Ad opti-
iiiarum editiunuui lidoru scholaruiu in iisuia curavU G, II.
Lünemanii^ I'hiloa. Doct. ac gyiunaäii Gottingensis Ileotor.
198 Römiäche Litteratur.
Hannoverae 1827. In bibllopolio aulico Hahniano. VIII u. 248
Seiten in 8. 9 Gr.
"a die Ausgabe des Ciirtius von Hrn. Lünemann für den
Gebrauch der Schulen bestimmt ist, macht sie natVirlich keine
Anspriiche auf eine mit neuen kritischen Hülfsmittehi begriin-
dete , sondern nur mit Benutzung der vorhandenen möglichst
gut konstituirte Textesrecension. Von einer solchen Ausgabe
verlangen wir aber, dass sie den Text des Autors so forme,
dass die Integrität desselben nach den besten krit. Vorarbeiten
wiederhergestellt, oder doch wenigstens, so weit dieses schon
früher geschehen ist, erhalten werde. Es liätte also eine
Ausgabe zum Grunde gelegt werden müssen, welche uns, so
weit es sich bisher nach genauer Vergleichung der Codd. und alten
Edd. ermitteln liess , den Curtius selbst giebt. Hr. L. nun hat
die Sc hmi e der seh e Ausgabe der seinigen zum Grunde ge-
legt, in welcher allerdings viele Stellen mit Scharfsinn verbes-
sert sind, deren Hauptvorzug aber in der histor. Kritik besteht;
wogegen Schmied er in der diplomat. Krit. derMss. noch den
alten falschen Weg des Zählens und ohne gehörige Consequen;^
verfolgte (vergl. Zumpt Praef. ad Ciirt. p. XVI.); und wenn
Hr. L. selbst von Schm. sagt (Praef. VI): qui., quanquam se~
veriori critica fieglecta^ mtilta tatnen loca (sie!) ad manü&cri-
ptortim libroruju ßdem correcta dedit^ so liegt hierin ein sehr
unbestimmter und relativer Vorzug, der nur so lange dieser
Ausg. ein entschiedenes Uebergewicht über die übrigen geben
konnte, bis eine erschien, in welcher, mit Beimtzung aller al-
ten und einer möglichst grossen Anzahl neuer Hülfsmittel, der
Text kritisch durchgesehen und verbessert war. Eine solche
aber ist die von Zumpt zu Berlin 1826 herausgegebene,
die eine neue Textesrecension, mit Angabe der Abweichun-
gen von der Freinsheim. Ed., enthaltend, als ein Vorläufer
der in der Vorrede angekündigten grösseren anzusehen ist.
Diese musste also, nach des Rec. Ueberzeugung, der neuen
Schulausgabe zum Grunde gelegt werden, und da Hrn. Lüne-
m ann keine neue Hülfsmittel zu Gebote standen, hätte er nur
in solchen Stellen seinem oder andrer Urtheile folgen sollen,
wo Zumpt entweder frühere oder eigene Emendationen in
den Text gesetzt hatte. Obgleich nun Hr. L. die Vorzüge die-
ser Ausg. nicht verkennt, ujid zugesteht , dass bei dem acre
tersumque Judicium cum interiori latinae linguae cognidoiie
juncttim des Herausgebers , und dem neuem krit. Apparate, der
ihm zu Gebote stand, es natürlich gewesen wäre, dass der
Text des Curtius innumeris locis seine ächte Gestalt wieder er-
halten, so trug er jedoch deshalb Bedenken auf sie die seinige
zu begründen, weil der Herausg. , aus Neigung einen neuen
Text zu konstituiren , bisweilen auf Abwege gerathen sei , und,
Q. Gurt. Rufi de reb. gest. Alex. M. libb. , edid. Lüneraann. )9|||,'
mit Yerwerfung guter Lesarten, schlechtere an ihre Stellci ge-
setzt oder wieder aufgeiiortinien habe. Desl»alb habe er mit;
gehöriger Vorsiclit die Abweichiuigen zwischen der S(;hraie~i
derscJien und Z um p tischen Ausg. verglichen, und sei?
jedesmal demjenigen gefolgt, welcher das Richtige getroflfei|,
zu haben scheine. Die Stellen, in welchen von der Schmie-ri
derscli,eu Ausg. abgewichen worden, sind hinter deniTei^li
(S. 235 — 248) angeführt, zum Theil mit Angabe des Grtuideji^'
gewöhnlich aber ist nur die Ausgabe angegeb.en, der .gefolgt
ist, und zwar meist die von Zumpt, zum Theil auch Freins-
lieim, Cunze und Koken; und es ist nicht zu leugnen, dass
die aufgenommenen Abweichungen von der Schmiederschen
Ausgabe sich durchweg empfehlen. Ein grosser Theil dersel-
ben besteht zwar nur in Aeränderter Stellung und Schreibartj
der Wörter , aber eine genaue Aufjnerksamkeit hierauf trägt]
nicht nur zum Melodischen sondern auch zur feineren Kennt-
niss der Sprache überhaupt viel bei , und darf deshalb auch
bei SchuUusgaben Mi^^tSfirmisst werden. Dahin gehört z. B.
lll, 1, 5 esse vtderaui;^t^:vid. esse ^ ib. 7 nobilem quoiidum st.
q. noh.^ ib. V, 1 pulvei'ß^-^ißiul ac sudore st. p.ac s, siuiul^ und
dergi mehr. Besonders zu loben ist, dasS Ilr. L. von der
Schmiederschen Schreibart vieler Wörter abgewichen ist , in-
dem dieser Editor keine Assimilation bei den mit Praeposs. zu-
sammengesetzten Wörtern zulässt, so dass er durchgängig adx
sciscü , adsumtis^ obcupatus^ ohcisi^ subpressi u. dgl. schreibt ;:
tibenso in einigen einzelnen Wörtern, übereinstimmend mit Z.,
wie abscisiis st. abscissus^ fidversus st. adver sum^ causa st.
caussa^ cunctanti st. contanti^ devertisse st. divertisse^ inß-
tias st. inßcias ^ qiiicquid %i. quidquid .^ ru? sus st. rursum^ sol-
licitare st. solicitare., und noch einigen anderen. Auch verbes-
serte er an einigen Stellen nach Zumpts Vorgange tu7n st.
tunc (z. B. IV, 1, 14. 3, 2.), wo die Erzählung fortschreitet,
postero die statt postera rf. , was er iiberhaupt für richtiger er-
klärt, und es auch IV, 3^ 10 (13) zu schreiben vorschlägt, ob-
wohl dies ohne Autorität der Codd. nicht rathsam ist, da die
Lateiner bei blosser Angabe der Zeit keinesweges das Femini-
num durchaus vermieden haben, obwohl postero die häufiger
ist (vergl. Drakenb. zu Liv. I, 12, 1 und Spald. zu Quint. Inst.
VI, 3, 90). Dagegen behielt Hr. L. gegen Z. bei: alioqui st.
alioquin^ annidus st. anulus., arcesso und arcessivi st. accerso
und accersi., circumittis st. circuitus., concio st. cojilio., conjux
st. conjimx .1 dilionis st. dicionis ., esafiimeni st, exam'?mtm ^ ex-
sistit ^ exstinguil ., exstruxil u. dgl. statt das s bei diesen Wör-
tern auszulassen; auch quum st. t-wm, obgleich jene Form
nach Quiutilians Zeugniss (I, 1, 5) zu seiner Zeit wenigstens
für eine veraltete und übertriebene Subtilität gehalten wurde,
weshalb er gelbst gewiss stets cum schrieb » wie auch Spalding
200 Kölnische Litterat iir.
edkt Hat. Auf Quintilian scheint uns aber deshalb für Curtius
eri'rt' besondres Gewicht gelegt werden zu müssen, weil beide
in ihrer ganzen Schreibart eine nicht geringe Uebereinstim-
ihung haben, welches vielleicht genauer untersucht einigen
Aufschhiss über das Zeitalter des Curtius geben könnte, wenn
nicht et^a anzunehmen ist, dass Quint. , der nicht in der
Sprache seiner Zeit schrieb, sich einen ähnlichen Stil wie Cur-
tius gebil'det habe.
ji- Bei den etwas bedeutenderen Abänderungen sind die we-
nigen beigefügten erklärenden Noten kurz, und da sie sich auf
die Sprache beiziehen, für Schüler angemessen; so über major
exercitns nnmero (111, 10, 1), über aqua eminebät (IV, 2, 15),
niiUia (IV, 11, 7), interpeUabat und interpolahat (VI, 2,3), pße-
dipere und praeripere (IX, 10, 8), esse desistis st. destitistis
(X, 2, 13). An einigen Stellen änderte Ilr. L. den Text nach
eigner Conjectur: IV, D, 4 aliae (falces) in terram dentis sae
8t. dimissae, nicht übel, aber nicht nothwendig, da der Schrift-
steller dadurch zugleich die auseinandei'gehende Richtung der
einzelnen Sicheln konnte bezeichnen w-dHen (cf.IV, 15, 2). Eben-
so VI, 7, 5 quaecungfie de7niss'(i>'eits(B?it in cavernani ^i. di-
missa^ wo die alte Lesart der etWäs gezierten Schreibart des
Curtius , wie etwa unser entsendet in diesem Fall , angemesse-
ner ist. Dagegen ist das viel befremdendere diinittere insepnl-
tös (V, 4, 2) im Text gelassen; wofür Z. deserere liest. IM och
weniger zu billigen ist der Vorschlag V, 4, 4, von ad mare me~
ridient versus die beiden ersten Wörter ohne erheblichen Grund
und ib. 7, 3 fuit aus blosser Verbesserungslust zu streichen.
Ferner emendirt Hr. L. V, 5, 9 memhrbriim parte midcati statt
des in allen Mss. stehenden midtati^ sich berufend auf VII, 11,
9: muh' ati parte menibrorum^ und fiigt hinzu: Rectius enim
hoc., quum multare., quanluni scio ^ nonnisi damnum de in-
dustria illatuni., mulcare aufem quamvis vexalionem, etiam
quae casu accidit^ denotet. Allein dieser Unterschied ist in
der Sprache nicht vorhanden, sondern midcare wird nur von
Contusionen des Körpers gebraucht, weshalb es VII, 11, 9
mit Recht gelesen wird, und den quidayn midcati parte mein-
hroriim^f .^^ Einige., die Quetschungen behommen hatten.,'"'' ge-
genübergestellt werden: omnes fatigatione coiitiimati laboris
affecti. Anders verhält es sich aber V, 5, 9, wo Euthymon
diejenigen majore membrorum parte midtati nennt, quos Per-
sae vario snppliciorufn modo aßecerant (ib. 4). Endlich be-
hauptet Hr. L. VII, 8, 5 (H), paucorum verborum levi immu-
tatione et interpunctio7ie correcta sanasse ^ indem erliest: Sic
quae (st. Sicque^ locvtos esse — proditum est , abhorrent for-
sitan etc. — ßdes ?iostra non debet., qua (st. quae) — perfere-
mus; indem er Sic durch quae qmmi ita sint erklärt, und qua
auf ßdes bezieht, was schon Walch Emend. Liv. p. 41 emen-
Q. Curt. Rufi dereb, gest. Alex. M. libb. , edid. Lüncmann. 201
dirte. Beide Aenderunj^en sind aber niclit iiothwendig , da
abhorrent — perferemus parenthetisch zu nehmen ist, der Satz
qktie^ utcu?i(fue simt tradita^ imorrupla perfercmus das Subj,
•zivtibhorrent forsüanmoribus uoslris bildet, und sed iit possit
oratio eoriim .spertn\ tomen ßdcs nostra noii debet ein erläu-
ternder Zwischensatz ist; der unterbrocline Satz : Sicque locu-
tos esse etc. aber wird durch Igilui- uiiuin es his ma.rt?n?im
natu locntum accephnus wieder aufgenommen. — '■ Richtig ist
indess unstreiti,!^ der \oY)^d\\^% Atharias nidit nur V, 2, S;
VI, 8, 10; VIII, ], iß st. Adarchias u\n\ yJtiarras ^ sondern
auch VII, 1 , 2 st. Apharias zu lesen, denn auch hier tritt die-
ser g^änz in dem Karakter des alten Veteranen auf, der, wej^en
des Ansehens, in dem er hei den Soldaten steht, fiir die Uebri-
gen das Wort fiihrt, Mie wir ihn an den iibrigen Stellen ken-
nen gelernt Iiaben. Ebenso IV, 2, 1 a qua st. « quo^ weil es
sicli am natiirlichsten auf continenti bezieht, welches unmittel-
bar vorhergeht, und nur gezwungen auf rej; oder etwas andres
bezogen werden kann. Der Vollständigkeit wegen erwähnt
Reo. noch den Vorschlag, VIII, 2, 4 nach den Worten: Mc
frater — a me inte?' epulas occisus est^ ein Fragezeichen statt
des Punktum 2u setzen; nicht unrichtig, obgleich Kec, wenn
er die Interpunktion hier bestimmen sollte , ein Ausrufungszei-
clien vorziehen wiirde.
Hierauf liätten sich höchstens die Aenderungen des Hrn..
L. beschränken sollen, wenn er nicht wollte, dass sein gegen
Zumpt ausgesprochner Tadel auf ihn zuriickfiele , zumal da
es ihm an neuen Hülfsraitteln zu einer Textesuragestaltung_
gänzlich fehlte, und er hätte sich in den Lesarten, die sich
auf Codd. stVitzen , nur an Z. halten sollen, wenn ihn nicht et-
wa ganz entschiedene Griinde nöthigten, davon abzugehen:
wohin llec. allein rechnen möchte IV, 14, 1 praetereuntibus
nach Mss. ^i. praeeuntibiis^ was keinen Sinn giebt, u. VII, 3,
5 superne lumen accipiunt. Ad medium vites et arbores —
obruunt^ nach Koken, der viejileicht Walch (Em. Liv. pag.
141) folgte, wo Z. emendirtc sup. lumen admittunt. Vites etc.,
weil jenes den Codd. näher kommt, und penifus hieine defos-
sae latent den Gegensatz ad medium fordert, der in obruuntal-
lein nicht liegt. Am wenigsten aber hätte Hr. L. gar gegen die
Autorität der Codd. bisweilen den Conjecturen Früherer folgen
sollen. Dahin gehört III, 13, 6 die Conjectur von Acidalius:
humus rigebat gelu tum astricta^ vestes etc. induunt ^^^cw
die Vulgate h. r. g. , tum astrictas vestes — induunt , weil er
meint, dass sonst tum das vorhergehende quum aufnehme; al-
lein tum ist hier nichts anders als damals^ und: „s/e zogen die
damals zusammengeschnürten Kleider an'-'' giebt noch dazu ei-
nen besseren Sinn, als das Pleonastische: ^^die Erde erstarrte
damals durch Frost zusamme?igezogeu.'''' Die Conjectur von
202 Römische Litteratur.
ebeiulemselbeii IV, 11, 11, zwi>iclien percussor und veneficus
ein et einzuschieben, hat den Schein für sicli, allein im Ge-
gensatz zu non vt jvstiis hostis lässt sich ;je/-c. reu. aucli crkiä-,
ren als: „e?//i Mörder^ der sich vergifteter Waffen bedie/ft,%
Ebenso hat V, 2, 1 die Cojijectur des Cellarius Sittacene
st. Satrapene andre geographische Angaben für sicli, wiewohl
es darujn nicht ausgemacht ist, dass Curtius nicht Satrapene
geschrieben habe: wenigstens entbelirt dieser Name nicht aller
Autorität (vergl. Freinsh. h. 1.), und wer wollte alle geographi-
sche Irrthümer des Curtius emendiren*? — Koken s Conj. V,
9, Ü deprecantes tristimn specie hat auch nur den Vorzug vor
Zurapts deprecantium sp.^ dass sie sich mehr der Lesart der
Mss. deprecarentur tr. sp. nähert , allein dem Sinne nach ist
diese vorzuziehen, Menn man den Gegensatz beachtet ceterum
si perseverarent vinctirri; — sie nahmen also nur den Schein an,
als wollten sie Fürbitte thun. — VII, 4, 5 (9) fordert der
Sinn weder eine grosse Lücke anzunehmen, noch Bessus ein-
zuschalten, das sich zwar nach einem langen Zwischensatze
aber doch von selbst ergänzt. Ib. 5, 5 (9) ist bei tit meminis-
set svi nicht nötliig sni zu streichen, die Rede ist sogar viel
kräftiger, wenn wir ut meminisset sni als die eigentlichen
Worte der amici^ und animi sui tnagjiitudinein unicum remediuin
deßcientis exercitus esse als eine Epexegese dazu, ebenfalls
abhängig von 7neminisset^ annehmen« Rec. hält es nicht für
nöthig, noch melir Einzelnes zu behandeln, um zu zeigen, wie
wenig Hr. L. genöthigt wurde, durch Aufnahme früherer Con-
jecturen den Text zu verändern; es fragt sich nur, ob die in-
neren Gründe genügten, die ihn zur Uefolgung andrer Lesar-
ten, als wir im Zumptsclien Texte finden, bewogen. III, (>,
9 ist grates agebant aus einer Handschr. st. gr. habehant in
den Text genommen , ^^quiim de verbis non de animo inteUigen-
dum est'-'- (^ sie \). Aber was zwingt uns, wenn von den Sol-
daten, als sie nach der Genesung Alexanders den Arzt Philip-
pus erblickten , gesagt wird : pro se quisque destram ejus am-r
plexi grates habebant^ an einen ausgesprochenen Dank zu den-
ken? — IV, 2, 4 ist die Lesart desselben Cod., qui crebros
ex alto fliictus in Utas evolvit, an sich nicht zu verwerfen, sieht
aber einer frühern Emendation selir ähnlich, weil dadurch die
Verbindung mit dem Vorhergehenden erleichtert wird; und
warum sollte /re/wm nicht Subj. zu evoivit sein können*? — IV,
13 , T. expetere — debitas a vecordibus poenas statt e vecord.
hat den gewöhnlichen Sprachgebrauch für sich, allein dieses
gründet sich auf bessere Codd. und ist nicht sprachwidrig,
ebenso IV, 8, 1. zit ad Mareotim paludem venit gegen Z. ut
Mareotin pal. v. Dringt aber die Autorität der Codd. darauf ad
auszulassen , so wäre diese Stelle nur noch eine melir von de-
nen , wo Prosaiker in diesem Falle auf poet, Art den Accus.
Q. Curt. Buii ilc rcb. gest. Alex. M. libb. , edid. Lünemann. 20S
allein setzen, was bei Ciirtiiis p^erade nicht sehr befremden
kann (vergl. Uiulim. cd. Staub, p. 284). — IV, !(>, 2 ist llec.
mit Schmied er der Ueberzenfj^un:;^, dass die Ynig. : jam rnul-
iiim viae processerat re.r, nur eine Erklärung von der Lcisart der
("odd. praeceperat sei; denn wenn Hr. L, auch Recht bat, dass
die Reiter das Parraenio nicht mit dem Könige in Schnellig-
keit wetteiferten, so brauclit man deshalb praecipere viam
hier nicht zu verwerfen, welches nur heisst ,,er hatte einen
y Ursprung bekommen^ war vorangeeüt^ ohne dass man an ei-
nen Hinterhereilenden zu denken iiat, wenn nur überhaupt eine
Beziehung auf einen Zurückbleibenden vorhanden ist, wie dies
auch in unsrem voraneilen liegt. Es ist also hier nicht anders
zu verstehen als IX, 10, 8: quantum itineris festi/ta?ido praeci-
perent^ und an der der uiisi-igen im Ausdruck sehr ähnlichen
Stelle Liv. XXXVI, 10, 9: aliquanlum viae praeceperat res.
— VI, 2, 1 liest Hr. L. nach Cod. Bong. 1 tempestiaa convi-
via st. intemp. c, der Ansicht folgend, dass \\\iQxa\\ temjiesiiva
convivia zu lesen sei ; allein es ist Unrecht , dieser gewaltsa-
men Kritik zu folgen, die nach einer vorgefassten Meinung Al-
les ändert , zumal da hier von Gastmählerji die Rede ist, wel-
che die Nacht hindurch dauern, was in dem 7Ansa.tz per pot and i
pervigilandique i?isana cttpido liegt , in welchem Falle , wenn
mangern einer gewichtigen alten Autorität folgen will, Lip-
sius (Excurs. ad Tac. Ann. XIV, 23) intempestivus statuirt.
Rec. hat nur diejenigen Stellen ausführlich behandelt, worin
vorliegende Ausg. vonZ. mit Angabe des Grundes abweicht, weil
diese gerade für dieKi'itik von Interesse sein können, da sie uns
auf die für dieLitteratur desCurtius neueste wichtige Erschei-
nung zurückführen , und die grössere Ausgabe von Zumpt noch
zu erwarten ist. Die Supplemente von Freinsheim zu den ein-
zelnen lückenhaften Stellen sind von Hr. L. mit aufgenommen,
eines jedoch IV, 6, 15 vor qimm zmdique ^ warum ist nicht be-
merkt , nur in den Noten aufgef ülirt. In der äusseren Einrich-
tung liat der Hr. Herausg. der Leichtigkeit des Nachschlagens
durch Veränderung der Paragraphenzahlen sehr geschadet.
E. Bonn eil.
Programme.
Diesertatio jnridica inauguralis, qua loca e Plinii jfnioris
scriptis^ quae ad ins civile pertinent^ recen-
sentur et illustraiittir ^ ^lam .... publico ac so-
204 Programme.
lemni examini suhmittit Julius Auguslus Sclineither , Lug-
duno - Biitavus. (MDCCCXXVII.) Groningae apud W. van
Boekeren. 203 S. gr. 8. Leipz. bei Barth. 12 Gr.
VÄTewiss ist es ein piter Gedanke, einen Römischen Classiker
mit besonderer Rücksicht auf diejenigen Stellen durchzugehen,
welclie Beziehungen auf civilrechtliche Verhältnisse entliaiten,
oder aus der Jurisprudenz erklärt werden mi'issen. Eine solche
Bemühung muss dem Philologen und dem Juristen in gleichem
Grade willkommen seyn; jenem, weil sie ihm zum bessern
Verständniss eines Autors Hülfsmittel darbietet, die von ihm
in der Regel niclit benutzt werden, da der Umfang seiner
Wissenschaft an sich schon so gross ist, dass es ihm unmög-
lich fällt, iu die Einzelheiten der Ilülfswissenschaften einzu-
gehen — diesem, weil in den nichtjuristischen Schriftstellern
ein grosser, noch lange niclit vollständig zu Tage geförderter
Schatz der wichtigsten Beiträge zur Kunde des altern Rechts,
also mittelbar auch zur vollständigem Erläuterung der eigent-
lichen Rechtsquellen enthalten ist. Auch möchte wohl kaum
ein Classiker in dieser Hinsicht ganz unbenutzt geblieben seyn,
ja bisweilen haben die sogenannten eleganten Juristen der neu-
ern Zeit ihre Kenntniss des Altertliums zu einer Art von Spie-
lerey benutzt, über die, aller dabei aufgewandten Gelehrsam-
keit ungeachtet, der Philolog, wenn er überhaupt etwas davon
erfuhr, lachen musste und der Jurist sich ärgerte. Man denke
an des seel. Stockmann Programmen unter dem Titel: Ckre-
stomalhia iuris Horatiana^ oder an manche Schriften von
Piittraann. So wird z. B. von dem Letztern in seinem Cri-
minalrechte in dem Capitel vom Diebstahle zwar gerade keine
Stelle eines Classikers (wäre ihm eine beigefallen, so wäre,
ihm diese ohne Zweifel noch lieber gewesen) aber doch ein,
Epigramm eines neuern lateinischen Dichters, des Owen:
Qui domino invito rem contrectaverit , est für.
Quid si hoc invita non faciat domina? —
ganz ernsthaft, und ohne dass er den Muthwillen des Dichters,
und den Doppelsinn in den Worten rem contrectare im Minde-
sten ahnet, mit der Bemerkung citirt, dass hier auf eine quae-
stio controversa aufmerksam gemacht werde, die ihn selbst
oft beschäftigt liabe; und hieran knüpft er nun die Untersu-
chung: was Rechtens sey, wenn eine Sache wider Wissen und
Willen des Eigenthümers, aber mit Bewilligung der Ehefrau
desselben, hinweggenommen werde. — Eine solche Art und
Weise mit den Schriftsteilern umzugehen , ist freilich eben so
unnütz als lächerlich ; zum Glück ist sie aber auch ziemlich
aus der Mode gekommen, und der Geist der jetzigen Zeit
nimmt es mit der S«\che ernster. — Unser Verfasser hat seine
Schncither : Loca e Plinii jun. scriptis, quae ad jus civ. pcrtlnent. 205
Bestrebungen, die auf das Recht bezüglichen Steilen der Alten
aufzusuchen und zu erläutern , für diessnial den Briefen des
Plinius zugewendet. An sich ist gegen diese Wahl nichts zu
erinnern, da dieser Schriftsteller bisher von den Juristen zwar
nicht gerade vernachlässigt, aber doch auch bei weitem noch
nicht ganz vollständig benutzt ist. Was nun aber die Ausfiih-
rung betrifft, so ist diese nicht in gleichem Maasse, wie die
Idee, zu loben. Schon eine Bemerkung im Eingange zeigt,
dass Ilr, S. eine seltsame Ansicht von den Obliegenheiten eines
Scliriftstellers hat. F'ast gleichzeitig mit seiner Dissertation
ist die eines andern holländischen Gelehrten, van der
Brugghen, über denselben Gegenstand erschienen, und Hr.
Schneithcr hätte sie noch benutzen können; aber er hat
Bedenken getragen , es zu thun. „Nam cum tempus me raone-
ret," sagt er S. 3, „ut meam Dissertationen! typis jam nianda-
rem, e consulto illius Doctissimi viri disputationem inspicere
nolui, ut majorem mihi ipse relinquerem iibertatem augendi et
corrigendi ea, quae in iterata lectione omissa, falsa vel minus
bene proposita viderem." Ilec. hat nun freilich Hrn. van der
Brugghens Monographie auch nicht gelesen , und so muss er
sich denn lediglich an das Iialten, was Hr. S. selbst giebt. Die-
ser hat aus dem Plinius eine Art von Rechtssystem zusammen-
zustellen versucht, und handelt demnach in zwey Büchern, zu-
erst (B. I.) vom iure 'personarwn (Pars prima : l)e iure per-
sonarum publico. Caput I: üe iure civitatis. Caput II: De
magistratibus. Pars sccunda: De iure personarujji privato.
Caput I: De servis. Caput II: De excusationibus et privile-
giis.) sodann (B. II.) vom iure rerum (Caput I: De rebus sa~
cris et Religiosis. Caput II: De hypotheca et privilegiis im
Texte selbst heisst es S. 58 richtiger : de privilegiis credito-
rum. Caput III: De modis acqtiirendi. Caput IV: De Te-
stamentis et Codicillis. Sect. 1 : de forma testamentorum et
codicillorwn. Sect. 2: de heredibus instituendis ^ et adeimda
haereditate, Sect. 3: delegatis. Sect. 4: quaedam ad haeredi-
tates et legata communiter pertinentia Cap. V: De usuris^.
Ein Anhang, nur eine Seite und vier Zeilen lang, bemerkt zu
den Worten aus Lib. X ep. 66 (nach Gesners Zählung 71):
„Edicta quae vera et emendata in tuis scriniis credebam," dass
man hieraus die Gewohnheit der Kaiser , Abschriften der Re-
scripte, Gesetze und Senatusconsulte ('?) in ihrem Archive zu
behalten, ersehen könne. — Schrieb der Verf. sein kleines
Werk blos mit Rücksicht auf das, was der philologische Leser
des Plinius etwa wünschen möchte, so wäre diese Anordnung
der Materie vielleicht insofern zu entschuldigen , als hierbey
die Absicht stattgefunden haben könnte, einen kurzen juristi-
schen Commentar zu mehreren Stellen der plinianischen Briefe
auf eine solche Weise zu geben , dass es keiner Wiederholung
206 Programme.
des etwa schon Gesagten bei ähnlichen Stellen bedurfte. Wollte
Hr. S. aber seinen Autor für die Jurisprudenz benutzen, so ist
einleuchtenderweise jene Methode schlechterdings unpassend;
vielmehr musste er dann die im Plinius vorfindlichen , auf die
Rechtsverfassung sich beziehenden IN achrichten einzeln oder
in ihrer Verbindung unter sich betrachten und aus ihnen das-
jenige entwickeln , was liieraus für die vollständigere Ueber-
siclit des alten Rechts gewonnen werden kann. Wir Avollen
nicht untersuchen , welche von diesen beiden Arten, den ge-
wählten Stoif zu bearbeiten, dem Zwecke einer juristischen
Probeschrift angemessener seyn dürfte, sondern wir wollen die
• Schrift nehmen, wie sie nun einmal ist, und nur sehen, was
denn in ihr, sey es nun für Philologie oder für Jurisprudenz,
wii'klich geleistet worden ist. Der \f. hat also unter den vor-
gedachten Rubriken eine Anzahl einzehier Fragmente seines
Autors (grösstentheils aus dem lOten Buche entnommen) ge-
sammelt, und nun in einer kurzen Einleitung die Rechtssätze
dargestellt, aus welchen jene Stellen erklärt werden müssen.
Diess könnte, wie gesagt, wenigstens dem nichtjuristischen
Leser des Plinius, in mancher Hinsicht nicht unwillkommen
seyn. Allein zu einem solchen Unternehaien ist, leider, das
juristische Vermögen des Verfs. nur noch gar zu schwach, und
fast auf jedem Blatte kommen Irrthümer, Missverständnisse,
oflfenbar falsche Sätze, zum Theil mit Berufungen auf falsch-
verstandene, am Ende wohl gar nicht gelesene Gesetze, kurz
eine Menge von Fehlern vor, die dem Philologen diese Schrift
um so unnützer machen, je weniger vernünftigerweise von ihm
gefordert werden mag, dass er, wie der Jurist vom Fache,
solche Uni'ichtigkeiten gleich auf den ersten Blick erkennen
soll. Es würde mehr Raum kosten, als die Anzeige einer Dis-
sertation in Anspruch nehmen kann, wenn Rec. Seite für Seite
durchgehen oder durchcorrigiren wollte; es mögen also nur
einige Belege aus den ersten Bogen für dieses oben ausgespro-
chene Urtheil hier stehen. S. 8 heisst es : die Peregrinen hät-
ten das jus libertatis jure Quiritiuju nicht gehabt; ausserdem
liätten sie auch mehrerer anderer Vorzüge der Römischen Bür-
ger entbehrt. So wäre, wie S. 9 beispielsweise angeführt
wird , nach der Lex Porcia zwar der Römische Bürger von der
poena capitis befreiet gewesen, aber keineswegs der Peregri-
nus. Als Autorität für die Behauptung, dass peregrini kein
ins libertatis iure Quiritium gehabt hätten, ist citirt: Heinec-
c i u s append. ad Lib. I Aniiq. liom. sec. ord. Instit. § 134 sq.
Liest nun jemand Hirn. S.s Worte, so muss er, wenn er die Sa-
che vorher nicht schon besser weiss, glauben, man hätte den
Peregrinen in Rom die Freiheit abgesprochen; sie wären also,
mit andern Worten, Sclaven gewesen. Hat etwan Heineccius
einen so Ungeheuern Satz aufgestellt'* Keineswegs. Er sagt
Sclineither: Loca e Plinü jun. scriptw, quae ad jus civ. pertinent. 207
1.1. § 13? nur: „Non ergo liberi erant iure Quiritinm ?Va, ut
ßagris virgisque caedi non possenl.'-'' Allerdings ist schon die-
ser Ausdruck etwas schielend, indessen ist doch der Unter-
schied zwischen dem, was lieineccius wirklich sagt, und dem,
was Herr S. aus jenen Worten beweisen will, immer noch hin-
reichend in die Augen springend. S. 13 lesen wir Folgendes:
„Jus civitatis oninia jura civis Romani continebat, tani publica
quam privata ; Jus vero Quiritiura tantum ea jura coraplecteba-
tur, quae ad privatam pertinent vitam, uti sunt v. c. con-
nubii jus, jus patriae potestatis, ceteraque quae ad domesticam
se referunt vivendi rationera, cum jus militiae, census, cet., ab
CO jure exularent.i' Etwas xlehnliches ist freilich noch vor unge-
fähr 50 Jah. behauptet worden. Wenn diess aber Jemand im Jahr
1827 nachschreibt, obendrein Ulpian. fragm. tit. III § 2 dazu
citirt, und dabey sogar diesen Koryphäen der Jurisprudenz noch
gleichsam verbessern will, so weiss man in derThat nicht, was
man dazu sagen soll. Die Ausdrücke ius Quiritium und ins ci-
vitatis werden grösstentheils gleichbedeutend gebraucht; wo
sie aber einander entgegengesetzt werden, wie z. B. in den von
dem Vf. hier behandelten Stellen des Plinius X, 4 u. X, 105,
so bedeutet ius Quiritium den Inbegriff derjenigen Rechte eines
Civis, welche der blosse Latinus niclit, sondern jener vor diesem
voraus hat. AVenigstens ist diese Meinung als diejenige anzu-
sehen, die für jetzt am besten begründet ist, [Vgl. A. G. Gra-
mer de iuris Qiiirit. et civil, discriinine. Kil. 1803.] die vom Vf.
aufgestellte Ansicht aber ist seit vielen Jahren als otfenbar falsch
erkannt. S. 28 lesen wir von den Sclaven, welche Fabatus, der
Schwiegergrossvater des Plinius, inter amicos manumittirt hatte:
„in libertate tantum morabantur, statu liberi erant ; jus Latinorum
Junianorura acceperant.'"' Diess sind offenbare Widersprüche.
Was denkt sich wohl der Vf. unter statu liberi*? Bekannt ge-
nug ist es, dass ein Sclave, dem die Freiheit unter einer ge-
wissen Bedingung, oder auf eine bestimmte zukünftige Zeit zu-
gesagt war, bevor diese Bedingung oder Zeit eintrat, mit je-
nem Ausdrucke bezeichnet wurde. Bis zur wirklichen Freilas-
sung war und blieb er Sclav. Wie könnte denn also von die-
sem das i?i libertate morari gesagt werden*? Latini Juniani
dagegen waren keine Sclaven, sondern wahrhaft Freigelassene,
deren Rechte durch lex Junia Norbana, von der sie auch den
Namen hatten , näher bestimmt waren. Vielleicht hat Ilr. S.
etwas davon gehört: eos qui nunc Latini Jimiani dicuntur^ olim
ex jure Quiritium servos fuisse^ sed ausilio Praetor is in liber-
tatis forma servari solitos (Gaj. Inst. III § 5ß.). Er hätte aber
nur die ebenangefiihrte Stelle des Gajus lesen dürfen, um zu
erkennen, was er für ein wunderliches qui pro quo gemacht hat.
Doch Gajus scheint dem Hrn. Vf. überhaupt ziemlich fremd zu
seyn, ob er ihn gleich bisweilen und gerade auch an dieser
208 i;^-'; .ri-j r ; Programm o.'7 f> j . O
Stelle citirt hat. — S. 43 ist die Rede vom jus triiim libero-
rum, um welches Plinius bei dem Trajan für den Sueto-
iiius nachsucht. Die Worte des Briefs (X, 95) sind: Huic
jus trium libcrorum necessariuin faciunt duae causae. Nani
et jtidicia amicorum promeretur , et purum felix inatrimonium
espertus est. Hier lujjt Hr. S. zur Erläuterung hinzu: „Ju-
dicia lioc loco sunt ea judicia et opiniones amicorum, quibus eum
dignum censeant, qui partem hereditatis accipiat, quem vero,
cum liberos non haberet, inutiliter haeredem aut legatarium
scriberent.'' Aber nicht jeder Kinderlose war schlechthin un-
fähig , aus einem Testamente zu erwerben ; dicss war nur der
coelebs ; der orbus hingegen konnte in einem letzten Willen be-
dacht werden, aber er bekain nur die Hälfte dessen, was ihm
beschieden worden war. S. 48 ist eine sehr ungenaue Erklä-
rung von einer Stelle üb. X ep. 75 gegeben. Plinius spricht von
dem Hause eines gewissen Polyänus, und sagt, der ehemalige
Besitzer habe es dem Kaiser Claudius vermaclit , und die An-
ordnung getroffen, dass diesem iiaPeristylio ein Tempel erbauet
werden solle; ob diess Letzere aber wirklich geschehen sey,
davon meldet er nichts. Hierauf fragt er bey dem Kaiser an,
ob er dieses als kaiserliches Gut zu betrachtende Haus, da es
gänzlich verfallen sey , vollends wegreissen und ein Bad dort
erbauen lassen dürfe. Im Gewährungsfaile wolle er eum locum.,
in quo aedificia fuerunt exhedra^i et portiribus amjdecli^ atque
Trujano consecrare^ dass aber das templum als res sacra ein
Hinderuiss dieses Plans sejn könne, daran denkt er gar nicht.
Also hätte denn unser Vf. auch nicht sagen sollen: ,,l)ubitavit
Plinius, num liceret haue doinum alii usui destinare. Trajanus
vero Ep. 76 omnem ejus dubitationem toUit, cum affirmet, hunc
locum nunquam, etiamsi aedes plane esset coliapsa, alii dicari
posse, quia Claudii religio solum occupaverat.'' Trajan sagt
vielmehr, er genehmige die Verwendung des Platzes zu einem
Badegebäude, und fährt nun fort: lllud tarnen parum expressisti^
an aedes in peristylio Claudio facta esset, ^am si facta aedes
esset., licet coliapsa sit., religio eins occupavit solum. S.64 fin-
den wir einen sehr auffallenden Beweis, wie der Vf. mit den
Gesetzen umgeht. Er sagt hier in der Note unverzeihlicher
Weise: „ Ususfructus peculii castrensis semper, etiam post lu-
Btiniani tempora penes patrem mansit." und beruft sich zum Be-
weis dieser unerhörten Behauptung auf L.C. Cod. de bonis quae
üb. in potest. const. In dem citirten Gesetze nemlich erwähnt
Justinian , dass dem Vater in der Regel der Ususfructus am
peculio der Hauskinder zustehe, fährt aber sogleich fort: ex-
ceptis castrensibus peculiis , quorum nee usumfru dum pa-
trem , vel uvum , vel proavum habere veter es leges concedunt :
in kis enim nihil innovamus., sed veter a jura intacta servamus :
eodem observando etiam in his peculiis , quae quasi castrensia
Tittmann, Ilcmpel, Guiard u.IIack : Ucb. d.Religlonsunterr. in Gymn. 209
peculia ad instar castrensis peculii accesserunt. Rec. weiss
nicht, ob es für den Vf. schlimmer ist, wenn man annimmt,
dass er dieses Gesetz gelesen, oder wenn man voraussetzt, dass
er es niclit gelesen habe. Wenn ihm vielleicht jene Stelle ja
noch nicht recht deutlich seyn sollte, so lese er z. li. gleich das
folgende Gesetz : Si quis a Principe vel ab Augusto — donatio-
7ies sit consecutus — Jilius familias tarnen co?istitutus , habeat
eins modi res om7ii acqiiisilione absolutas , et nemini eas acqui-
rat , neque earii m usu in fr uctum p ater^ vel avus^
velproavus sibi vindicet, sedad similitudinein ca-
strensis peculii omneni facultatem in eas filii
familias habeant. Wir glauben, dass unsere Leser, zumal
an dieser letzten Probe, genug haben werden. — Die Literatur
ist fast gänzlich vernachlässigt. Hugo's Rechtsge schichte^
die jedoch stets nur in der ßten Ausgabe citirt wird, und IV ie-
b u h r's Römische Geschichte sind fast die einzigen neuern Werke,
auf die verwiesen worden ist. — Wie Vieles ist dem Vf. noch
zu lernen iibrig, ehe er in dem Fache, in welchem er sich hier
versucht hat , etwas Verdienstliches zu leisten im Stande seyn
w ird !
D. GüntJie r.
1) Joh. Aug. Henr. Tittmannus, Ord. Theol. LIps. H. T. Decanns,
Viruni Maxime Reverendum Tlieoph. Samuelem Forbig-eruin, AA.
M. et scliolae Nicol. Rectorem, post quinquuginta a Baccalaureatii
impetrato annosTlieologiae Doctorem rite creatum esse faustls omi-
nibus indicat. — De aniniis iuvenum in gynifiasiis
ad pietatem christianam formandis. — P.P. d.
XXI Febr. a. Dom. 1827. in Vniv. Lipsiensl. 16 S. in 4.
2) Ad Examen Aiictumnale in Gyranasio Brombergensi cum discipulis
oranium urdinum babendum invitat X. N. F. Muellei\ Dir. —
Conimentationeni de Novi Testamenti Graeci
studio in Gymnasia revocando scripsit Hempel^ Ph.
D. Brorabergae , typis Gruenaueriaiiis. 1826. 44 S. 4.
3) De r eligionis in Gymiiasiis docend ae via et
ratione^ scripsit /. Guiard .^ Prorector et sacrorum reforma-
tornni antistes. Schulnachricbtcn von dem Gymnasium in den Jah-
ren Ostern 1824 bis dahin 1826. Programm, womit — einladet
Dr. 'lliiel, Director des Gymnasiums zu Königsberg in der Neu-
mark. Schwedt 1826. Gedr. bei Janzen. 36 S. 4.
4) Examen Publicum in Gymnaslo Monasterio-Eifliaco d. d. 19 et 20
M. Septembr. 1825 habcndnm etc. Praeraissa est brevis com-
mentatio de r eligionis doctrina in gymnasiis
Jahrb. f. Phil. u. Pädagog. Jahrg.ni, Heft ^. 14
210 Programme.
tr ad 6 71(1 a a /. Hack conscripta. Coloniae Agrippinae typia
J. G. Schmitz. 20 S. 4.
Nr. 1. „"ie Klagen der Lehrer, dass man ihnen die Schuld
beizumessen pflege , wenn nicht alle ihre Schiller einen gottes-
fiirchtigen und frommen Sinn sich aneignen, sind sehr gerecht.
Denn ein solches Verfahren ist höchst unbillig und nimmt auf
die obwaltenden Umstände keine Riicksicht. Es meinen viele,
in unsern Schulen lernten die Knaben und Jünglinge alles An-
dere, nur nicht christliche Pze^ßY ; dies Averde nicht eher bes-
ser werden , als bis man die profanen Classiker wieder entferne
und den Unterricht vom neuen den Geistlichen allein in die
Hände gebe. Dergleichen Urtheile empören aber alle Verständi-
ge. Sciunt enim, ab eo inde tempore, quo omnis puerorum in-
stitutio et disciplina in clericorum potestate esse coepisset, verae
eruditionis rationem in dies magis magisque obscuratam, ipsam-
que religionera in superstitionem mutatam fuisse ; sciunt, literas
humaniores et philosophiam seraper odio fuisse his, qui quod
Tirtute et sapientia alios regere difficilius esse intelligerent, quam
rudibus et imperitis imperare, tenebras magis quam lucem ama-
rent, ne ipsorum opera raanifesta fierent; sciunt denique atque
intelligunt , quid sibi velint blandae voces iilae , quibus nostra
aetate homines , quos verissime descripsit to q)ag xov xoöfioVy
(Matth.VII, 15 sq.) et permulcere principes et sopire populos
cupiunt. — Scilicet optime erant omnia constituta illo tempore,
quo literas clerici tantura docebant , et omnia humana et divina
religioni, quam illi quidem dicebant, id est superstitioni et su-
perbiae ecclesiae serviebant: pacati populi, nullae seditiones
erant, nisi quas Romani Pontifices excitassent , neque principes
regnis exuti aut trucidati nisi in maiorem dei gloriara. Nicht
Luther und seine Reformation hat den Geistlichen die Unter-
weisung der Jugend entrissen : sondern sie selbst haben dies
Geschäft den Laien überlassen. Bei der Wiedergeburt der
Wissenschaften fühlten sie sich nämlich demselben nicht mehr
gewachsen, und zogen das Wohlleben auf der geistlichen Pfrün-
de dem Schulstaube und den Beschwerden des Lehramts vor.
So kam es , dass fast überall die Gymnasiallehrer, per totura
diem tractandis scriptoribus graecis et latinis et herculeo speci-
raina discipulorum corrigendi labore defatigati, auch noch den
Religionsunterricht übernehmen mussten. Dazu kommt noch zu
unsrer Zeit ingens rerum copia, quas simul in gymnasiis imper-
tiri pueris volunt, quasi vero earum rerum, quibus animi pueri-
les ad omnemveram eruditionera aliquando coraparandani prae-
parandi sunt, scientia idonea imbui non possint illa ipsa libro-
rura graecorum et latinorum lectione, non ea quidem in sylla-
barum aucupiis criticisque aculeis occupata, sed ad res cum
verbis discendas apte instituta. Hierbei ermüden die Lehrer;
Tittmann, Ileinpel, Gulard u. Hack : Ueb. d. Religionsunterr. in Gymn. 211
ihre Studien werden zu 5?eTir gctiieilt, und fiir den Religions-
unterricht bleibt ihnen vollends keine Müsse; die Schiller aber,
von der Men^e der Lehrobjecte in Anspruch genommen, halten
diesen ebenfalls fiir geringfügig, und in den obern Classen be-
sonders meinen die künftigen Theologen, dass sie zeitig genug
auf der Universität diese Dinge treiben würden. Das Uebel ist
also da. Aber worin besteht es denn eigentlich*? Was meinen
die, welche sagen, es mangle der Jugend an der pietas christia-
na? Enimvero pius sibi quisque suo modo videtur, impium vo-
cans, a quo superstitiosus, mysticus, fanaticus vicissim dicitur;
hie fidem ostentat, alius factis superbit; multi in recte et honeste
agendo pietatem quaemint, virtutis causam ignorantes ; sunt et-
iam, qui ex theologorum formulis christianam pietatem aestu-
ment. Sonst und auch jetzt noch las und erklärte man in den
Gymnasien die Schriften des neuen Testaments; oder man trug
den Schülern ein theologisches System vor. Besonders das Letz-
tere erstickte vielmehr den religiösen Sinn und eckelte die Ju-
gend an. Diesen Widerwillen vermehrte noch der Zwang, wö-
chentlich mehrmals den Gottesdienst anzuhören ; während ein
andrer Theil der Schüler gar nicht dazu augehalten wurde.
Wie ist also zu helfen*? Erstens par est, ipsos magistros
verae pietatis sensu imbutos esse. Zweitens übertrage die Be-
hörde den besten Ortsgeistlichen den Religionsunterricht in
den Gymnasien. Ferner darf das N. T. nicht so gelesen wer-
den, wie die profanen Schriftsteller. Viele nämlich behandeln
es so, als sollte die Griechische Grammatik dabei eingeübt
werden. Andre gehen besonders darauf aus, ut formulas, ia
quibus scriptores sacri ab elegantia attica recesserint, non sine
superbia discipulis denuncient, quasi istarum elegantiarum causa
libri N.T. legendi sint. Eben so fehlerhaft verfahren diejeni-
gen , welche statt des Christenthumes philosophische Vorträge
halten, die natürliche Religion in pomphaften Heden darstel-
len, und wo sie Stellen der h.S. anführen, diese mit den Aus-
sprüchen der Classiker vergleichen und dadurch bestätigen, die
Klugheit dieser Welt, nicht aber die Verdienste und Wohltha-
ten Jesu zur Basis machend. Dergleiclien schadet ebensosehr
der wahren Philosophie, als der christlichen Religionserkennt-
niss. Endlich sollte in den Gymnasien noch besonders für die
Jünglinge gesorgt werden , welche künftig Theologen werden
wollen."
Dies ist der Inhalt jenes academischen Programms , wel-
ches Referent eben so wegen seines berühmten Verfassers, als
wegen der eleganten und anrauthigen Lateinischen Schreibart
mit dem grössten Interesse gelesen hat. Die Rügen der Miss-
griffe bei der Leetüre des N, T. sind ganz zeitgemäss und fin-
den gewiss allgemeine Berücksichtigung. Manche andre, nicht
geringere Fehlgriffe hätten ebenfalls Erwähnung verdient. Was
14*
212 Programme.
aber die 3Ieinung von der Unfähigkeit oder der Unlust der
Gymnasiallehrer für den Religionsunterricht betrifft, so mag
der würdige Herr Verfasser vielleicht eine nähere oder entfern-
tere Umgebung dabei vor Augen gehabt haben; im Allgemeinen
aber glaubt und hoflFt der Referent, dass es diesen Lehranstal-
ten auch zu unserer Zeit nicht an einem oder raehrern Mitglie-
dern des Lehrercollegiums mangele, welche auch diesen Unter-
richt mit innern Beruf übernehmen, und mit Liebe und Eifer
zum grossen Nutzen der Jugend betreiben. Wenn die Schüler
diese Lectionen geringer achten, so wird die Schuld davon ge-
wiss auf den Lehrer fallen. Dem Vorschlage, dass der Reli-
gionsunterricht in den Gymnasien den Ortsgeistlichen übertra-
gen werden solle, würde Referent sehr Vieles entgegenstellen,
wenn er nicht voraussetzte, der Herr Verfasser habe dies nicht
so gemeint, dass diese Verpflichtung mit einer von den vorhan-
denen Predigerstellen verbunden werden solle, sondern er wolle
diese Einrichtung nur da, wo die Persönlichkeit irgend eines
der Herrn Geistlichen sie anempfiehlt.
Nr. 2. Der Herr Verfasser zeigt zunächst S. 5 — 10, wie
es gekommen sei, dass man in den Gymnasien die alte Sitte, das
Griechische N. T. mit den Schülern zu lesen, aufgegeben habe.
Dann hält er es für zeitgemäss, jetzt auf die Wiedereinführung
dieser Sitte zu dringen, weil erstens die Lutherische Ueber-
setzung nicht mehr passend , sondern vielmehr eine neue wün-
schenswerth sei; zweitens weil kein Vortrag eines dogmatischen
Systems den Jünglingen das echte und reine Christenthura un-
gefärbt und unvermischt mittheile, dies vielmehr nur aus dem
N.T. selbst geschöpft werden könne. Der Ungelehrte könne
sich heut zu Tage nicht mehr aus der L.Uebersetzung belehren,
und lese sie auch deshalb wenig. Dem Gelehrten aber sei in je-
dem Wissen das Quellenstudium unerlässlich und gerade beim
Christenthume am nöthigsten. Das N.T. in der Ursprache fes-
sele die Aufmerksamkeit des Jünglings sehr leicht, es stelle
ihm Christi Beispiel und Leben vor, und stimme propter sim-
plicitatem et perspicuitatem fast überall mit der Vernunft über-
ein. Die genaue Bekanntschaft mit diesen Schriften bewahre
den Jüngling vor allen den Lehrsätzen, welche die Ausgeburt
der spätem Jahrhunderte sind, und führe ihn zu derUeberzeu-
gung: nee Jesum nee eins discipulos in verbis ullam salutera,
omnera vero in vita pia et honesta posuisse. Oder solle etwa,
um Einheit der Lehre und des Glaubens zu bewirken, Men-
schensatzung und Aberglauben fortgepflanzt werden? Sei nicht
selbst zwischen Petrus und Paulus Meinungsverschiedenheit?-
Habe nicht Johannes eine eigenthümliche Ansicht von der Per-
son Jesu? Biete nicht die rechtgläubige Kirche zu jeder Zeit
Anhänger der abweichends^ten Meinungen dar? — Von S. 27
bis 32 giebt der Herr Verfasser noch einige Vorschläge zur Ein-
Tittmann, Ilempel, Gulitrd u. Hack : Ueb. d. Rellgionsiinterr. in Gynin. 213
richtnng dieser Lectionen. Nur die erste und zweite Classe
ist fähig, diesen Unteriiclil zu erhaltoii; beide können auch
zusanimeui^enommen werden. Alle Kritik des Textes werde
übergangen. Ebensowenig verweile man bei Ifebräismen, Clial-
däismen, Latinismen u. dergl. Aus den Hebräisclien Alter-
thiimern werde nur das Nothwendigste beigebracht, ohne allen
Prunk mit Gelehrsamkeit. Die moralischen Vorschriften Jesu
bleiben überall die Ilauptsaciie. Da die Gymnasien leider wö-
chentlich nur zwei Stunden fiir den Religionsunterricht erüb-
rigen können, so sei die eine davon der Lecti"ire des N.T.
bestimmt; in dieser Averde in jedem Jahre ein Evangelium und
ei7ie Epistel vollendet, mit Weglassung des Evangeliums des
Marcus; im vierten Jahre werde die Apostelgeschichte gele-
sen; die andre bleibe dem dogmatischen Vortrage vorbehalten.
Referent erklärt sich in allen diesen Ansichten mit dem wür-
digen Herrn Verfasser vollkommen einverstanden, und glaubt,
dass diese Abhandlung auch in Hinsicht ihrer Lateinischen
Fassung und Form auf ein ausgezeichnetes Lob Ansprüche
habe. Nur hätte er gewünscht, dass der Herr Verfasser sich
noch über die Schwierigkeiten verbreitet hätte , welche mit
der Erklärung des N. T. , auch wenn sie sich innerhalb der
angegebenen Grenzen hält, unzertrennlich verbunden bleiben.
Nr. 3. Der Herr Verfasser dieser Abhandlung entwirft
einen Plan für den Religionsunterricht in allen sechs Classen
der Gymnasien. Er theilt ihn in drei Cursus. Der erste ist fiir
die combinirte fünfte und sechste Classe. Auf dieser unter-
sten Stufe soll die biblische Geschichte den Knaben er-
zählt werden, wobei es nicht auf die Beibehaltung des wört-
lichen Ausdruckes der Bibel ankomme, wenn nur der anmu-
thige und einfache Ton und Geist ihrer Erzählungen beibehal-
ten werde. Hauptsache sei hierbei, nicht dass die Schüler
alle Ereignisse von Adam an bis auf des Paulus Gefangenschaft
mit ihrem Gedächtnisse festhalten, sondern dass ihnen durch
diese Erzählungen Frömmigkeit und Liebe zu Gott eingeflösst wer-
de, und dass sie erkennen lernen, wie die Menschen handeln sol-
len. Nur müsse man nicht bei jeder Erzählung jede morali-
sche Anwendung, die möglich sei, erschöpfen wollen, sondern
immer nur das andeuten, was dem Knabenalter am nächsten
liege. Ferner dürfe man nicht etwa eine zusammenhängende
Jüdische Geschichte vortragen wollen, sondern man habe nur
kleine Erzählungen auszuheben, besonders aus der Patriarcha-
lischen alten Zeit, und Scenen aus dem Leben Jesu. Die Er-
zählungen müssten Beispiele von guten Handlungen enthalten;
denn wenn mau den zarten Gemüthern lasterhafte Geschich-
ten uiittheile, vermindere man dadurch allmälig ihren Abscheu
vor dem Bösen. Nebenbei sollen leichte Bibelstellen auswen-
dig gelerut werden. Halte mau es aber doch für nöthig,
214 Programme.
schon auf dieser Stufe eine zusammenliängeude Religionslehre
vorzutragen, so sei wenigstens keiner von unsern Katechis-
men dazu tauglich, wohl aber Junker's Biblischer Catecliis-
mus für Volksschulen zu empfehlen, eine Biblische Anthologie,
welche jedoch der Vorwurf treffe, dass die Bibelstellen darin
häufig sehr verändert seien. Der zweite Cursus ist für die
combinirte vierte und fünfte Classe bestimmt. Hier seiKennt-
iiiss der heiligen Schriften die Hauptsache. Dem Lehrer Avird
empfohlen Krummacher's Bibelcatechismus d. i. kurzerund
gründlicher Unterricht von dem Inhalte der heiligen Schrift.
Nur müsse einige Kenntniss von dem Ursprünge und den Schick-
salen dieser Bücher mitgetheilt werden ; was Herr Krummacher
weggelassen habe. Die ausgehobenen Stellen des A. u. N. T.
sollen kurz erläutert und erlernt werden; vorzüglich aus dem
N. T. sollen noch mehrere hinzugefügt werden. Weil aber
aus der dritten Classe ^iele Schüler zu andern Berufsarteii
übergehen, soll ihnen ausserdem noch das Wichtigste aus
der Kirchengeschichte vorgetragen werden. Um Abwechselung
zu gewinnen, könne man auch zuweilen ein ganzes Evangelium
z.B. das des Lucas lesen und erklären, oder einen Abriss der
ehristlichen Religionslehre mittheiien; nur solle man bei diesem
ja nicht die gewöhnliche Eintheilung in Glaubens- und Sitteit-
lehre befolgen Der dritte Cursus ist auf die Schüler der zwei-
ten und ersten Classe berechnet. Vorangehen soll eine Ein-
leitung in die Schriften des A.n. N.T. Die allgemeine sei weit-
läuftiger, die specielle kürzer; an diese schliesse sich an das
Lesen der sogenannten klassischen Stellen. Dann folge ein Ab-
riss der Kirchengeschichte, aber nur eine strenge Auswahl der
wichtigsten Thatsachen, mit Uebergehung der ermüdenden
Darstellung aller Irrthümer und Religionsstreitigkeiten. Den
letzten Haupttheil dieses Cursus raaclie die geordnete Glau-
bens - und Sittenlehre aus , welche sich aber eben so weit
von der Dogmatik der Theologen, als von den Systemen der
Philosophen entfernt halten muss. Bei der Moral hüte man
sich vor der Entwickelung aller einzelnen Tugenden oder La-
ster , denn dies ist unnöthig ; länger verweile man bei denen,
über welche verkehrte Ansichten im Gange sind, oder bei den
Begierden, zu welchen die Jugend am geneigtesten ist. —
Alle diese Ansichten werden von dem Herrn Verfasser entwik-
kelt und begründet. Sie stimmen im Allgemeinen mit den Vor-
schriften überein, welche diesem Unterrichte auf den Preussi-
schen Gymnasien zur Richtschnur gegeben sind. Zum Schluss
wird noch ein Wort über die Disciplin , welche der Religions-
lehrer gebrauchen soll, beigefügt. Da gebührt folgender Stelle
volle Zustimmung: „Ad poenas non saepe, irao, si fieri poterit,
nunquam accedendum est. Semper enim mihi is optirae docerc
Visus est, qui nunquam puniret, raro acerbius in discipulos in-
Tittmann, Henipel, Guiard u. Hack: Ueb.d. Religlonsunterr.inGyinn. 215
vcheretur, raro cos increparet. Nam si saepius increpandum
vel puiiienduni est, magnam iam temporis iacturara facimus"
u. s. w. Im Ausdrucke ist hier und da etwas iibersehen, z. B.
prupinamus S. 5 , incogitantia S. 10. Auch ist der Druck nicht
mit der nöthij^ea Correctheit besorgt worden.
Nr. 4. Dieser Aufsatz füllt noch nicht vier Seiten, und
hat folgenden Inhalt: Für einen christlichen Religionslehrer
schickt es sich nicht, venu er die Weislieit des Socrates oder
anderer Philosophen sehr rülimt; dadurch kann er die uner-
fahrne Jugend leicht zu dem Irrthume verleiten, als habe die
menschliche Vernunft das von sich selbst gefunden, was uns
Christus doch erst vom Himmel aus dem Schoosse seines Vaters
herabgebracht hat. Der Lehrer der geoflfenbarten Religion muss
vielmehr davon ausgehen, dass er zeigt, wie mangelhaft die
Kenntniss auch der grössten Vi^eltweisen gewesen sei. Ferner
rauss er über die Glaubenslehren {dogjnata) nicht wegeilen,
sondern sie sorgfältig entwickeln. ]Nam cum religionis revelatae
viysteria potissimum coraplectantur , rairum quantum mentes
discentium summa dei optirai maximi reverentia perfundunt,
unde ea nascitur alacritas^ qua praeceptis^ quae ad mores per-
tinent^ est obtemperandtan, (!) Dann soll die Sittenlehre so
dargestellt werden, ut quicunque nos audiunt, supremi numinis
auctöritale permoti non solum fidem mandatis divinis tribuant,
sed et paratos sese , propensosque praebeant ad ea exsequenda.
Endlich soll gelegentlich {pro re natd) Einzelnes aus den De-
creten der Concilien , den Schriften der Kirchenväter, und aus
der Kirchengeschichte beigebracht werden; wahrscheinlich da,
wo die heilige Schrift jene „auctoritas" nicht darbietet. —
Endlich sollen nicht blos die Religionslehrer ihre Schüler zu
allen Tugenden durch Lehre und Beispiel anleiten, sondern
auch die übrigen Lehrer, welche bei dem Lesen der Classi-
ker und bei dem Vortrage der Geschichte hierzu die beste
Gelegenheit hätten. Sehr richtig! Mögen hiervon die Lehrer
aller Confessionen tief durchdrungen sein ! — Die Sprache ist
ziemlich correct.
Cöslin. Müller.
216 Abhandlung;.
Abhandlung.
Ueber die Nothwendigkeit einer neuen Ausgabe der Latei-
nischen Anthologie von Burmann dem Jüngern , und die
Art der Bearbeitung derselben, nebst Angabe mehrerer kri-
tischen und exegetischen Hülfsmittel, welche dabei zu be-
rücksichtigen sind.
[Aus einem Schreiben des Diaconus Bardili zu Urach an den Her-
ausgeber der Jahrbücher,]
"ass die von dem jüngeren Burniann in den Jahren 1759 und 1173
zu Amsterdam in zwei Quartbänden herausgegebene Laleiiii.se/ie An-
thologie unter die schätzbarsten Erscheinungen im Gebiete der Rümi-
echen Litteratur gehöre , ist eine unter den Gelehrten eben so ausge-
machte Sache , als dass dieses Werk heut zu Tage ziemlich selten und
nicht anders , als zu sehr hohem Preise , zu haben ist. Eine neue,
berichtigte und vermehrte , Ausgabe dieser Anthologie ist demnach ein
dringendes Bedürfniss ; auch soll , wenn ich einer mir zugekommenen
Nachricht Glauben schenken darf, die Bearbeitung derselben in dem
Plane des verdienten Verlegers der Jahrbücher liegen , und von ihm
einem rühmlichst bekannten Gelehrten aufgetragen worden seyn, durch
dessen Besorgung sie als ein Tlieil der Griechischen und Römischen
Autoren -Sammlung zu erscheinen bestimmt ist. Erlauben Sie mir je-
doch in dieser Beziehung die Frage aufzustellen, ob eine neue Aus-
gabe des genannten Werkes in der Form, welche der für die ganze
Sammlung entworfene Plan vorschreibt, wohl ihr Glück machen würde,
und ob es nicht zweckmässiger seyn möchte , eine selbstständige , ki-i-
tisch und exegetisch ausgestattete , neue Ausgabe der Lateinischen An-
thologie zu besorgen, da sehr viele Gedichte in derselben einer aus-r
führlichen Erläuterung und kritischen Behandlung bedürfen , bei an-
dern genauere Untersuchungen über ihre Aeclitheit und ihren Ursprung
anzustellen sind , und Beides nicht in so kurzen Anmerkungen gesche-
hen könnte , wie sie , wofern die neue Ausgabe als intcgrirender Theil
der Teubnerischen Autorensuite erscheinen sollte , die Rücksicht auf
die Gleichmässigkeit doch unumgänglich vorschreiben würde? Ich
zweifle nicht, dass bei dem regen Eifer unserer Tage für das Studium
der alten Litteratur sich bald auch ein zweiter Bearbeiter der Lateini-
schen Anthologie finden werde , und würde mich innig freuen , wenn
es diesen Zeilen gelingen sollte, einen jungem Genossen der Wissen-
schaft auf ein Unternehmen aufmerksam zu machen, durch dessen glück-
liche Vollendung er sich ein bleibendes Verdienst erwerben könnte.
Leicht ist die Arbeit nicht ; sie erfordert tüchtige Vorbereitung durch
das Studium sämmtlicher Römischer Dichter, und namentlich auch
fleissige Benutzung der herrlichen auf der Königl. Bibliothek zu Paris
aufbewahrten, und daselbst von dem gefälligen Vanpraet und dem
Bardili: Ucbcr eine neue Ausgabe der Anthologla Latina. 217
gelehrten Hase so liberal verwalteten, Hülfsmittol. Um auch von
meiner Seite zu der Förderung des eben so nothwcndigcn als verdienst-
lichen Unternehmens etwas beizutragen, sey es mir vergönnt, einige
Puncte anzudeuten und mehrere kritisclie Schriften nahnihal't zu ma-
chen , die bei einer neuen Bearbeitung der Lateinischen Anthologie
Berücksichtigung verdienen dürften.
1) Einzelne Gedichte in der Sammlung müssen hesser geordnet,
und an den Stellen , Mohin sie gehören , eingereiht werden. So ge-
hören, wie Burraann selbst bemerkt, das 90, Ol, i)'l und 93ste Ge-
dicht des 6ten Buches , Seite 6'41 — 045 im 2ten Bande, zu den Ge-
dichten des im Isten Bande enthaltenen 3ten Buches; das mit den Wor-
ten : Occiwris cum mane mihi anfangende, dem Dichter Gullus fälsch-
lich zugeschriebene \ind nicht im Texte der Bnrmann. Anthologie , son-
dern in der Anmerkimg zum 210sten Epigramm des 3ten Buches , S.
670, stehende Gedicht muss in den Text selbst gleich nach dem 241sten
Epigramm gesetzt und die von Burmann in den Addendis nachgetrage-
nen Gedichte müssen überall an Ort und Stelle eingereiht werden.
2) Einige Gedichte sind zweimal , im Isten und wieder im 2ten
Bande, abgedruckt worden, und müssen somit an der einen Stelle ge-
strichen werden. So steht Lib. I epigr. 177 pag. 149 tom. 1 wieder
Lib, V ep. 155 pag. 448 tom. 2 und ist an dem erstem Orte, nach Bur-
mann's Bemerkung, zu tilgen; Lib. II ep. 11 p. 189 fg. tom. 1, wie-
derhohlt Lib. V ep. 193 p. 463 fg. tom. 2 steht besser nur an der letz-
tem Stelle; Lib. II ep. 134 p. 320 tom. 1 ist zu streichen, da es Lib.
IV ep. 307 pag. 228 fg. tom. 2, noch einmal, und hier an einem taug-
licheren Orte steht; Lib. III ep. 32 pag. 479 tom. 1 steht wieder Lib.
VI ep, 59 pag. 610 fg. tom. 2 unter den Epigrammen des Liixoriiis^
zu denen es gehört, imd ist sonach an dem erstehen Orte wegzulassen.
Selbst in dem nemlichen Buche, Lib. IV ep. 363 pag. 275 und ep. 382
pag. 281 tom. 2 kommt ein Epigramm theilweise zweimal vor, und die
letzte Nummer muss getilgt werden.
3) Dagegen sollte die neue Ausgabe der Latein. Anthologie mit
einigen Gedichten vermehrt werden , welche ihrem ganzen Inhalt nach
zu ihr gehören, und von Burmann ohne zureichenden Grund weg-
gelassen worden sind. Diese sind das Peryigiiium IKenerisj das dem
Lactantius zrgeschriebene Carmen de Phoenice , die Oden des so-
genannten Vestritius Spuriniia, und mehrere kleinere Gedichte, wel-
che , wie die eben genannten Oden , Wernsdorf in seinen Poet.
Latin, minor, hat abdrucken lassen. Ja , wir glauben , dass auch
die 6, dem Cornelius Gallus mit Unrecht beigelegten, Elegieen des
Maximianus einen ganz schicklichen Platz in der neuen Ausgabe der
Anthologie finden würden ; auf jeden Fall aber muss in dieselbe die
dem Dichter Gallus gleichfalls zugeschriebene , mit den Worten Non
fuit Arsacidum tantl expugnare Seleucen anfangende, und zuerst
mit den drei Epigrammen, die auch den Namen des Gallus führen,
(Anthol. Lat. Lib. lU ep. 172, ep. 238 und ep. 240 not.) von Aldus Ma-
218 Abhandlung.
nuttiiä zu Florenz Lei Georj^ Marescotti 1588"), 8, herausgegebene
Elegie aufgenoininen Averdeii, die auch Wernsdorf zugleicli mit den
drei E[)igramnicn im dritten Bande der Poi-t. Lat. min. erläutert hat.
Auch ist nicht zu zweifeln, dass unter den in der neueren Zeit aufge-
fundenen Inschriften sich die eine und andere zur Aufnahme in die An-
thologie eignen wird : wie denn wirklich eine solche in den Jahrbb. für
rhilol. J. 1828, 1,2 S. 238 aus dem Giornale dell'Italiana lettera-
tura abgedruckt ist, welche zu den im 4ten Buche stehenden Epitaphien
hinzugefügt werden muss. Damit die alte Zählung der Epigramme
beibehalten werden kann, und um keine Verwirrung in das Citiren zu
bringen , möchte es am gerathensten seyn , wenn an die Stelle der Ge-
dichte, welche, weil sie zweimal gedruckt sind, an Einem Orte weg-
fallen , jedesmal eines der aus den Addendis aufzunehmenden gesetzt,
und, wofern die auf jene Art entstandenen Lücken ausgefüllt sind , die
übrigen an das Ende der Bücher zu denen sie gehören , mit fortlau-
fenden Zahlen angereiht würden.
4) Ueberdie Aeclitheit und den Ursprung einzelner dieser Gedichte
müssen, wie schon oben bemerkt worden, genauere Untersuchungen
angestellt werden. Mehrere flerselben sind entschieden aus neuerer
Zeit: was Burmann selbst z. B. vom 41sten Epigramm des Isten Bu-
ches, Seite 21 tom.l, und Seh rader in der vor dem 2ten Bande ste-
henden Epistola Critica von mehreren der im 4ten Buche enthaltenen
Gedichte bemerkt hat. Eben so ist, was sowohl Burraann als
Wernsdorf unbekannt blieb, das Gedicht Orpheus, welches dem
C. Cas,sius Parmeiifii'i zugeschrieben wird, und Lib. I ep. 135 pag.
97fgg. steht, von einem neueren Verfasser, Antonius Thylesius, wie
sich aus der von Fr. Daniele ") zu Neapel im J. 1762 in 8 besorgten
Ausgabe der Werke jenes Dichters und aus einem Aufsatz des grossen
Litterators Barth elemy Mercier Abbe de Saint Leger
über dessen Lateinische Gedichte in Mi Hins Magas. eiicyclop, lll,
6 , 351 ergibt. Auch das schöne Epitaphium Claudiae Jlomonoeae^
Lib. IV ep. 142 pag. 90 — 98 tom. 2, hält Vulpius zu CataU. carra.
94 (al. 96.) V, 5 pag. 473 für die Arbeit eines neueren Dichters. Wir
wollen die Gründe seiner Behauptung, welche Burmann und
♦) Nicht 1590, wie bei Fabric. Bibl. Lat. tom. I p. 429 ed. Ernest. und anderwärtg
Bteht. Uer Titel der Ausgabe iat; Asinii Cornelii Galli Elegia nunc jtrimum e tene-
bris eruta ab Aldo Manuccio : Eiusdem Epigrammata tria. Florentiae , ex t ypogra-
phia Genrgii Marescotti 1588. 8. 8 Blätter. Es ergibt sich aus diesem Titel , dass,
woran man nach Burmanu's Note zu Lib. III ep. 240 S. Cli9 fg. tom. 1 zweifeln könn-
te, in der Ausgabe nicht bloss die Elegie, sondern auch die drei Epigramme dem
Dichter Gallua zugeuchrieben werden. Burmann und VVerusdorf kannten diese Aus
gäbe nicht.
♦•) Vgl. Johann Hartmann Eberhadt über den Zmland der svhönen Wis-
senschflen bei denRömern. (Aus dem Schwedischen. Mit Zuaät/.en. Altona Iftül. 8.; S.
199 f. Diese Schrift verdiente bekannter zu eeyn , als sie ist. Die Zusätze , deren
Verfasser der verstorb. gelehrte Bibliothekar Berend Kordes in Kiel ist, enthal-
ten eine Fülle der trefflichsten Notizen zur Geschichte der llöaiischen Litteratur.
Bardili: lieber eine neue Ausgabe der Anthologia Latlna. 219
Wernsdorf nicht erwähnt haben, mit bcinen eigenen Worten an-
rühren: „Contrariam huic sententiuni contiiu;t iniTäq)iov honestae luu-
lieris, quod lloiuae servari perhibent; id eiusiuüdi e^^t: lllci tgo^ qicae
. claris fiieram praelata TpuelUs etc. Quuc tarnen inscriptiu , ne id,
quod sentio , dissiiuulcm , videtur mihi a docto quodam viro saeculi a
Christo nato XVI ad antiquarum exemplum concepta et pro veteri sup-
poäita. Eüt cnim profecto cloquentiae nimis accuratae, et vix e ger-
manis inscriptiüiiibus versu conscriptis aliquani reperias, quae verbo-
rura delectu ac proprietate cum ca certare possit. Initium porro sura-
tum est ex Ovid. Mctani. üb. 4 v. 5(», ubi sie de Thisbe : ylUera qiias
Oriens habuit praelata puellis.'-'' Uebrigens würde ich um keine wei-
tere Aenderung mit den Zahlen vornehmen zu dürfen, und weil man
doch einmal daran gewöhnt ist , diese Gedichte in der Anthologie zu
lesen, auch mehrere der=elben, als vermeintliche Erzeugnisse älterer
Dichter, in philologischen Schriften angeführt werden , nicht dazu ra-
then, sie in dem neuen Abdrucke ganz auszustossen ; sondern ich halte
es für besser , dass sie an ihrer seitherigen Stelle beibehalten , aber
durch einen vorgesetzten Asteriscus oder ein andei'es Merkmahl schon
im Texte der Anthologie als unecht und einer späteren Zeit angehö-
rend bezeichnet werden.
5) Um eine den Anforderungen unserer Zeit entsprechende neue
Ausgabe der Lateinischen Anthologie besorgen zu können, sollten so-
wohl der bekannte Salniasische , nun auf der Königl. Bibliothek zu
Paris befindliche , Codex , von welchem B u r m a n n in der Vorrede
zum Isten Bande S. XL VI — LI handelt, als auch die ebendaselbst S.
LH fg. genannten Pariser Handschriften , der Tkuaneus y Petaviaiuis
vuA Puteaneus y auf das neue sorgfältiger verglichen werden ; und,
wofern Burmann's Vermuthung, ebendas. S. XVH, gegründet ist, dass
die in dem Cataloge der >Iss. auf der Paris. Bibl. Tom. H pag. 903, C,
und pag. 1280, C, angeführten zwei Handschriften noch ungedruckte
Epigramme enthalten , so w ären auch diese einer genaueren Prüfung
und V^ergleichung würdig. Burmann sah den Salmasischen Codex, den
wichtigsten von allen, nicht selbst, sondern hatte bloss von Andern
gemachte Auszüge aus demselben vor sich , und es ist nicht zu zwei-
feln, dass eine neu anzustellende Vergleichung dieser Handschrift, de-
ren Alter , Beschaffenheit und Inhalt noch "nicht zureichend bekannt ist,
bedeutenden Gewinn für die Kritik der in ihr enthaltenen Gedichte
gewähren wird. Dabei wird sich dann auch ergeben , in wie weit
die Meinung Gustav Sarpe's über das Alter und den Verfasser dea
gleichfalls in jenem Codex stehenden PtrvlgUium T^eneris haltbar
ist, welche er in seinen Quaeiiiiones philolugicae (Rostoch. 1819.4.)
Cap. V pag. 36 mit den Worten ausspricht: „lUud procerum carmen:
Crasamet, qui niunquam amavit cet., cuius fragmentum codex Mar-
tisburgensis adscriliit Senecae, referendum erit, exceptis tamen primis
versibug numero XXII, ad Thomam Senecara Camertem. Quem virum
eaeculu p. Ch. XV ineunte vixisse , egregie demonstrat Huschkius in
praefat. ad Tibull. pag. XV. De isto pervigilio Veneris ita sentienti
220 A b h a n d I u
S-
non irascentur raanes Buherü et Sanadoniü ;" eine Behauptung , wel-
che mir wenigstens sehr nnwalirscheinlith ist , da Salinasius einen
Codex, in dem das Gedicht eines Verfassers aus dem loten Jalirhun-
dert enthalten wäre, gewiss nicht velustissünum (s. Burraann 1. c. p.
XLVI.) genannt haben würde. Neben den angeführten Pariser Hand-
schriften verdient auch die auf der Bibliothek zu Wolfenbüttel befind-
liche, von Marq. Gudius aus dem Sahnasischen Codex gemachte,
Abschrift der Epigramme des Luxorius und einiger anderen Gedichte
Berücksichtigung. Von ihr handelt Lessing in dem Isten Beitrage
zur Geschichte und Litteratur aus den Schätzen der Herzogl. Bibliothek
zu Wolfenbüttel , Seite 252 — 258, welcher ganze Aufsatz um meh-
rerer Ursachen willen verglichen werden muss und namentlich auch da-
für einen BeAveis gibt, dass die von Burmann benutzten Abschriften
des Salmasischen Codex nicht überall genau waren, also eine neue Un-
tersuchung desselben keine überflüssige Arbeit ist, und dass auch die
sogenannten Schedae Dlvionenses aus diesem nehmlichen Codex ge-
flossen, und nicht, wie Burmann 1. c. pag. L fg. vermuthete , aus einer
anderen Handschrift genommen sind.
6) Dass Burmann's Anmerkungen, welche er in den Addendis
zum Isten und 2ten Bande gibt, mit den übrigen verbunden werden
müssen , versteht sich von selbst ; auch die kritischen Verbesserungen
zu den im 4ten Buche der Anthologie enthaltenen Epitaphien , welche
Sehr ad er in der vor dem 2ten Bande stehenden Epistnla Critica mit-
theilt, sollte den Burmann. Bemerkungen zu jenen Gedichten einver-
leibt werden: denn nichts ist unbequemer und verdriesslicher, als sol-
che Dinge an drei und vier Orten zusammensuchen zu müssen. Bur-
mann's Anmerkungen selbst könnten in der neuen Ausgabe um vieles
abgekürzt, imd dadurch für die Kritik und besonders für die, von ihm
beinahe ganz vernachlässigte, Erklärung der Gedichte Raum gewon-
nen Werden. Seine ungebührlichen und plumpen Ausfälle auf Theo-
dorus Gorallus oder loannes Clericus, an welchem zum
Helden zu -werden eben kein grosses Geschäft war, auf Everhard
Otto, auf Christoph Saxe, auf Gessner — denn er ist der
Censor Lipsiensis ^ der im Isten Bande so übel mitgenommen wird
— auf den gleich groben Klotz und axif R u h n k e n , mit welcheni
er sich später wieder versöhnte, wird Niemand in dem neuen Abdrucke
wieder lesen wollen. Sehr viel Ranm nehmen in Burmann's Noten
die r.arallelstellen aus der Griechischen Anthologie weg, die er im 2ten
Bande nicht bloss im Original sondern auch in der Lateinischen Ueber-
setzung des Hugo Grotius ihrer ganzen Länge nach anführt, was in
jener Zeit wo die Abdrücke der Griechischen Blumenlese selten und
Grotins Uebersetzung noch ungedruckt war, allerdings ein Vcinlienst
eeyn mochte. Nun aber, da diese Uebersetzung gedruckt und das Ori-
ginal in mehr als Einer Ausgabe verbreitet ist, kann jene füglich weg-
gelassen werden, und hinsichtlich des Originales mag es hinreichend
seyn , wenn bei den angeführten Parallelstellcn , ohne dass man sie
wieder abdrucken lässt, auf die Nummer und Seitenzahl der
Brunckischen oder ersten Jacobsischen Ausgabe verwiesen wird. Auf
Bardili: Ueber eine neue Auegabe der Anthologia Latina. 221
diese Art M'ird der ne»ie Herausgeber freiere Hand zu seinen eigenen
Bemerkungen haben, bei denen ihm, wie eben gesagt worden, die
von Burmann gar zu sparsam behandelte Erläuterung der Gedichte eine
Hauptrücltsielit seyn muss.
7) B u r mann hat die Gewohnheit , wenn er in seinen Anmer-
kungen zur Anthologie auf andere in ihr enthaltene Gedichte verweist,
dabei nicht nach den Seitenzahlen seiner Sammlung, sondern nach de-
nen der beiden Sammlungen von Pithöus und Lindenbrog zu
citiren. Diese Citationen müssen in dem neuen Abdrucke sämmtlich
auf die Ziffern, weldie die Gedichte in den 6 Büchern der Burmanni-
schcn Anthologie führen , und auf die Seitenzahlen dieses Wei'kes zu-
rückgeführt werden. Ich habe diess in einem Exemplare der Antholo-
gie an den meisten , wo nicht an allen Stellen getluin , und weide ei-
nem neuen Herausgeber , Avofern er es wünschen sollte , mit Vergnü-
gen eine Abschrift davon zukommen lassen. Die Mühe , welche mir
diese Reduction der Ziffern verursachte, Avar nicht gering, und es ist
unnöthig, dass sich ein Anderer einem schon vollendeten beschwerli-
chen Geschäfte auf das neue unterziehe.
8) Für die Verbesserung und Erklärung der Gedichte müssen In
dem neuen Abdrucke folgende Schriften benutzt werden, welche ich,
um der leichteren Uebersicht willen , in alphabetischer Reihenfolge
der Namen ihrer Verfasser aufführen will.
Anton, Conrad Gottlob. Seine Anmerkungen zu den im
6tcn Buche der Anthologie abgedruckten Priapeia stehen in der von
ihm besorgten Ausgabe des Petronius, (Lips. 1781. 8.) zu welcher jene
Gedichte einen Anhang bilden.
Burmannus Secundus. Burmann hat das Carmen Lactantii
de Phoenice hinter seiner Ausgabe des Claudianus (Amstelodam. 1760.
4.) mit seinen und Kic. Heinsius Anmerkungen abdrucken lassen , und
dieses Gedicht muss, wie oben unter Num. 3 gesagt wurde, in die neue
Ausgabe der Anthologie, und zwar mit jenen Anmerkungen, die denen
zur Anthologie ganz gleich sind , aufgenommen werden. Derselbe
Burmann gibt in der berüchtigten Schrift: Pttri Biirmanni Secun-
di Antiklotz'ms (Amstelaedami, ex officina Gerardi Tielenburg. 1762.
4.), einem würdigen Seitenstücke zu dem unten anzuführenden Antibur-
mannus von Klotz, und in seinem Commentare zum Propertius
(Traiecti ad Rhen. 1780. 4.) mehrere Nachträge Zu seinen Anmerkun-
gen zur Lateinischen Anthologie.
Eichstaedt, Heinrich Carl Abraham. J^aleril Cato-
nis Dirae , cum hrevi notatione critica edidit H. C. A. Eichsta-
dius. lenae. 1826. 4. Vgl. mit Sillig's Recension in den Jahrbb.
fürPhilolog. und Pädag. J. 1826, II, 2 S. 333 — 343. Zwei andere
Schriften über dieses, im 2ten Bande der Anthol. S. 649 fgg. stehende,
Gedicht werden unter Jacobs und Näke genannt werden,
Hoeufft, Jac. Ileinr. Die Ptricicla Crliica dieses Gelehr-
ten , in welchen auch Stellen der Anthol. kritisch behandelt werden,
erschienen zuerst im dritten Bändchen seiner Pericula po'etica , in
222 Abhandlung.
Holland, ohne Angahe des Ortes, Im J. 1788, 8. (Das Iste BSndchen
ist V. J. 1783.) Eine 2te Auflage dieser Pericula critlca kam vor dem
J. 1809 heraus — denn sie wird von Lennep in seinen Anmerkungen
zu Ovid's Herolden, die zu Amsterdam im J. 1809 und wieder im J.
1812 gedruckt wurden, mehrmals citirt; — das Jahr und den Ort der
Erscheinung vermag ich aher nicht anzugeben. Für die Anthologie
müsste die 2te Ausgabe benutzt werden.
Huschke, Im man. G. Eines der schwierigsten Epigramme
der ganzen Anthologie, Lib. II eplgr. 242 p. 423 — 425: Epigramma
Virgilli in C. yinniiini Cimbnim Rhetoreiv^ wird von dem genann-
ten Gelehrten ausführlich behandelt in seiner Comnientatio de C. An-
nio Clmbro , Lysidici F. ^ (Rostoch, 1824. 4.) zu welcher in seinen
Analecta Litterarla (Lips. 1826. 8.) Nachträge gegeben sind.
Jacobs, Fried r. Specimen emendationum in auctores ve-
teres cum graecos tum latinos, (Gotha 178fi. 8.) in welchem, so wie
in den nachher anzuführenden Schriften von Medenbach Wakker,
Nodell, Ouwens und Sehr ade r, einzelne Stellen der Antholo-
gie verbessert werden. Von Jacobs ist auch ein Aufsatz über die Di-
rae des Valerius Cato eingerückt in die Bibliothek der alten Litteratur
und Kunst. 9tes Stück (Göttingen. 1792. 8.) Seite 56—61.
II gen, Car. Dav. Animadversiones pliilologicae et criticae
in Carmen virgilianum^ qiiod Copa inscrihitur. Halae.1821.4. Die-
ses Gedicht steht im Isten Bande der Anthologie, S. 707 — 718.
Klotz, Christian Adolph. Antiburmannus. lenae. 1761.
8. Diese Schrift enthält eine sehr strenge , im plumpsten Tone abge-
fasste , Kritik des Isten Bandes der Burmann. Anthologie , mit vielen
Bemerkungen zu einzelnen Gedichten in demselben.
L es sing. Im Isten Bande seiner vermischten Schriften, S. 282
fgg. der Ausg. Berlin, 1771, oder S. 263 fgg. der Ausg. v. 1796, ver-
besserte Lessing Stellen in den Priapeis aus einem Breslauer und Wol-
fenbüttl. Codex, und bemerkt dabei dass auf der Bibliothek zn Wolfen-
büttel sich ein Exemplar der Lindenbrogischen Appendix Virgil. mit
vielen Zusätzen und Verbesserungen von Lindenbrog selbst befinde, wel-
che eben so wohl , als die dort aufbewahrte Gudische Abschrift (s.
oben Num. 5.) , für die neue Ausgabe der Anthologie benutzt werden
sollten.
Mai, A n g e 1 US. In den von ihm herausgegebenen Fragmenten
einiger Ciceron. Reden (Mailand, 1817. 8.) hat Mai S. 224 — 226 ans
7 Handschriften der Ambrosianischen Bibliothek zu Mailand die 12
Epitaphia in Ciceronem, Anthol. Lat. tom. I pag. 342—348, abdruk-
ken lassen, und seine Lesarten weichen von den Burmann, hie und
da ab.
Martini, Adolph. Lactantii Carmen dePhoenice ad Codi-
ces quosdam mss. antea nondum, collalos veteresque editt. recens,
et cum lection. puriet. ed. Ad. Martini. Lüneburg. 1825. 8. Vgl.
oben unter Burmanniis Secundus.
Bardili : Ueber eine neue Ausgabe der Authulogia Latina. 223
Medenbach Wakkcr, lac. Phil. de. Atnoenitates Ut.
terariae. Traiecti ad Rhen. 1770. 8.
Moebius, Anton. Die Nac/dfder der Melius. Laleinisch
und Deutsch , mit Amnerhungen. Süst. 1816, 8, Vgl. oben unter
Num. 3.
Nacke, Aug. Ferdin. De Battaro Valerii Catonis. Scri-
psit A. F. Naekius. Im Isten Heft des 2ten Jahrganges vom Rheini-
schen Museum , herausg. von IN'iebuhr und A.
Nodell, lo. Ad. Criticarum, ohservaiionum LiheUus. Cam-
pis. 1781. 8.
Ouwens, Rutgeri, Noctes Haganae , sive Ohservatio-
num Libri tres, in quibus inulti veteriun scripiorum hei expli-
canlur, vindicanlur vel emendantiir. Franequerae. 1780. 4.
Peerlkamp, Petri Hofman, Observationes Anacreon-
ticae , in dem Isten Bande der Nova Acta literaria Societat. Rheno -
Traiect. (1821. 8.) pag. 121 — 183. Sie enthalten mehrere Verbesse-
rungen von Gedichten in der Burraann. Anthologie.
Seh rader, loann., Emendationum Liber , (Leovard. 1776.
4.) eine der wichtigsten kritischen Schriften welche bei ihrer Selten-
heit gar wohl eines neuen Abdruckes würdig wäre.
Wagner, Georg. Phil. Eberh. Elegia ad M. Valerium
Corvinum Messalam. , edidit , commentatione de auctore et obser-
vationibus criticis instruxit G. Ph.E. TVagner. Lips. 1816. 8. Die
Elegie steht im Isten Bande der Anthologie, S. 292 — 301.
Wernsdorf, lo. Christian. Dass seine bekannte Ausgabe
der Poetae Latini minores , in welcher viele Gedichte der Burmann.
Anthologie wieder abgedruckt sind , überall verglichen werden muss,
braucht kaum erinnert zu werden.
9) Ein Hauptmangel der Burmannischen Anthologie, wel-
cher das Nachschlagen in ihr ungemein erschwert, ist der, dass sie
keine Register über die Gedichte selbst und ihre Verfasser hat, und,
um diesem Uebelstande abzuhelfen , sollten dem neuen Abdrucke drei
Register beigegeben werden, 1) ein alphabetisches der Verfasser, 2)
ein gleichfalls alphabetisches mit den ersten Worten jedes Gedichtes
und der Angabe der Ziffer und Seitenzahl, unter welcher es in der
Anthologie zu finden ist, und 3) ein Register, in welchem die Ziflern
jedes einzelnen Gedichtes mit den Seitenzahlen der beiden Sammlun-
gen von P i t h ö u s und Lindenbrog verglichen w ürden. Das erste
dieser Register darf nicht erst verfertigt, sondern nur aus der Vorrede
zum Isten Bande des Onomasiicoii Liiterariwn von Christoph
Saxe S. XXVII — XXXI herübergenommen werden.
Ehe ich diese Bemerkungen und Notizen schliesse , welche ein in
günstigeren litterarischen Verhältnissen stehender neuer Herausgeber
der Latein. Anthologie gewiss mit vielen andern wird vermehren kön-
nen, will ich noch etwas über eine hieher gehörige Schrift siigcn, die
Burmann zwar gekannt, aber nicht sorgfältig genug beschrieben hat.
224 Abhandlung.
Dass in den 1505 und 1515 zu Fano in 8 gedruckten Ausgaben des
sogenannten PZ/if/a/MÄ TJiehaniis sich einige Epigramme befinden, und
die erstere derselben vom J. 1505 mehrere , als die zweite von 1515,
enthalte, hat Burmann S. XIII fg. der Vorrede zum Isten Bande aus
den Zusätzen zu den IVaudaeana pag. 198 und aus Fontanini's Histor.
Liter. Aquilei. lib. I cap. 3 pag. 58 und 62 bemerkt; die frühere jener
Ausgaben aber niemals gesehen , — doch besass er ein Exemplar der
Sammlung des Pithöus, dem Petrus Scriverius ihre Varianten
beigeschrieben hatte — und die spätere von 1515 erst vom 2ten Bande
an benutzen können. Auch ich habe diese 2te Ausgabe vor mir , imd
da sie Burmann, ihrer grossen Seltenheit ungeachtet, nirgends genauer
beschreibt, ja sogar, verleitet durch Fontanini, etwas ganz Unwahres
von ihr berichtet, so glaube ich einem neuen Herausgeber der Antho-
logie einen Dienst damit zu leisten , wenn ich hier eine genügende Be-
schreibung derselben folgen lasse, mit Angabe der in ihr enthaltenen
Epigramme, und der Lesarten in diesen Epigrammen, welche Bur-
mann entweder gar nicht oder unrichtig ausgezeichnet hat. Der Titel
der Ausgabe, die 40 ungezählte Blätter in klein 8 hat , lautet so, auf
der Stirnseite des ersten Blattes :
PYKDARVS de hello
Troiano
ASTYAXAX maphaei
Laudensis
Epigrammata quaedam
diversorum autoriT
Auf der Rückseite des ersten Blattes steht ein Brief von Franciscus
Polyardus mit der Ueberschrift: Franciscus Polyardus Fanen,
Mutlo Arellio, S. P. D. am Ende des Briefes: ex Fano fort une.
Octauo cal. octob. M. D. X.K, Nun folgen Bemerkungen zum Pyn-
darus Thebanus, auf den 2, 3, 4, 5, G, 7 und der Stirnseite des 8ten Blat-
tes , die mit den Worten eingeleitet Averden : Apposuimus hie hrevi-
ter qiie ad huius poete lectionem pertinere videbantur. Von diesen
Bemerkungen sind einige kritischen Inhaltes , die meisten beschäftigen
sich mit der Erklärung der Namen der in dem Gedichte vorkommen-
den Homerischen Helden. Auf der Rückseite des 8ten Blattes befinden
sich 2 Gedichte , das erste in 2 Distichen von TTieronymus Martiro-
tius , das zweite in Einem Distichon \oxv Albertus Soncinus , beide
zum Lobe des Pyndarus Thebanus. Vom 9ten Blatte an bis zum Ende
des Buches auf der Stirnseite des letzten und 40sten Blattes folgt der
Text der auf dem Titel genannten Gedichte. Mehrere der Epigramme,
welche die Ausgabe enthält, sind von neueren Verfassern, z. B. von
Constantius Fanensis und Baptista Guarinus; von den in
der Burmann. Anthologie gedruckten gibt sie folgende Lib. I ep. 41
pag. 21 tora. 1. Die Ueberschrift ist: Leonardi arretini Carmen sub
Imagie braccii montunii und im 2ten Verse liest sie: non vastis
moenia fossis. — Lib. II ep. 172 pag. 349 tom. 1. V. 2 egredere-
tur. V. 3 Accedant, — Lib. II ep. 258 pag. 445 tom 1. Die Ueber-
Bardili: Ucbcr eine neue Ausgabe der Anthologia Latina. 225
Schrift ist: Ex codlce Pa-piiii veluatiHsimo^ V. 8 Moeaos ^ nicht
Maesos. — Lib. III ep. 177 pa<j;. fi20 toni. 1. Die Uebcrüclirift : hi-
certi autoris. Die Lesarten stimmen mit den von Burmanu in den
Addend. pag. 744 tom. 2 aus der früheren Ausgabe v. 1505 angcfülir-
ten überein; nur V. 1 liest die spätere genitrix ^ und V. 5 .sie, nicht
si. — Lib. III ep. 219 pag. 651 tom. 1. Die Ueberschrift ist: Gutll
Poeie loci. Hier wird also dieses Gedicht wirklich dem Gallus
zugeschrieben, und Burmann hätte in don Addend. tom. 2 pag. 740, wo
er die Lesarten der Ausg. von 1515 anführt, auch dieses ausdrücklich
bemerken , und dabei Zugleich den Irrthum berichtigen sollen , den er
in der ersten Kote zu jenem Gedichte, pag. 651 tom. 1, (vgl. die A'or-
rede dieses Bandes S. XIII.) durch Fontanini verfährt, begangen hatte.
Er schreibt an dem gedachten Orte: „Editnm olim fuit [hoc epigram-
nia] in anti({uioribus Maximian!, falso Gtilli nomen mentientis, Ele-
giarnra editionibus, ut in prima Gaurici et Laur. Abstemii editione Fa-
nensi 1515 post Pindarum Thebanum et vetera epigrammata, unde de-
cepti viri eruditi aliquando versus ex hoc Epigrammate sab nomine
Cornelii Galli produxerunt." Er selbst war der Getäuschte : denn von
den Elegieen des Maximianus findet sich in der Ausgabe v. 1515 keine
Spur, wie er, nachdem er sie später zur Benutzung für den 2ten Band
seiner Anthologie erhalten hatte , beim ersten Anblick hätte sehen
können, und die Angabe, dass jene Elegieen in der genannten Ausgabe
stehen, welche aus Fontanini Burniann, und aus ihm Wernsdorf
(Poet. Lat. »lin. Tora. VI pars 1 pag. 237) und Ebert (Bibl. Lexik.
Num. 16907) wiederhohlt haben, ist durcliaus falsch und ungegründet.
Die Ausgabe v. 1515 enthält nicht nur nicht mehr, sondern weniger
als die frühere, (die Epigramme, welche jene weggelassen hat, wer-
den gleich nachher angeführt werden) und die Notiz von ihr , welche
Burmann S. XIII seiner Vorrede zum Isten Bande aus den Zusätzen zu
den Naudaeana gegeben hat, ist genauer, als was ebendaselbst aus
Fontanini über sie gesagt worden ist. Ich kehre nun zur Angabe des
Inhalts und der Lesarten der Fan. v. 1515 zurück. Lib. IV ep. 16 pag.
16 tom. 2. V. % Perlege. V. 3 mecum hie Aralda qulesclt. V. 4
genitrix. \. ^ eiügmata sp Ingos, nicht sphxngis. — Lib. IV ep»
58 pag. 42 tom. 2. V.4 /lonor. — Lib. IV ep. 92 pag. 62. — = Lib. IV
ep. 154 pag. 111. Die Ueberschrift ist: Romae in saiicta tnariä
Tnaiori. V. 2 coniux. V. 5 Supremum munns versus. Von den in
die Anthologie aufgenommenen Epigrammen , welche auch in der frü-
heren Fan. V. 1505 stehen , sind in der v. 1515 folgende weggelassen
worden: Lib. III ep. 24 pag. 473 tora. 1, Lib. IV ep. 47 pag. 34, ep.
48 pag. 35, ep. 110 pag. 74 und ep. 142 pag. 90 tom 2. Die An.-gabe,
deren Inhalt für die Latein. Anthologie nun so erschöpft ist, da^s sieh
kein neuer Herausgeber mehr um das äusserst seltene Bnrh bemühen
darf, schlicsst auf der Stirnseite des 40sten Blattes mit den Worten:
Impressum Fani ab Hlero
Jahrh, f. Phit. u. Päddg. Jahrg. III , Heft fl. '^^
226 Bardili : ücber eine neue Bearb. der Poetae hat. Min. v. Wcrnsd.
n^mo Soncino Sexto Id.
octobris. M. D. XV.
Uebev eine neue Bearbeitung tler Poetae Latini Mino-
res von Wernsdorf.
[Aus demselben Schreiben.]
Die vorstehenden Bemerkungen zur Lateinischen Anthologie, wel-
che aus einiger Beschäftigung mit ihr und aus steter Aufmerksamkeit
auf ihre Litteratur entstanden sind , füliren mich , da beide Werke zu
einander in unmittelbarer Beziehung stehen und so Vieles aus dem
früheren in das spätere übergegangen ist, von seihst auf Werns-
dorf's Poetae Latini Minor e.s ^ deren erste Bände im Buchhandel
längst vergriffen , und die auch um anderer Ursachen Avillen eben so
wohl einer neuen Bearbeitung würdig sind. Und wer sollte zu diesem
Geschäfte mehr befähigt, wem sollte diese Arbeit leichter seyn , als
einem neuen Herausgeber der Lateinischen Anthologie, der, um bei der
eben genannten Sammlung seinen Zweck zu erreichen , die des Deut-
schen Gelehrten beständig vergleichen rauss , sich dadurch mit dersel-
ben ganz vertraut macht, und bei der kritischen und exegetischen Aus-
stattung des einen Werkes zugleich die reichsten Materialien zu der des
andern , so nahe verwandten , sich gleichsam unter der Itand anwach-
sen sieht? Durch die neue Bearbeitung beider Sammlungen von Einefh
Gelehrten würden dieselben auch in noch nähere Beziehung zu einan-
der treten, indem, was in der einen steht, in der andern weggelas-
sen, und jeder von ihnen ihr eigenthümlicher Cyklus von Gedichten
zugewiesen werden könnte, während man nach der gegenwärtigen
Einrichtung eine sehr grosse Anzahl dieser Gedichte zweimal, bei Bur-
mann sowohl als bei Wernsdorf, lesen muss. Die Sammlung des letz-
teren, in welcher nach dem vorgeschlagenen Plane vieles wegfallen
würde, sollte dagegen mit den beiden Dichtern, Q. Serenus Sammo-
nicus und T^indlcianus s. Marcellus de Medicina , vermehrt wer-
den, welche Wernsdorf in sein Werk nicht aufgenommen hat: wess-
wegen auch neben demselben der Besitz der Poetae Latini minores
des älteren Burmann noch immer unentbehrlich ist. Ob die
neue Ausgabe dieser Dichter, welche zu Paris als ein Theil der L e -
maire' sehen Autorcnsammlung erschienen ist, auch neuen Gewinn
für die kritische und exegetische Behandlung gewähre, weiss ich nicht;
möchte jedoch daran nach sonstiger Kunde von jenen Ausgaben zwei-
feln. Auf jeden Fall wird sie ein neuer Herausgeber nicht übersehen
dürfen , welchem auch für den , im 4ten Bande der Wcrnsdorfischen
Sammlung' abgedruckten , sogenannten Pindc^rua Thcbanus die Aus-
M i s c e l 1 e n. 227
gäbe von Weytingh (Arasterd. 1809. 8.) so wie eine Abschrift der
liritischen Annuu-kungen und eine \'«rglejt;}imig der Lesarten der zu
Fano 1515 erschienenen Ausgabe, wofern er Gebrauch davon machen
will , hiemit angeboten wird.
M i s c e 1 l e n.
Am 28 Mai hielt die Oberlausitzer Gesellschaft der Wissenschaften zn
Görlitz ihre jährliche Hauptversammlung und erkannte von 7 Preis-
Bchriften , welche zur Beantwortung der Frage: 74 ann und aus wel-
chem RecJitsgrwide heim die Oberlau.sltz im 13 JaJirh. an das
Haus Brandenburg etc. [s. Jbb. V S. 211], eingegangen waren, zwei
für des Preises würdig, der auch zwischen ihren beiden Verfassern, dem
Superint. Dr. JVürbs in Priebus und dem Pastor M. Trabert in Rau-
sche, getheilt ward. Eine dritte Arbeit mit dem Motto: Dislingue
tempora et sie concordabit scriptura , wurde ausserdem rühmlicher
Erwähnung werth befunden. Als neue, bis zum letzten März 1829 zu
lösende Preisfrage, mit dem Preise von 50 Thlrn. in Golde, wurde
aufgegeben: £ine Geschichte der Cultur der bildenden Künste in
der Oberlausitz, mit Verzeichniss der Künstler, die darin gebo-
ren wurden oder darin gelebt haben.
Ein Spassvogel könnte folgenden Titel und Vorrede eines kürz-
lich erschienenen pharmaceutischen Taschenbuchs für — medicinische
Latinität ausgeben: Pharmacopoea Borussica cum adnotationibus
in Therapia. Vis , usus et dosis remediorum, JEx decreto col-
legii medicl et sanitatis superioris Hegis Borussorum in Berolino
edidit Doctor in medicina et chirurgia Franciscus Nagel in Vra-
tislavia. Pars 1. Jiemedia simplicia. Editiü. Anno 1827. Cum
medalia autoris. Sumptibus autoris. — — J^g^ scripsi hoc li-
bellum Medicis et Chirurgis ad Usum. Hie solum pars prima
Pharmacopoeae Borussicae est , Hemedia simplicia; sed mox ve-
nit etiam pars secunda Remedia composita. Vim, Usum et J)o~
ses Remediorum distinctissime ostendi, et opto ut lectores mecum
contenti sint. Vratislaviae Imo Jan. 1828. Z>r. Franc. Nagel.
In London hat sich eine Gesellschaft reicher Literaturfreunde , an
deren Spitze der Prinz von Coburg steht, vereinigt, seltene Orienta-
lische Werke , welche sich auf die Geschichte des Orients , seine Wis-
eenschaft und schöne Literatur bezichen, im Urtext mit Commentar
und Uebersetzung herausgeben zu lassen und darauf eine jährliche Ein-
nahme von fast 1100 Pf. zu verwenden, mit dem Vorbehalt, dass sie
bei dem Erscheinen dieser Werke als Subscribenten Exemplare auf
besserem Papier erhalten, übrigens aber so viel dafür zahlen als jeder
228 M i s c e 1 1 e 11.
andere Käufer. Sie wollen mit allen Indischen und Orientalischen Hö-
fen und Ländern in Verbindung; treten. Die Orientalischen Manuscripte
der Bibliotheken zu Oxford und Cambridge , des Urittischen Museuiud
und des East -India- hou>e sollen die Grundlag-e der Sammlung bilden.
Vor der Hand sind 15 seltene Werke zur Uebersetzung bestimmt , dar-
unter die bis jetzt ganz unbekannten Didaskalien oder apostolischen Ver-
ordnungen der Abyssinischen Kirche , eine Arabische Geschichte und
Statistik Aegjptens unter den Kaliphcn und eine Persische Geschichte
his ziim Tode Alexanders des Grossen. Die Asiatic Society hat ibre
MitM irkung versprochen. Der Subscriptionspreis für das Ganze ist 10
Guineen.
In London wurde in den letzten Tagen des Juni die von dem Pa-
riser Buchhändler Renouard für seine Geschichte der Aldinischen
Drucke zusammengebrachte Sammlung dieser Ausgaben öfTentlich ver-
steigert. Den Livius kaufte der Graf Spencer für 95 Guineen (683
Thlr.). Ein Petrarca auf Pergament wurde für 65 Guineen, Galeni
opera von 1525 für 54 Guineen , ^ristotelis et Theop/irasti opera
für 40 Pfund , der Ttreniiufi für 27 Pf. , der Virgilius von 1514 für
20^ Pf., Amicl epistühi ad Campesaninn für 204 Pf. , Sclp. Car-
^tvumac/«' (Fortingnerra) oralio de laiidlbuH llter. Graec. für 15 Gui-
neen , Miirets Catullus für 11 Pf. , der Caesar (ein Exemplar , das
einst de Thou hesass) für 7 Guineen verkauft.
Eine apodictischc und oft ungründlichc Würdigung der jüngsten
Deutschen Literatur fuidet man in der Schrift: Das vergangene Jalir-
zchend der Deiitsc/ien Llleratur, Eine Betrachtung von IL F.
Mass mann. (München, Lentner. 1827. 8. 14 Gr.) — einem Buch,
das humoristisch geschrieben seyn soll, und an einem sonderbaren, den
Johannes Müllerschcn Stil affectirenden Deutsch krank liegt. Aber das
Buch verdient gelesen zu Averden , theils Aveil es viele Gebrechen der
Deutschen Schriftstellerei rügt , und z. B. besondere Capitel über die
zehnjährige Leipziger Messe und die Papierfabrik ohne Ende,
über die Musenwirthschaft oder Paneni et Circenses, über die dop-
pelte Buchhaltung der Tagblälter und Zeitschriften , über Droit
d^ainisse oder von der Schriftsässigkeit enthält, theils manche Cu-
liosa liefert und z. B. zusammengestellt hat, dass zu den neusten Deut
sehen Liederdichtern Gastwirthe, Kaufleute, Buchhändler, Apotheker,
Leihbibliotbekare, Pharmaccutcn, Fechtmeister, Bürstenbinder, Schn-
inachermeister, Schneidergesellen, Bauersleute und gemeine Soldaten
gehören. Wer wird da noch behaupten woUcu , dass unsere Literatur
nicht volk^thümlicli sey?
Die Römer sind am Endo bei ihren lleereszügen in Gei-manien al-
ler Geschichte zum Trotz nicht bloss his an die Elbe, sondern bis über
dieselbe vorgedrungen. In einer in HuUe bei RufF erschienenen Schrift
M i s c c 1 1 c n. 229
nruulicli : Seschreihun^ einiger hei liadchcrg im Königreich Sach-
sen aufgefundenen Urnen mit nnbckannLen Charctktcreny Avird
berichtet, dass iliose Urn«m in INischeii <;ines jj^emaurrtcu Gewölbes zu-
jj^leich mit Röinisiclieii Münzen {^felumlen worden sind, und daraus ge-
folgert, dass das Ganze ein Komisches Grabmal gewesen sey. Einfa-
cher wäre es freilich gewesen , bei Radeberg ein Deutscht' s oder gar
Slavisches Ileldengrab zu suchen, dem Römische Münzen ala Sieges-
Leute einverleibt worden sind.
In Berlin bei Voss ist erschienen: Geschichte , Geographie und
Statistik der Insel Sardinien, nebst einer Schilderung ihrer ^l-
terthünier ^ natürlichen Erzeugnisse und ihrer Sewohner, nach
den neuesten Französ, Quellen bearbeitet von Dr. F e r d. II ö r s c h e I -
mann. Mit 2 Charten und einer Medaillentafcl. Besonders M i m a u t ' a
Sardaigne ancienne et moderne ist dem Werke zu Grunde gelegt;
aber auch viele andere Hülfsmittcl , besonders Marmora's Reise,
sind sox'gfältig benutzt.
Wie in Paris [Jbb. IV S. 108] so hat auch in Wien die Ankunft
einer Girafe zu gelehrten Untersuchungen Veranlassung gegeben. Zu-
erst nilmlicli lieferte Jos. von Hammer in der Wiener Zeitschr.
für Kunst , Liter. , Theat. und Mode einen Aufsatz über die Orientali-
schen, besonders Türkischen und Persischen Namen dieses Thicres. Ein
zweiter Aufsatz von L. J, Fitzinger ebendas. St.iSfT. ist besonders für
die Naturgeschichte wichtig, indem er eine genaue Beschreibung der
Girafe liefert. Aber auch antiquarisch giebt er folgende Ausbeute:
Die Girafe heisst in einigen älteren Reisebeschreibungen Ghianiala ;
im Hebräischen Zanier oder Zemer und Zoiner ; im Chaldäischen Z)e~
ba • bei den Arabern nach Rüppel Serafe, nach Mongez Sirqf oder
Zurapha , nach Nemnich ZurapJiate , nach Aldrovand Saraphaph^
nach Albin Zurnap ^ nach Bellonius Zurnapa ; bei den Türken Sur^
napa; in Persien nach Nemnich Seraplia^ nach den Wörtei-büchern
TJschturgiawpelenh (Kamehlkuh- Leopard), Schuturgiawpelenh oder
Giawpelenh (Kuh -Leopard) und Schulurgiaw (Kamehlkuh); in Ae-
gjliten nach Albertus Magnus u4nabula ; bei den Aethiopiern nach
Plinius Nabis oder Nabuna ; bei den Hottentotten JSaip ; bei den
alten Griechen KafiriXoncc^duXiq , bei den neuen Zorpaqiq; bei den La-
teinern Camelopardalus , Camelopardus und Orasius ; bei den
Etrnskern Oraflus ; bei den alten Italienern Seraphe , Saraphal,
Gyraphan, Zirafa, Girafa und GiraJJa. Die Girafe war schon
in sehr alter Zeit bekannt, vie die Abbildungen derselben auf dem
berühmten Pränestinischen mosaischen Pflaster und die beiden Giraten
auf den Basreliefs Aegyptischer Tempolj [nach Lancret's und Jomard's
Zeichnungen beweisen. Die älteste Nachricht giebt Moses Deuteron,
14, 5, Aristoteles kannte sie nicht. Ptoleraäus Philadelphus zeigte
sie in meinem Triuiuphzuge den Alexandrinern zugleich mit einem Rhi-
230 M i s c e 1 1 e n. •
uoceros aus Aelliioplen. Zuerst beschrieb sie Agatharchides (140 v.
Chr.) und gab die westlichen Ufer des rotben Meeres als ihren Aufent-
liailsort an; dann Arteiuidor (100 v. Chr.). Julius Cäsar sah sie in
Aegjpten und brachte sie 45 v. Chr. nach Rom. Diese sahen Varro
und Horaz und beschrieben Strabo und Plinins, Auch Diodorus Sic.
sah entweder dieselbe oder eine auf seiner Reise nach Asien. Auch
der Verfasser des Griech. Gedichtes über Jagd und Fischfang beschreibt
sie. 248 n. Chr. brachte Philipp I 10, und 274 Aurelianus mehrere
Girafen nach Rom. Auch Philostorchus (im 4 Jahrb.) sah eine, eben
so Gosmas Indicopleustes (535) eine andere in Aethiopien; Heliodor gab
eine ausführliche Beschreibung. Cassianus Bassus sah sie in Antio-
chia und lässt sie aus Indien kommen; nach Suidas scljickteu die Ae-
thioper dem Kaiser Leo VI Girafen nach Constantinopel. Vincentius
Bcllovacensis sah und beschreibt die Girafe, welche der Kaiser Frie-
drich zAvischen 1152 und 1190 vom Sultan von Babylon erhielt und
welche m ahrscheinlich die nämliche ist , die im 12 Jahrb. in Palermo
war. Dieselbe wird nach Vosmaer in einer alten Handschrift in Flam-
ländischen Versen besungen, deren Dichter, wahrscheinlich S. Maarland,
das Th'icr Ora/ji/iif 6- nennt. Albertus Magnus gab eine Beschreibung
ilcr Girafe, welche der Sultan von Aegjpten dem Kaiser Friedrich 11
zwischen 1218 u. 1250 schenkte; Pachymeres von derjenigen, welche Mi-
chael nil in Constantinopel vom Könige von Aethiopien ZM'ischen 1260
— 1282 erhielt; Antonio Constanzi und Politian vonder, Avclche der Dey
von Tunis an Lorenz von Medicis schickte. Auch später kamen noch
mehrere Girafen nach Europa, und Mongez irrt, w enn er seit i486 keine
in Europa gewesen seyn lässt; noch mehr Schinz, welcher meint, seit
den Spielen der Römer seyen keine lebenden Girafen mehr nach Euro-
pa gekommen.
Der Britte Grierson hat in einem rotben Sandsteinfelsen, 2 Mei-
len von Lochmabon in Dumfries , bis 70 Fuss tief unter der obersten
Felslagc unverkennbare (?)Fussstapfen wandelnder Heerden vierfüssiger
Thiere gefunden, lieber diese Entdeckung hat Buckland in der anti-
quarischen Gesellschaft von Pertli eine Abhandlung vorgelesen, in wel-
cher er diese Fussstapfen Krokodilen oder Schildkröten zuschreibt und
diess aus dcoi regelmässigen Wechsel zwischen den linken und rechten
\ Order- und Hlnterfüssen , dem Abdruck des Fusses selbst, der Zehen
und Hacken und dem Scharren des Fusses längs dem weichen Fels ge-
schlossen. Also eine neue antediluvianischc Spur!
In Ilcrculanura hat man ein Haus ausgegraben , das eine Barbier-
etuhe enthält. Man fand darin Bänke ,' auf denen die Kunden wahr-
scheinlich Sassen und vor und nach dem Rasieren schwatzten , da ja,
wie wir aus Horaz wissen, die Barbierstuben als Klatschboutiken be-
rüchtigt waren. Auch mehrere gut erhaltene Nadeln , deren sich die
Frauen für ihren Kopfputz bedienten , wurden daselbst aufgefunden.
T o d e s f ü I 1 e. 231
Nach «ffentlirhen NacLricliteii hat man in Rom nchon dem al(en
CapUül einen marmornen Sarg mit 8 ein1)alsainierten Gänsen gelinulen,
und aus den Trümmern einer Inschrift soll hervorgclien , da^^s dieses
Monument den (iänsen g-esctzt wurde, die durch ilir Geschrei das Ca-
pitolium von den Galliern retteten.
Zu Valenciennes hat man in einer Tiefe von 8 Fuss einen {?ut er-
haltenen Mosaik -Fusshoden entdeckt, welcher grosse Aehnlichkeil mit
dem zu Ilerculanura gefnndenen hat. Bis jetzt ist etwa der vierte Theil
aufgedeckt, der 8 Fuss Länge und 7 Fuss Breite hat.
In der Nähe von Lillehonne fanden Torfgräber am 28Mai 9 Fuss
unter der Oberfläche einen hölzernen Kasten mit 300 Römischen Sil-
bermünzen aus den Jahren 98 bis 249 nach Christus.
Fried r. Aug. Wolf von einem Makel befreit.] Das
kön. Baierische General- Conservatorium der Missenschaftlichen Anstalt
des Staats hat bekannt gemacht , dass die Handschrift der Odyssee,
welche Wolf von der Angsburger Stadtbibliothek entliehen hatte und
welche er auf die später gemachte Aufforderung zur Rückgabe bereits
zurückgegeben zu haben behauptete (ungeachtet sein Empfangschein
noch vorhanden war) , sich wirklich bei einer vor kurzem vorgenom-
menen Revision der Münchener Bibliothek wiedergefunden und zugleich
sich ergeben hat, dass sie Wolf wirklich vor jener Aufforderung zu-
rückgesandt hatte.
Todesfälle.
/ia Paris starb vor kurzem das Mitglied der Akademie der Inschriften
Dom £ria/ , geboren In Perpignan am 26 Mai 1743. Er war der letzte
der gelehrten Französischen Benedictiner und hat die üeransgabe des
12 bis 18n Bandes der von Bouquet angefangenen Sammlung der Fran-
zösischen Geschichtschreiber besorgt, auch zu der von den Benedict!-
nern herausgegebenen histoire litteraire de la France sehr viel Beiträge
geliefert, sichrere Nachrichten über ihn findet man im 2n Theil von
Dibdin's biographical tour in France and Germany. Seine Stelle wird
nicht wieder besetzt, weil unter dem Minister von Corbiere durch einen
"kön. Befehl die Zahl der Mitglieder von 40 auf 30 herabgesetzt wor-
den ist.
Den 12 Jan. zu Görlitz der Schreiblehrer des Gymnasiums Chri-
stoph Gottlob Piltz , Glöckner und Organist an der Kirche zur heil.
Dreifaltigkeit und Inhaber des allgein. kön. Ehrenzeichens erster Classe,
232 Todesfälle.
91 J. alt. Seit 3 Jahren war er am Gymnasium nicht "Weiter thätig
und sein Amt verwaltete der dritte College Stolz, Vgl. Jbb. II S. 401.
Den 30 Mai zu Ehingen der ehemals bei der Oesterreichischen Re-
gierung angestellte , schon lange pensionierte Dichter TV eitzmann,
Torzüglich durch seine launigen Gedichte in Schwäbischer Mundart
bekannt, 61 J. alt.
Den 7 Juli zu Halle der berühmte Kanzler der Univers., Director
der Franke'schen Stiftungen etc. \iv. yliig. Herrn. Nlemeyer , geboren
ebendaselbst am 1 Sept. 1754 und erzogen in dem Pädagogium, dessen
Vorsteher er 44 Jahr lang gewesen ist. Seit dem 18 Apr. 1777 Avar
er Lehrer an der Universität.
Biographische Nachrichten von Heinrich Soie [Jbb. V S. 419] ste-
hen in d. Hall. L. Z. 1828 Nr. 156 S. 393 f., von MarezoU [Jbb. VI S. 244]
in der Darmstädter Kirchenzeit. Nr. 79 S. 641 — 45, von X/. F. G. v.
GöcL-ing [Jl)b. VI S.245] in d. Hall. L. Z. Nr. 150 S. 345 — 48.
Am 18 Febr. d. J. erlitt die Universität Rostock einen schmerzli-
chen Verlust durch den an diesem Tage zu Greussen im Schwarzburg-
Sondershäusiscben erfolgten Tod des bekannten Philologen Immcinutl G,
Hwichhe. Ebendaselbst im Jahre 1761 geboren ward er von seinem
frommen und tüchtigen Vater, einem Kaufmann, der sich durch 24 jäh-
tigen Aufenthalt im Holländischen Ostindien so viel Vermögen erwor-
ben hatte, um seinen Kindern eine liberale Erziehung geben zu kön-
nen, frühzeitig für die Wissenschaften bestimmt und, da die Ortsschule
keine Gelegenheit zur höhern Ausbildung darbot, auf die Fürstenschule
zu Pforta geschickt. Hier legte er den Grund zu der genauem Kennt-
niss der alten Sprachen und erwarb sich eine schon damals aulTallendo
Gewandtheit im Lateinischen Ausdrucke , sow ohl in Prosa als in Ver-
sen. Im Versificieren hatte er es so weit gebi-acht, dass er oft (wie er
eelbst später erzählte) durch gelungene Lateinische Oden seine durch
seinen Muthwillen erzürnten Lehrer wieder zu versöhnen wusste. Von
Pforta aus bezog er die Universität Zu Jena, eigentlich um Theologie
und nebenher philosophische Wissenschaften zu studieren. Seine von
der Schule mitgebrachte Vorliebe für die Philologie indessen behielt «o
sehr die Oberhand, dass er ihr nicht nur auf der Universität die meiste
Zeit widmete , sondern auch nach vollendetem akademischen Cursus
den Entschluss fasste , in diesem Fach sein Fortkommen zu suchen und
fürs erste nur durch Annahme vortheilhafter Hauslehrerstellen sich Zeit
und Mittel zu seiner weitern wissenschaftlichen Ausbildung zu verschaf-
fen. Auch gelang es ihm, diesen Plan zu realisieren. Nachdem er eine
Zeitlang theils in Jena, wo er Secretär der Lateinischen Gesellschaft
war, thcils in Göttingen, wo er noch Collegicn hörte, privatisiert hatte,
erhielt er zuerst eine Stelle bei einem adligen Gutsbesitzer in Liefland,
die freilich wegen derBeschaflenheit des Landes minder erfreulich Avarj
einige Jahre nachher aber eine andere bei einem der ersten Handels-
häuser in Amsterdam. Dieser Aufenthalt des Verstorbenen in Holland,
welcher auch nach vollendeter Erziehung der seiner Leitung anVertrail-
tea Kiudcr noch mehre Jahre abwechselnd in Leyden und Amaterdam
Todesfälle. 233
fortwährte, wirkte entscheidend für sein ganzes Lehen und die Art sei-
ner wissenschaftlichen Thätigkeit. Abgesehn davon, dass er durch
die freigehige Dankharkeit seines Principals in eine sorgenfreiere Lage
versetzt wurde , erhielt seine Art die philologischen Wissenschaften zu
betreiben durch den täglichen Umgang und die Vorlesungen eines
Huhnken, AVyttenbach und der übrigen damals lebenden Holländischen
Philologen diejenige Richtung, welche alle seine seitdem verfassten
Schriften charakterisiert. Eine öffentliche Anstellung indessen , zu der
ebenfalls ihm in Holland sich Aussichten eröffneten , nahm er nicht an.
Die Sehnsucht nach der Heimath und die damalige Umgestaltung aller
Verhältnisse in Holland in Gefolge der Französischen Revolution bewo-
gen ihn selbst jenes sein zweites A aterland , wie er es zu betrachten
pflegte, im Anfange dieses Jahrhunderts gänzlich wieder zu verlassen.
Ohne eigentliche Anstellung und öffentlichen Beruf lebte er zunächst
wieder einige Jahre in Göttingen mit wissenschaftlichen Arbeiten be-
schäftigt , bis ihn im Jahr 18C6 eine Vocation als Professor der Be-
redtsamkeit an die Universität zu Rostock versetzte. Nach dem dort
damals noch bestehenden Unterschiede der von der Stadt und der vom
Fürsten besoldeten Professoren war er anfangs städtischer Professor,
nachher ging er bei Gelegenheit einer ausgeschlagenen Vocation nach
Leyden in derselben Professur in die Dienste des Grossherzogs über,
und erhielt von diesem nach O. Tychsens Tode auch die Stelle eines
ersten Universitätsbibliothekars. In beiden Wirkungskreisen ist er bis
an sein Ende thätig gewesen. Leider nur war diese Thätigkeit mehrmals
durch ernsthafte Krankheitsfälle unterbrochen. Ein in der Jugend ausge-
standenes fast vierjähriges u. nur durch gewaltsame Mittel curiertes AVech-
selfieber hatte eine Schwäche des Unterleibes zurückgelassen, welche mit
zunehmenden Jahren in ein hartnäckiges hypochondrisches Uebel ausar-
tete. Schon zweimal, im Jahr 1816 und 1823, hatten die Ausbrüche
desselben den Verstorbenen genöthigt, seine Berufsarbeiten eine Zeit-
lang auszusetzen und im Schoosse seiner Familie Wiederherstellung
seiner Gesundheit zu suchen. Auch gelang es diese beide Male , ihn
gestärkt seinen Geschäften zurückzugeben. Allein dem dritten im J.
1827 erfolgten Anfalle konnte der Altersschwache nicht mehr Mider-
stelien. Er starb an einer Art von Kervenauszehrung im 67 Lebens-
jahre, eben als von seinem Fürsten, der ihn immer vorzüglich ge-
schätzt hatte, die erbetene Entlassung von seinen Aemtern nebst Be-
willigung einer lebenslänglichen Pension eingetroffen war.
Von Huschke's schriftstellerischen Leistungen , die ja dem Publi-
cum durch sich selbst hinlänglich bekannt sind, wäre es überflüssig
hier zu reden, Nur über die von ihm unvollendet hinterlassenen Ar-
beiten tnöchte es von Interesse seyn , Einiges anzuführen. Die Durch-
sicht seines litterarischen Nachlasses hat ergeben , dass ihn ausser der
Herausgabe des Propertlus , an der er schon seit länger als 20 Jah-
ren arbeitete , und für welche sich ein sehr grosser kritischer und exe-
getischer Apparat in seinem Nachlass vorgefunden hat, auch die des
15*
234 Schul-und U niv er sitäts na ehr ich te n,
Terentianus Mauriis und des Timaeus Locrus beschäftigte. Für je-
nen hatte er sich auch schon eine Menge von Bemerkungen aufgezeich-
net: die Herausgabe dieses Grammatikers von van Lennep scheint
Ursache gewesen zu seyn, dass der Verstorbene seine Arbeit einstwei-
len zurücklegte. Für den Timaeus Locrus sind meistens nur Colla-
tionen von auswärtigen, besonders Pariser Handschriften und seltenen
Ausgaben unter seinen Papieren gefunden worden. Bei der grossen
Tüchtigkeit, mit welcher Jlusc/ike kritische Ausgaben zu besorgen
pflegte, ist gewiss die Unterbrechung seiner Bemühungen gerade um
diese zwei so sehr corrumpierte Auetoren sehr zu bedauern.
Schul- und Universitätsnachrichteii , Beförderungen und
Ehrenbezeigungen.
Maiiand. Der bisherige zweite Secretär an der hies. Bibliothek
Lodigiani ist zum ersten Custos derselben ernannt worden. Der be-
kannte Nuniismatiker, Prof. Domenico Sestini hat vom Kaiser von
Russland für die Uebersendung seiner numismatischen Werke einen
Brillantring erhalten.
Parcuim. Die dasige gelehrte Schule ist von dem Grossherzoge
mit Verbesserung des Schulfonds zum Friedrich -Franz- Gymnasium
ex'hoben und am 10 Dec. v. J. als solches eingeweibt worden. Zu glei-
clier Zeit wurden der Dr. ZeJiIike als Director u. Heinricli Gesellius
als Conrector eingeführt.
PosEW. Der hiesige Reglerungsbezirk zählt 742 Elementar - und
5 höhere Bürgerschulen (1 zu Bojanomo mit 4 , 1 zu Fraustadt mit
3, 2 zu Posen mit 4 und 3 und 1 zu Rawicz mit 4 Classen). In den
erstem Averden 74(i00, in den letztern 2290 Kinder unterrichtet.
Preitssen. Die Univ. zu Berlin hat den Namen Friedrich -Wil-
helms Univ., die zu Bonn den Namen der Rheinischen Friedrich- Wil-
helms Univ. erhalten. Se. M. der König haben dem Rector Cö/fr^«^ in
GiiTTSTADT das allgemeine Ehrenzeichen erster Classe verliehen und zu
den Reparaturen am Römer- Thor, den Römischen Bädei-n und dem
Römischen Amphitheater in Trier sowie an dem Römischen Mauso-
leum zu Igei. 7!)1 Thlr. 2 Sgr. 4 Pf, ausserordentlich bewilligt. Die
evangel. Gemeinde zu Wormditt hat ein Gnadengeschenk von 151G9
Thlrn. 4 Sgr. 5 Pf. und die evangel. Gemeinde zu Braunsberg ein glei-
ches von 53196 Thlrn. 13 Sgr. 9 Pf. zum Bau der Kirchen- und Schul-
gebäude , die Gemeinde zu Fuciismüiil (Reg. Bez. Liegnitz) 300 Thlr,
und die Gemeinde zu Zuzelle (Reg. Bez. Oppeln) 144 Thlr. zum Bau
des Schulhauses erhalten. Zu gleichem Zweck sind dem Amtsdorfe
Krusemarkshagen (R. B. Stettin) 150 Thlr., der Colonlegeraeinde
Neu-Kenzlin (R. B. Stettin) 180 Thlr. und der Gemeinde Bismark
(R. B. Potsdam) 118 Thlr. aus Staatsfonds ausserordentlich bewilligt.
Befördern ng-cn und Ehrenbezeigungen. 235
Der cvang. Geuiclude in Rösskjl in Ostpreussen ist der westliche Theil
des Ordens- Schh)sscH daselbst nebst den dazu gehörigen lluincn zu
Scliulzwecken als ein Gnadengeschenk überlassen und zur Wiederher-
stellung dieser Gebäude eine Collectc in den evangelisclien Kirchen der
Provinz Ostpreussen nachgegeben. Der kathul. Gemeinde zu Mim)es
wurde die Uhleiuann'sche \ icariats- Curie, hinter dem Dome, zur Er-
weiterung der kathol. Knabenschule überlassen. Der Etat der königl.
Akademie der Künste in Bekmin ist um 7038 Thlr. 20 Sgr. jährlich
(aus den Verwaltungs - Summen des Ministeriums der geistl. und Un-
terrichtsangelegenheiten) erhöht worden, damit sie nach den zeitge-
mässcn Anforderungen ihren Bedürfnissen abhelfen könne. Zur ersten
Einrichtung des in vorigem Jahre angekauften neuen Anatomie -Ge-
bäudes der L'niversität in Berlix sind 9840 Thlr. ausserordentlich an-
gewiesen. Der Verein znr Unterstützung hülfsbedürftiger Gymnasiasten
in Aacheri erhält für die Jahre 1828 und 1829 eine jährl. Beihülfe von
200 Thirn. aus Staatsfonds; die erledigte Pension des verstorbenen
Schulcassen-Rendanten Schartow in KÖx\igsberg in Preussen von 41
Thlrn. 17 Sgr. 6 Pf. ist zur AnschafTung von Lehrbedürfnissen für arme
Lehrer und dürftige Kinder daselbst bestimmt worden. Für das neu-
errichtete Gymnasium in Coesfeld ist ein schönes und massives Ge-
bäude nebst einem beträchtlichen Hof- und Garten -Raum für 10000
Thlr. angekauft und die Summe von 343 Thlrn. zur AnschafTung eines
mathematisch -physikalischen Apparats bewilligt worden. Ein gleicher
Apparat wurde für das Gymnasium in Braunsberg um 549 Thlr. von
den Mechanikern Gebr. Müller in Berlin angekauft. Der von dem
technischen Verein in Breslau gegründeten Gewerbschule wurden 458
Thlr. zur Anschaffung der nöthigsten Apparate für ein chemisches La-
boratorium und 40 Thlr. zum Ankauf der wichtigsten technologischen
Zeitschriften in diesem Jahre ausserordentlich bewilligt. Der Profes-
sor Jioß mann an der Universität in Halle erhielt Behufs einer geogno-
stisclien Reis« durch Deutschland, die Sclnveiz, Italien und Sicilien
einen Urlaub auf 18 Monate unter Beibehaltung seiner Besoldung und
eine ausserordentliche Reiseunterstützung von 900 Thlrn. ; der Doctor
Uietz in Berlin zu einer Reise nach Wien, Rom und Paris, um die
Handschrr. des Hippokrates zu vergleichen [Jbb. VI S. 258] , auf zwei
Jahre ein Reisestipendium von 200 Thlrn. jährlich und für das erste
Jahr noch eine ausserordentliche Unterstützung von 250 Tlilrn. Der
Director Hojjinann an den vereinigten Waisen - und Pensions - Er-
ziehungsanstalten und dem Landschullehrer- Seminar in Buxzlau ist
mit einer Pension von 600 Thlrn. in den Ruhestand versetzt worden.
Der Director Bhnne am Gymnas. in Potsdam erhielt ein königl. Gna-
dengeschenk von 250 Thlrn. Als ausserordentliche Gratification wur-
den am Gymnas. in Bromberg dem Director Müller 150 Thlr. , dem
Professor Jlrnold und dem Unterlehrer Kretschniar jedem 42 Thlr.
und dem Lehrer Sadowski 50 Thlr. , am Jesuiten - Gymnas. in Cöln
dem DLrector Binibaiim 200 Thlr. , dem Collaborator Grysar 100
Thlr. , den Lehrern Niegemann , Bheinstädter und Ley jedem 50
236 Schul- und Universitätsnach richten,
Thlr. bewilligt. AU ausserordentliche Remuneration empfing in Ber-
I.IN der Prof. ILinsius am Gymnas. zum grauen Kloster 200 Thlr.,
der Prof. Trahndorjf am Friedrich- Wilhelms Gjmnas. 100 Thlr., in
Breslau der Privatdocent Dr. Guppert für seine liülfsleistung bei der
VerMaltung des botanischen Gartens 100 Thlr. , in Eisleben der Leh-
rer Engelbreclit am Gymnas. 50 Thlr. , an der Univ. in Greifswald
der Prof. und Licent. Boliiiier 50 Thlr. und der Zeichenlehrer Titel
100 Thlr. , in Halle der Prof. JFalil an der Univ. 100 Thlr. , in
HiRscHBERG der Gymnasialdirector Linge 50 Thlr., in Königsberg in
der Neumark der Direct. des Gymn. T/iitl 150 Thlr. , in Oppelx der
Oberlehrer Dr. Hach bei seiner V^ersetzung nach Breslau [Jbb. VI S.
379] 50 Thlr., in Pforta der Tanzlehrer lioller 50 Thlr., in Salz-
wedel derRector Danntil 200 Thlr. und der Subconrector Gliemann
50 Thlr. , in Stargard der Gymnasiallehrer Dr. fidiirlitz 50 Thlr.,
in Stetti.\ die Consistorialräthe Sc/nnidt , Fiic/itcr und Koch und der
Schulrath Bernhard jeder 200 Tlilr. , der Schulrath Grassniann 100
Thlr. , in Thorx der Unterlehrer Dr. Hühnefeld am Gymnas. 50 Thlr.,
in Wittenberg der Pi'of. und Rector Spitzner zu einer Badereise 175
Thlr. An Gehaltszulagen wurden bewilligt: in Berlin dem Prof. Dr.
Mltficherlicli bei der Univ. 300 Thlr. , dem Oberbibliothekar // ilken
450 Thlr., dem Bibliothekar Splker 300 Thlr., in Bonn bei der Uni-
versität den Professoren T Psalter, Drüste-IIüls/ioß , Frey lag, Bran-
dis , Diesierweg , Nöggerath, ran Calher ^ Nees von Eaenbeh d.
jung, und Duz jedem 100 Thlr. und den Proff. /. Müller und Pugge
jedem 200 Thlr., in Greifswald dem Prof. Dr. E/icA^o« 100 Thlr., in
Halle dem Oberbibliothekar /^oi^^t/ 100 Thlr. und dem Prof. Dr. /C/a-
kenberg 200 Thlr. Wegen des zu grossen Andranges junger Leute
ohne Mittel und Beruf zum Studieren und zum Staatsdienste hat das
königl. Ministerium der geistl. , Unterrichts- und Medicinalangelegen-
heiten unter dem 10 Mai bestimmt, liass solche Schiller der vier un-
tern Classen eines Gymnasiums, welche nach dem reillichen und ge-
wissenhaften einstimmigen Urtheile aller Lehrer, aller Bemühungen
ungeachtet , sich zu den Gyranasialstudien nicht eignen und we-
gen Mangel an Fähigkeit und Fleiss, nachdem sie zwei Jahr in einer
Classe gesessen haben , doch zur Versetzung in die nächstfolgende hö-
here Classe nicht für reif erklärt werden können, aus der Anstalt ent-
fernt werden sollen, nachdem den Eltern, Vormündern oder sonstigen
Angehörigen derselben mindestens ein Vierteljahr vorher Nachricht da-
von gegeben ist.
Rastatt. Das grossherzogliche Lyceum kam im Spätjahr 1808
von Baden nach Rastatt an die Stelle und in das Klostergebäude der
bis dahin bestandenen Piaristenschule, und wurde mit acht Schulen,
von denen je zwei eine Classe oder Bildungsstufe ausmachen, als voll-
ständige zu jedem sogen. Brod - oder Fachstudium auf Universitäten
vorbereitende höhere Lehranstalt eingerichtet. Zur gewöhnlichen Be-
nennung der einzelnen Schulen sind die alten Jesuitischen 'tarnen Prin-
eipien (I) , Inßnia (U) , Grammatik (III), Syntax (IV), Poesie (V),
Bcfürilcrungcn und Ehrenbezeigungen. 231
Rhetorik {\\), Logih (\\\) und Physik (VIII) noch gangbar. Die
ersten Anfänger müssen zur Aulnahnie eine Prüfung bestehen, wobei
von denselben Fertigkeit im Lesen und Schreiben des Lateinischen und
Deutschen und einige Kenntniss der Deutschen Orthographie verhingt
M'ird, Auch zum Eintritt in die übrigen Schulen wird eine Aufnalims-
prüfung erfordert, nur in die vierte Classe d. i. in die philosophische
Vorbereitvmgsclasse können die fremden Schule* mit einem blosen Ent-
lassungszeugiiiss über die vollendeten Gymnasialstudien aufgenommen
werden. Gleich dieser Aufnahme geschieht die Versetzung der Schü-
ler aus der niedern in die niichsthölicre Schule nur jährlich im Herbste,
und die ganze Anstalt wird von jedem fleissigen, mit massigen Fähig-
keiten versehenen Lyceisten in acht Jahren vollendet; jedoch kann der
einzelne Schüler schon früher, und um die Universität zu beziehen,
auch nach Vollendung der sechs untern Sciiulen die Entlassung erhalten :
wer jedoch in die philosophische Vorbereitungsciasse, die auf zwei Jahre
berechnet ist, eintritt, muss wenigstens ein ganzes Schuljahr bleiben.
Der Unterricht am Lyceum ist 1) unter folgende gei.stlic/ie Lehrer ver-
theilt: Geistl. Rath und Lyceumsdirector /o.sf/j/i JLoreye, Voeti]c in V
und Lat. Autoren in V — VIII; FroL Friedrich Schinüiing, Geschichte
und Geographie in III — VIII, und Religionslehre in III — VI, (Stadt-
pfarrer Eisenlohr ertheilt den evangelisch -protestantischen Schülern
den Religionsunterricht) ; Prof. Ji'endeliii Eckerle, ]\'aturgeschichte
und Technologie in III — VII, empirische Physik in VII, und mathe-
matische Physik in MII; Dekan und Präparandendirector \iv. Gerhard
Iluldermaiiii, Religionslehre in VII u. VIII; Prof. Carl Grieshaber,
allgemeine Theorie des Stils in V und VI, Rhetorik in VI, Griechisch
in M und in VII und VIII , Lateinisch in V und VI , Hebräisch in VII
oder VIII; und 2) unter die weltlichen Lelu-er: Prof. Joseph Lump,
Vocal- und Instrumentalmusik in I — VIII nach verschiedenen Abthei-
lungen; Prof. Dr. Aloys J Finnefeld (zugleich Bibliothekar des Ly-
ceums) , philosophische Propädeutik, und zwar Encyclopädie der Ge-
lehrtenbildung, Anthropologie und Logik in VII, Metaphysik, allge-
meine Encyclopädie und philosoph. Systeme in VIII, Lateinisch und
Griechisch in VII und VIII , Hebräisch in VII oder VIII und Arabisch
in VII und VIII; Prof. Johann Sc/tneyder, Deutsch und Lateinisch in
II, Französische Sprache in I — VIII; Prof. Joseph Mayer^ reine Ma-
thematik in III — VIII; Prof. Sebastian T eidbausch. Deutsch und La-
teinisch in IV , Griechisch in IV und V ; Prof. Josep/i Dambaclier,
Deutsch und Lateinisch in III, Griechisch in II und III, Badische Ge-
schichte und Geographie in II; Prof. August Mossbrugger, Zeich-
nungsunterricht in I — VIII; Oberlehrer IVilhehn TVittmer, Religions-
lehre in I und II, Deutsch und Lateinisch in I, diese Gegenstände pro-
visorisch , hingegen Arithmetik in I und II definitiv ; Lehrer Franz
Segmüller, Kalligraphie in I — IV, Vocal- und Instrumentalunterricht
in I — VIII. Von der ganzen Lehrerzahl sind zugleich an dem in Ra-
statt befindlichen kathol. Schulpräparandeninstitut beschäftigt: liolder-
mann, fFittmer, Lump^ Segmüller, E>ckerle, Sclunüling, 3Ioss-
238 Schul- und Universitätsnachrichten,
brugger, ScJmeyder xmA Mayer. Die geistlichen Lehrer, mit Aus-
nahme des Dccan Holderniann , haben auch den Gottesdienst in der
Lyceumskirche zu besorgen, welcher jeden Sonn- und Feiertag und
jede Mittwoch für die Lycelsten gehalten Avird, an Sonntagen mit ei-
ner dem Amte vorhergehenden halbstündigen Katechese in dem Lyce-
umssaal und mit einer kurzen Predigt unter dem Amte. An Lehr-
mitteln besitzt das Lycemu 1) ein Stückchen Garten zum Gebrauche
des botanischen Unterrichts ; 2) eine chemische Küche; 3) ein soge-
nanntes Cubiculnm, das einen brauchbaren physikalischen Apparat, ge-
sammelte Mineralien und Conchylien nebst ausgestopften Tliieren ent-
hält. Zur Erhaltung und Vermehrung alles dessen sind jährlich 100
Fl. bestimmt; 4) eine Bibliothek von 5000 Bänden, welche grössten-
theils den frühern Stifts -, Kapuciner- und Jesnitenbibliotheken zu Ba-
den und dem Piaristenklostcr angehörten. Zur Vervollständigung der
Büchersammlung mit besonderer Rücksicht auf das am meisten benö-
thigte Fach der classischen Litteratur werden jährlich 200 Fl. verwen-
det, Avovon jedoch alle Jahr 13 Fl. zur Anschaffung von Schulbüchern
für arme Lyceisten abgegeben werden, um allmählig eine Armenbi-
bliothek zu bilden. Die angegebenen Summen sind aufs jNeue für die
Zukunft mit dem Bedeuten bcAvilligt , dass dieser Etat für die Biblio-
thek und das Cubiculnm nicht mehr überschritten werden könne und
auch nicht stets erschöpft werden müsse, indem der Zustand des Fonds
der Anstalt , woraus ihr sämmtlicher Geldbedarf bestritten wird , die
möglichste Ersparniss gebiete.
RuDOLSTABT. Zu der öffentlichen Schulprüfung des Gymnasiums
am 25 und 20 März d. J. hat der Director Dr. L. Fr. Hesse durch
das 19te Stück seines Verzeichnisses geborner Schwarzburger ^ die
sich als Gelehrte oder K'uiisLler durch Schriften bekannt macliten^
eingeladen (Rudolstadt, gedr. b. Fröbel. 20 S. 4.) und darin biogra-
phische und literarische Nachrichten von 15 gelehrten Schwarzbur-
gern [von Joli. Frledr. JVachsmaiin bis Joh. Nlcol. JVerner^ gege-
ben. Vgl. Jbb. III, 2 S. 122, Ueber die Schule ist nichts mitgetheilt,
als dass 8 Schüler öffentliche Reden hielten, und 4 davon auf die Uni-
versität abgingen.
ScHNEEBERc. Die dasjge gelehrte Schule zählte zu Anfang des
Schulj. 18||^ in 5 Classen 204 , zu Ende desselben 198 Schüler [32,
34, 45, 52, 35], und entliess zu Michaelis vor. J. 6, zu Ostern d. J.
8 Seh. zur Universität. Das Programm zu den Osterprüfuugen d. J.
(Sehne iberg, gedr. b. Schill. 24 S. 8.) liefert auf 16 S. eine Dlspu-
tatlo brevls de loco Jloratil Od. III, 3, 49 — 52 vom Rector M.
Aug, Voigtl linder , und erklärt die genannten vier Verse auf eine
scharfsinnige Weise für unächt. Beigefügt sind noch einige Verbes-
serungen und Ergänzungen, welche der Verf. in der neuen Ausgabe
des Forcellinischen Thesaurus L. L. zu machen gedenkt.
Soest. Zu der öffentlichen Prüfung auf dem Archigymnasium
am 4 Oct. 1827 lud der Conrector Joh. Friedr. Christ. Mumpäus
Aurch Bemerkungen über Sie/hmg, Beugung und Betonung der
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 239
Deutschen Beiwörter vor llirem Jlaiqifiuorte (Soest, gedr. 1). Nasse.
23 S. 4.) ein, denen der Director Dr. //'////. Frledr. Phil. Patze S.
24 — 42 die gewöhnlichen Schulnaclirichten angeliüngt hat. Aus dein
Bericht über die behandelten Lehrgcgenstände ist zu bemerken, dass
in Prima und Secunda auch Englisch und Italienisch öffentlich gelehrt,
dagegen die Geographie nur in IV — VI vorgetragen Avurde. Lehrer
der Anstalt Ovaren: der Director Patze ^ Ordin. in I; der Conrect.
Kicmpcius , Ordin. in II; der Conrect. Früjnine , Ord. in III; der
"Rccior ICg eil [Jlih. IV S. 359,], Mathematicus; der Dr. ScidenstilcL-er
[Jbh. V S. 222.J, Ord. in IV; der Subrector i^o«-, Ord. in V; der
Dr. Sc/iliepsteiii [Jbb. a. a. 0.], Ord. in VI; der Gesanglehrer Eii-
gelhardt , der Zeichenlehrer Rautenbach, und der Cantor Gall-
hof i welche in den Gelassen in wöchentl. 192 Lehrstunden [34, 33,
33, 32, 30, 30.] unterrichteten.
Wien. Der Ingenieurs -Hauptmann Ludwig Goro von ~^gy-
afah'u , Verf. der Wanderungen durch Pompeji, ist von der Bourbo-
nisch-IIercnlanischcn Akademie zu Neapel und von der archäologischen
Gesellschaft zu Rom zum Mitgliede gewählt worden.
Wiesbaden. Der Prorector Schniitt/ienner am Pädagogium [Jbb.
V S. 424] ist zum Director des S-chullehrerseminars in Idstein ernannt.
Zittau. Zu den Osterprufungen (am 23 ff. Apr.) d. J. im Gymna-
sium lud der Director Lindemann durch ein Programm (Zittau, ge-
druckt bei Seyfert. 38 S. gr. 4.) ein , das auf 31 Seiten desselben
Epistola ad JSiebuhrium de nova Editione Grainmaticorum La-
tinorum enthält u. von den kritischen Hiilfsraitteln Nachricht giebt, wel-
che Hr. L. zu dieser neuen Ausgabe, deren erster Band jetzt gedruckt
wird , benutzt hat. Aus den Schulnachrichten ist nur zu bemerken,
dass an die Stelle des verstorbenen Pastor primarius M. Pesc/ieck der
seitherige Archidiaconus M. Jo/i. Fritdr. Hll/i. Schmidt Pastor pri-
mär, und als solcher (seit dem 20 Juni 1827) Mitglied der Schulcom-
inission geworden ist.
ZÜLLicHAU. Das Programm, womit der Director des dasigen
Waisenhauses und Pädagogiums, F. A. Steinhart, zu der öffentlichen
Prüfung am 6 ff. Apr. 1827 einlud (15 u. 12 S. 4.), enthält als gelehrte
Abhandlung: De Angelologia Veteris Testamenti dissert. pariic. I,
scripsit Dr. Car. Petr. Guil. Gramberg. Das Lehrerpersonale erlitt
im Schuljahr 18|^ mehrere Veränderungen. Im Frühjahr 1826 ging
der Dr. Seehicht als Rector an das Gymnasium in Jever. Seine Stelle -
und das Ordinariat in Ober -Quarta erhielt der Schulamtscandidat For-
dan, ein ehemaliger Zögling der Anstalt. Zu Michaelis 1826 über-
nahm der Prof. Körner das Directorat des Gymn. in Oels und statt
seiner wurde der Oberlehrer Steiner, Mitglied des Seminariuras für
gelehrte Schulen in Berlin, als Ordinarius in Secunda angestellt. Fer-
ner ging der Ijehtev Hoff mann als Prediger nach Königswalde, und
dessen Lehrstunden übernahm zu Ostern 1827 der Schulamtscandidat
Kuhn , ein ehemaliger Schüler des Pädagogiums.
240
Zur Recension sind versprochen:
Schaafs Encyclopädie der classisclien Alterthumskunde. — Die
Uebersetzungeii des Anakreon von S. von Himmelst lern , Brock/mit-
sen und Feissier Descombes. — Isocratis ad Demonicum adhortatio
Latuie versa a Schrnieder. — Hippocrates de morbu sacro v. Dletz.
— Apollodorus von Brolun. — Mai: Scriptoriim vett. nova Col-
leclio , Vol. II. — Chrysostonii selecta von /. van Voorst. — Vale-
riiis Cato von 'Putsche. — Liicani Pharsalia, die Corte- JVeher-
sche Ausgabe, — Poctarum Gerraanic. carmina, Latiiie reddidit Fi-
scher. — TobiscJi : Carmina. — Klopstockü XV carmina, Latine
redd. Knapp. — li'öller : Schola vespertina. — üiedhammer's Ue-
bersetz. der Scjiillerschen Glocke. — Büst's und M^üstemann' s An-
leitung z. Uebers. ins Griech. , 2r Theil. — MehlhorrCi» Griech. Lese-
buch. — Väuchcr : Traite de la Syntaxe latine. — Midzel: De no-
minum radicibus. — Die Uebersetzungsbüclier aus d. Deutsch, ins Lat.
von Klippel .j Beutler, Uronke , Cammeitr und Hoth. — Fleisch-
ntr's Onomatologie. — fV^ittmer's Deutsche Sprachlehre, — HasseVs
geogr. und Statist. Ephemeriden. — Kries: Lehrb. der raathera. Geo-
graphie. — Die Atlanten zur neuern Geographie von Stein , JJeü^
nisch, Heichard, Stieler, Krütnmer, nebst den zu Freiburg bei Her-
der, Augsburg bei Walch und Halberstadt bei Brüggemann 1827 er-
schienenen.— Fischhaber'' s Lehrbücher der Logik, Moral, Psycholo-
gie und des Naturrechts. — Zerenner''s Denkübungen. — Püilen-
berg's Rhetorik. — TVisseler''s Morgengebete. — Butiinger und
Lang: Sammlung geistlicher Lieder. — Menzel: Ueber den Unter-
richt in der 3Iiisik. — Jiientzsch : Sammlung zwei-, drei- und vier-
stimmiger Gesänge. — Stöphasius: Beiträge zur praktischen Päda-
gogik. • — Zerenner : Grundsätze der Schulerziehung. — Müller:
Ueber einige Förderungsmittel der Jugendbildung. — Hopfner : Ue-
ber Wesen und Bedeutung höherer Bürgerschulen. — Tegner's zwei
Reden, übers, v. Mohnike. — Schmieder: Senecae praecepta artis
legendi. — TVilde: Ueber die Stelle, welche der Bildung des Schön-
heitssinnes anzuweisen ist. — Gerbel und Krebs: Ueber ästhetische
Bildung. — Eichstädt : De Eichhornio.
Inhalt
von des zweiten Bandes zweitem Hefte.
Rcinganum : Das alte Megaris. — Vom Professor Kruse in Halle. S. 131 — 141
Scholia antiqua ia Sophoclis Oedipum Tj'rannum. \
Ex cod. Laur. edid. Elmsley. . . I Vom Oberlehrer Dr.
Scholia iii SophoclisTragoediati. Ex cod. Laur. ed. i LeArs in Königsberg. 141 — 110
Elmsley. .....'
Rost u. Wüstemann: AnleilUDg zumUebersetzen aus dem Deutschen in das
Griechische. Ir Thl. — Vom Director Dr. Schulze in Duisburg. . 146 — 161
Tacitus' Agricnla. Ur:jchrift, Uebersetzung, Anmerkungen etc. durch Jf^alch.
Vom Professor Jacob in Posen. ....... 161 — 197
Curtii Ruli de rebus geatis Alexaudri M. libri. Gurav. liünemann. — Vom
Oberlehrer Bonndl iu Berlin 197 — 203
Sclincithei' : Dissert., qua loca e Pliuii jun. scriptis, quae ad jus civile per-
tinent, recensentur et illustrantur. — Vom Dr. jur. Carl Günther
in Leipzig 203—209
Tiltmatin: De animia juvenum in gymnasiis ad pie- \
tatem christianam formandis.
IJeinpel : De Novi Testameuti Graeci studio in 1
gymnasia revocando. . . . { Vom Director Müller
Guiard: De religionis in gymnasiis docendae via| in Cöslin. . . 209 — 215
et ratione. .....
Hack: De religionis doctrina in gymnasüs tra-
denda. ......
Bardili: lieber die Nothwendigkeit einerneuen Ausgabeder Lateinischen An-
thologie von Barmann dem Jüngern, und die Art der Bearbeitung der-
selben, nebst Angabe mehrerer kritischen und exegetischen Hülfsmit-
tel, weiche dabei zu berücksichtigen sind. ...... 216 — 226
Derselbe: lieber eiue neue Bearb. der Puetae Latini Minores von Wernsdorf. 22^^ — 227
Miscellen. ............ 227 — 231
Todesfälle 231 — 234
Schul - und Universitiitsnacfarichten , Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 234 — 210
MJi['l!^ji^itt4ilf!lW^^^^^^^^^
IJlMiJlltoiiMlilMJi
^
19
M
^ ^^^MMM^Mnnnn^^:^mM'^mnnn'nMmmmMn^m^^nM ^
iftf*lPlP)iiijiJiPli^tlPlffIfi'tf^
JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE ündPJEDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh, Christ. Jahn,
Dritter Jahrgang,
Zweiter Band. Drittes Heft.
Oder der ganzen Folge
SiebenterBand. Drittes Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
18 2 8.
Si quid noviäti rectius istia,
Candidas imperti; si non, his utere mecum.
Romische Litteratur.
Lateinis che Gr ammatik von hudw. Ramsliorn. Leipzig,
Vogel. 1824. 8.
[Beschluss der im ersten Hefte dieses Bandes abgebrochenen
Recension.]
"ie dritte Abtheilung des ersten Tlieils vom Verhum und
desse?i Theilen im einfachen Satze behandelt von § 162 bis 175
die Lehre über die Personalendungen, das Genus, die Tem-
pora, die Modi, und die Adverbia. Im Allgemeinen ist auch
hier der schon mehrmals gerühmte sorgfältige Fleiss des Hrn.
Verf. nicht zu verkennen ; indess zeigt sich derselbe hier fast
durchaus mehr in eiiifer nach möglichster Vollständigkeit stre-
benden Aufzählung der betreffenden Einzelheiten , als in kla-
rer, lichtvoller Anordnung und Verknüpfung des reichhalti-
gen StoflFes. Für am besten gearbeitet halten wir § 1(>7, vom
Imperativ ^ vorzüglich wegen der eben so neuen, als treffenden
Art und Weise , wie der sonst sogenannte Imperat. praesentis
vom Imperat. futuri, oder wie sie der Hr. Verf. nennt, die
befehlende Imperativform von der gebietenden unterschieden
wird.
Was nun die einzelnen Abschnitte anlangt, so bemerken
wir, dass die § 162 über die Personalendungen gegebnen Be-
merkungen durchaus von einer andern Seite aufgefasst sind, als
man es in einer lateinischen Grammatik erwarten sollte. Statt
nämlich vom Lateinischen auszugehen und die etwaigen Eigen-
thümlichkeiten des Gebrauches jener Personalendungen anzuge-
ben, legt der Hr. Verf. das Deutsche zu Grunde und giebt
fast nichts als die verschiedtien Fälle an, in welchen der Deut-
sche sich impersonell ausdrücke und Man gebrauche, während
andres wirklich hieher Gehörige , wie z. B. § 203 S. 659, § 206
S. 693 f. u. 700 erwähnt wird , selbst ohne alle Verweisung
übergangen worden ist. Das lateinische Imperso?iale , das die
alten Grammatiker mit so grosser Sorgfalt unterschieden, dass
sie es sogar als besondern Modus betrachteten , ist hier so-
wohl, wie überhaupt im ganzen Werke gänzlich übergangen
16*
244 R ö m i 9 c li e L i 1 1 e r a t n r. *^
worden, trotzdem dass auch in syntactischer Hinsicht man-
ches darüber zn erinnern gewesen m äre. iVaraentiicJi vermis-
sen wir die mit manchen andern der lateinischen Sprache eigen-
thümliclien Constructionenin enger Berülirung stellende Angabe,
dass das Pussivian desselben in der altern Latinität mit dem
Acctisativ construirt werde. Plaut, Mil. Gior. 2,2, 98: dum
modo — inducamus^ vera ut esse credal , qtiae inentibitur.
cf. Terent. Eunuch, prol. 17.
§ lfi3, Aev yom. Genus des Verbi handelt, spricht der Hr.
Verf. unter andern auch von einer Vertauschung der Genera
verbi, und führt vehejis statt vectus^ punitus es^ suppedüatus
es, cadere ah hoste u. s. w. an. Allein so scheinbar die Sache
an sich seyn mag, so verführt doch der Ausdruck ,^Ve7tau-
schimg'-'' den Schüler, an Dinge zu glauben, die absolut un-
möglich sind. Die \ ertauschung muss der Grammatiker nach
unsrer Ansicht durchaus läugnen, und vielmehr, wo sie schein-
bar sich findet, durch passende Erläuterung der Stellen die
Entstehung der anscheinenden Unregelmässigkeit aus dem
Sprachgebrauch nachweisen. So ist z.B. bei vehere der Begriff
des Sichfortbewegens festzuhalten, der Gebrauch also derselbe,
wie bei movere statt se movere^ und daher entstanden, weil der
vectus thätigen Antheil an der Handlung nimmt. Praeterve-
hens, das der Hr. Verf. gleichfalls anführt, gehört wohl gar nicht
hieher, wenigstens kennen wir von diesem Verbum keine eigent-
lichen activen Formen. Eben so würden wir punitus es und
suppedüatus es mitQuinct. 9, 3 iür seltnere Depo/ientialformen
erklärt haben, denn wenn gleicli derselbe von einer per niutatio
spricht , so zeigt doch schon die Vergleichung von fabricor^
dass er dasselbe damit meint, was wir meinen. Cadere ab hoste
aber ist völlig regelmässig und gehörte gar nicht hieher.
S.386 wird zwar sehr richtig bemerkt, dass das Hülfswort
lassen nicht ausgedrückt werde, wenn es sich von selbst verstehe,
dass jemand eine Handlung nicht selbst habe verrichten kön-
nen, sondern nur veranlagst und veranstaltet , die Ausführung
derselben aber andern überlassen habe. Allein seltsam irrt sich der
Hr.Verf., wenn er die aus Tacit. Ann. 13, 20 angeführte Stelle:
Nero^ interficiendae rnatris avidus^ ?io?i prius d iff e r r i potuit
cet., jener Bemerkung gemäss durch non prius adduci potuit^
ut dip'erret erklären zu können glaubt. So dachten siclis die
Römer keineswegs, sondern, so wie man iiberhaupt differre
aliguid, d.i. etwas aufschieben^ sagte, so sagten Dichter und
Spätere auch von Personen, differre aiiquem d. i. auf eine a?idre
Zeit verweisen u. dgl. S. Oudendorp ad Siiet. Caes 82, Ernest.
ad Suet, Vespas. 23, Schwarz ad Plin. Paneg. 26, 2.
Leber den Gebrauch und dieBedeutnng der einzelnen Tem-
pora wird § 164 sehr viel Gutes und Richtiges gesagt; nur
wird hier der schon obeu er\>äliate Mangel eiuer zweckmässigen
I
Ramshorn : Latciniäclie Grammatik. 245
Eintheünng der Zeiten überhaupt ^anz vorzüglich fühlbar. Der
Hr. Verf. geht die einzehiea Tempora mehr blos der Reihe
nach durch , als mit Rücksicht auf das Yerhältniss und den iu-
iiern Zusammenhanff, in dem sie zu einander stehen, und fasst
nun bei jedem alles zusammen , was sich etwa darüber bemer-
ken lässt, ohne diese Bemerkungen strenger zu sondern und
ohne anzugeben , ob sie dem betrelFenden Tempus als Tempus
absolutum, oder relativum oder aoristum gelten. Dass daraus ver-
schiedne Uebelstände hervovgeliu müssen, liegt am Tage und
ist zum Tlieil schon früher nachgewiesen worden. Ausser dem
Hauptnachtheil, dass eine solche Anordnung den Schüler keine
klare Einsicht und Uebersicht in dieser so wichtigen Lehre ge-
winnen lässt, bemerken wir hier noch besonders, dass in Folge
dieser Behandhmgsweise manches als etwas Auffälliges oder
Besonderes in die Anmerkungen a erwiesen worden ist , was bei
einer richtigen Eintheilung der Zeiten als ganz natürlich , zu-
weilen sogar gerade als die erste Bedeutung eines Tempus er-
scheint Einen Beleg für die letztere Behauptung giebt Seite
401, Anmerk. 6, a u. 6, wo überdiess Beispiele des Perfecti ab-
soluti und aoristi in seltsamer Weise als gleich oder ähnlich zu-
sammengestellt sind.
§ 165. Ueber das Wesen der Modi im Allgemeinen hätte
der Hr. Verf. viel gründlicher und ausführlicher sprechen sollen.
Anfangs scheint er auch hier deren nur drei, Indicativ, Con-
junctiv, Imperativ, anzunehmen. Allein im Folgenden zählt
er auch noch den Infinitiv, das Gerundium und Supinum , und
das Particip dazu, eine Anordnung, für die sich wohl Gründe
anführen lassen, die aber doch wenigstens eine vorausgeschickte
Erörterung und Rechtfertigung verlangt. Ebenso sollte, was
nach dem was Hermann, B e r nh a r d i und andre darüber ge-
sagt haben , nicht schwer war, das Wesen und Gebiet eines je-
den einzelnen Modus sowie besonders sein Verhältniss zu den
übrigen weit genauer und bestimmter angegeben seyn, als es
vom Hrn. Verf. hier ge><chehen ist. Er würde sich dadurch in
der Behandlung der einzelnen Modi vor manchem Irrthum ge-
sichert haben.
Wie nachtheilig diese Unterlassung geworden sey , zeigt
sich ganz besonders § l(j6 bei der Lehre vomConjunctiv, trotz
dem, dass übrigens der Abschnitt mit sichtbarem Fleisse gear-
beitet ist. Im Ganzen wird darüber folgendes gelehrt: „Durch
den Conjunctivus spricht der Redende Behauptungen und Fra-
gen nur bedingt aus , oder stellt Zustände dar, wie er sie au-
sser der Wirklichkeit sich denkt, als abhängig von Umständen
und braucht ihn daher, im Gegensatz des Indicativs, nach fol-
genden vier Modificationen: als Modus potentialis, M-enn er Zu-
stände als bedingt möglich; als Modus couditionalis , wenn er
sie als bedingt nothtoendig ; als Modus optativus, wenn er sie
246 Römische Litteratur.
als bedingt zufällige und als Modus permissivus, wenn er sie
als bedingt wirklich darstellt.'' Die eben angeführten Prädicate
jener vier Modificationen des Conjunctivs definirt der Hr. Verf.
also: ^^bedingt möglich ist ein solcher Zustand, zu dessen Ilea-
lisirung zwar alle Bedingungen vorhanden sind , die aber noch
von Umständen abhängt [etwas hmin seyn); bedingt nothwen-
dig ein solcher, dessen Realisirung entweder Umstände absohit
gebieten {etwas muss seyn)^ oder dessen Realisirung Umstände
fordern (etwas sollseyn)^ oder der als Folge anders gedachter Um-
stände, als die wirklichen sind, erscheint (etwas würde seyn^ etwas
würde geivesen seyji); bedingt zufällig ein solcher, dessen Rea-
lisirung von zufälligen Umständen abhängt [etwas möge seyn);
bedingt vnrklich endlich ein solcher, dessen Realisirung ich,
Verzicht leistend, dahingestellt seyn lasse, zugebe oder einräu-
me {mag ettvas geschehen)'-'-.
So manches Wahre hierin im Allgemeinen seyn mag, so we-
nig können wir uns doch von der Haltbarkeit der gemachten
Eintheilung, und von der Richtigkeit der Erklärungen überzeu-
gen , welche hierin über die Bedeutung jener vier Modificatio-
nen des Conjunctivs im Einzelnen gegeben werden; ja wir glau-
ben vielmehr, dass alle jene Bestimmungen des Einzelnen mehr
auf die jedesmalige Form des Deutschen Ausdruckes , als auf
das Wesen der Sache selbst gegründet seyen, und die ganze
Eintheilung mehr logischen Schein habe, als Wahrheit enthalte.
Offenbar nämlich versteht der Hr. Verf. unter jenem bedingten
Aussprechen von Behauptungen und Fragen, worein er das We-
sen des Conjunctivs setzt, gerade dasselbe, was andre u4bhän-
gigkeit von der Vorstellung., oder blosses., dem Factum entge-
gengesetztes , Gedachtseyn genannt haben , und wenn er sagt,
der Conjunctiv stelle Zustände dar, wie sie der Redende
ausser der Wirklichkeit sich denke, so ist diess nichts anders,
als was andre Grammatiker haben ausdrücken wollen, wenn
sie ihn den 3Iodns der Möglichkeit., oder auch, wie Bern-
hard!, der Möglichkeit und Zufälligkeit nannten. Diess alles ist
nun vollkommen richtig; allein wie sollen sich denn hieraus die
Unterabtheilungen, bedingte Möglichkeit., bedingte Nothtoen-
digkeit., bedingte Zufälligkeit tmd bedingte Wirklichkeit herlei-
ten lassen? Unter jenem ÄerfeV/g^i versteht ja eben der Hr. Verf.
die blosse., der ii?ibedingten IVirklichkeil eben entgegengesetzte.,
Möglichkeit ', wie kann da nun noch weiter von einer bedingten,
d. i. möglichen, Möglichkeit , Nothwendigkeit und Zufälligkeit
die Rede seyn*? Wir geben zwar gern zu, dass die verschieil-
nen Fälle, in denen der Conjunctiv im Lateinischen gesetzt wird,
sich nicht leicht in streng systematische Ordnung bringen lassen,
allein dieser vom Hrn. Verf. gemachte Versuch beruht offen-
bar viel zu sehr auf Formalitäten des deutschen Ausdruckes,
als dass man ihn für gelungen halten könnte, und wir sind vielmehr
ßamsliorii : Luteini^chc Granuuiitik. 247
der Meinung, dass die ganze Behandlung der Lehre überhaupt
dadurch wesentlich gelitlcn habe, und weder umfassend genng,
noch deutlidi und verständlich, noch überhaupt zweckmässig sey.
Den Vorwurf der Unzweckmässigkeit machen wir der Be-
handlung vorzüglich deshalb, weil sie den Gebrauch des Con-
junctivs eigentlich nur insofern darstellt, als derselbe allein
und unabhängig steht, den Gebrauch desselben in abhängigen
Sätzen aber ausgeschlossen hat, und nur hin und wieder, gleich-
sam nothgedrungen, aber eigentlich inconscquenter Weise, auf
letztere Rücksicht nimmt. Die Lehre vom Conjunctiv in abhän-
gigen Sätzen , oder dem sogenannten Siibjunclivus ist nun zwar
nicht etwa völlig übergangen , sondern wird weiter unten im
vierten Abschnitt, Von den verbundenen Sätzen^ an mehreren
Orten behandelt, wahrscheinlich um den dem Conjunctiv ge-
widmeten Paragraplien nicht unverhältnissmässig lang werden
zu lassen. Allein wir würden darin bei weitem keinen so gro-
ssen Uebelstand finden, als jetzt in der vom Hrn. Verf. gemach-
ten Anordnung. Bei derselben nämlich muss nicht nur nothwen-
dig der Zusammenhang des Ganzen leiden, indem die Lehre an
verschiedne Orte hin zerstreut und gleichsam zerstückelt und
eine klare Uebersicht somit fast unmöglich gemacht wird ; son-
dern es gewinnt auch den Schein, als sey der Conjunctiv von
denverschiednen Conjunctionen der verbundenen Sätze abhän-
gig, während doch sein Gebrauch keineswegs durch die Bedeu-
tung jener Partikeln, sondern lediglich durch die Beschaifen-
heit des Gedankens bedingt wird. Den Vorwurf der Unver-
ständlichkeit machen wir besonders den über jene vier Modifi-
cationen des Conjunctivs gegebnen einzelnen Regeln , welche
nach unsrer Ansicht für Schüler wenigstens auch dann nicht
verständlich seyn würden, wenn es mit der Sache selbst seine
Richtigkeit hätte. Der Vorwurf der UnvoUständigkeit endlich
lässt sich der Behandlung in mehrerer Hinsicht machen. So ver-
missen wir zuvörderst manche Bemerkung über die Tempora
des Conjunctivs und deren Verschiedenheiten und Eigenthüm-
lichkeiten ; es ist z B. nichts erwähnt über den Mangel des
Conjunctivs in manchen Temporibus und wie dieser ersetzt wer-
den könne; ebenfalls nichts, dass in verschiednen Fällen, in
welchen der Conjunctiv gesetzt werden kann, doch manche
Tempora nicht gebraucht werden können, wie z.B. der Conjunct.
jussivus und permissivus kein Plusquaraperfectum, der delibera-
tivus weder Perfectum noch Plusquamperfectum haben könne u.
dgl. ; und selbst die wenigen über dergleichen Dinge in den Rand-
anmerkungen gemachten Bemerkungen geben mehr oberflächliche
Andeutung, als wirkliche Erklärung. Ganz vorzüglich aber be-
weisend ist hier der Umstand, dass der Hr. Verf. weiter unten
§ 192 u. 195 nocli nachträglich eine eigne Art von Conjunctiv
anführt, welche, nach geiner Ansicht, ganz verschieden von
248 Römische Litteratur.
den hier angeführten Arten , Gedanken Ufid Vorstellungen als
solche darstelle. Wir halten diesen Conjunctiv keineswegs fiir
verschiedenartig, sondern finden in seinem Gebrauche ganz die-
selben Grundbedingungen , welche in allen übrigen Fällen sei-
ner Anwendung sichtbar sind, und wundern uns, wie diess der
Hr. Verf. verkennen konnte. Indess, möchte er aucli wirklich
verschieden seyn, so ist es doch auch selbst dann unwiderleg-
lich, dass die ursprüngliche Theorie des Hrn. Verf. nicht um-
fassend gewesen sey , indem sie, wie man doch an dieser Stelle
erwarten musste, keine solche Erklärung des Wesens dieses Mo-
dus gab, welche alle mögliche Arten seines Gebrauches um-
fasste. Wir sind daher der Meinung, dass dieser ganze Ab-
schnitt des Werkes einer völligen und gründlichen Umarbeitung
bedürfe.
In dem Abschnitt vom Infinitiv § 168 ist der Hr. Verf.
theilweise zu kurz gewesen , ganz besonders in der Lehre vom
Accusat. cum Infinitiv. Wir tadeln dieses nicht etwa in Betrach-
tung der Weitschweifigkeit , mit welcher andre, besonders frü-
here Grammatiker diese Construction gleichsam als Hauptsache
in der ganzen latein. Grammatik und eignen Lieblingsgegenstand
behandelt haben; allein wir glauben doch auch , dass die grö-
ssere Bedeutsamkeit derselben vor vielen andern Constructionen
billiger Weise eine genauere und ausführlichere Erörterung ver-
diene, als ihr liier geworden ist. Namentlich hätten wir vom
Hrn. Verfasser eine Erklärung ihres Ursprungs, imd eine nähere
Würdigung des Verhältnisses erwartet , in welcher sie zu den
andern Constructionen steht, mit denen sie nach der gewöhnli-
chen Annahme wechseln oder vertauscht werden kann ; und
zwar um so mehr, da auch in den Paragraphen (§ 182, 183,
185), welche über jene Constructionen handeln, wenig oder
nichts über dieses Verhältniss bemerkt worden ist. Der Hr.
Verf. scheint das unverhältnissmässige Hervorheben dieser
Lehre in andern Grammatiken gemissbilligt zu haben; allein
was jene zu viel thaten, thut er selbst zu wenig. Eben so hätte
die Lehre vom Nominat. cum Infinit, nicht b!os in einer Note
(S. 431) abgehandelt, und die nicht selten sich findenden Ab-
weichungen genauer erörtert werden sollen. Gewölinlich wer-
den solche Constructionen, wo bei Passivis, wie dicitur, vide-
tur u. d. gl. der Accusat. cum Infinit, steht , von den Interpreten
mehr entschuldigt, als erklärt, und die meisten Grammatiker
warnen sogar dagegen als vor seltenen ja nicht nachzuahmen-
den Versehen der Schriftsteller. Indess sind sie bei weitem
nicht so selten, als man sagt, und ob wir gleich weit entfernt
sind, sie etwa Schülern zur Nachahmung anzuempfehlen, so
glauben wir doch auch anderseits , was wir vielleicht bei einer
andern Gelegenheit thun werden, zeigen zu können, dass sie
meist nicht nur völlig richtig und keineswegs blosse Uebereiluu-
Rarasliorn: Lateinische Grammatik. 249
gen der Alten, sondern in gewissen Fällen sogar auch nothwen-
dig sind.
Der Gebrauch des Infinit, historicns ist gut erläutert; nur
ist die Bestimmung, dass er zu Darstellung heftiger^ anhalten-
der Leidenschaft diene, fiir seinen Gebrauch etwas zu be-
schränkt. Er steht nicht blos bei dauernder oder fortgesetz-
ter, sondern auch bei wiedei'holter ^ und selbst bei einer ein-
zelnen einmaligen WaniWwn^^ wenn dieselbe von mehrern Per-
sonen lind zwar von jeder besonders geschieht. Liv. (|, ß. Eben
so hätte auch erwähnt werden sollen , dass er auch nach Zeit-
jyartikeln stehe, und im Passiv mir höchst selten vorkomme. So
erinnern wir uns im ganzen Sallust, avo doch diese Constru-
ction gleichsam zu Hause ist , nur etwa folgende vier Beispiele
gefunden zu haben, Catil. 2,1'. fatigari^ Jugurth. 30: agitari,
ibid. (iO: ferri und 83: trahi. Die Ssache lässt sich übrigens
leicht aus der Bedeutung des Passivs erklären, da natürlich jene
Lebhaftigkeit in der Handlung, für deren Bezeichnung jene
Construction eigends bestimmt ist, mit dem dem Passiv eigen-
thümlicben Begriif des Leidens gewissermassen coutrastirt.
§ 109 u. 170 handeln über Gertindium und Supinum^ und
geben das Gewöhnliche darüber ziemlich genau und vollständig.
Indess hier gerade hätten wir vom Hrn. Verf. eine tiefere Gründ-
lichkeit erwartet, da über diese der latein. Sprache cigenthüm-
lichen lledetheile bei den Grammatikern der altern wie der
neuern Zeit höchst vei-schiedne Ansichten herrschen, ohne
dass jedoch dadurch die autfallenden Eigenthümlichkeiten, Avel-
che sowohl die Construction des Gerundiums wie die des Su-
pinums darbieten, eine leichte und gründliche Erk'äriuig ge-
funden hätten. Wir können hit^r nicht auf eine genauere Un-
tersuchung des Ursprungs und Gebrauchs dieser Redetheile
eingehen , sondern begnügen uns aus den einzelnen Bemerkun-
gen des Hrn. Verf. dasjenige anzugeben, was er bei einer aber-
maligen gründlichen Behandlung der Sache gleich selbst als un-
richtig und unhaltbar finden wird. Wir rechnen dahin gleich
die erste Behauptung, nacli welcher der Infinitiv ein Seyn als
wirklich^ das Gerundium und Supinum nur als gedacht nenne,
weswegen letztre auch Substantivform angenommen hätten. Wir
hätten, wofern wir den Hrn. Verf. überhaupt verstanden haben,
die Gründe hören mögen, womit er diese uns seitsam scheinen-
den Behauptungen rechtfertige; namentlich möchten wir wis-
sen, wie er diesen Unterschied an den, von ihm selbst weiter
unten citirten Beispielen , wie Cic. Tuscul. 3,1: Discrcpat a
t im endo confidere; oder Terent. Phorm. 1, 2, 52: f ul-
tisne eamus visere? verglichen mit Nep. 21, 2: qi'uni
spectat um ludos iret^ nachweisen möchte; und noch mehr,
wie gerade in diesem gedachten Seyn ein Grund liegen könne,
weshalb Gerundium und Supinum die Substantivform angenom-
250 Römische Litteratur.
men hätten. Eben so wenig sehen Avir ein, wie das Gerundium
einen ]\'o?m'nattv hahen könne, da nach der richtigen Bemerkung
des Hrn. Verf. selbst die Casus desselben die Casus obliqui für
den Infinitiv sind, und dieser, wie früher richtig gelelirt wird,
häufig als Nominativ vorkommt. Um seine Ansicht zu recht-
fertigen, übersetzt der Hr. Verf. (8.437) freilich jnoriendum
est^ das Sterbens ollen findet Statt; allein wir kön-
nen in dieser Uebersetzung niclits als eine falsche Auffassung
der Sache erkennen, wodurch hier est fälschlich zum wirkli-
chen Prädicatsverbum gemacht wird, um moriendum als Sub-
jectsnomiuativ betrachten zu können. Uns sind alle jene For-
men Nomina verbalia, gerade wie die Griechischen TtotrjtEOV^
cpilr]TB0V ^ mit denen sie auch ganz gleiche Construction haben,
d. h. den Accusativ regieren, wenn solche gleich nur in Schrift-
stellern älterer Zeit häufiger sich findet, während die spätere
Sprache in solchen Fällen die Attractionsconstruction des soge-
nannten Particip. Futur. Passivi vorzog. Ob dieses Verbale von
dem Gerundium, oder das Gerundium vom Verbale stamme,
lassen wir dahingestellt seyn, aber gewiss stammt jenes soge-
nannte Participium Futur. Passivi von dem Verbale, gerade wie
g)Lhjtsog von q^iXfjreov. In gleicher Weise halten wir es, trotz
dem,, dass der Hr. Verf. viele und zum Theil gute Auctoritäteii
auf seiner Seite hat, doch für irrig, dem Gerundium auch
passive Bedeutung beizulegen; denn selbst in den scheinbarsten
Stellen, welche Voss ins, C o rte, Ruh nken und andere da-
für angeführt liaben , findet sich genauer und näher betrach-
tet doch nichts weiter, als höchstens ein Mangel strenger Be-
stimmtheit in der Form des Ausdruckes. Man spricht mehr
unbestimmt und im Allgemeinen der Kürze halber und weil sich
die nähere Beziehung leicht aus dem Zusammenhang ergiebt.
Ganz auf ähnliche Weise setzt man im Griechischen und Deut-
schen häufig den TafiiiitivusActivi, wo die völlig genaue Bezeich-
nung des Veriiältnisses eigentlich den Infinit. Passivi erfordert
hätte; und zuweilen thun diess auch die Lateiner, selbst bei
jabcre^ wo sie doch in der Regel genau zu unterscheiden pfle-
gen. Cic. Brut. 4 : reddere jubet statt reddi. Man begeht also
bei jener Annahme den freilich sehr gewöhnlichen Fehler, Sinn
und Bedeutung zu verwechsehi. Ueber die Verwandlung oder
NichtVerwandlung des Gerundiums in das sogenannte Gerun-
divum hätte wohl auch genauer und ausführlicher gesprochen
werden sollen. Der Ilr. Verf. deutet, und zwar gleicJisam nur
beiläufig, in den untern Randanmerkungen (S.440 u. 447) mehr
auf das Richtige hin, statt dass eine bestimmte, den Schüler
sicher leitende Regel darüber hätte gegeben werden sollen.
Eben so hätte die Anomalie des ziemlich weit verbreiteten Ge-
brauchs von Participien wie carendus^ desinendns ^ pereundus^
placendus^ pigendus^ nascendzis^ adolescendus u. dgl. hier
Ramshorn : Lateinische Grammatik. 251
eine Erwähnung verdient, um so mehr, da der Ilr. Verf. auch
nirgends anderswo dariibcr gesprochen hat.
Vom Supino bemerkt der Jlr. Verf. , es bezeichne das ge-
dachte Vollendelseyn eines Ziistandes, weswegen es die Form
eines Substantivs 4terDeciination erhalten habe. Ueber dasPrä-
dicat gedacht und über den uns nicht einleuchtenden Grund,
durch welchen es Substaiitivform erhalten haben soll, haben
wir schon gesprochen. Mit dem P ollendet seyii^ was Gern-
hard Commentt. Gramm, pari. F, de supino et gerundio etc.
p. 7 läugnet, hat es auch nach unsrcr Ansicht seine Richtigkeit,
nur sehen w ir nicht ein , w ie es der Hi\ Verf. bei seiner Auf-
fassung darin finden, und bald darauf auch Scaliger {de
caiis. liug. Lat. p. 375) dafür citiren konnte, da doch dieser in
den Siipinis einen besondern Tlieil des Verbums, keineswegs
aber Nomina der 4n Declination anerkennt. Freilich hat Scaliger
unter allen Grammatikern älterer und neuerer Zeit die besten
Bemerkungen über die Supina, aber da sie auf ganz andern An-
sichten vom Wesen der Supina beruhen, so durften sie doch
unmöglich zum Beweise dessen gebraucht werden , was der Hr.
Verf. bei seiner ganz verschiednen Ansicht von der Saclie dar-
über behaupten zu können glaubte, sonder» hätten ihm viel-
mehr Veranlassung geben sollen, dem so viel besprochnen Ge-
genstand eine völlig neue Untersuchung zu widmen. Nach un-
serer Ansicht bedurfte er derselben auch in der That mehr,
als jede andre Lehre der gesammten latein. Grammatik. Denn
was bisher in unsern Grammatiken über Ursprung und Wesen
und zum Theil auch über den Gebrauch der Supina gelehrt
M'ird, sind historisch und philosophisch betrachtet der Haupt-
sache nach völlig unerwiesene und unerweisbare Behauptun-
gen aus der lat. Grammatik des 17 Jahrhunderts , die von fast
allen Grammatikern der folgenden neuern Zeit auf Treu und
Glauben hingenommen, trotz aller ihrer Unlialtbai'keit doch
jetzt fast allgemein deshalb als ausgemaclite WaJirlic.t gel-
ten , weil nun schon seit langen Jahren die Sache nicht anders
gelehrt und gelernt worden ist. Da die gründliche Untersu-
chung des Gegenstandes eine weitläufige Abhandlung erfor-
dert , so können wir hier nicht tiefer auf die Sache eingehen,
aber da der Hr. Verf., wie wir hören, schon wieder mit einer
neuen Bearbeitung seines Werkes beschäftigt ist , so halten wir
uns für verpflichtet, ihn aufzufordern, diese Lehre der sorgfältig-
sten Beachtung zu würdigen und namentlich die Gründe näher
zu betrachten, mit welchen die Supina im vorletzten Jahriiun-
dert von Scioppius, Vossius, Ursinus, Ruddiman-
nus,Perizonius und andern zu Nominibus der 4n Declination
gemacht worden sind. Soweit wir die Sache kennen, beniht
jene ganze Ansicht in historischer Hinsicht auf niciits, als ei-
nem schwankenden Videliir Priscians, dem aber schon die,
252 Römische Litteratur.
manche gute Wiiike enthaltenden, Beraerkung:en Quinctilians,
Charisius, Probus, Diomedes , Servms, Cledonius und andrer
völlig widerstreiten, und mehrere Grammatiker des 15 wnd 16
Jahrhunderts, wie namentlich L. VaUa, M. Crusius, A.
S a b u r n i u s , E m. A 1 V a r e z und andre, auch schon zum Theil
gar nicht zu verachtende Griuide entgegengestellt haben. Was
ihre philosophische Begvündnn^ aber anlangt, so ist sie auf ei-
nige unhaltbare, zum Theil völlige Cirkelschlüsse enthaltende
Voraussetzungen und in der Hauptsache auf jene längst verwor-
fene Ellipsentheorie gebaut, mit welcher man in jenem Jahr-
hundert alle Schwierigkeiten der griechischen und latein. Gram-
matik mit freilich bequemer Leichtigkeit zu lösen wusste. In
der spätem Zeit lehrte man nun die neuerfundne Lehre sorglos
fort, gab mit stillschweigender Uebergehung der für unsre
Zeit etwa anstössigen Behauptungen jener frühern Grammatiker
nur die Hauptpuncte und verdeckte so mit dieser confideutea
Kürze die Willkürlichkeiten , Inconsequenzen und Widersprü-
che, die in der frühern ausführlichen Erörterung freilich auch
zii oü'en am Tage lagen. Um nicht zu scheinen zu viel gesagt
zu haben, erlauben wir uns nur noch einige die letzterwähnten
Uebelstände berührende Fragen und Bemerkungen. 1) if'ie
und womit ist denn die bei Aufstellung und Beurtheilung jener
neuen Lehre am meisten in Betracht kommende Behauptung,
nämlich dass die Supina de?i Accusaliü ihres V er bums als no-
mina verbalia regieren können^ bewiesen worden'? Die dafür
angeführte Construction der gar sehr verschiednen Verbalia
auf «0, wie quid tibi hanc curatio est rem u. s. w. be-
weis't diess noch keineswegs; ja wir tragen vielmehr kein Be-
denken, bei den Verbalibus der 4n Declination auf us aus Grün-
den, die in ihrer ursprünglichen Bedeutung liegen , sogar die
Möglichkeit jener Construction zu läugnen, und haben dabei
wenigstens den doch gewiss nicht geringfügigen Umstand für
uns, dass eben ausser jenen vermeintlichen Accusativen der
Supina auf iitn aus der ganzen latein. Sprache auch nicht ein
einziges Beispiel sich dafür nachweisen lässt. Die Perizonius
(zu Sand. Min. 3, 9 p. (iÜl) so selir genirende Nebenfrage,
warum denn nicht auch die Supina auf u einen solchen Accusa-
tiv regieren, wollen wir, so sehr man auch bei jener Ansicht
von den Supinis sie zu beantworten verpflichtet gewesen wäre,
doch deshalb gar nicht thun, weil wir uns, auch ohne mit frü-
hern Grammatikern die Supina auf u von denen auf zim als gar
nicht zusammengehörig zu trennen , wenigstens gnügendere
Gründe anzuführen getrauten, als Perizonius mit se'nmm fortu-
na et casus gegeben hat.
2) ist es nicht ain seltsamer Widerspruch, in der Form-
lehre bei Ableitung der Tempora die Supina als Grundformen
anzuerkennen, und in der Syntax doch zu behaupteji, es seyen
Ramshorn: Lateinische Grammatik. 253
nichts als Caäus des gewöhnliclien Verbalsubstantivs, das un-
bestreitbar später entstanden seyn inuss, als alle die Formen,
die man in der Formlebre and zwar mit Recht und nach der
Auctorität der alten Grammatiker von dem Supitio herleitet'?
Die ganze 4e Declination überhaupt ist, wie der Hr. Verf. § 25,
Anmerk. 1 selbst richtig bemerkt, oH'enbar spätem Ursprungs;
die Snpiiia dagegen sind, wie ihr Gebrauch und viele andre
Umslän<te zeigen, unstreitig ^/y•«//e Formen ; ist es nun nicht
weit natürlicher, sie auch für jene Verl)alsubstantive auf tis als
Grundformen anzuerkennen, als umgekehrt sie für isolirt da-
stehende Casus dieser Verbalsubstantive selbst zu erklären, die
docli naturgemäss nicht anders zu Defectivis Averden konnten,
als im Laufe hmger Zeiten, für welche sich obigen Thatsachen
zufolge in der ganzen Geschichte der Sprache ja eben gar kein
Raum ermitteln lässt. Und auch abgesehen von der Zeit, wäre
es jücht ausserdem auch in anderer Hinsicht in vielen Fällen
völlig unbegreiflich, wie von Verbalsubstantiven, welche wie
dictiis u. dgl. schon ihrem Regrift" nach in allen Casibus eine
liäufige Anwendung hätten finden müssen, doch gerade nur im-
mer Accusativ und Ablativ hätten übrig bleiben , die nicht min-
der oft nöthigen Nominative , Genitive und Dative aber allmäh-
lig wieder ausser Gebrauch hätten kommen können, wenn ihre
Formen früher einmal gleichfalls in der Sprache vorhanden ge-
wesen w ären , und mit den Siipiiiis w irklich in dem angenom-
menen Zusammenhang gestanden hätten.
3) Was nun endlich die Art und Weise anlangt, wie man
seit Vossius den Gebrauch des Supinums auf um bestimmt hat,
so finden wir auch hierin meist nur Willkür oder wenigstens
grosse Einseitigkeit, die aller tief ern sprachhistorischen Umsicht
ermangelt. Die seine Anwendung auf so enge Grenzen beschrän-
kende Regel, dass es nur nach Verbis der Absicht und vorzüg-
lich nach V erbis der Bewegung, w ie ire^ venire^ mittere u. s. f.
stehen soll, ist eine Annahme, die meist nur zu Gunsten jener
Ellipsenthcorie und höchstens nach der Mehrzahl der Beispiele
aus einer Zeit entworfen ist, in welcher die Construction des
Supinums schon fast völlig veraltet war und nur noch in kärgli-
chen Ueberresten existirte. Ist es nun nicht völlig verkehrt,
das Wesen solcher alterthümlichen Constructionen aus dem
Sprachgebrauch einer Zeit bestimmen zu wollen, in welcher
man, einige alte, zu stehenden Jledensarten gew ordne Formeln
abgerechnet, schon aufgehört hatte, sich ihrer zu bedienen?
Und nocli %iel weiter in dieser Verkehrtheit ist man nun bei der
Anwendung jener selbsterfundenen Rfgel gegangen. In einem
kaum begreiflichen Verkennen der Sache nämlich beurtheilt
man nun auch den Sprachgebrauch aller Zeitalter nach jener
Regel und bestimmt sogar nach ihr, was für ein Supinum ge-
halten werden soll, oder nicht. So sind z. R. blos jener Regel
254 Römische Litteratur.
und ihren Grundsätzen zu Gefallen Beispiele, wie das Plautini-
sche ad mercatiim ire^ das Lucretianische in commutatum ve-
nire u.dgl. zu Supiiiis creirt worden. An dem Sallustianischen
nee ego vos.nltv in inj?i/ias hortor dagegen nimmt selbst
unser Hr. Verf. (S. 450) Anstoss und will i/e ergänzt wissen;
die Worte des Pompejus bei Cic. Att. 8, IH: coho/ies ad me
mis Silin facias sind nach Vossius höchst seltsam, und
Beispiele, wie das Plautinische rerf?Y?/7n oportuit (Pers.3,3,4'.>)
oder das Terentianisclie inansiim tarnen oportiiit ^ die früher
nach gewiss bessern Gründen und Ansichten als Snpina galten,
lässt er gar nicht weiter als solche gelten. Und doch ist der
Grund alles dieses Anstosses näher betrachtet kein andrer, als
weil sich solche Beispiele nicht nach der Regel fügen wollen,
die man nun einmal über das Supinum aufzustellen beliebt hat.
Gewiss also , wenn irgend eine Lehre der lat. Grammatik eine
neue und gründliche Behandlung bedarf, so ist es die vom Su-
pinmn. Mehrere gute Winke und Bemerkungen zu einer diessfall-
sigen Untersuchung geben Bopp, Humboldt und besonders
Schmidt {JJeher den Infinitio ^ llatibor 1826.), nur dass
auch diese Männer bei ihrer sprachpliilosophischen Betrachtung
dieser alten Formen docli mehr nur die jetzt gewöhnlicheuLeh-
ren unsrer Grammatiken, als die eigentlichen Quellen, d. h.den
Sprachgebrauch der ältesten lateinischen Schriftsteller, vor Au-
gen gehabt zu haben scheinen.
ImEinzelnenbemcrkcnwir noch, dass S. 450 Not. 2, u. S. 452
Not. 2,wo die verschiednen Constructionen angeführt werden, wel-
che statt der Supina gebraucht werden können, durchaus auch der
Unterschied ausführlicher hätte erörtert werden sollen, welcher
zwischen ihnen statt findet. Die Kürze, womit der Hr. Verf.
die Sache berührt, kann dem Schüler keine sichere Kenntnis«
derselben verschaffen, sondern wird und muss ihn zum Irrtiuim
verleiten und zwar um .^o mehr, da sich in Folge jener flüchti-
gen Kürze der Hr. Verf. selbst nicht immer frei davon erhal-
ten hat. Zum Belege für beides verweisen wir nur auf S. 452
Note 2, h. Hier Avird gelehrt, dass statt des Supini in ii bei
facile est^difficile est^grave est Qic auch derlnfinitivusjaraesew^/s
stehen könne, und gleich als erstes Beispiel dafür angeführt:
Facile est vincere non repugnantes^ Cic. Tusc. 1, 1. Wir glau-
ben recht gern, dass dieses seltame Versehen ein Uebereilungs-
fehler ist, finden aber auch anderseits darin den sichersten Be-
weis für unsere Behauptung, dass dergleichen Dinge nicht blos
kurz berührt werden dürfen, sondern gründliche Erörterung
verlangen, wenn der dem Versehen und Missverstehen an sich
schon weit leichter ausgesetzte Verstand des Schülers gegen
solche Irrthümer und Missgriffe wirklich gesichert werden soll.
Ueber dasParticipium giebt der Hr. Verf. § 111 u. 172 eine
Menge Bemerkungen, die zwar viel Iliclitiges enthalten, uns
Ramshorn : Lateinische Grammatik. 255
aber doch nicht immer klar und treffend genug, noch nothwen-
dig scheinen. Zu den unklaren und verfeliiten rechnen wir, wenn
es S.4C3 f. lieisst, „das Participinm, wenn es erklärend, (d.h.
in Apposition) stehe, bezeichne entweder ein blosses Sey7i, oder
eine auf das Prädicat Bezug habende //ßwrf//fw^"; ferner wenn
S. 479 in Beispielen, wie diu noii perlitatnm ienuerat di-
ctatorem^ne— passet (Liv.7,8) oder siifßcere— videbaturVespa-
siani nomcn ac nihil arduuni fatis (Tacit. IL 2, 82) ein No-
minativus absolutus angenommen wird, da dergleichen Fälle
doch schon von Perizonius und andern (Sanct. Min.3, 9 p. 657 f.)
richtig erklärt worden waren. Für fast überflüssig aber
halten wir die ganze grosse Anzalii %on Bemerkungen von S.
465 — 476, in welchen fast weiter niclits angegeben wird, als wie
raandielatein.Participialconstruction in diesem oder jenem Falle
im Deutschen übersetzen soll. Für Schüler der Art, für welche
der Ilr. Verf. seine Grammatik bestimmt liat, konnte alles, was
in jenen Bemerkungen enthalten ist, weit kürzer und bündiger
und dabei zugleicli auch weit tiefer und gründlicher dargestellt
werden. Dagegen vermisst man manches , dessen nähere An-
gabe für Schüler hölierer Classen höchst wünschenswerth ge-
wesen w äre. So ist z. B. niclits darüber gesagt, dass eine grosse
Anzahl Participia zu völligen Adjectivis geworden sind, nichts
über den in den verschiednen Zeitaltern der Sprache verschied-
nen Gebrauch der Participia verschiedner Tempora, und nur
höchst wenig über die Fälle, in w eichen man die Participialcon-
struction nicht gebrauchen darf. Eben so hätte der S. 480 f.
berührte Fall , dass die Ablativi absoluti zuweilen unregelmä-
ssig zu stehen scheinen, eine nähere Erörterung verdient. Der
Hr. Verf. erwähnt blos den einen Fall, dass die Ablativi abso-
luti , auch wenn ihr Subject bei dem nächsten Verbo als Pro-
nomen wieder vorkomme, und statt des Ablativs also eigentlich
der Casus dieses Pronomens hätte gesetzt werden sollen, doch
zuweilen als Zeitangabe oder zur Hervorhebung eines besoiiders
zu beachtenden ISiebenumstcmdes beibehalten würden-, z. B.
M. Porcius Cato vivu quoque S cipione allatrare ejus ma-
gnitudinem solilus erat^ Liv. 38 , 54. Dieser Fall w ar nun aller-
dings zu erwähnen, aber gewiss noch weit mehr der zweite,
nämlich dass sich sogar auch oft dann Casus absoluti hnden,
wo beide Satztheile ein Subject haben. Plaut. Trucul.2, 4,86:
Ostendit sese jammihi medullitus, se mihi infidelem nu7iquam^
se Viva, fore. Ovid. Amor. 2, 12, 13: Me duce ad hanc
votifinem^ me milite veni. Id. Metam. 3, 460: Lacrymas
quoque saepe notavi, me lacrymante^ tuas. vergl. Caes.
B. C. 3, 1 init., Auct. B. Afric. cap. 10, Petron. Sat. c. 113,
Senec. de Vit. beat. c.20, Suet. Tib. 31 , lustin. 11, 7, Auson.
Idyll. 2, 14. Im Griechischen sind Stellen beiderlei Art noch
häufigeir, aber eben so wie im Lateinischen meist als unregel-
256 Römische Littcratur.
massige Ausnahmen betrachtet worden. Die genaue Betrach-
tung aller Stellen lehrt, dass es keineswegs Versehen der Schrift-
steller sind , und dass die Sache noch tiefer aufgefasst werden
muss , als es vom Hrn. Verf. geschehen ist.
§ 173 handelt von den Adverbiis negandi, aber nicht voll-
ständig genug. PJiniges wii'd zwar in§ 170 S. 528 und andern
folgenden Paragraphen nachträglich bemerkt, z. B. dass nee
auch in der Bedeutung von iie — quidern gebraucht werde, dass
zwei Negationen einander nicht immer aufheben u. dgl. ; allein
da man alle diese Bemerkungen hier erwartete, so hätte wenig-
stens auf jene andern Orte verwiesen werden sollen. Die zweite
\o\\non woh! zu unterscheidende Negation Äße^rf ist nicht einmal
erwähnt worden.
Vollständiger ist § 174iiber die Adverhia interrogandi^ der
aber eigentlich nicht b!os Viber diese, sondern mit Ausnalime
dessen , was schon friiher § \\\% bei den Pronomiiiibus inter-
rogativis erinnert worden war, vielmehr von den Fragesätzen
überhaupt handelt. Die iiber die einzelnen Fragpartikeln und
ihren Gebrauch gemachten Bemerkungen sind meist richtig,
wenn schon nicht immer klar und allseitig genug (s. S. 491.).
Ganz übergangen ist nani^ das in der früiiern Latinität auch
ausser dem Pronomen quhnam in der Frage gebraucht wurde,
Plaut. Pers. 3, 1, 51, und hier um so mehr eine Bemerkung
verdient hätte , da auch an jenem erstem Orte dieses aus qiiis
und nam zusammengesetzten Pronomens und anderer derglei-
chen Formen {uternam^ utriinmani) gar nicht gedacht worden
ist. S. 502 spricht der Hr. Verf. über 7iecne und an non und
stellt folgenden Unterschied auf: „Ist in dem zweiten Gliede
(einer disjunctiven Frage) die Negation des ersten enthalten,
so kann damit entweder das Nichtseynkörmen des ersten geraeint
seyn, oAcy das wirkliche Nichtseijn desselben. Jene negative
Möglichkeit wird durch uec ne ^ die negative Wirklichkeit hin-
gegen durch an non^ im Deutschen Beides durch oder nicht aus-
gedrückt. " Früher lehrte man nach Ernestis Bemerkung,
an non stehe gewöhnlich mit ^ nee ne meist ohne wiederholtes
Verbum. Ueber beide Behauptungen und deren gegenseitige
ünhaitbarkeit haben sicli neuerdings der Hr. Verf. und Hr.
Zumpt ziemlich scharf, jedoch, wie uns scheint, ohne Gewinn
für die Sache selbst gestritten. Nach unsrer Meinung enthal-
ten beideBestimmungen, inwiefern sie sich in der That auf die
Mehrzahl der Beispiele anwenden lassen, allerdings etwas Wali-
res, können aber beide deshalb noch keineswegs als grammati-
sche Regeln gelten , weil es der einen wie der andern an der
nöthigen Gründlichkeit und AUseitigkcit fehlt. Von der Ernesti-
schen Meinung liegt diess klar am Tage, indem dabei gleich
selbst ausdrücklich zugestanden wird, dass es nur eine auf die
Mehrzahl der Beispiele gegründete Bemerkung sey. Die Mei-
Ramshorn: Lat<-iiiiäclic Graraipati^. 251
nwns^ des Hrn. Verf. scheint nun frcüicli auf mehr philosoplu-
schem Gniiule zu ruhen ; allein wir sehen nur niclit ein, wie dio
logisch feine Unterscheidung zwischen Nichtseyrilömum und
wirhlichem Ntchfscyn mit der Natur und Bedeutung jener Par-
tikeln in einem solchen Zusanime.nhang stehe, dass sich die
Römer liättcn veranlasst finden kininen, zwischen beiden ge-
rade auf jene Weise zu unterscheiden. Lind befragt man mm
den Sprachgebrauch selbst, so iimlen sich gar nicht wenig
IJeispiele, weiche theils jene üntersdieidung als völlig willkiir-
licli ersclieinen lassen, theils sogar auch deutlich zeigen, dass
die Lateiner jtec ne auch da setzten, wo keineswegs an ein blo-
sses Nichtseynkönnen, sondern olfcnbar an das wirkliche Nicht-
seyn gedacht werden muss. Stellen der Art hat der Ilr. \'erf.
selbst schon mclirere angefiihrt ; z.B. Cic. Catü. 2, 0, 13:
Quaesici a CaliUna^ an noctiirno conveiitu apnd M. Laecam
fuisset^ nee ne; Id. Farn. 2, 17: Parihi transierint
nee w e, yraeter te rideo duhUare neminem ; 1 d. Tuscul. 2, 1 2, 29:
Hoc doce^ doleamne necne dolctun^ nihil interesse ; Liv.l^
51 : Id vanum necne s it^ extemplo sciri jwsse ; alles Fälle, wo
durchaus nicht an das blosse Nichtseynkönnen, sondern an das
Nichtseyn zu denken ist. Noch auffälliger ist Cic. Tuscul. 3,
18, 41: Sunt haec tua verba ncc iie?^ wodurch zugleich auch
Dölekes Behauptung, dass nee ne nur in indirecten Fragen
sich finde, widerlegt wird. Nach unsrer Meinung ist der
Unterschied aus dem Wesen jener Partikeln selbst zu bestim-
men und hauptsächlich in folgenden Pnncten begrVindet. ISec
ne bildet, wenn wir es gleich im Deutschen durch ein disjuncti-
ves oder nicht Vlbersetzen, doch im Lateinischen, wie schon die
Partikel 7iec zeigt, keinen eigentlich disjunctiveu Gegensatz,
sondern enthält vielmehr nur eine^ aus zwei durch die Copulä
verbuudnen Gliedern r:,nsam7nengeselzte Frage ^ bei welcher
das erste oder positive GVvqA stets die 2\% Hauptsache in Betracht
kommende Sentenz enthält, während das zweite negative Glied
stets als ininderwichtig und mehr nur als ein die voransgegan~
gene Hauptsache näher bestimmendes Anhängsel erscheint. Nee
7ie ist also ein ganz gelindes oder nicht und steht inFragen,
in welchen man blos ipegen der genauem Erforschung und Er-
örterung einer positiven Sentenz noch kurz und anhangsweise
auch nach dem Gegentheil fragt. Ganz anders ist es bei an
non. Dieses nämlich bildet eine tvirklich disjunctive Frage, und
steht also, wenn bei dem Gegenstand der Frage Affirmation
und Negation als gleich erheblich angesehen w erden sollen ; so
dass mithin das zweite negative Glied nicht blos des ersten
positiven halber, sondern auch anundfilr sich selbst in Betracht
kommt. Da indess beide Fragweisen nicht sowohl in Hinsicht
des S«/?/2es, als vielmehr nur nach der jedesmaligen Jfürdigung
der Wichtigkeit beider Fragglieder verschieden sind, und diese
Jahrb. f. thil. u. Fädag. Jahrg. 111. tieft ?• If
258 Römische Litteratur.
Würdigung oft nur von dem siibjectiven Urtheil des Fragenden
Abhängig ist, so kann es natürlich auch Beispiele geben, in wel-
chen es ziemlich gleichgültig war, ob der Schriftsteller 7iecne
oder annon setzte. Gebieten dagegen die Umstände, beide Glie-
der als gleichwichtig zu disjungiren, oder kommt gar das nega-
tive mehr in Betracht , so muss durchaus an non stehen. Stel-
len der Art sind Plant. Epid. 4, 1, 11, Id. Pers. 3, 1, 50,
Terent. Andr. 1, 2, 15, Id. Eunuch. 5, 4, 46, Id. Heaut. 2,
4, 25, und die vom Hrn. Verf. selbst angeführten Terent. Phorra.
ö, (), 12, Id. Hecyr. 3, 5, 58, so wie ganz besonders Liv. 8,
13: DU ita vos potentes hiijiis consilii fecentnt^ ut sit Latium
deinde^ an non sit^ in vestra manu posuerint^ wo durchaus
nicht necne hätte gesetzt werden können. Nach dieser Erör-
terung ergiebt sich nun, wie wir glauben, von selbst, warum
nee ne meist ohne wiederholtes Verbum sich finde, und wie es
vorzüglicli auch geeignet sey, da gesetzt zu werden, wo es
sich um blosse Meinung und Möglichkeit handelt.
Die vierte und letzte Abtheiliing des ersten Theils handelt
Ton § 175 — 190 C071 den verbundnen Sätzen^ und ist im Gan-
zen gleichfalls mit ausgezeichneter Sorgfalt, wenn schon nicht
in allen einzelnen Theilen gleich gut und glücklich bearbeitet.
Die Verbindung der Sätze theilt der Hr. Verf. in Coordination^
Explication \md Subordination^ eine Eiiitheilung , wobei nach
dem eignen Eingeständniss desselben (S. 581) das Glied der
Explication zu den beiden iibrigen in keinem richtigen Verhält-
niss steht; indem eigentlich die meisten vom Ilrn. \erf. für Er-
klärungssätze ausgegebnen Sätze ihrem Wesen wie ihrer Gel-
tung nach zu den subordinirten gehören, die meisten übrigen
aber, wie z. B. die § 181 behandelten, richtiger theils an die
coordinirten angereiht, tlieils bei der Lehre vom einfachen
Satze behandelt werden konnten. Wahrscheinlich hat auch
hier der Hr. Verf. durch diese Trennung verhüten wollen, dass
der Abschnitt von den subordinirten Sätzen nicht zu einer unver-
hältnissmässigen Grösse anwachse; allein dieser Gewinn, wo-
fern es anders überhaupt einer ist , ist doch gewiss w eit gerin-
ger als die dadurch herbeigeführten Uebelstände. Denn es ist
^«irklich nicht nur sehr störend und unbequem , sondern auch
in vieler andern Hinsicht selbst für den Lernenden nachtheilig,
wenn völlig gleichartige Constructionen, deren Wesen und Ei-
genthümlichkeit nur aus guter Zusammenstellung aller Fälle er-
kannt werden kann, gerade in umgekehrter Weise gegen die
Forderungen wahrer Logik auseiuandergerissen und an ver-
schiedne Orte zerstreut Merden. Wie und auf welche seltsame
Weise diess hier öfters geschehen sey, zeigen am besten die
im Ganzen völlig gleichartigen Constructionen der Partikel ut
und des Pronomens qui^ welche in Folge jener Eintheilung ganz
unzweckmässig auseinandergerissen und trotz aller ihrer Gleich-
Bamshorn: Latciniäche GraraniatIL. 259
artigkeit oft durch mehr als 10 lange Paragraphen von einander
getrennt worden sind ; vergl. Index unter ut und qui. Wolllo
der Ilr. Verf. die Masse der sul)ordinirten Sätze nicht zu gross
werden lassen, so konnten ofl'en'oar am richtigsten und leichte-
sten die Bedingungssätze davon getrennt werden. Am besten
sind nach unsrer Meinung die coordinirtcJi Sätze, die der Hr.
Verf» in correlative^ conti nuativc^ distributive^ copulative^ dis-
junctite und adversative getheilt hat, behandelt. Besonders
schätzbar sind dabei die gelegentlichen Bemerkungen, welche
iiber Bedeutung, Gebrauch und Unterschied der dabei vorkom-
menden Partikeln gemacht werden, wo in der Regel das Rich-
tige getroffen ist. Nur einiges hätten wir genauer oder anders
bestimmt gewünscht, wie z. B. die Bemerkungen über et und
que und ac und atque ^ welche uns ungnügend und verfehlt
scheinen. Die beiden ersten sollen nach S. 515 ^gleichartige
(homogene) Sätze verbinden , und zwar et solche, die als noth-
wendig zusammengehörende^ que solche, die als zufällig zu-
sammenhommende sich zu einander verhalten; ac und atque hin-
gegen ungleichartige. Hier halten wir sämmtliche als wesent-
lich angegebne Bestimmungen weder für genau und verständlich
genug, noch für richtig. Das Gleichartige und Ungleichartige
kommt nach unsrer Meinung weder bei et und que noch bei ac
und atque in Betracht, und die Prädicate nothivendig zusammen-
gehörend und zufällig susa?nmenkomme7id sind avo nicht ganz
falsch, doch wenigstens schief und ungnügend. Die Verbin-
dung durch et giebt den verbundnen Dingen gleichen Itang^
gleiche JVichtigkeit in Bezug auf dieSentenz, que hingegen hängt
Minderwichtiges an die vorausgegangne Hauptsache als bei- und
untergeordnet an. Man sieht hieraus leicht, dass man also
wohl sagen kann , que hänge 7iicht nothivendig zu Erwähnendes
an, aber daraus folgt noch nicht, dass et nur nothwendig Zu-
sammengehörendes^ und noch weniger, dass que blos zufällig
Zusammenkommendes verbinde. Im Gegentheil steht que ganz
häufig und gewöhnlich bei Anreihung solcher Dinge, die sich
zum früher Genannten wie Dazugehörendes ^ Ajischliessendes
verhalten. Noch sonderbarer ist die Bestimmung, dass ac und
atque Ungleichartiges verbinde , wie schon die Vergleichung
der vom Hrn. Verf. selbst angeführten Stellen zeigt, z. B. Si
forte quaereretur ^ quis esset imperator ; Epaminojidam
atque Hannibalem., atque ejus generis homines ?iomi-
narem (Cic. Orat. 1, 49), in der That ein Beispiel, das jeder
wählen würde, der das Gegentheil behaupten wollte, >vas übri-
gens auch schon wirklich geschehen ist; vergl. Ileus eher' s
Fortgesetzte Nachricht von dem Gymnasium in Cottbus., Soraii
1825, S. 50 f. Nach unsrer schon oben ausgesprochnen Mei-
nung hat ac und atque ursprünglich compurative Bedeutung,
aus welcher sich sodann die copulative leicht ableiten lässt und
n *
260 Römische Litteratur.
auch erliellt, warum beiEintlieilungssätzen wohl et — et^ que —
qae u. s. w. , aber nicht atque — atque gesetzt werden kann.
Ebenso finden wir es aucli bedenklich , mit dem Hrn. Verf. ans
diesem zuletzt erwähnten Gebrauch des verdoppelten et die
Eedeutnng auch, sogar ^ den die Partikel so häufig hat, abzu-
leiten. Er nimmt nämlich au, dass in diesem Falle das erste
Glied einer solchen Eintheilung im Zusammenhange versteckt
liege. An sich wäre diess nicht unmöglich. Allein wegen der
so nahen Verwandtschaft, in welcher die Begriffe und und auch
stehen , und vorzViglicli weil que , das doch ganz denselben Ge-
brauch der Verdopplung hat, jene Bedeutung, das spätere
hodieque ausgenommen, durchaus nicht hat, so halten wir es
für einfacher und richtiger, der Partikel et die Bedeutung der
Verbindung so ganz im Allgemeinen beizulegen, dass darunter
beide Begriffe und und auch subsumirt werden, wie ja auch
bei dem griechischen xal der Fall ist. Ganz befremdend end-
lich ist es uns gewesen, dass der Hr. Verf. durch diese Annahme
sich zu der Behauptung hat verleiten lassen, „serf et sondern
CMCÄ könne daher eben so wenig vorkommen, als ac und atque
in dieser Bedeutung'"' (S. 519). Die Sclilussfolge zeigt, dass er
nicht etwa die auch uns noch zweifelhaft scheinende Behaup-
tung Bremi's zu Nepos und Sueton, naoli welcher sed et stets
sondern sogar, nicht sonder?i auch bedeuten soll, dabei im Sinne
hatte, sondern den Gebrauch iiberhaupt läugnet. Wie diess
möglich war, können wir uns nicht erklären, und gestehen da-
her, entweder den Hrn. Verf. gar nicht verstanden zu haben,
oder dass wir es unbegreiflich finden, wie er jener Verbindung
sed et, die bei den Spätem namentlich fast gewöhnlicher als
sed etiam ist , sich nicht erinnern konnte. Bei quoque hätte
wohl bemerkt werden sollen, dass es in der ältesten Latinität
mit ne verbunden fiir ?ie — quidem gebraucht ward; vergl. A.
Gell. 17, 2; und eben so hätte man auch wohl etwas über den
Unterschied von non tantum, no?i solum, non modo erwarten
sollen, besonders da über die ihnen correspoudirenden Adver-
sativpartikeln sed^ verum etc. viel Gutes und Richtiges erinnert
worden ist.
Der Abschnitt über die Bedingungssätze § 190 hat uns nicht
befriedigt. Nach dem, was von Hermann, Buttmann,
T h i e r s c h, Krüger und andern darüber erinnert worden war,
hätte man billig eine klarere und umfassendere Darstellung des
Gegenstandes erwarten sollen, als der Hr. Verf. gegeben hat.
Er unterscheidet zwar drei verschiedene Gattungen derselben,
aber weder bestimmt genug, noch mit genauer und richtiger
Angabe ihrer Verschiedenheit. So wird S. 581 behauptet, bei
dem Vordersatz eines Conditionalsatzcs habe der Redende Je-
des?nal das in der Wirklichkeit vorhandene Gegentheil im Sinne.
Demungeachtet heisst es gleich darauf von der ersten Gattung
Rumshorn ; LutcinUcIie Graniinatik. 261
der BefUngungssätze, bei welchen in beiden Gliedern der Indi-
cativ steht, sie enthielten im Vordersatz die Voraussetzung Gl-
nes ivi'rklich vorkommende?i Falles ^ eines Zustandes, der in der
Gegenwai't, Vergangenheit oder Zukunft wirklich stattfinde,
oder doch als solcher angenommen werden müsse, wobei man
sich die Negation als Gegentheil denke; und von dem zweiten
oder dem Folgesatz: er drücke die Folge als ?iothwendig d. i.
als wirklich aus. Wir finden hierin , wenn nicht völligen Wi^-
derspruch, doch durchaus keine Klarlieit und riclitige Bestim-
mung der Saclie, wie sogleich die Betrachtung der vom Hrn.
Verf. selbst angeführten Beispiele und noch deutlicher Cic. de
Fiu. 1, 21 lehrt. Von den Sätzen der zweiten Gattung wird
gelehrt: Vorder- und Nachsatz hätten den Conjunctiv, wenn
man bei erstem die Voraussetzung bedingterweise , der Wirk-
lichkeit entgegengesetzt, nehme, der Nachsatz, aber die Folge
als bedingt ausdrücke. Als wäre das niclit in jedem Conditio-
nalsatz der Fall, dass der Vordersatz einen bedingterweise aus-
gesprochnen Gedanken, und der Nachsatz eine bedingte Folge
enthalte. So ist nun auch Aveiterhin, wo von" den einzelnen For-
men der Conditionalsätzc gehandelt wird, wenig Klarheit; die
verschiednen möglichen und Avirklich vorkommenden Fälle
sind bei weitem nicht alle erwähnt, namentlich nicht die ver-
schiedenen Verschmelzungen und Vermischungen der einzel-
nen Gattungen, und selbst in den Beispielen sind Stellen der
verschiedensten Art ziemlich bunt durcheinander geworfen,
das Gewöhnliche von dem Ungewöhnlichen nicht gehörig ge-
schieden, das Seltsame nicht hinreichend erklärt und selbst
nicht vollständig angeführt.
Die Concessivsätze § 191 werden zwar sehr richtig in
zwei Classen geschieden, allein das Wesen und die Verschie-
denheit derselben sind nach unsrer Ansicht nicht gut ange-
geben. Nach dem Hrn. Verf. (S, 595f.) soll der Unterscliied
derselben darin bestehen, dass in Sätzen der ersten Classe der
Vordersatz eine als Voraussetzung von Umständen hergenom-
mene Bedingung enthalte , bei Sätzen der zweiten Ciasso aber
diese Bedingung einräumend als Willensäusserung ausgespro-
chen werde; und so werden nun sodann den Sätzen der ersten
Xxietsi, etiamsiy tametsi^ den andern ut (gesetzt dass), ne
(gesetzt dass nicht), qiiumvis^ quanquam und quidem gleichsam
ausschliesslich als eigenthümlichc Partikeln zugewiesen und
einige nähere Bestimmungen über die Modi, die dabei zu brau-
chen seyen, hinzugefügt. Wie mau leicht einsieht, ist der Hr.
Verf. bei dieser Unterscheidung von der Bedeutung jener Par-
tikeln , oder vielmehr von den besondern Modificationen ihrer
gemeinschaftlichen Grundbedeutung ausgegangen, wobei indess
freilich nur die Prädicate als Voraussetzung und einräumend^
nicht aber die übrigen Bestimmungen dem Sprachgebrauch ent-
262 Römische titteratur,
sprechen und wirklich haltbare Versehieilenlicitcn anheben.
Allein nach unsrer Ansicht konnte diese Bedfutungsverscliieden-
heit der Partikeln hier nur als Nebensache in Betracht kommen,
dürfte aber bei der Unterscheidung der Sätze selbst keineswegs
zum Eintheilungsgrunde gemacht werden. Offenbar näm-
lich musste dabei vielmehr die Art und f'/eise ^ wie die Sen-
temen ia solchen Sätzen ausgesprochen Averden , das ist also
die bei ihnen stattfindende Modusverschiedeiiheit zu Grunde
gelegt werden; wo sich dann wVirde ergeben haben, dass in
Sätzen der ersten Art die Sentenz als wirkliches Factum, in
Sätzen der zweiten Art aber Uqs als Gedanke ausgesprochen
erscheine, und wie deshalb in den ersten der Indicativ^ bei den
andern aber natiirlich der Conjunctiv gebraucht werden miisse.
Die Partikeln etsi^ etiamsi^ tarnetsi^ qiiamvis^ qiianquam^ qui-
r/e/M selber, denn w^ und we gehören, wenn gleich jene eigent-
lich elliptischen Constructionen derselben einen ähnlichen Sinn
geben, doch nicht als wirkliche Concessivpartikeln hieher, ha-
ben eigentlich alle keinen Einlliiss auf den Modus und können
gämmtlich in Sätzen beider Art, d.h. sowohl mit dem Indicativ
als mit dem Conjunctiv stelin; so dass es mithin an und für
sich keine Partikel giebt, welche der einen oder der andern
Gattung der (yoncessivsätze unbedingt und ausschliesslich zu-
käme, Indess verdienen zufolge des Sprachgebrauchs der gu-
ten Prosa die Partikeln quamvis und quanquam allerdings einer
hesondern Beachtung, und können, inwiefern quamvis stets mit
dem Conjuncti]) ^ quanquam aber vorzugsweise mit dem Indica-
tiv verbunden wird , gewissermassen als eigenthümliche Parti-
keln dieser verschiedenen Gattungen der Concessivsätze ange*
führt Averden, Allein dadurch Avird die Richtigkeit der oben
angegebnen Unterscheidung der Concessivsätze keineswegs Avi-
derlegt, sondern bei näherer Betrachtung der Sache vielmehr
bestätigt, Alle Sätze der guten Prosa nämlich, in denen y?/«/«-
visi steht, enthalten ja wirklich eine als blossen Gedanken ausge-
sprochne Sentenz, und haben also den Conjunctiv nicht der Par-
tikel, sondern vielmehr dieses oben angeführten Grundes wegen.
Quamvis, eine Provocation auf die Ansicht eines andern ent-
haltend, war natürlich zufolge dieser Bedeutung ganz besonders
geeignet, in Sätzen gebraucht au Averden, deren Sentenz als
blosser Gedanke ausgesprochen werden sollte, und musste in
gleicherweise für Sätze der ersten Art unpassend erscheinen.
Wenn nun also die gute Prosa quamvis blos in solchen den Con-
junctiv for(lernden Concessivsätzen brauchte, so ist diess, wie
von selbst einleuchtet , eine sehr natürliche Sache, aber, was
wohl zu bemerken ist , eine aus der Beschaffenheit der Senten-«
»en sich ergebende Folge y nicht, Avie man es gewöhnlich an-
eieht, der Grund ^ Aveshalb in solchen Sätzen der Conjunctiv
pteht, Die gewöhnlieh geltende Ansicht also , man könne eine
' Ramshorn: Lateinische Graniraatik. 263
concessive Sentenz gleichrichti'r dnrch quainvis und durch
qttttnquam ausdrVicken, wofern man nnr zu dem erstem den
Conjunctiv, zn dem zweiten den Indicativ setze, ist nichts als
ein auf einem Fehlschlnss beruhender Irrtlium , bei welchem
man Grund und Folgte verwechselt. So sagt Cic. ad Attic. 12,
37: Quarnvis prudens ad cogitandinn sis^ sicut es, tarnen
etc. und freilich auch nach jener Bestimmung, die den Con-
junctiv von (juamvis regiert seyn lässt, sehr richtig. Allein
der Conjunctiv steht nicht wegen quamvis ^ sondern quamvis
Steht, weil es die fiir die Sentenz passende Partikel war, und
quanquam—es dafi'ir zu setzen, was nach den gewöhnlichen Re-
geln unsrer Grammatiken erlaubt gewesen wäre, war, wie gleich
die Worte s/cM^ es zeigen, völlig unmöglich , und wäre in der
Thatein eben so grosser Sprachfehler gewesen, als quamvis —
es. Derselbe, durchaus sehr verniinftige, Sprachgebrauch nun,
der quamvis gleichsam zur Ilauptpartikel für Concessivsätze
zweiter Art machte, stellte nun diesem quamvis die Partikel
quanqnam, gleichsam im Gegensatz gegeniiber und machte die-
selbe somit zur Ilauptpartikel für Sätze der ersten Ai't, nicht
weil gerade die Bedeutung der Partikel quanqnam dazu genöthigt
hätte , sondern mehr um auch für Sätze der ersten Art eine
Hauptpartikel zu haben, wozu übrigens e/s? und ei?ß/nse schon
ihrer ursprünglichen Bedeutung halber (d.i. jcai. ft, nicht £txai,
s. Herrn. Vig. p. 832 f») weniger geeignet Avaren. Daher kommt
es nun, dass quanquam^ aber ohne dass es deswegen unfähig
wäre, mit dem Conjunctiv verbunden zu werden, doch meisten-
theils in solchen Concessivsätzen gebraucht wird, die den Indi-
cativ fordern ; während etsi^ etiamsi^ tametsi fast gleichhäufig
in Sätzen beider Art gebraucht werden. Der davon sehr ab-
weichende Gebrauch der Spätem, quamvis auch mit dem Indica-
tiv, und quanquam dagegen auch da, wo von wirklichen Factis
die Rede ist, mit dem Conjunctiv zu setzen, rührt übrigens
■wieder von jenem verkehrten Streben her, durch Nachahmung
von Constructionen , die früher selten oder nur in der Dichter-
sprache sich fanden, der Rede eine gewisse Eleganz zu geben.
Bei quanqt/am und etsi hätte endlich auch besonders noch der
auf eine Ellipse sich gründende Gebrauch der Partikeln erwähnt
werden sollen, nach welchem sie soviel als sed, tarnen^ jedoch
zu heissen scheinen. Cic. p. Flacc. 27, de Orat. 2, § 197, ad
Fam. 15, 16, ad Att. J), 32, adFam. 6, 4.
§ 102, 193, 194 behandeln die Causalsätze, wobei wir
vorzüglich daran Anstoss genommen Iiaben, dass der in ihnen
sich findende Conjunctiv eine eigne^ von den § 166 behandel-
ten ganz verschiedne Art des Conjunctivs seyn soll , eine Mei-
nung, über deren ünhaltbarkeit wir uns schon früher erklärt
haben. Was die nähere Darstellung der Sache anlangt, so
sollte § 193, welcher von den Sätzen der Absicht handelt, of-
26'! BüiuiscIicLitteratur.
oifeiibar vor dem die Sätze der Fol^e erörtenulcn § 102 «te-
Ijen; da ja die Absicht natiirlicli früher, al_sä der Erfolg ist,
und selbst sehoii der Gebrauch der Fartikel ?//, deren ursprüng-
liche Bedeutung fFie in Sätzen der Absiclit noch weit reiner und
Uüverwiscliter , als in Sätzen der Folge liervortriit, mit diesem
unlogischen vörtQOV nQOtSQOv der Darstellung in Widerstreit
steht. Die Sätze der Absiclit werden, aber wie uns scheint,
unnöthiger Weise in Sätze des Zweckes und der Bestinimmig
getheiit; wenigstens ist dann der generelle Begriff, unter dem
beide subsumirt werden sollen, durch den Ausdruck ulbsicht
schlecht ausgedi'ückt, da diessWort, jederzeit einen mit Be-
wusstseyii verbundnen Act des Willens bezeichnend, offenbar
eineu engem Begriff enthält, als jene. In der Bestimmung des
Cfcbrauches von ut ne können Mir dem Hrn. Verf. nicht bei-
stimmen. Es soll nach seiner Angabe (S.OOi) nicht nur in Säz-
zen der Absicht, sondern auch der Wirkung und Folge dann
stehen, wenn nidit der ganze Satz, sondern nur ein einzel-
ner Begriff negativ, im Aeiliiitendeu Sinn genommen werden
solle, daher häufig ut ne qiiis ; überhaupt aber, wo diese Ne-
gation einen starken Accent Iiabe. Diese säinmtlichen Bestim-
mungen scheinen uns nicht nur das Wesentliche bei der Sa-
cbe gar nicht zu berühren , sondern sogar auch sich selbst wi-
dersprechend und falsch. Sich selbst widersprechend ist,
dass dadurch nur ein einzelner Begriff negirt werden und an-
derseits doch die Negation starken Accent iiaben soll. Würde
ein einzelnes W ort dadurch besonders negirt, so müsste noth-
wendig dieses jenen stärkern Accent erhalten, was in der vom
Hrn. Verf. selbst als gewöhnlicli anerkannten Verbindung die-
ser Partikeln mit dem enclilischen qnis rein unmöglich ist ; wes-
halb wir auch die Erklärung der Worte id ne qua sciniillu re-
linquatiir^ „auch nicht ein Fnnke" für durchaus falsch halten,
Dass aber auch ne Jiicht überliaupt und immer starken Accent
habe, zeigt gleich das erste der angeführten Bei;spiele: prae^
disit^ ut ne prius legatos dimitterent, quam ipse esset reniis-
sus (Nep, 2,7), wo jener starke Accent offenbar auf prius ge-
setzt werden mnss. Eben so widersprechen sich die Behaup-
tungen, dass fit ne auch in Sätzen der Folge stehen könne, und
die Sentenz doch im verhütenden Sinuc genommen werden solle ;
was ja eben den Satz zu einem Absichtssatz macht. Nach \uv~
srer Ansicht niuss der Unterschied, der sich zwischen M^/e und we
und^^ non allerdings findet, weit tiefer aufgefasst werden und be-
rulit, wie wir bei einer andern Gelegenlieit zu zeigen versu-
chen wollen, auch hier wieder hauptsächlich ^ni rhetorischen
Gründen.
S,607 Not. 1, wo vom ausgelassenen ut nach volo u, s, w.
die Rede und der Unterschied gut erklärt ist, hätte der ganz
»hidiche Sprachgebrauch ini Deutschen verglichen, zugleich aber
Kiiiuähorn: Liitcinlüche Grainnialili. 265
auch bemerkt werden sollen, dass auch ne nach cave ansgelas-
Ken werden könne. Sludere^ das nach S. (508, N. 2 blos den
Infinitiv bei sich liaben soll, steht docli anch, wie schon Scliel-
1er nachweis't, mit ut und iiv. Hirt. B. AI. 1, Cat. II. 11. 5
extr. , Phacdr. 2 , epiio£^. <>.
Angeschlossen an diese Sätze ist § 195 ein Abschnitt über
die oratio obliqua^ der sehr gut gearbeitet ist. Die bekannten
üntersuchungenKr ügers sind dabei zweckmässig benutzt und
namentlicli sind die einzelnen Fälle gut angegeben, in welchen
abhängige Nebensätze, die man eigentlich im Conjunctiv erwar-
tete , doch im Lifinitiv stehen.
Der zweite Ilaupttlieil der Syntax, i'on der Stellung der
Itedötheile in Sätzen und der Sülze in Perioden handelnd , §
196 — 203 8.625 — 653, ist durchgehends mit ausgezeichne-
ter Sorgfalt, und wenn man die einzelnen Bemerkungen blos
an sich betrachtet, auch sehr gut gearbeitet. Sie empfehlen
sich vorzüglich dadurch, dass sie nicbt nach einzelnen Stellen,
die gerade dafür passten, gemacht sind, sondern auf den all-
gemeinen Gesetzen des Denkens überhaupt sowohl, wie des
lateinischen Sprachgebrauchs insbesondre beruhen und dalier
möglichst bestimmt und allgemein gültig sind. Weniger dage-
gen haben wir uns hinsichtlich der Anordnung und Vollstün-
digkeit befriedigt gefunden.
Was die crstere anlangt, so liat der Hr. Verf. sehr richtig
gefühlt, dass die Grundlage aller richtigen Wortstellung die
von den allgemeinen Denkgesetzen selbst vorgeschriebene natür-
liehe Aufeinanderfolge der Begriffe sey, ujid dass ferner da-
bei Accent und Uohllaut in Betracht gezogen werden müsse.
Deshalb theilt er nun die ganze Lehre in drei Abschnitte, de-
ren erster von der Ordnung der Wörter und Sätze ^ § 197 —
200; A^Y ziveite vom Accent^ § 200; der dritte vom Jf'ohllaut^
§• 201 f. handelt. Allein diese drei Glieder sind durchaus nicht
gleichmässig und können sich keineswegs als von einander un-
abhängig gegenübergestellt werden. Im Gegenthcil müssen
fast in jedem Satze sämmtliche Forderungen jener drei Dinge
zugleich und ebenmässig berücksichtigt werden; was freilich
jede systematische Behandlung der Sache ungemein schwierig
macht. Am wenigsten aber können sich die Forderungen jener
logischen Ordnung und der Einfluss, den, wie man glaubt, die
Accentuation auf die Wortstellung hat, als trennbar und ver-
schieden entgegengesetzt werden, da beide einander wesent-
lich gleich sind. Die Forderungen des Accentes in dieser Hin-
sichtnämlich sind näher betrachtet durchaus auch rein logischer
Natur und unterscheiden sich von jenen erstgenannten nur wiq
Besonderes vom Allgemeinen. Die logische Ordnung der Be^
griffe eines Satzes hann nämlich doppelter Art seyn , eine all-
gemeine., bei welcher man von der gegenseitigen Wichtigheit
2Ö0 Römische L i 1 1 e r :i t u r.
tier Begriffe an sich aiisj^flit, und eine besondre^ bei welclier
man vorziiglich die r<;^//^///re WicJitiiikeit der im Satze auszuspre-
chenden IJegriffe berücksichtiget, inwiefern nämlich der eine
oder andre derselben durcb die hesotidern jedesmaligen Um-
stünde ^ unter welclien die Sentenz aus^resprochen wird , in ein
andres Verbältniss der Wichtigkeit kommt , als in welchem er
olnie diese Umstände stehen wVirde. Dieses Vcriiältniss jener
relativen Wichtigkeit riclitig anzudeuten ist nun eben der
Zweck der Accentuation. Denn offenbar ist der Accent, wo-
mit der Sprechende das eine oder andre Wort vor den Vibrigen
liervorhebt, nichts anders als ein Bestreben, den Hörenden
über das Verbältniss der Wichtigkeit , in welchem er die ver-
schiednen Begriffe des Satzes gerade betrachtet wissen will, in
sichere Kenntniss zu setzen, und namentlich ilin zu veranlassen,
das betonte Wort in einem andern Verliäitniss der Wichtigkeit
aufzufassen, als es sonst geschehen seyn wiirde. Genau ge-
nommen also liat der Accent an sich eigentlich gar keinen Ein-
iluss auf die Wortstellung, denn wenn im Lateinischen betonte
Worte eine andre Stellung erhalten, als sie ausserdem einge-
nommen haben würden, so hängt diess nicht von diesem Betont-
vverden ab, sondern ist lediglich Folge von jener besondern,
durch die Eigenthümlichkeit der jedesmaligen Umstände be-
dingten, logischen Ordnung, auf welche beim Sprechen nur Viber-
diess auch noch durch den Accent besonders aufmerksam ge-
macht wird; und die so oft und mit Becht gerühmten Vorzüge
der lat. Wortstellung bestehen ganz eigentlich darin, dass sich
die lateinische Sprache niclit so streng wie die meisten neuern
Sprachen an die allgemeine logische Aufeinanderfolge der Be-
griffe gebunden, sondern sicJi glücklich die Freiheit erhalten
hat, diejenigen Begriffe, die gerade besondrer Umstände lial-
ber vor den übrigen hervorzuheben sind, auch aus der ihnen
sonst zukommenden Stelle lierauszuheben und an den Platz zu
stellen, der ihrer jedesmaligen Wiclitigkeit der angemessenste
ist. W^enn nun schon liieraus erhellt, dass die Forderungen je-
ner logischen Ordnung und des Accentes sich nicht als von ein-
ander verschieden und unabJiängig trennen und besonders be-
handeln lassen , so zeigt sich diess noch deutliclier in der Aus-
führung des Hrn. Verfs. selbst, namentlich § 200, welcher eben
von dem Einfluss, den der Accent auf die Wortstellung hat, han-
deln soll, freilich aber sehr der wirklichen Selbstständigkeit
crmangelt. Alles nämlich, was darin über den Einfluss des
Accentes auf die Wortstellung gesagt wird , ist nicht nur an
»ich sehr wenig, sondern auch fast nichts als eine recapituli-
rende Wiederholung früherer Behauptungen, wie denn auch
der Ilr. Verf. selbst deutlich genug zugesteht, indem er, statt,
wie man in Folge seiner Eintheilung erwarten sollte, neue Re-
geln zu geben , ausdrücklich auf die Grundsätze verweis't , dife
ßaiusliorn : Latcinisclic Gramiuatlk. 267
in der ersten ALtlieilung darüber aul'f^cstellt worden seyen.
Dagegen sind eine Menge Fälle und Ik'ispiele, die § 197 ange-
geben werden, oilenbar der Art, dass die ISigentliiimliclikeit
der Wortstellung von jener besondern logischen Ordnung ab-
hängig ist, und also mit der Lehre vom Accent aufs innigste
zusanimenliängt ; vgl. besonders § 1Ü7, a, 4. b, 1. 3. 4. c, 1.
2. 3. 4.
Was den zweiten Punet, den Mangel an Vollständigkeit^
anlangt , so haben wir sowohl im Allgemeinen , wie im Beson-
dern manches vermisst , worüber man billiger W eise nähere
Auskunft erwarten und wünschen musste, zumal in einem so
umfassenden Werke und von einem Manne, welcher der Spra-
che so kundig ist , als der Hr. Verfasser.
In Hinsicht auf das Allgemeine vermissen wir nun zuför-
derst die Angabe de?' der latein. Sprache im Allgemeinen cha-
racteristischen Anordnung der Wörter und Sätze ^ deren nir-
gends besonders gedacht wird, trotz dem dass ihre Eigenthüm-
lichkeit namentlich im Satzbau bei aller Abwechselung doch so
auttallig sichtbar hervortritt , als kaum in irgend einer andern
Spraclie. Namentlich wäre es hier gerade für den weiter vor-
geschrittenen Scliüler sehr erspriesslich gewesen, wenn der
Hr. Verf. das Lateinische mit dem Deutschen in nähere Ver-
gleichung gestellt, und wenigstens die allgemeinen Verschie-
denheiten angegeben hätte, die sich in Wortstellung und Satz-
liau dieser Sprachen finden. Er nimmt sonst häufig, und wie
wir schon oben an einigen Orten nachgewiesen haben, oft mehr
als für Schüler höherer Classen nöthig war, vergleichende
Rücksicht auf das Deutsche , während sich in diesem ganzeit
Abschnitt, wo es doch am nöthigsten und zweckmässigsten ge-
wesen wäre, fast keine Spur von solchen Vergleichungen findet.
Ferner vermissen wir in dieser Hinsicht, dass nirgends Rück-'
sieht auf die verschied?ien Slylarten genoimnen worden ist,
DerHr. Verf, beweis't seine Bestimmungen mit Stellen, die bald
ans den Reden, bald aus den philosophischen Schriften, bald
aus den Briefen Ciceros, bald aus den Historikern, vorzüglich
dem Cornelius Nepos entlehnt sind, während die Dichter gänz-
lich unberücksichtigt bleiben. Allein wenn man selbst das letz-
tere gut heissen wollte, und zugiebt, dass alle die verschiede-
nen Stylgattungen der Prosa in Hinsicht der Wortsteilung und
des Satzbaues vieles mit einander gemein haben, so unterschei-
den sie sich dagegen doch auch in dieser Hiiisicht so wesent-
lich, dass uns Avenigstens einige nähere Bestimmungen hierüber
eben so nölhig scheinen, als an andern Orten in der Grammatik,
wo allgemein auf die Verschiedenheit der Stylgattungen hinge-
wiesen und aufmerksam gemacht wird. Die Wortstellung im
Briefstyl ist häufig eine ganz andre, als sie die strengern Ge-
getze der Darstellung in einer philosophischen Schrift erfor-
268. Rüuiisclio Litturutur.
dern, und ebenso selsr imd vielleicht noch mehr unterscheidet
»sich in dieser Hinsicht der Redner von dem Historiker, na-
mentlich im Periodenbau, der im Livius bekanntlich ein ganz
andrer, als im Cicero ist; so wie überhaupt dieser letztgenann-
te Gegenstand in dem kleinen Paragraph 199, selbst wenn man
das § 201 dariiber Gesagte hinzunimmt, luis etwas zu kurz
abgefertigt zu seyn scheint. Allein selbst auch die Stellung
der Wörter bei den Dichtern, die, ob sie schon durch ihre
Freüieit sichtlich von der prosaischen abweicht, doch immer
auch noch nach Gesetzen sich richtet, liätte nicht ganz unbe-
rücksichtigt bleiben sollen, besonders da Schriftsteller späte-
rer Zeit, wie überliaupt, so auch in dieser Hinsicht der Dich-
tersprache sich zienilich nähern, und wie dem Ilrn. Verf. wohl
aus eigner Erfalirung bekannt seyn wird, selbst reifere Schü-
ler noch oft in dem seltsamen Wahne stehen, als köjine man
sich in gebundenör Itcde jede nur beliebige Stellung der W^örter
gesetzlich erlauben.
Endlich glauben wir aucli wohl noch mit Recht hieher
rechnen zu können den fi;cinz(icfie7i Mafi^cl einer Jntei-piinclions^
lehre, da diese gerade hier die passendste Stelle gefunden ha^
ben würde. Wir wissen recht wolil, dass dieser Vorwurf kei-
neswegs etwa das Werk des Hrn. Verf. allein trifft, sind aber
anderseits aucli eben so selir überzeugt, dass eine nähere An-
weisung darüber, die wenigstens die Hauptabweichungen der
lateinischen Interpunction von der deutscheu angäbe, für jeden
Schüler sowohl, so wie für die grosse Zahl der Lehrer, denen
die Correctnr lateinischer Ausarbeitungen obliegt, ein wahres
Bedürfniss sey,
Was das Einzelne anlangt, so haben wir zwar nur Weniges
ganz übergangen gefunden, hätten aber in niehrern Fällen grö-
ssere Genauigkeit und Ausführlichkeit gewünscht. So z. B. S.
62(>f. , wo die Fälle angegeben werden, in Avelchen das Adje-
«jtivum i'or und in welchen es nach dem Substantiv zu stellen
sey. Ohne die Sache mit lirödcr von der Retonung abhängig
zu machen, giebt der Hr. Verf. den Unterschied richtig so an;
das den JJuuptbegriß' anthaltcnde Wort stehe voran, das andre,
ihn näher bestimmende folge, und verhalte sich zum erstem
wie die Species ztim Genus. Allein er will diess nur von solchen
Adjectivis gelten lassen, die eine Beschaßenheit anzeigen; und
weiterhin meint er, bisweilen werde der Redende durch Um-
stände bestimmt, auf das Adjectivum ein stärkeres Gewicht zvi
legen, und es deswegen seinem Substantiv vorzusetzen. Wir
verstehen entweder den Hrn. Verf. nicht, oder beide Beschrän-
kungen der Regel sind unnöthig. Für den Fall nämlich, in
welchem sie hier in Betracht kommen, zeigen nach unsrer An-
sicht alle Adjectiva eine Beschaffenheit an , und findet sich der
Hedeude bewogen , auf das Adjectivum ein stärkeres Gewicht
Ranishorn: Lateinische GraramatiV. 2^0
zu leeren, so niaclit er es eben iladiircli zum ITaiipthenrriff, der
als solcher der llejrcl g^emäss Aoranzustcllen ist. Wozu also
die Bescliränkuiig, die das aiisclieiiieud zu einer Ausnahnio
macht, was nur richtige Anvvendunji: der Rejrel in einem beson-
dern Falle ist'f Das Einzige, was mit einigem Grunde in einer
Anmerkung bemerkt Averden konnte, ist, dass manche Verbin-
dungen eines Adjectivs und Substantivs, die durch den usus
gleichsam zu einein Worte geworden sind, in dieser Bedeutung
keine Umstellung mehr zulassen, z li. Bona Dea^ mala ras
(üngliick, Verderben), bona dkta (Cic. de Orat. 2, 54) u. dgl.,
und dass vielsylbific Adj;ctiva mit einsylbigen Substantivis ver-
bunden, des Wohllauts wegen stets nachgestellt werden, wo-
fern es die Verbindung der Begriife nicht dringend anders for-
dert.
Ebenso konnte über die Stellung mancher Partikeln , wie
igihir ^ ej'go, itaqne ^ 'praeter ea^ tarnen^ deinde ii. andre etwas
Genaueres und Bestimmteres bemerkt werden. Es geschieht
ihrer zwar S. fiSO Erwähnung, aber nur für den Fall, wenn sie
zu einem auf das Vorhergehende Bezug habenden Ilauptbegrilf
gehören. Billig hätte auch erwähnt werden sollen, dass sie,
Menn kein einzelnes Wort des Satzes, zu dem sie geiiörcn, her-
vorgehoben wird, immer den Satz anfangen. Auch hat der
Hr. Verf. daselbst bei weitem nicht für alle Partikeln, die er
anführt, Beispiele gegeben, die wir docli in dem einem und an-
dern Falle gern nachgewiesen gesehen hätten. So heisst es
z. B. von quoque^ es folge meist eni heil s dein auf das Vorher-
gehende Bezug habenden Ilauptbegrilf, ohne dass ein Beispiel
des Gegentheils angeführt wäre. Soviel wir uns erinnern, fin-
det man dergleichen bei neuern Lateinsclireibern freilich genug,
aber wir kennen keine Stelle aus den Alten, wo quoqiie nicht
unmittelbar auf das Wort folgte, das dadurcli hervorgehoben
werden soll. Im Gegentheil müssen sogar andre Partikeln der
Art, wie z. B. enim^ wenn sie mit quoqiie concurriren, ihm wei-
chen; Liv. 30, 1: ei quoque enini procons?di — proroga-
batur; gerade wie quaeso den Hang vor inqnit (Cic Tusc. I,
4^, 102: istis^ quaeso^ inqnit etc.) und vor einem eingescho-
benen Vocativ hat (Cic. in Verr. A. 1, 10: (^nid est^ quaeso^ Me-
telle^ etc.); oder wie Conjunctionen, wenn sie mit llelativis zu-
sammentreffen den letztern weichen müssen, was der Hr. Verf.
unbemerkt gelassen hat. Uebrigens ist noch zu bemerken, dass
bei weitem nicht anfalle frühere Stellen verwiesen worden ist,
wo schon dergleichen die Wortstellung betreffende Bemerkun-
gen gemacht worden waren, was um so nöthiger war, da man
alle diese Notizen durchaus hier sucht, und manche derselben,
wie z. B. die über die Stellung der Präpositionen § ICl, an Stel-
leu sich finden, wo sie niemand leicht suchen dürfte.
Der dritte und letzte Theil der Syntax, §203—206 inclu».
270 Römische L i 1 1 c r a t u r.
S. 653 — 715, der nach der frühem Angabe (s. S.150) von un-
gewöhtilichen Constructiouen odei' von dem rechten Gebrauche
der Figuren handeln sollte, hat liier bei der Ausführung selbst
den weit umfassendem Titel ^J'eredkmg des Ausdrucks'-'- er-
halten und ist in folgeiide vier Abschnitte getheilt: 1) Vertau-
schung stärher er oder feinerer Ausdrücke mit schimchern und
gemeinern § 2i)3 (was eigentlich wohl das Gegentheil von dem
sagt, was der Ilr. Verf. damit sagen wollte). 2) Amplification
des Ausdrucks , § 204. 3) Kurze , § 205. 4) Figur ae synta-
cticae , § 206.
Ein allgemeines Urthcil darüber zu fällen ist schwierig,
weil die einzelnen Abschnitte, wenn schon alle mit Fleiss, doch
nach sehr verschiedenen llücksichten gearbeitet und wenigstens
nach unsrer Meinung von höchst ungleichem Werthe sind. Für
gut gearbeitet halten wir den zweiten und rf/Z/^ew Abschnitt, von
Veredlung des Ausdruckes durch Antplijication und durch
Kürze ; weniger befriedigt hat uns die Erörterung der Figu-'
rae syntacticae, am wenigsten der erste Abschnitt von der Ver-
iauschung des Ausdruckes. Zwar enthält auch dieser eine Men-
ge zuraTheii guter Bemerkungen; allein wir halten theils schon
den Gesichtspunct, von dem die ganze Beliandlung ausgebt, für
unrichtig , theils scheint uns die Darstellung für den Zweck
gründlicher Belehrung bei weitem nicht genug geeignet. Die
Absicht des Hrn. Verf. war ohne Zweifel, in diesem Abschnitte
eine Anleitung zu der im engem Sinne sogenannten Eleganz des
Ausdruckes zu geben, oder wie er es selbst in der kurzen Ein-
leitung nennt, zu dem geiüählteren Ausdrucke ^ den er ebenda-
selbst von der Sprache des gemeinen Homers und Landmanns
unterscheidet. Aliein wenn man diese schon oben wörtlich an-
geführte Einleitung mit der im Abschnitt selbst gegebnen Aus-
führung vergleicht, so sieht man leiclit, dass der Hr. Verf.
von jener Eleganz des Ausdrucks, die er hier lehren will, sich
keinen völlig klaren Begrilf gemacht, oder denselben wenig-
stens nicht festgehalten habe. Der Einleitung zufolge näm-
lich versteht er offenbar unter dem gewählteren Ausdruck die
Summe von Wörtern und Redeweisen, die in der Sprache übrig
bleiben, wenn man diejenigen Formeln ausscheidet, die nur in
der Sprache des gemeinen Lebens vorkommen. Die beste und
2vveckmässigste Anleitung, diesen gewähltem Ausdruck kenneu
zu lehren, wäre uns offenbar die Angabc gewesen, Melches jene
gemeinen Formeinseyen, deren man sich in einer edlern Sprache
nicht bedienen dürfe. Allein diess geschieht nun in dem Fol-
genden keineswegs, und konnte auch nicht geschehen, da wir
jene unedlere Sprache des gemeinen Homers und Landmanns
so gut als nicht kennen, sondern der Ilr. Verf., den Begriff
Eleganz jetzt auf einmal ganz ajulers auffassend, erklärt nun je-
ueu gewähltem Ausdruck für den, deu mau gewinne, wenn
llamshorn: Lateinische Grnmmatllr. 271
man statt scliwäclierer und gemeinerer stärkere und feinere Aus-
drucke brauche, uas offenbar wenigstens eine Eleganz ganz
anderer Art ist, als die in jener Einleitung angedeutete.
Allein auch abgesehen von dieser plötzlichen Hegriffsver-
tauscluing, können wir auch ausserdem uns weder mit der An-
sicht belreundcn, die der Hr. Verf. an diesem zweiten Orte von
dem Wesen jenes gewäJilteren Ausdruckes aufstellt, noch mit
der Art luid Weise, wie er denselben in den gegebenen einzel-
neu Bestimmungen lelirt, zumal da man bei denselben nicht sel-
ten auch noch die tiefere Auflassung und Gründlichkeit vermisst,
die sich anderwärts im Werke des iirn. Veif. findet.
Was imn das Erstere, d. li. die von dem Wesen des ge-
wählteren Ausdruckes gegebne Bestimmung und Erklärung an-
langt, so ist sie schon der Form nach zu tadeln. Der Ilr. Verf.
spricht durchgehends von einer Vertausrhung des Ausdruckes.
Allein der gebildete Römer, von dessen Sprache jener gewähl-
tere Ausdruck prädicirt wird, formte seine Gedanken gewiss
nicht erst in schlechtere und gemeinere Fonueln, sondern
brauchte gleich anfängliciijene gewähltem Ausdriicke, und hatte
also nicht erst nöthig, eine Vertauscliuiig vorzunehmen. Allein
noch weniger können wir das Wesen jenes gewählteren Aus-
druckes selbst darin finden, worein es vom Ilrn. Verf. gesetzt
wird. Wie man nämlich aus den nähern Angaben desselben
ersieht, so reducirt sich im Allgemeinen alles darauf, dass er
minder geuwhidiche und namentlich sogenannte uneigentliche
Ausdrücke als die gewählteren^ die überhaupt iiblichen^ allen
ettvaigen Schmuck der Fonn , durch Bild oder kühnere Auf-
fassung entbehrenden aber als die gemeinem betrachtet. Allein
darin besteht das Wesen des gewählten Ausdrucks gewiss nicht,
denn wenn es darauf ankäme, sich überall wo möglich solcher
exquisiten Wörter und Formeln zu bedienen, so müsste man in
den Schriften vieler neuern Lateiner den Vorzug jener Eleganz
des Ausdrucks in einem Grade antreffen, wie er bei keinem alt-
römischen Schriftsteller sich fände; und in der deutschen Lit-
teratur müsstenlloffmannswaldau und Lohenstein in dieser Hin-
sicht völlig unerreichbare Muster seyn. Die Eleganz des Aus-
druckes, von welcher hier die Rede ist, besteht vielmehr darin,
dass derselbe immer ^itx natürlichste^ richtigste^trejj'endsie^ und
exquisit mc\ii deshalb sey, well man etwa im ganzen Sprach-
schatze darüber habe nachsuchen müssen , sondern weil er un-
ter allen andern, die etwa auch hätten gewählt werden können,
üer passendste ist. Vergl. Cic. Brut. 7ö § 12«), wo ein mit un-
srer eben ausgesprochnen Behauptung in Jiaher Beziehung ste-
hendes Urtheil über Cäsars Commentarii gefällt wird, und be-
sonders Reinhards Geständnisse S. 52 ff., wo ungemein viel Be-
herzignngswerthes über diesen Gegen^^tand sich findet. Wir
sind nun zwar überzeugt, dass der Ilr. Verf. im Ganzen ge-
272 Rr» mische LItteratur.
nommcn derselben Meinung sey und namentlich die ron ihiri
als gewähltere Ansdriicke bezeichneten Wörter und Redensar-
ten nicht im Uebermaass und an unpassenden Orten werde ge-
braucht wissen w ollen ; allein dicss crgiebt sich nur nicht aus
seiner Darstelhmg, die hierüber nur wenige und dem Schüler
kaum verständliche Winke enthält. Und diess ist eben das
Zweite, was wir an dem Al)schnift auszusetzen haben. Der
Ilr. Verf. nämlich zählt jene gewähltem Ausdrücke und Hede-
weisen in 4 Classen auf, Snbslanliva^ Adjectiva^ Veiba und
Adcerbia; aber meist ohne bestimmte und näliere Angabe, wo,
wann und wie man sie brauchen solle. Allein diese Angabe ist
gerade die Hauptsache und am nöthigsten für den Schüler,
wenn er a»is dem (jJanzen überhaupt etwas lernen, und nicht
etwa gar auf die Irrwege derZiererej geleitet werden soll; was
bei jungen Leuten der Art, für welche das Werk bestimmt ist,
schon an sich sehr leicht möglich, und um so mehr zu be-
fürchten ist, wenn, wie hier geschieht , die allgemein üblich-
sten, durch die ganze gute Prosa verbreiteten Wörter und Re-
densarten mit dem schiefen Ausdruck ^^f^cmeine'-'- bezeichnet,
und wirklich gemeinere dagegen zuweilen gar als die gewähl-
teren und edleren angeführt werden. Ein aufialliges Beispiel
zum Beweise für diese letzte Behauptung findet sich S.C()0, wo
sexcenti für gewählter als permuUl erklärt wird. Die Sache ist
hier gerade umgekehrt; denn sexcenti in diesem Sinne kommt
meist nur in der familiären Sprache vor, und wenn es ander-
Avärts steht, so ist es keineswegs etwa würdevoller Ausdruck,
sondern Zeichen einer gewissen Heftigkeit uml Indignation. Wo
die Sache selbst Ernst und Würde verlangt, kann es durchaus
nicht stehn, und Sätze, wie z. B. sexcenti sunt ad mortem
aditus^ MÜrde dem Gefühl eines gebildeten Römers, der es
hörte nicht viel weniger anstössig seyn, als uns, wenn jemand,
im Deutschen sagte: es gicbt einen ganzen Haufen iVege zum
Tode. Was den dritten und letzten Vorwurf, den Mangel an
tieferer Autfassung und Gründlichkeit anlangt, so zeigt sich die-
ser vorzüglich darin, dass eine Menge Bestimmungen keines-
weges auf (ixe, Natur des Lateinischen, sondern lediglich auf
die Form sich stützen, welche wir etwa bei der deutschen Ue-
hersetzimg der betreifenden Stellen brauchen würden und könn-
ten. So heisst es z. B. S. (5(1911'., Verba stünden für Substantiva,
umschreibend, bald für nicht vorhandene (?), bald für gemei-
nere; ferner für Adjectiva, für Adverbia, und Participia für
Präpositionen. Betrachtet nian nun aber die dafür gegebnen
Beispiele, wie Cic. Otf. ], 4: Natura ralioque cavet^ ne quid
ijidecore efjeminatefjue faciat (d.h. nach des Hrn.
Verf. Uebersetzung: „der Mensch als vernünftiges Wesen ver-
meidet alles U ns cid cli liehe und Unmännliche in seinem Betra-
gen"), Cic. Aead. 2^ 12: Nihil agens animal ne cogitari
Uainähorn : Latbiiiisclic Graniinatik. 273
quidem potesl (<1. h. ist imdeiikha?') ^ Quam maxime pos-
sum (d. h. möglichst), iridno iiderniisso (d.li. nach dreiTufj^eii);
so Avürdc jeder, der nicht gerade Deutscli verstände und jene
Beliaiiptiingen in seine Sprache übersetzt läse, gar niciit bc-
grcii'en können, Avie man so etwas beliauplen könne; so wie der
Hr. Verf. selbst, wenn er sein Werk lateinisch geschrieben hätte,
solche I]eisj)icle, wie jene drei ersten von den obigen sind, durch-
aus gar nicht hätte anfuhren können. Und dergleichen Bestira-
mungea linden sich gar nicht selten; s. z. B. S. GßO, wo die An-
gabe, Casus stünden im gewählteren Ausdruck für andre, auch
nur dann erst begreiflich wird, w'cnn man die latein. Beispiele
ins Deutsche übersetzt; oderS. (>01 f., wo mit ähnlicher Beweis-
führung gelelirt wird, dass Substantiva für Adjectiva stünden,
eine Angabe, die mit dem, was S. 6GT in entgegengesetzter
Weise von Adjectivis behauptet wird, noch dazu in einer Art
Widerspruch steht, woran Schüler wenigstens leicht Anstoss
nehmen dürften. Nach unsrer Ansicht kann durch alle der-
gleichen nach blosser Vergleichung des einzelnen deutschen
Ausdrucks gemachten Bemerkungen die Kenntniss der latein.
Gramm, nicht gründlich gefördert werden, eben weil sie sich blos
auf den Gebrauch einzelner Wörter gründen, in wie fern im
Lateinischen gerade ein Substantiv oder Adjectiv u. s. w. steht,
wo der Deutsche sicli umgekehrt eines Adjectivs oder Substan-
tivs u. s. w. bedient, blos weil das eine oder das andre bei dem
hetreffenden Begriffe gerade gebräuchlicli oder ungebräuclilich
ist. Dergleichen Einzelheiten gehören ins Lexicon, oder höch-
stens in Anleitungeji zum Uebersetzen. Will dagegen die Gram-
matik selbst solche vergleichende Bemerkungen geben, so müs-
sen sie durchaus ganze Classcn von Wörtern umfassen, so dass
im Allgemeinen bestimmt und nachgewiesen wird , in wie weit
der Umfang des Gebrauchs eines Redetheils und seiner etwai-
gen besondern Formen im Lateinischen verschieden ist von dem
im Deutschen. Weit näher dagegen läge es dem Zwecke einer
für weiter vorgeschrittene Schüler bestimmten latein. Gram-
matik , Bemerkungen Viber die Verschiedenheit des latein. Aus-
drucks in den veischiednen Zeitaltern der Sprache, und über
die vielen Barbarismen zu geben , welche sich nach und nach
in die Latinität der neuern Zeit eingeschlichen und zum Theil
selbst einen Schein guter Auctorität gewonnen haben.
Eben so hat uns der Abschnitt über die syntactischen Figu-
ren^ § 2üf), nicht eben befriedigt. Er ist zwar mit vielem Fleiss
und grosser Gelehrsamkeit gearbeitet; allein nach unsrer Mei-
nung scheint der Ilr. Verf. dieser ganzen Lehre zu viel Wich-
tigkeit beigelegt und verhältni?:3mässig zu viel Sorgfalt gewid-
met zu haben. Das Meiste derselben liätte sich, wie schon
die vom Hrn. Verf. gegebnen Verweisungen zeigen, anderwärts
einordnen lassen, so dass dann nur noch die von der eigentlichen
Jahrb.f. Phil. u.Pädafi:. Jahrg. \n. Heft 7. 1^
274 BöiuiHche Lttteratur.
Syntax freilich auszuschliessenden Sprachidiomata , wie Ple-
onastm/s^ Ellipse^ Anacoluthon, Aitraction und dergleichen
wichtigere Lehren, besonders zu eriäiitern waren, welche dann
auch iiocli etwas ausfiilirliclier und umfassender, als liier ge-
schehen ist, hätten behandelt werden können. Alles Uebrige
aber, namentlich die ganze Zahl der Figuren, die sich auf eine
in der Regel nur vermeintliche Vertuuschung der Redetheile
und ihrer besondern Formen beziehen, hätten sich billig mit
ganz kurzer und mehr historischer Erwähnung abfertigen las-
sen; denn, näher betrachtet, kann das Meiste, was sonst dar-
über mit ebenso grosser Spitzfundigkeit alsAusfiihrlichkeit ge-
lehrt wurde, bei dem jetzigen Standpunct der Wissenschaft doch
für weiter nichts gelten, als für eine, zum grossen Theil selbst
sehr verworrene, grammatische Dogiriengeschichle ^ deren Stu-
dium gewiss niemanden zu einem gründlichen Sprachkenner bil-
den kann, wohl aber von jeher die armen Schüler vielfach
und schwer geplagt und selbst oft bessern Köpfen alle Lust
und Liebe zu emsiger Erlernung der alten Sprachen verlei-
det hat.
Prosodik imd Met?ik , § 208 — 222, sind beide ziemlich
genau und ausführlich behandelt, nur scheint uns die letztere
nicht so klar und fasslich genug, wie sie es für Schüler seyn
Rollte.
Doch es ist Zeit, zum Ende zu kommen. Wir erwähnen
daher nur noch die äussere Ausstattung des Bnches anlangend,
dass der Druck im Ganzen nicht übel und ziemlich correct *),
das Papier aber zu grau, so wie der Preis fiir ein Werk, das
einen so bedeutenden Absatz erwarten liess, als dieses, zu hoch
seyj und schliessen mit dem Wunsche, dass der hochgeschätzte
*) Erheblichere, in den F^erbesserungen niclit erwähnte Fehler
bemerken wir folgende: S. 5 Z. 8 v. n. lies Cafu für Cado , S. 228
Z. 10 v.u. 1. 120, 2. f. 119, 2., S. 262 Z. 18 1. Cumparatlo f. Cum-
parativus y S. 288 ist in den Bemerkungen des untern Randes Unord-
nung in den letzten Verweisungsbuchstaben, S. 298 Z. 12 1. 11. f. 2. S.
MilZ.12v. u. geben die Worte „of/t/- folgenden Stelle "• keinen Sinn.
S. 347 fehlt in den INoten des untern Randes die zu i\ gehörende Be-
uierkung. S 400 f. steht das aus Liv. 36 , 34 citirte Beispiel zweimal.
S. 403 Z. 19 felilt po.sl nach paulo. S. 406 Z. 7 v. u. 1. adprlme f.
adprime. S. 530 Z. 12 v.u. 1. i^ontw/ra i.idonei, S. 549 Z. 2 Cansii
f. Crassi, S. 554 Z. 4 v.u. consulendiuni. cosulendum, S. 593 Z. 13
Themintocleo f. Themistocles , S. 596 Z. 3 des untern Randes iV; 25,
13, 6. f. 25, 13, 1. S.Gll Z. 1 re f. se , S. 612 Z. 17 v.u. somnum f.
somnium, S. 628 Z, 11 v. u. läacus f. Hiadvs , S.679 Z. 6 v.u. 6«-
pientia f. eloquentia, S.696 Z.14 v.u. alütudo f. alitudo, S.789 Z.12
r. u. duo f. dicü.
Tic, Oratt. pro Plane, pro Mil., pro Lig.et pro Dcjot. Edid. Wernsdorf. 215
rir. Verf. unsere Aiisstellungen mit ebenso unbefangener und
wohlmeinender Gesinnung aufnehmen möge, als wir sie ge-
macht Iiabcn.
Grimma. M. Ho ff mann.
M. T.Cicer onis OratioJies pro Platicio^ pro Milone,
pro Ligario^i et pro Rege Dejotar o. Textum recen-
suit et subjecta lectionis varietate iiotis criticis instruxit Gregoriua
Gottlieb PVernsdorf. Jenae apud Frid. Frornmann. 1828. \1II
und 272 S. gr. 8. 1 Thlr. öGr.
Atei der überaus gi'ossen Anzahl von Ausgaben, in Melchen die
Werke des griechischen und römischen Alterthiims immer wie-
der abgedruckt erscheinen, ist es in der Tliat Pflicht der litte-
rärischen Zeitschriften, über jeden neuen Abdruck ein rücksichts-
loses und gewissenhaftes ürtheil zu fällen, damit die Freunde
der alten Litteratur in den Stand gesetzt werden, den Werth
oder Unwerth solcher Ausgaben kennen zu lernen, bevor sie sich
mit kostspieligem Aufwände unnütze Bücher anschaffen. Aus
diesem Grunde erklären wir unverholen, dass die vorliegende Aus-
gabe, deren Beurtheilung uns übertragen worden ist, durchaus
denjenigen entbehrlich ist, welche im Besitz der Orellischen
sind. Denn erstlich ist der Text der vier Beden im Wesentli-
chen ganz derselbe, wie ihn bereits Orel li gestaltet hat. Die
wenigen Abweichungen sind meistentheils von der Art, dass wir
wünschen müssen, Hr. Werjisdorf möchte lieber Hrn. O r e 1 1 i
gefolgt seyn. Zweitens sind die kritischen Noten fast von gar
keinem Werthe. Nirgends finden wir eine schwierige Stelle so
erklärt oder verbessert, dass wir dem Hrn. Verfasser unsere
Zustimmung geben könnten. Vielmehr vermissen wir überall
Schärfe des ürtheils und umfassende Kenntniss des Sprachge-
brauchs. Da wir die Gränzen der Recension bei w eitern über-
schreiten würden, wenn wir alle Fehlgriffe und Irrthümer, die
sich FIr. Wernsdorf in den Noten zu den vier genannten Reden
nach unserer Meinung hat zu Schulden kommen lassen, darlegen
wollten, so begnügen wir uns mit einer Prüfung der Bemerkun-
gen , welche der Hr. Herausgeber zur Rede pro Plancio ^ die
den Anfang macht, geschrieben hat. Die übrigen Anmerkun-
gen, welche von gleichem Werthe sind, mögen andere Zeit-
schriften einer Beurtlieilung unterwerfen.
Dem Texte der Planciana ist das Schützische Summa-
rium unverändert vorgedruckt worden, was wir um so mehr
missbilligen müssen, je leichter die Fehler, welche Schütz
in demselben begangen, aus dem Gar atonisch en Commen-
18*
276 Rümlsche liltteratur.
tar Verbessert werden konnten. Ilr. Wernsdorf hat selbst
diese kleine Mühe gescheut. Die kritischen Noten zur Planciana
füllen die Seiten 115 — 197. In denselben tadeln wir zuför-
derst diess, dass weder die von uns bekannt gemachten Lesar-
ten des Erfurter Codex, nocli die guten Bemerkungen Bake's
in der Biblioth. Crit. Nov. Vol. III S. 57 — 88 berücksichtigt
worden sind. Wäre diess gescheiten, so würde wahrscheinlich
Hr. Wernsdorf manchen Fehler vermieden haben. Doch darf
ihm diess vielleicht nicht zur Schuld angerechnet werden, wejin
der Commentar früher gedruckt worden ist, als jene Bücher
erschienen sind , obschon die Vorrede erst im Februar dieses
Jahres geschrieben worden ist. An der Wichtigkeit der Erf.
Handschrift wird wolil aber Niemand zweifeln, wenn wir den
unwissenden Recensenten ausnehmen, welcher in der Darmst.
Schulzeitung. 1827, 9s Heft Sept. S. 380 fgg. denWerth jener
Handschrift desswegen für gering hält, weil sie nicht selten
die Worte in einer andern Ordining schreibe, als man sie in
den übrigen bekannten Handschriften geschrieben finde. Diese
Abweichung soll ein deutlicher Beweis seyn, dass der Verf.
des Erf. Codex sich eigenmächtige Aenderuugen erlaubt habe.
Hier hat sich aber jener llecensent in doppelter Hinsicht als höchst
unwissend gezeigt. Denn erstlich stimmen in allen jenen Stellen,
die der Recensent angeführt hat , auch andere Handschriften
mit der Erf. in der Wortsetzung überein, und zwar solche, die
offenbar nicht aus der Erf. abgeschrieben worden sind. Zwei-
tens kann die fehlerhafte Wortstellung nimmermehr einen
Beweis von derWillkühr des Abschreibers, mit der er sichAen-
derungen erlaubt habe, abgeben, sondern lediglich eine Ge-
schwindigkeit beim Abschreiben und eine gewisse Unaufmerk-
samkeit verrathen. Wenn übrigens jener Recensent, der frei-
licli nur den zelinten Theil unserer Vorrede zu den Varr. Lectt.
ex cod. Erf. enot. und von den Varianten selbst den allerge-
ringsten Theil einer Beachtung gewürdigt hat, sich genauer mit
den Abweichungen der Erf. H, in der Wortstellung von den
bisherigen Ausgaben bekannt gemacht Iiätte , so würde er ge-
sehen haben, dass sie fast durchgehends in diesem Puncte mit
den ältesten und besten Handschriften übereinstimmt. Endlich
behaupten wir, dass noch eine grosse Anzahl von Handschrif-
ten hierin mit der Erf. übereinstimmend befunden werden wür-
den , wenn man sie genauer als bis jetzt geschehen vergliche.
Denn gemeiniglich hat man diese Abweichung aus den Hand-
schriften gar nicht angemerkt. Doch wozu ist es nöthig, eine
gehaltlose Behauptung eines unwissenden Recensenten zu wider-
legen'? Nur die einzige Bemerkung erlauben wir uns noch, dass
die Schreibart quoniam in den letzten Büchern der Epp. adDiv.,
welche die Erf. II. statt der bisherigen fehlerhaften quum und
quando darbietet, als die einzig richtige auch durch die älteste
Cic.Oratt. pro l'Iiiiic., pr» Mil., pro Lig^. et pro Dejot. Edid. Wcrnsdorf. 271
Mediccisclie Handschrift der Lorenz -Bibliothek zu Florenz,
wie Avir von Hrn. Prof. Orel li erfahren liahen, durchaus bc;-
stätigt worden ist, so wie dieselbe unsere in den übrigen Bü-
chern, welche die Erf. H. nicht enthält, vorgeschlagenen Ver-
änderungen als richtig anerkennt. Es ist diess ein neuer Beweis
von der Güte und dem Werthe der Erf. Ilandsclirift.
Wir wenden uns nun auf den kritischen (-ommcntar zur
Planciana. Leider haben wir hier unter den vier und vierzig
Bemerkungen, die er enthält, nur zwei Bern, gefunden, in denen
Hr. Wernsdorf seine Vorgänger wirklich bcriolitigt hat.
Von den übrigen zwei und vierzig enthalten noch fünfe etwas
Wahres, das aber schon von Andern bemerkt worden ist, viere
Iheils Wahres theils Falsches, die übrigen drei und dreissig
aber durchaus Irrthümer und FehlgrilTe. Um die Wahrheit un-
seres Urtheils zu bekräftigen, wollen wir hier die sämmtlichen
Irrthümer angeben , wodurch wir uns zugleich des unangeneh-
men Geschäfts überheben, in unserem schon seit einem hal-
ben Jahre vollendeten Commentar zu dieser Rede nachträglich
die Wernsdorf sehen Bemerkungen zu widerlegen. Uebri-
gens Averden wir in derselben Ordnung über die Bemerkungen
Hrn. Wernsdorfs unser Urtheil fällen, in welcher sie geschrie-
ben sind, ohne irgend eine mit Stillschweigen zu übergehen.
Gleich in der ersten Note zu Cap. 3, vel quod multo etiam
minus est^ thut Hr. W. Hrn. Prof. Orelli Unrecht, indem er
sagt, dass dieser mit dem Uebersetzer W o 1 f f vel in der Bedeu-
tung sogar genommen habe. Allein Orelli hat diese Stelle
schon ganz richtig erklärt und vel., wie es Hr. W. thut, in der
Bedeutung oder genommen. Dagegen sieht man aus der intcr-
punction, die in dem W ernsd orf sehen Texte stattfindet,
dass Hr. W. die Stelle nicht richtig aufgefasst hat. Denn nach
ferendum kann nimmermehr ein Pimct stehen , den Hr. W. ge-
setzt hat, da das Folgende die Erklärung von dem vorherge-
henden quod enthält. — Cap. 4 §10 schreiben die besten Hand-
schriften, die Baiersche und Erfurter, also: eos, qui suffragiuvi
ferant^ quid cuique ipsidebewd^ considerare saepius ^ quam
quid cuique a re publica debeatur. Die übrigen bei weitem
schlechteren haben für cuique vor ipsi die Partikel denique.
Graeve, Garatoni und Orelli waren natürlich den guten
Handsch. gefolgt. Dagegen bemerkt Hr. Wernsdorf: „Valde
verisimile est , cuique glossam esse alterius germanae lectionis
denique^ quod saepe significat höchstens. proR. Am. 87: nonne
satis fuit , hie gratias agi ? denique , ut perlibernliter ageretur^
honoris aliquid haberi? War es nicht genug., zu danken ? höch-
stens wenn man sehr gütig sein toollte^ eine Ehre an%uthu7i?
Verr. IV,23 deEpicrate, qui^ atitequam in ius aditum esset^
antequam denique mentio contraversiae facta esset., discessisset.
Weil er., ehe der Process angegangen , ja gar , ehe irgend eine
278 Römische Litteratur.
Erwähnung der Streitigkeit geschehen war. pro Quinct. 1(T. 19.
21. Verr. 4, 51. 69. üt sensus hie esse \ideatur, quoiiiain
denique liempeT si^niücat ad 8ummum^ omnino^ höchstens^ ut
quodainraodo vim enumerandi retineat; qimra multa alia prius
V. c. quid cuiqiie res publica debeat, considerare debeant, quid
denique ipsi debeant, consideraut, i.e. sie frageji nur höchstens^
was sie für ihre Persone/i etc." Beim ersten Anblick kann es
allerdings scheinen, als wenn die Lesart denique der andern
cuique vorzuziehen wäre, und zwar aus dem, von Hrn. Wernsd.
nicht angegebenen, Grunde, \\^i\ quid denique \.^\c\\i^v m quid
cuique., als quid cuique in quid denique dem Anschein nach von
den Abschreibern umgewandelt werden konnte. Denn es brauchte
nur der eine d Buchstabe weggelassen zu werden, und es war
nichts natiirlicher, als dass enique in cuique überging. Wir
würden daher unbedingt der Lesart quid denique den Vorzug
geben, Menn sie nur im Mindesten einen erträglichen Sinn gäbe.
Diess ist aber nicht der Fall. Erstlich irrt Hr. Wernsdorf,
odervielmehr TurseUinus de Part. S. 230 ig., aus welchem
Hr. Wernsdorf nicht bloss die Beweis.<tellen für denique in der
angegebenen Bedeutung, sondern sogur die Uebersetzung ent-
nommen hat, wenn er der Partikel denique die Bedeutung höch-
stens zuschreibt. Sie hat in den angeführten Stellen durchaus
nur die Bedeutung j«. Woher sie diese erlangt hat, ist auch
leicht einzusehen. Bei Aufzählung mehrerer Dinge geschieht
es häufig, dass man dasjenige zuletzt, ^\»o \ov denique ., stellt,
was das Wichtigste oder Hauptsächlichste ist. In diesem Falle
pflegen wir in der Regel ja oder kurz^ der Lateiner denique zu
sagen. Z.B. senatus.,ordo equester^ denique omnis civitas. El)en
djiese Bedeutung ist auch der Stelle in pro 11. Am. c. 37 angemes-
sen, sobald man nur die Worte, Avelche unmittelbar neben einan-
der stehen, genau mit einander verbindet, wir meinen die Worte
denique ut perliber aliter ageretm\ in dem Sinne : ja um sehr gü-
tig zu seyn u. s. w. Doch läugnen wir nicht, dass vielleicht in dieser
Stelle deniqtie riclitiger so aufgefasst wird, im letzten., im äusser-
sten Falle. Zugegeben aber, dass denique die Bedeutung höchstens
habe, so ist doch so viel unumstösslich gewiss, dass diese in
der bestrittenen Stelle in der Planciana durchaus nicht stattfin-
den kann. Denn erstlich müsste wenigstens ein Satz vorherge-
hen, uni welchen sich denique., höchstens., beziehen Hesse, so
wie es in den von Hrn. W ernsdorf, oder AieLi.ehr von Tur-
eeilinus angezogenen Stellen der Fall ist. Es geht aber nicht
nur kein Satz vorher, sondern es lässt sich nicht einmal ein
Satz als ausgelassen und zu suppliren denken. Cicero will
den im Vorhergehenden ausgesprochenen Satz : comitiis, prae-
sertim aedilitiis^ Studium esse populi, non iudicium erläutern.
Diess thut er in folgenden Worten: eOÄ, qui suß'ragium ferant,
qtiid (cuique) ipsi debeant., considerare saepius., quam quid
Cic. Oratt. pro Plane, pro Mil.,pru Lig. etproDcjot.Edid.Wernsdorf. 2W
cuique a re publica debealur. Bedenke^ dass diejenigen , teel-
che stimmen^ mehr in VeberleguJiß bringen^ was sie selbst einem
Jeden schuldig sind^ als was Jedem der Staat schuldig ist. Ist
es nun bei diesen klaren Worten noclj nöthig, die widersinnige
Erklärung Hrn. W.s zu widerlegen, welcher sagt: „y?/?/7w niulla
alia p/ius v. c. quid cuique res publica debeat , considerare de-
heant ^ quid denique ijjsi debeafit., considerant^ i.e. sie fra-
gen nur höchstens., was sie für ihrePersonen etc.*?
Ist es möglich, dass ein verniinitiger Mensch den Satz als aus-
gelassen vor den Worten quid . . . ipsi debeant ansehe, welcher
eben diesen Worten klar und deutlich entgegengesetzt wird,
quid cuique a re p. debeatnr? Und wie passt ferner das höch-
stens zu dem saepius , das freilich Hr. W. , da es seiner Erklä-
rung ganz und gar zuwider war, wegzulassen kein Bedenken
trug. Zweitens widerspricht auch die Stellung von deinque
derWernsd. Erklärung. Nach dieser niüsste es nothwendig vor
oder nach eos stehen, nicht aber nach quid., wo es immer und
ewig sinnlos bleiben wird. Desshalb ist nichts gewisser, als
dass cuique die einzig richtige Schreibart ist, wofür schon der
blosse Gegensatz , quam quid cuique a «e p. debealur hinläng-
lich spricht. Die Möglichkeit ihrer Verderbung in denique hat
schon Weiske eingesehen. Aus cuique wurde enique., und da
^2<2<2 vorherging, denique.
C. 5 § 12 : Qui si tecum congrediatur., et si una voce loqui
possit: haec dicat: Ego tibi — supplirarat. Itespondebis u.s.w..,
tritt Hr. Wernsd. Garatoni bei, welcher fiir haec aus dem
Baierschen Cod. ac aufnahm, und mit Bespondebis den Nach-
satz beginnen liess. Eine sorgfältige Prüfung der ganzen Stelle
würde aber Hrn. W. gezeigt haben, dass diese Aenderung durch-
aus unzulässig und die Lesart der übrigen Handschriften die al-
lein richtige sey. Deim wenn die Worte respondebis u. s. w.
den Nachsatz bildeten, so raüsste man glauben, dass Cicero
hauptsächlich das auseinandersetzen wolle, was Laterensis dem
Volke auf dessen Rede, die es an ihn halten würde, wenn es
mit einer Stimme zu ihm sprechen könnte, antworten würde.
Allein das will , wie das ganze Cap. zeigt, Cicero keineswegs
auseinander setzen. Vielmehr ist es seine Absicht, das haupt-
sächlich zu erwähnen, was das Volk dem Laterensis sagen würde,
\^enn es einstimmig zu ihm reden könnte. Was Laterensis dar-
auf erwidern werde, ist bloss Nebensache, und kann daher
nicht den Nachsatz, sondern muss nothwendig einen neuen Satz
bilden. W^as übrigens in derselben Note über den Unterschied
der Partikeln ei, que., ac und atque von Hrn. W. bemerkt wird,
ist eine wörtliche Uebersetzung dessen, was Ra ms hörn in
seiner Gramm, S. 516 (nicht § 516, wie es bei Wernsd. heisst)
hierüber geschrieben hat. Statt der blossen unnöthigen Wie-
280 Römische Litteratur.
derholung war eine Bericlitigiing^ in einem kritischen Comnien-
tar docli wohl zweckmässiger.
C. 5 §12 liat zwar Hr. Wernsd. mit Recht bemerkt, dass
das Pronomen se, Avelches im Baierschen und Erf. Cod. nach
szipplicari h'mzngeiügt wird, niclit mit Garatoni als ein TJe-
berbleibsel des Wortes voluisse anzusehen scy, sondern wirk-
lich das Pronomen ist und sich auf das Folgende bezielit, allein
kein Wort darüber hinzugefügt, Avarum hier dieses Pronomen
den Satz beginne, während dasselbe in den vorhergehenden und
nachfolgenden Sätzen enklitisch ist. Hierüber juusste aber Hr.
W. sprechen, wenn er überzeugend werden wollte. Wir haben
den Grund davon bereits in unscrm Commentar angegeben. —
In demselben Cap. § 13 tbut Hr. Wernsd. die überflüssige Frage,
warum OreUi in den Worten et quo plus intererat eine Lücke
zu finden glaube, und vorschlage: et curari me quo plus intererat^
da doch Orelli deutlich genug zu erkennen gegeben hat, dass
ilin die Lesart einiger Handschrr. e^ cur quo plus intererat zu
dieser Muthmassung veranlasst liabe. Wenn Hr. W. ein nütz-
liches Wort zu dieser Stelle schreiben wollte, so hätte er
zeigen sollen, dass die Worte et quo plus intererat gar keine
Veränderung zulassen , was von uns in unserem Comm. gesclie-
hen ist. — In demselben Paragraph liaben alle Handschriften
mit Ausnahme der Baiersclien: Sin^ quod magis intelligo^ tem~
poribus te aliis reservasti, ego quoque^ inquiet populus Ro-
manus^ ad ea te tempora revocavi^ ad quae tu te ipse servaras.
Nur der Baierscheliat fiir quoque die Partikel autem. Hr. Wernsd.
hat sie aufgenommen, tadelt Orelli , dass er nicht ein Glei-
ches gethan, und sagt zur Rechtfertigung seines Verfahrens
nur folgendes: „Verum fiw^e;« saepe sie in responsionibus poni-
tur. AdFamil.4, 14: Ego autem si dignitas est bene de re p.
sentire — obtineo dignitatem meam. Atque si quis dubitet, quin
neu is contextus orationis esse possit aliquando, qui admittat
post sin adversativam particulam, facile refutabitur locoLiviano
X, 20: Sin collega quid aliud 7nalit: at sibi LuciumVobmmiium
darent adiutorem.'-'- Keine von beiden Stellen kann irgend et-
was fiir die Richtigkeit der Wernsd. Behauptung, dass auleni
aus dem Baier. Cod. aufzunelnnen sey, beweisen. In der letz-
ten Stelle heisst at wenigstem ^ und kann in dieser Bedeutung
mit Fug und Reclit im Nachsatze gebraucht werden, was unzäh-
lig oft geschieht. In der ersten Stelle steht auteui zu Anfang
eines Satzes, und hat, wie der Zusammenhang lehrt, seine ganz
gewöhnliche Bedeutung. Nachdem Cicero im Vorhergehenden
den Inhalt der beiden Briefe, die er vom Plancius empfangen
habe, erwähnt und gesagt hat, dass er im ersten sich freue,
dass er sein altes Ansehen aufrecht erhalte, und im zweiten
ihm einen glücklichen Ausgang seiner Unternehmungen ge-
wünscht habe: so erwidert Cicero mit den Worten Ego autem
Cic. Oratt. pro Plane, pro Mii., pro Lig. et pro Dejot. Edid.Wernsdorf. 281
11. s. w. dem Plaiicius, dass es sicli mit der AufrecliterliaUung
des Ansehens anders verlialte, als er denke. Er bejahet also
nicht das, Avas Plaiicius gedacht liatte, sondern berichtigt und
widerlegt zum Theil dessen Ansiclit. 31 it vollem Rechte ist
also in jener Stelle, die übrigens Hr. Wernsd. ebenfalls aus
Turseliinus genommen Iiat, die Partikel uulem gesetzt.
Ganz verschieden davon ist die Stelle in der Planciana. Wer
es hier glaubhaft machen uill, dass ««fc^/« die richtige Lesart
sey, muss dreierlei beweisen: erstlich, dass «?/^e;« in der Apo-
dosis gesetzt vorkomme; zweitens, dass es in einer solchen Apo-
dosis vorkomme, welche nicht eine Berichtigung , sondern, Avie
hier, eine Wiederholung der Protasis , wobei nur die Personen
wechseln, enthalte; drittens endlich, dass für aulem ein Er-
klärer liabe quoqiie setzen können. So lange diess unbewiesen
hieibt, Iiaiten wir aulem durchaus für falsch. Die Bedeutung
der Partikel o?^/em aber wird die Beweisführung unmöglich
machen. Da jedoch auch soviel gewiss ist, dass kein Abschrei-
ber aus quoque werde autem gemacht haben, so sind wir der
Meinung, dass auch q^ioque die wahre Lesart nicht sey, sondern
eine Partikel hier gestanden habe, die durch yz/o^r^'e erklärt wor-
den sey, und leicht mit autem habe verwechselt werden kön-
nen. Diese scheint uns Orelii ausfindig gemacht zu haben, wel-
cher iteyn^ eine dem Sinn ganz angemessene Partikel , für die
ursprüngliche Lesart hält.
Völlig widersinnig und kaum der Widerlegung werth ist
die folgende Bemerkung, in welcher Ilr. W. die liandschriftli-
che Lesart in den Worten (c. 5 § 13) ildem 7nihi sunt iudi ces
/^ß/-«^/ gegen E r n e s t i , Garatoni und Orelii, welche für
iudices Iudi geschrieben haben , in Schutz nimmt. Man höre
ilui selbst reden: „Error omnis ex eo natus est, ({woA. iudices
ex significatione sumserunt lUchter^ qui sederent in iudicio, sed
significat Beurtheiler^ iiti est in c. 13 plurimarum rerum iudex ;
et alibi reperitur nimiura saepe. Absurda sane cuique scriptori
videri debebat vox illa, si illos iudices, adloquente populo, hie
cogitarem. At sensus est : Möge?i es Aedilen sein , welche es
tvollen , ich habe an allen (^einem^ tvie dem andern) fertige^ ge-
schickte ßeurtheiler. sc. iudicare mihi possunt de rebus iis, qua-
rum curaipsismandataest." Wohl konnte keine dem lateinischen
Sprachgebrauch und dem Sinn dieser Stelle zuwiderlaufendere
Erklärung ausgesonnen werden. Denn wo hat je ein Lateiner
iudex paratus in der Bedeutung eines geschickten Beurtheilers
gesagt! Wie können ferner die Aedilen i?e?/r/Äe//er des Vol-
kes genannt werden ! In der Tliat Hr. Wernsdorf muss doch
nicht die mindeste Kenntniss von dem Geschäft der Aedilen
haben. Nun sehe man vollends die ganze Stelle im Cicero
selbst nach, und man wird über Hrn. Wernsdorfs Erklärung
in Erstaunen gerathen. Cicero lässt das Volk zum La-
282 Uü mische Littcratur.
tereiisis, der darüber aufgebraclit ist, dass er nicht zumAe-
dil gewählt worden ist, sagen, er solle sich um solche Aein-
ter bewerben, deren Führer ihm wahrhaft nützlich seyn könnten.
Diess thut er mit folgenden Worten; Pete igitur euni magislra-
tum^ in quo mihi magnae utilitati esse possis. Aediles qtiicumque
erunt^ iidein mihi sunt . . . parali; tribuni plebis pennagni
inte? est qui sint. Wem leuchtet nicht auf der Stelle ein , dass
die Worte Aediles — parati nothwendig den Gedanken eutlial-
ten müssen: Aedilen inögen seyn voji welcher Art sie wollen^
ich habe weder Getvinn, tvenn sie gut^ noch Schaden^ wenn sie
schlecht sind. Aber, fährt das Volk fort, was ich für Tribunen
habe, darauf kommt viel an. Was ist nun zuversichtlicher,
als dass Cicero /eWe/« 7nihi sunt tu di parali §G^c\\rich(i\i habe?
Wir wiederholen hier weiter nicht , was bereits voo Garatoni
gezeigt worden ist, dass ludi auf das Leichteste in iudices ver-
ändert werden konnte. Nur bemerken wir noch, dass auch
diess ein gewaltiger Irrtlium ist, dass Hr. W. c. 13 in den Wor-
ten plurimarum rerum sanclissimus et iustissimus iudex dem
Worte iudex die Bedeutung eines Beurtheilers giebt. L uter
iudex ist dort ein Schiedsrichter zu verstehen, wie bereits E r-
nesti richtig bemerkt hat.
Nichts sagend ist wiederum die Bemerkung zuCap.6 §16:
cur tu id in iudicio ut fiat exprimis^ quod non fit in campo^
in welchem Satze Garatoni und Orelli die Worte ut fiat
für eine Glosse zu halten gemeint sind, weil sie bloss in dem
Bai. und Erf. Cod. stehen. Dagegen sagt bloss Hr. W.: „Haec
propter vim oppositionis, et quod Bav. et Erf. optimi codd. ha-
bent, non uncis uti Gar. et Orell. incluserim." Ist es denn un-
möglich, dass die besten Handschriften interpolirt sind*? Doch
die nähere Auskunft, was von dieser Stelle zu halten, werden
die Leser in unserer Ausgabe der Planciana finden. — Nicht
mehr sagend ist die Bemerkung zu den Worten desselben §,
67* dicerem., wofür ein Theil der Handschriften sie dicere hat,
was Hrn. Prof. Orelli wenigstens nicht unlateinisch zu seyn
schien. Dagegen sagt Hr. W.: .„sie dicere., quod hie Orellius
et Wolffius legendum esse putant, non hie scribi potest.'' Auf
diese ohne Beweisführung hingestellte Erklärung Hrn. W.s wird
wohl Niemand etwas geben. Uebrigens würde Hr. W. besser
getban haben, wenn er statt non hie scribi potest geschrieben
hätte: hie seribi non potest. Ueberhaupt leidet die Latinität des
Hrn. Herausg. an vielen Gebrechen. — Eine unmässig lange
Bemerkung hat Hr. W. noch über den letzten Satz dieses KUen
Paragraphs gemacht, in welcher er sich zu zeigen bemüht, dass
nicht l\am quid assequerere mit Garatoni und Orelli, son-
dern Nunc quid assequerere zu schreiben sey. Durch ein glück-
liches Versehen hat sich jedocli auch im Wernsd. Texte Nam
erhalten. Denn Nunc giebt gar keinen Sinn. Vielleicht wiirde
Cic. Oratt.pro Plcuic, pro Mil., pro Lig. et pro D(\jot. Edid-Wernsdorl". 28S
diess Hr. W. selbst eingesehen haben, wen» er gewusst hätte,
was er freilich hätte wis^scn sollen , dass assctjuerere in kei-
ner Handschrift stellt, sondern zuerst, wahrscheinlich aus Ver-
sehen, in der Gruter seh en Ausg. gefunden wird. Aus dieser
liaben es nurGaratoui und Orelli beibehalten; und diess durch-
aus mit Unrecht, Die liandschriftliche Lesart asseijiiercr giebt
allein den erforderlichen Sinn, und macht zugleich die Schreib-
art Num nöthig, JSutic steht nur in wenigen II. und nicht,
wie Hr. W. fälschlich sagt, in der Baierschen. Weiter ]ial)eii
wir über die lange und völlig überfliissige Bern, Hrn. W.s nicitU
zu sagen. Hätte er assequerere gegen assequerer vertheidigt,
so würden wir ihn widerlegen, was jetzt unniithig ist.
Cap. 8 §20 hatteGraeve, angeblich aus dem Erf. Cod.,
also geschrieben : At in quemcumque Arpinatem iucideris., etiam-
si nolis erit tarnen tibi forlasse etiamde nobis aliquid., aii-
quid sed certe de C. Mario audiendum. Gerade so
giebt diese Stelle der Bai. Cod., dem Garatoni beistimmte.
Ernesti und Orelli nahmen dagegen gegründeten Anstoss
an dem nachgesetzten sed., das ausser dem Erf. und Bai. Cod.
die übrigen alle nicht anerkennen, und Hessen es desslialb weg.
Hr. W. meint dagegen: „At omnis off'ensio facile tollitur, si
pauUisper in recitando loco post aliquid vocem inhibueris, ita
ut coniunctim pronuntiatum sed cerle,